S. Trültzsch u.a. (Hrsg.): Heißer Sommer – Coole Beats

Cover
Titel
Heißer Sommer – Coole Beats. Zur populären Musik und ihren medialen Repräsentationen in der DDR


Herausgeber
Trültzsch, Sascha; Wilke, Thomas
Erschienen
Frankfurt am Main 2009: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
215 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rebecca Menzel, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Dass in der DDR-Diktatur nicht alle Lebensbereiche vollkommen „durchherrscht“ waren, scheint eine banale Feststellung zu sein. Erschreckende Meldungen von vor einigen Jahren, dass besonders Jugendliche aus den östlichen Bundesländern der DDR keinen diktatorischen Charakter zuschrieben, lässt diese Feststellung allerdings in einem anderen Licht erscheinen. Nach einer Studie des Forschungsverbundes SED-Staat liegt das daran, dass Schüler „wenig Konkretes über Geschichte und Strukturen“ wissen und sich „zumeist ein assoziatives Urteil über den SED-Staat“1 bilden, also Vergleiche zur Bundesrepublik ziehen. Es lohnt sich also weiterhin zu erforschen, wie tief greifend und subtil das autoritäre SED-System seine Macht über staatliche und Parteiinstitutionen ausübte und so in den Alltag der Menschen eingriff. Der Medienbereich bietet sich besonders dafür an, war doch die Pressefreiheit wie auch in der Bundesrepublik in der DDR-Verfassung garantiert und wurde trotzdem von der SED konsequent ignoriert.

Ein Sammelband mit dem schnittigen Titel „Heißer Sommer – Coole Beats“ fragt nach den medialen Präsentationen von populärer Musik in den offiziellen Medien der DDR und könnte somit durchaus auch für Lehrer, die nach Material für ihre Schüler suchen, einige Anregungen bieten. Die Herausgeber betonen, dass es ihnen anders als in den bisher erschienenen einschlägigen Publikationen zur Popkultur in der DDR nicht „vordergründig um widerständige Potentiale, subversive Strömungen, politische Indoktrination und Ähnliches“ (S. 7) geht.2 Stattdessen interessiert sie, wie Popmusik in den verschiedenen Medien eingearbeitet wurde und deren Strukturen durch ihr aufrührerisches Potential herausforderte. Die Autoren des Bandes widmen sich neben dem Rundfunk, der mit der Hälfte der Beiträge eindeutig den größten Raum einnimmt, dem Fernsehen, Zeitschriften und der Disko-Kultur. Die Anordnung der Beiträge folgt leider weder einer chronologischen Ordnung noch einer Einteilung nach verschiedenen Medien, was den Überblick erleichtert hätte.

Der einführende Beitrag von Bernd Lindner blickt mit dem Fokus auf Abbildungen von Rockmusik in Zeitschriften auf das wechselhafte Verhältnis von SED, Popkultur und ihren meist jugendlichen Fans zurück. Es wird an die Ablehnung der Rock’n’Roll-Musik in den 1950er-Jahren und das Jugendkommuniqué von 1963 erinnert, das nach dem Mauerbau eine kurze kulturpolitische Öffnung versprach. Dass Jugendliche in zeitgemäßen Outfits in DDR-Zeitschriften zu sehen waren, hielt nur kurz an. Nach dem „Kahlschlagplenum“ im Dezember 1965 wurde wieder verstärkt darauf geachtet, dass das Wesen der „amerikanischen Unkultur“ zumindest nicht sichtbar wurde. Das erste eigentliche Fanposter erschien dann erst 1974. Lindner zufolge hielt die repressive Linie gegenüber Rockmusikern, -fans und ihrem ungenehmen Aussehen mindestens bis Ende der 1960er-Jahre an und änderte sich erst sichtbar mit den Weltfestspielen 1973. Mit seiner Zäsursetzung folgt Lindner dem bekannten Schema, demzufolge erst Honecker eine kulturpolitische Öffnung brachte. Das mag in Bezug auf die offiziellen Printmedien stimmen, wird aber durch andere Bildmedien wie Fernsehen und Film sowie die Fans konterkariert, die ja ebenfalls die Wahrnehmung von dem, was visuell möglich war, prägten. Im Fernsehen, in Zeitschriften und natürlich auf der Straße waren durchaus Jugendliche zu sehen, die sich nach dem Vorbild ihrer Popidole kleideten, auch wenn diese oft mit einem kritischen Unterton gezeigt wurden. Damit ist ein grundsätzliches Problem des Bandes angesprochen, das sich durch fast alle Beiträge zieht. Durch die starke Fokussierung auf die „offiziellen“ Medien und die Vernachlässigung der eigentlichen Rezipienten wirkt die Einschätzung von möglichen Freiräumen für Popmusik in der DDR etwas schief. Gerade wenn man sich die Untersuchung des „Alltags“ auf die Fahne schreibt um „die spannungshafte Wechselbeziehung von Herrschaft und Gesellschaft zwischen Akzeptanz und Auflehnung, Begeisterung und Verachtung, missmutiger Loyalität und Nischenglück“ (S. 7, Anmerkung 2) mit einzubeziehen, ist die Ausblendung der Akteure außerhalb der staatlichen Institutionen problematisch. In einigen Beiträgen hätte man sich einen Blick über den Tellerrand gewünscht.

