M. Marable u.a. (Hrsg.): Transnational Blackness

Titel
Transnational Blackness. Navigating the Global Color Line


Autor(en)
Marable, Manning; Agard-Jones, Vanessa
Reihe
Critical Black Studies
Erschienen
New York 2008: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
€ 56,25
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Dorestal, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Spätestens seit Paul Gilroys im Jahre 1993 veröffentlichter bahnbrechender Studie „The Black Atlantic“ wird die Wirkmächtigkeit des sozialen Konstruktes „Race“ in seiner Wechselwirkung mit transnationalen Bezügen gedacht.1 Gilroys Untersuchung, die beispielsweise anhand der afroamerikanischen Autoren Richard Wright und W.E.B. DuBois zeigt, wie deren Aufenthalt in Europa und der Kontakt mit europäischen Denktraditionen ihr Werk beeinflusst hat, unterstreicht, dass eine transnationale Perspektive für die Analyse von Blackness unerlässlich ist. Auch wenn Kritik an Gilroy geübt wurde, weil er etwa nur afroamerikanische heterosexuelle Männer in seiner Arbeit berücksichtigt habe, seine Lesart von DuBois sehr selektiv sei, und schwarze Frauen gänzlich fehlten, so gingen von seinem Konzept des „Black Atlantic“ doch wichtige Impulse für die zukünftige Forschung aus.2 Dies gilt besonders für den Sammelband „Transnational Blackness“, in dem sich die AutorInnen implizit und häufig auch explizit auf Gilroy beziehen. Die Herangehensweise ist allerdings umfassender als bei Gilroy, denn hier wird nicht nur afroamerikanisches Denken und Aktivismus in den Blick genommen, sondern auch Stimmen und Bewegungen aus Afrika, der Karibik und Asien.

Das Buch ist in sechs thematische Abschnitte unterteilt. Diese versammeln jeweils konzeptionelle Beiträge zu „Race“ im globalen Kontext, zu „Race“ und Rassismus in den Amerikas, schwarzem Aktivismus im transnationalen Raum, zu Europa und Asien „on the color line“, Identitäts- und Widerstandspolitiken sowie zu „Race“, Macht und Politik in Afrika. „Transnational Blackness“ besticht durch die sich schon in diesen inhaltlichen Blöcken andeutende thematische Vielfalt.

In seinem Einleitungsaufsatz „Blackness Beyond Boundaries. Navigating the Political Economies of Global Inequality“ geht der Herausgeber Manning Marable auf frühe Konzeptionen von Blackness ein. Dabei orientiert er sich maßgeblich an W. E.B. DuBois, der noch Ende des 19. Jahrhunderts in einem Vortrag Blackness bestimmt hatte als geprägt durch Ästhetik, Kultur und „Race“. Erst später kam DuBois zu dem Schluss, dass Blackness nur transnational konzipiert und Befreiungskämpfe nur unter Einbeziehung der Emanzipationsbewegungen anderer Länder erfolgreich geführt werden könnten.

In Abwandlung von DuBois’ Diktum, das Problem des 20. Jahrhunderts sei das Problem der „color line“, argumentiert Marable weiter, könne man sagen, dass das Problem des 21. Jahrhunderts das der globalen Apartheid sei. Die rassifizierte Trennung und Stratifizierung der Ressourcen, von Reichtum und Macht, die Europa, Nordamerika und Japan von den Millionen der Mehrheitsbevölkerung von Schwarzen, People of Color sowie undokumentierten MigrantInnen und Armen der Welt abspalten, können nur mit diesem für die rassistische Herrschaft in Südafrika bekannten Begriff adäquat beschrieben werden. Die auf Marables Einleitungstext folgenden Beiträge in der Sektion „Theorizing Race in a Global Context“ unternehmen es kenntnis- und faktenreich, diese These zu untermauern.

Im Abschnitt „Radicals in Transnational Space“ verdient der Essay von Mark Sawyer („Du Bois’s Double Consciousness versus Latin American Exceptionalism: Joe Arroyo, Salsa, and Négritude“) genauer vorgestellt zu werden. Der Autor vergleicht DuBois’ Konzept des „double consciousness“ mit Gedanken des afrokolumbianischen Salsasängers Joe Arroyo. Das sogenannte „doppelte Bewusstsein“ besagt, dass African Americans infolge von Rassismus nie so gesehen werden, wie sie sind, sondern immer auch gleichzeitig verzerrt durch den Schleier des rassistischen Vorurteils. Darüber hinaus hätten sie ein ambivalentes Verhältnis zu ihrem Heimatland, weil sie durch ihr Schwarzsein außerhalb der Nation stehend konstruiert würden, die nicht nur im Falle der USA als weiß imaginiert wird. Obwohl African Americans amerikanische StaatsbürgerInnen sind, würden sie somit in gewisser Weise als nicht zugehörig definiert. Sawyer vertritt nun die These, dass sowohl die Position von Schwarzen in den USA wie auch in Süd- und Mittelamerika sehr viel komplexer sei als dies von DuBois in „Souls of Black Folk“ nahegelegt wurde. Allerdings ist das Argument, dass die Herausarbeitung von Differenzen in den Diskursen über Blackness in den USA bzw. Lateinamerika die Unterdrückungserfahrung von Schwarzen in Lateinamerika negieren und deren Kämpfe um politische, kulturelle, soziale und ökonomische Rechte nicht anerkennen würde, meines Erachtens nicht überzeugend. Vielmehr vermag gerade die differenzierte Betrachtung von Rassifizierungskontexten an unterschiedlichen transnationalen Bezugsorten sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede aufzuzeigen.

