P. Asso: A Commentary on Lucan, ‚De bello civili‘ IV

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Titel
A Commentary on Lucan, ‚De bello civili‘ IV. Introduction, Edition, and Translation


Autor(en)
Asso, Paolo
Reihe
Texte und Kommentare 33
Erschienen
Berlin 2010: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII, 333 S.
Preis
€ 118,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nadja Kimmerle, Historisches Seminar, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Im Jahr 49 v.Chr. überschreitet Caesar den Rubikon. Damit beginnt der Bürgerkrieg, in dem Caesar schon bald Rom und Italien für sich sichert. Im vierten Buch seines Epos’ Bellum Civile schildert Lucan die sich nun geographisch ausweitenden Kriegshandlungen in drei Episoden: die Schlacht bei Ilerda in Spanien zwischen Caesar und den Pompeianern Afranius und Petreius, den Selbstmord des Caesarianers Vulteius und seiner Mannen in aussichtsloser Lage in Illyrien und zuletzt Curios Kämpfe und Tod in Afrika. Besonders die Ilerda- und die Curio-Episode sind wiederholt in den Fokus der Forschung geraten, erstere oftmals im Vergleich mit Caesars eigener Darstellung der Ereignisse, letztere besonders durch den mythologischen Hercules-Antaeus-Exkurs und in Diskussionen um den Endpunkt des Werkes. Aber auch das Selbstmordszenarium des Vulteius liefert viele Hinweise auf die Gesamtdeutung des Werkes, auf Sinn und Unsinn pervertierter virtus und des Bürgerkriegs überhaupt. So ist es umso erstaunlicher, dass bislang noch kein Kommentar des gesamten vierten Buches existierte. Diese Lücke wurde nun von Paolo Asso geschlossen.

In seiner Einführung liefert Asso zunächst einen gut ausgewogenen Überblick über Lucans Leben und Werk und geht dabei differenziert auch mit problematischen Themen um. Er bietet zunächst viele Informationen zum familiären Umfeld Lucans, eine zeitliche Rekonstruktion der Entstehung des Gesamtwerks und eine Erörterung seines Verhältnisses zu Nero. Ein zweiter Teil behandelt Charakteristika des Bellum Civile. Hier wird Lucans Verhältnis zu Vergil und sein politischer Standpunkt angesprochen. Im dritten Teil folgen eine Einführung in Lucans Sprache und Stil. Gerade darauf will Asso einen Schwerpunkt seines Kommentars legen, denn „the language itself [...] has not received as much attention as it deserves“ (S. 19).

Nach einem eigenständigen lateinischen Text mit englischer Übersetzung folgt der Kommentar, der sich in die erwähnten drei Episoden aufteilt. Problematisch ist dabei die unterschiedliche Dichte der Kommentierung. Schon im rechnerischen Mittel wird dies deutlich: Die Ilerda-Episode bildet mit ungefähr 4,5 kommentierten Versen pro Seite in etwa den durchschnittlichen Wert; Vulteius wird mit 7,5 Versen pro Seite dagegen spürbar kürzer abgehandelt. Die Curio-Episode dagegen ist mit drei Versen pro Seite am ausführlichsten kommentiert und auch qualitativ am besten gelungen. Dies verwundert nicht, denn Asso hat zu diesem Teil bereits seine Dissertation und einen Aufsatz verfasst.1 Insgesamt wäre aber eine gleichmäßigere Durchdringung aller drei Episoden wünschenswert gewesen.

Zu Beginn der jeweiligen Episode stehen eine Inhaltsangabe und eine Einführung; die Episoden selbst werden in Abschnitte unterteilt und diese jeweils gesondert eingeleitet. Auch hier sind große Unterschiede festzustellen: Während die Einleitung zum ersten Teil die mit Abstand ausführlichste ist, steht vor Teil III nur eine Inhaltsangabe und keine allgemeine Kommentierung, die auf wichtige Leitlinien hätte hinweisen können. Teil II ist noch nicht einmal unterteilt, sondern wird en bloc behandelt. Natürlich ist dies die kürzeste Episode, doch eine Unterteilung wäre sicherlich sinnvoll gewesen, besonders wenn man vergleicht, wie fein stellenweise in den anderen Episoden der Text gegliedert wird.

