Titel
Arbeit. Perspektiven und Diagnosen der Geschlechterforschung


Herausgeber
Aulenbacher, Brigitte; Wetterer, Andrea
Erschienen
Anzahl Seiten
309 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Daniele Frijia, Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität zu Berlin

„Warum jetzt ein Buch über Arbeit?“ lautet die Eingangsfrage im Vorwort des von Brigitte Aulenbacher und Angelika Wetterer herausgegebenen Bandes. Zwar gehört „Arbeit“ zu einem der ersten Themen der Frauen- und Geschlechterforschung, und es war dabei auch immer mehr im Blick als nur Erwerbsarbeit, etwa Hausarbeit oder ehrenamtliches Engagement. Mit dem Sammelband möchten die Herausgeberinnen jedoch nun eine Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes bieten und sich Fragen widmen, die sich im Kontext aktueller gesellschaftlicher Umbrüche stellen. Damit stehen zwei Forschungsperspektiven im Mittelpunkt des Bandes: Unter dem Begriff der Intersektionalität werden zum einen neben der Kategorie Geschlecht weitere Kategorien sozialer Verortung, wie zum Beispiel Klasse oder Ethnizität, produktiv gemacht. Und zum anderen wird die Bedeutung von Arbeit im Kontext gesellschaftlicher Wandelprozesse diskutiert. Angeknüpft wird hier an Konzepte der postfordistischen Betrachtungsweise von Arbeit und Leben, die von einer Erosion klassischer Arbeitsverhältnisse und einer Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit ausgehen 1.

Der Sammelband gliedert sich in drei Teile. Im ersten Abschnitt „Bestandsaufnahmen und Perspektiven“ versammeln sich jene Beiträge, die den Forschungsstand der Frauen- und Geschlechterforschung referieren. Darunter finden sich Beiträge, die gesellschafts- und institutionentheoretische, sozialkonstruktivistische und organisationssoziologische Analysen bewerten, aber auch soziohistorisch einzelne Facetten des Themenkomplexes Arbeit und Geschlecht herausarbeiten (vgl. S. 7f.). Der zweite Abschnitt „Arbeits- und Forschungsfelder“ widmet sich aktuellen Forschungsergebnissen. Der dritte Teil stellt unter dem Titel „Sozial- und Zeitdiagnosen“ die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Umbrüchen in den Mittelpunkt.

Im ersten Teil zeigen Regina Becker-Schmidt und Helga Krüger Widersprüche und Argumentationsmuster in der Sozialgeschichte auf, die heute noch gesellschaftliche und soziale Wirkungen entfalten. Insbesondere durch die Umbrüche der Arbeitswelt, wie der Subjektivierung und Entgrenzung von Arbeit, sehen sie Veränderungen, aber auch Persistenzen in den Geschlechterarrangements. Angelika Wetterer knüpft daran an und zeichnet wissenschaftshistorisch die Konzepte der Geschlechterdifferenzierung durch Arbeit und ihre Rezeption im deutschsprachigen Raum nach. Johanna Hofbauer und Ursula Holtgrewe zeigen die Persistenz und den Wandel von Geschlechterarrangements in Organisationen auf, der in der Forschung, zugespitzt formuliert, einhergeht mit einem Konflikt zwischen handlungs- und strukturtheoretischen Ansätzen, zwischen denen sich die Autorinnen verorten.

Dass Familien- und Erwerbsleben keine von einander getrennten Sphären sind, zeigen Sylka Scholz sowie Annette Heininger und Christine Wimbauer in ihren Beiträgen. Scholz nimmt Männer und Männlichkeiten in den Blick. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass nicht von einer durchgängigen „Krise der Männlichkeit“ gesprochen werden kann: Denn während für bestimmte Gruppen das Männlichkeitsbild aufgeweicht wird, finden gleichzeitig neue Konstruktionen von Männlichkeiten statt, die zum Beispiel Vaterschaft zu reintegrieren wissen. Henningers und Wimbauers Beitrag nehmen den Wandel von Geschlechterkonstellationen in Paarbeziehungen und den Wandel der Erwerbsarbeit in den Blick. Sie zeigen auf, dass die Paarbeziehungen auf einer semantischen Ebene egalitär verhandelt werden, aber die soziale Praxis dem hinterher hinkt.

Im zweiten Teil des Bandes werden aktuelle Arbeits- und Forschungsfelder angesprochen. Katrin Gotschall gibt einen Überblick über internationale Forschungen zu Geschlechter(un)gerechtigkeiten. Hier nimmt sie angebots- und nachfrageorientierte Konzepte kritisch in den Blick, die Erklärungen für Geschlechterungerechtigkeiten in Bildung und Arbeit liefern wollen. Sie fordert, nicht nur Ungleichheit „zunehmend in den Tiefenstrukturen von Arbeitsorganisation und der Interaktion von Arbeitsmarkt und privaten Lebensformen zu analysieren“ (S. 133), sondern auch, wie es Aulenbacher und Wetterer eingangs bereits ausführten, eine intersektionale Herangehensweise.