Als Antwort und Korrektiv auf den Aufsatz von Sawyer lässt sich der brillante und intellektuell äußerst stimulierende Beitrag von Ricardo Rene Laremont und Lisa Yun „The Havana Afrocubano Movement and the Harlem Renaissance: The Role of the Intellectual in the Formation of Racial and National Identity“ lesen, der im Folgenden etwas ausführlicher vorgestellt werden soll. Die AutorInnen vergleichen die beiden intellektuell-politischen Strömungen der afrokubanischen Bewegung und der Harlem Renaissance von den 1920er- bis zu den 1940er-Jahren vor dem Hintergrund der Frage, ob, und wenn ja, wie, „Race“ auf Kuba bzw. in den USA unterschiedlich konzeptionalisiert wurde, und wie dies die politischen Ziele und Strategien jeweils beeinflusste. Die zentrale These von Laremont und Yun ist, dass kubanische Intellektuelle in der Zeit von 1920 bis 1940 innerhalb der afrokubanischen Bewegung eine neue Definition der kubanischen Nation vortrugen, in der afrikanische und spanische Kulturen gleichermaßen konzeptionell Eingang gefunden hätten. Dies ließe sich auf starke Migrationsbewegungen aus Spanien zurückführen. Diese Immigration veränderte die demographische Zusammensetzung der kubanischen Bevölkerung und bewirkte gleichzeitig eine Modifizierung der Konzeptionen von „Race“. Die afrokubanische Bewegung propagierte in ihren Schriften die politische und soziale Inklusion von AfrikanerInnen und SpanierInnen in die kubanische Nation. Die Harlem Renaissance konstruierte demgegenüber eine afroamerikanische Identität, die sich innerhalb der nordamerikanischen und europäischen Kulturen verortete und so diesen gegenüber vergleichbar wurde. Während die Intellektuellen der afrokubanischen Bewegung das Projekt der kulturellen Inklusion formulierten, also der Anerkennung der verschiedenen ImmigrantInnengruppen als gleichermaßen kubanisch, verfolgte die Harlem Renaissance kulturell andere Ziele. Deren führende Vertreter suchten nicht kulturelle Inklusion zu erreichen, sondern eher Komparabilität und Parallelität. Während der Fokus auf der Anerkennung und Legitimität afroamerikanischer Kultur lag, wurde trotzdem das rassifizierte US-amerikanische Gesellschaftsgefüge, welches nach Kriterien der ethnischen Separation strukturiert war, nicht grundlegend in Frage gestellt. So kommen die AutorInnen zu dem Schluss, dass in den USA die Dekonstruktion der amerikanischen Identität und ihre „Afrikanisierung“ nur rudimentär vorhanden waren, während auf Kuba die Afrikanisierung der nationalen Identität in den Arbeiten der afrokubanischen Bewegung, beeinflusst von der kubanischen Geschichte selbst, schon weit fortgeschritten war.

In einem anderen lesenswerten Aufsatz „Femme Négritude: Jane Nardal, La Dépeche Africaine, and the Francophone New Negro“ kritisiert T. Denean Sharpley-Whiting die verbreitete Vorstellung, die sogenannte literarische, kulturelle und intellektuelle Bewegung „Négritude“, die die Geburtsstunde des frankophonen panafrikanischen Kulturnationalismus markieren würde, sei ursprünglich ausschließlich auf das Dreigespann Aimé Césaire, Lépold Senghor und Leon-Gontron Damas zurückzuführen. Demgegenüber zeigt die Autorin anhand der Schriftstellerinnen Jane und Paulette Nardal, dass nicht nur der Kontakt von Césaire, Senghor und Damas mit dem von afroamerikanischen Intellektuellen in den der 1920er- und 1930er-Jahren initiierten sogenannten „New Negro Movement“ für die Entstehung der Négritude ausschlaggebend war. Die Nardal-Schwestern gründeten in den 1920er-Jahren eine Zeitschrift, „La Dépeche Africaine“. In diesem Organ veröffentlichte Jane Nardal ihren wichtigen Aufsatz „Internationalisme Noir“, in dem sie schwarzes Bewusstsein und dessen Transnationalität in der afrikanischen Diaspora reflektiert. Dieser Essay diente als wichtiger philosophischer Referenzrahmen für die Denker, die später als Gründer der „Négritude“ berühmt wurden.

„Transnational Blackness“ bietet, so lässt sich abschließend festhalten, für WissenschaftlerInnen, die sich kritisch mit der Konstruktion von „Race“ in vergleichender und transnationaler Perspektive beschäftigen, einen reichhaltigen Fundus an intellektuell anregenden Aufsätzen.

Anmerkungen:
1 Paul Gilroy, The Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness, London 1993.
2 Zur Kritik an Gilroy vergleiche etwa: Laura Chrisman, Journeying to death. Paul Gilroy’s The Black Atlantic, in: dies, Postcolonial contraventions. Cultural readings of race, imperialism and transnationalism, Manchester 2003, S. 73-88; Michelle Wright, Becoming Black. Creating Identity in the African Diaspora, Durham 2004, S. 4-6.

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