Viele Kommentarpassagen sind, wie angekündigt, auf Sprache und Stil hin orientiert; die philologischen Einzelerörterungen sind dabei sorgfältig und akribisch ausgearbeitet. Aber Asso beschränkt sich nicht darauf; inhaltliche Deutungen und historische Erklärungen kommen ebenfalls nicht zu kurz. Der Kommentar präsentiert sich damit als ‚Allrounder‘, was ihn gut als allgemeine Hilfestellung zur Lektüre geeignet macht. Doch gerade diese Ausrichtung bringt auch Probleme mit sich, da es Asso nicht immer gelingt, alle Ebenen angemessen zu durchdringen.

Ein grundsätzliches Problem ist die oft nicht zufriedenstellende Vernetzung. Beispielsweise weist Asso zu V. 121 auf die Rolle der fortuna hin und nennt dabei alle Belegstellen im vierten Buch. An diesen Stellen finden sich teilweise weitere Erklärungen, aber fast ausnahmslos ohne Rückverweis. Eine besonders ausführliche Erörterung des Konzepts der fortuna findet sich zu V. 661, speziell auf die Curio-Episode mit dortigen Belegstellen bezogen und wieder ohne Verweis auf Vorheriges. Stolpert man so nicht zufällig über die ‚richtigen‘ Erläuterungen, gewinnt man zwangsläufig nur ein äußerst unvollständiges Bild eigentlich gut dargestellter Konzepte.

Außerdem kann einzelnen Interpretationen nicht zugestimmt werden: In V. 191 etwa deutet Asso saecula nostra neben dem vordergründigen Bezug auf die angesprochene Bürgerkriegssituation auch als (tatsächlich nicht völlig auszuschließenden) Hinweis auf Lucans eigene Zeit. Jedoch spielt er auf die Ansicht an, dass sich Lucans Haltung zu Nero nach Veröffentlichung des dritten Buches gewandelt habe und sich dieser Einschnitt im Werk widerspiegele.2 Diese These ist aber längst widerlegt.3 Auch in der literarischen Kommentierung finden sich einige anfechtbare Erläuterungen: Etwa trifft Asso zu V. 258–259 meines Erachtens den Sinngehalt nicht.

Manchmal überrascht auch, was nicht kommentiert wird. So fehlt gerade zu Lucans Haltung zum Prinzipat ein Hinweis auf die diesbezügliche Deutung von V. 823 (Caesareaeque domus series), obwohl diese prominente Stelle immer wieder bei der Diskussion um Lucans Prinzipatsfeindlichkeit angeführt wird. An anderer Stelle (S. 220ff.) deutet Asso ausführlich die Bezüge, die der Hercules-Antaeus-Mythos zu Curios Kampagne in Afrika hat; doch welche Implikationen die anschließende Erwähnung von Scipios Feldlager (V. 654–660) mit sich bringt, wird nicht ansatzweise reflektiert.

Zudem zeigt sich Asso auch nicht immer ausgewogen im Umgang mit verschiedenen Interpretationsansätzen. Er betont etwa bei der Vulteius-Episode immer wieder Saylors Deutung von Licht und Dunkel.4 Andere Ansätze und Motive werden auch angesprochen, aber nicht in gleichem Maße konsequent verfolgt. Beispielsweise interpretiert Asso die Selbstmordszene gelungen als Ritual der evotio (V. 533) und weist auf die Bedeutung des Floßes als Bühne und damit auf das spectaculum als narrative Strategie hin (V. 420–426), verbindet diese Einzeldeutungen aber nicht mit der gesamten Szene. Ebenso gibt er bei den genannten Beispielen keine Hinweise auf wesentliche Literatur.