Clarissa Rudolph verlässt das Feld der klassischen und veränderten Erwerbsarbeit und fragt, ob Arbeitslosigkeit Bremse oder Motor im Wandel der Geschlechterverhältnisse sein kann. Dabei untersucht sie die Rahmenbedingungen, die das deutsche Sozialgesetzbuch im Kontext der so genannten „Hartz-Reformen“ darstellt. Während die gesetzlichen Rahmenbedingungen die anspruchsberechtigten Personen unabhängig vom Geschlecht fördern und fordern sollen, zeigen sich bei der Umsetzung dieser Regelungen geschlechterspezifische Ungleichbehandlungen. Außerdem kann sie nachweisen, wie problematisch die Konstruktion der so genannten Bedarfsgemeinschaft ist, die zu einer „Zwangsfamiliarisierung“ ihrer Mitglieder führt und so das Familienmodell eines (männlichen) Familienernährers stärkt (vgl. S. 147).

In den darauf folgenden Studien wird am Beispiel verschiedener Themengebiete deutlich, dass die Veränderungen der Arbeitswelt nicht nur zu einer Stabilisierung, sondern auch zu einer Unordnung der Geschlechterstrukturen führen können. Während Ulrike Teubner für den Bereich der technisch-naturwissenschaftlichen Fächer eine Stabilisierung der Geschlechterungleichheiten zeigt, können Edelgard Kutzner, Heike Jacobsen und Monika Goldmann für den Dienstleistungsbereich Veränderungen in den Geschlechterstrukturen feststellen. Und auch in ehrenamtlichen Organisationen, wie der Arbeiterwohlfahrt (AWO), einer Essenstafel und dem Technischen Hilfswerk (THW) zeichnet Petra Krüger in ihrem Beitrag widersprüchliche Auflösungs- und Stabilisierungstendenzen nach.

Im dritten und letzten Teil des Sammelbands („Sozial- und Zeitdiagnosen“) finden sich theoretische Auseinandersetzungen, die die derzeitigen gesellschaftlichen Umbrüche in den Blick nehmen. Brigitte Aulenbacher und Birgit Riegraf zeigen, dass die postfordistischen Produktionsweisen mit komplexen Ungleichheiten agieren und diese durch eine intersektionale Analyse erfasst werden müssen. Hildegard Maria Nickel weist im Zusammenhang mit den postfordistischen Produktionsweisen und ihren subjektivierten Erwerbsformen darauf hin, dass die „Verpflichtungsbalance“ zwischen Familie und Arbeit ebenso subjektiviert wird und daher Thema einer betrieblichen Geschlechterpolitik werden müsse. Die mit den postforditischen Produktionsweisen einhergehende so genannte „Prekarisierung“ der Arbeitswelt ist Thema von Susanne Völkers Beitrag, in dem sie zunächst einen Überblick zur Prekariatsforschung gibt. Die Veränderung der Geschlechterarrangements, zum Beispiel durch weibliche Familienernährende, wird hier deutlich. So gilt es ihrer Meinung nach die konkrete soziale Praxis der prekär beschäftigten Personen herauszuarbeiten, da es hier zu offensichtlichen Konflikten und Geschlechterunordnungen kommt.

Am letzten Beitrag zeigt sich exemplarisch, wieso der Sammelband und das Thema Arbeit und Geschlecht generell aus kulturwissenschaftlicher Perspektive interessant sind. Wird doch in vielen Beiträgen auf die Mikroebene und die alltägliche soziale Praxis verwiesen, die es noch zu untersuchen gilt. Insbesondere stellt sich die Frage, wie mit der Gleichzeitigkeit von Persistenz und Wandel in Geschlechterarrangements umgegangen werden kann. Hinzu kommt die Frage, wie das oft angesprochene „(un)doing gender“ in der Praxis konkret praktiziert wird.

Die eingangs formulierte Forschungsperspektive wird in den meisten Beträgen erfüllt. Zwar wird die Untersuchung weiterer Differenzkategorien in manchen Beiträge nur am Rande, als mögliches weiteres Untersuchungsgebiet dargestellt, doch wird oft mit Hinblick auf die unklaren und sich im Wandel befindlichen Geschlechterarrangements die intersektionale Forschungsperspektive als Lösung gesehen, soziale Prozesse besser erklären und darstellen zu können.

All dies sind Gründe, warum das in der Soziologie verortete Buch auch für die Europäische Ethnologie/Empirische Kulturwissenschaft wichtige Impulse liefert. Es bietet nicht nur einen thematischen Einblick in den Forschungsstand und die Forschungsfelder der arbeitsorientierten Geschlechterforschung, sondern verweist auf viele noch zu untersuchende Bereiche, in denen mit einer ethnografisch kulturwissenschaftlichen Herangehensweise insbesondere Facetten der Gleichzeitigkeit von Persistenz und Wandel in den Geschlechterarrangements herausgearbeitet werden könnten.

Anmerkung:
1 Vgl. Klaus Schönberger, Zu den Grenzen der Entgrenzung neuer Konzepte alltäglicher Lebensführung im Übergang vom fordistischen zum postfordistischen Arbeitsparadigma. In: Manfred Seifert / Irene Götz / Birgit Huber (Hrsg.), Flexible Biografien? Horizonte und Brüche im Arbeitsleben der Gegenwart. Frankfurt am Main 2007, S. 63 – 96.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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