Auch generell ist der Umgang mit der Literatur nicht immer überzeugend. So verweist Asso zum Beispiel bei den einleitenden Ausführungen zu Lucans Quellen (S. 248) auf die älteren Arbeiten von Pichon und Vitelli, nicht aber auf die aktuelle Untersuchung von Radicke.5 Seltsamerweise findet sich aber Radickes Arbeit im Literaturverzeichnis, Vitellis dagegen nicht. Diese Ungenauigkeiten zeigen sich auch im Kommentar zur Sturmszene in V. 48–109: Hier rekurriert Asso zuerst auf „Morford“, allerdings mit der falschen Jahreszahl „1987“ statt 1967. Dies ist offenbar kein gewöhnlicher Tippfehler, denn auf Morfords Rhetorik Bezug nehmend verweist Asso auf „Thompson 1990“ – ein Kurztitel, der sich (wieder) nicht im Literaturverzeichnis findet und sich nicht etwa auf Morford, sondern auf eine Rezension zu Johnsons ‚Momentary Monsters‘ bezieht. Johnsons Werk steht ebenso wenig im Verzeichnis, erschien aber nun tatsächlich 1987.6 Darüber hinaus wiegt besonders schwer, dass Asso die beiden bereits vorhandenen Einzelkommentare zum Ilerda-Abschnitt nicht einbezogen hat und nicht einmal im Literaturverzeichnis anführt.7 Des weiteren fallen neben zahlreichen kleineren Interpunktions- und Flüchtigkeitsfehlern 8 leider auch gröbere Fehler ins Auge: So stolpert man etwa über einen Absatz mitten im Satz (V. 646) oder über das abrupte Abbrechen eines Kommentars mitten im Satz (V. 437–444).

Ein Stellenindex und ein Register runden den Kommentar ab. Besonders der Index ist zur Orientierung nützlich, weniger dagegen das allzu knapp ausgefallene Register, das zudem sehr unausgewogen ist (es finden sich etwa acht Einträge zum Oberbegriff „death“, was allein schon über 10 Prozent des Registers ausmacht).

Insgesamt zeigt sich Assos Kommentar hilfreich besonders beim grundlegenden Textverständnis und auf sprachlich-stilistischer Ebene, was wohl auch seiner Zielsetzung entspricht. Erwartungen, die darüber hinaus gehen und auf die der Kommentar durchaus auch einzugehen scheint, werden aber oft nicht erfüllt.

Anmerkungen:
1 Paolo Asso, Myth and History in Lucan’s African Interlude: A Commentary on Bellum Civile 4,581–824 and 9.300-510, Diss. Princeton 2002; ders., The Function of the Fight: Hercules and Antaeus in Lucan, in: Vichiana 4 (2002), S. 59–73.
2 Wolfgang Dieter Lebek, Lucans Pharsalia. Dichtungsstruktur und Zeitbezug, Göttingen 1976.
3 Vgl. Helmut Flume, Die Einheit der künstlerischen Persönlichkeit Lucans, in: Werner Rutz (Hrsg.), Lucan, Darmstadt 1970, S. 296–298 (ursprünglich Diss. Bonn 1950, S. 82–84); Thomas Paulsen, „Für mich bist Du schon ein Gott.“ Die Problematik des Nero-Enkomiums in Lucans Epos „Pharsalia“, in: Gerhard Binder/ Bernd Effe (Hrsg.), Affirmation und Kritik. Zur politischen Funktion von Kunst und Literatur im Altertum, Trier 1995, S. 185–202; für weitere Literatur siehe Mischa Meier, Herrscherpanegyrik im Kontext: Das Beispiel Nero und Lucan, in: Reinhold F. Glei (Hrsg.), Ironie. Griechische und lateinische Fallstudien, Trier 2009, S. 107–141, hier 109.
4 Charles Saylor, Lux Extrema: Lucan, Pharsalia 4.402-581, in: Transactions of the American Philological Association 120 (1990), S. 291–300.
5 René Pichon, Les sources de Lucain, Paris 1912; Camillo Vitelli, Studi sulle fonti storiche della Farsaglia, in: Studi italiani di filologia classica 10 (1902), S. 359–429; Jan Radicke, Lucans poetische Technik, Leiden 2004.
6 Mark P. O. Morford, The Poet Lucan. Studies in Rhetorical Epic, Oxford 1967; Lynette Thompson, Rezension zu: Walter R. Johnson, Momentary Monsters, Ithaca 1987, in: Classical Journal 86 (1990), S. 85–87.
7 Rachel Griffiths Williams, A Literary Commentary on Lucan, De Bello Civili, 4, Lines 1–401, Diss. Oxford 1989; Paolo Esposito, La battaglia di Ilerda. Saggio di Commento a Lucan. b.c. 4,1-401, Portici 2003.
8 In V. 329 erfahren wir beispielsweise, dass nociturum die Konjektur für nociturum (richtig: nocturnum) sei.

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