Ein positives Beispiel stellt die Untersuchung verschiedener Musiksendungen der 1960er- und 1970er-Jahre durch Edward Larkey dar, die zwar von jungen Moderatoren präsentiert wurden, aber mit ihren Inhalten selten den tatsächlichen Geschmack des jugendlichen Publikums trafen. Vor allem nach dem „Kahlschlagplenum“ achteten die Verantwortlichen penibel darauf, dass die Sendungen mehr politische Inhalte hatten und das „kulturelle Erbe“ nicht vernachlässigt wurde. Diese Strategie führte zu einem starken Zuschauerrückgang. Die „soziokulturelle Distanzierungsstrategie gegenüber der Beat- und Popmusik aus dem Westen“ (S. 63) war gescheitert.

Sascha Trültzsch analysiert die Verwendung von Popmusik in Familienserien, eines der beliebtesten Genres des Vorabendprogramms. Dabei spielte Popmusik im Kontext von Jugendkultur schon früh eine Rolle, wenn auch keine herausragende. Wurde aktuelle Popmusik in den 1960er-Jahren noch als „Köder“ benutzt, um dann in einer ideologischen Belehrung über die schädlichen Einflüsse des Westens zu münden, zeigten die Serien der 1970er-Jahre jugendliche Charaktere, die ihre sozialistische Überzeugung durchaus mit der Begeisterung für westlich inspirierte populäre Jugendkultur vereinbaren konnten. 1978 kam es zu einer Neuausrichtung der Abteilung Serienproduktion. Die „Zeigefinger-Dramaturgie“ wurde offiziell verabschiedet, nachdem Honecker das DDR-Fernsehen als „langweilig“ kritisiert hatte. Leider bietet der Autor keine Informationen, die Aufschluss darüber gegeben hätten, ob die Zulassung von mehr westlicher Popmusik zu höheren Einschaltquoten geführt hat. Beide Beiträge zur Einarbeitung von Popmusik im DDR-Fernsehen betonen den Zwiespalt des Mediums, einerseits realistische und vor allem für das jugendliche Publikum attraktive Sendungen anzubieten, und andererseits den ideologischen Ansprüchen der Partei gerecht zu werden. Bei den Produktionen der Deutschen Film AG (Defa) war man stets etwas mutiger. Georg Maas erklärt die vorgestellten sechs Filmbeispiele zu „wichtige[n] Kristallationskerne[n] jugendlicher Identität, die als unpolitisch wahrgenommen wurden“ (S. 190). Er belässt es allerdings nach der Kurzbeschreibung der Filme bei dem etwas kurzen Resümee, dass „der Wandel der Defa im Umgang mit den von Jugendlichen bevorzugten Musikstilen immens war“ (S. 190).

In den Beiträgen zur Einarbeitung von Popmusik im Staatsradio wird immer wieder auf den Mangel an sendbarer Musik verwiesen. Der Hörfunk war lange der größte Musikproduzent in der DDR. Oft wurden auch Musiktitel gesendet, die in Westberliner Plattenläden gekauft wurden und damit keine offizielle Lizenz hatten. 1962 wurde daraufhin die Musikproduktion zentralisiert, so dass alle gespielten Musikstücke vor ihrem Einsatz durch das Staatliche Rundfunkkomitee (SRK) lizensiert werden mussten. Dennoch gab es weiterhin einen starken West-Ost-Kulturtransfer, der nur zum Teil durch die 60:40-Regelung, die in sozialistischen Ländern produzierte Stücke favorisierte, beschränkt werden konnte.

Der Musikjournalist Rainer Bratfisch widmet sich dem Jazz und seiner prekären Position in den Sendungen des DDR-Rundfunks bis zum Mauerbau. Trotz großen Interesses wurde der Jazzmusik in den 1950er-Jahren nur wenig Sendeplatz eingeräumt. 1957 kam es nach der Krise um die Janka/Harich-Verhaftung sogar zur kurzfristigen Einstellung aller Jazzsendungen. Der Jazz-Theoretiker Reginald Rudolf wurde wegen Boykotthetze zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Er hatte den Jazz gegen uneinsichtige SED-Ideologen verteidigt und zur „Volksmusik des städtischen Negerproletariats“ (S. 93) erklärt. Als Jazz wieder gesendet werden durfte, wurde er stets in einen ideologischen Erklärungsrahmen gezwängt, was den Dramatiker Peter Hacks warnen ließ, dass die Instrumentalisierung des Jazz zur Charakterisierung des Klassenfeindes ein großes „propagandistisches Ungeschick“ (S. 100) sei. Christian Könne untersucht zwei extrem populäre Schlager-Sendungen, deren Macher beständig im Kreuzfeuer des Parteianspruchs auf „musikalische Erziehung“ und der Wünsche der Hörer nach Unterhaltung standen. Gezielt förderte die Sendung junge Schlagerstars und versuchte mit Preisrätseln und Betriebsbesuchen den Kontakt zum Publikum zu stärken.

Das Konkurrenzverhältnis zwischen West und Ost prägte nach Heiner Stahl, der die Einarbeitung von Popmusik in den DDR-Rundfunk von 1962 bis 1973 analysiert, die gesamte „Klanglandschaft“ in der DDR. Mit seinem „soundscape“-Begriff öffnet Stahl den Blick für den Zusammenhang zwischen den Herrschaftsverhältnissen einerseits und den Aneignungsweisen von Popmusik andererseits, die den öffentlichen Diskurs prägten und von diesem wiederum beeinflusst wurden. Das Mischungsverhältnis der gesendeten Musik spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Präsentationsformen. Stahl kommt zu dem Ergebnis, dass sich die rhetorische Ebene sehr viel langsamer modernisierte als die musikalische: Der Wort-Sound blieb der Sprechblasenagitation verhaftet, der Musik-Sound des Kalten Krieges löste sich in einer „soundscape Pop“ auf. Seine Ausführungen zu den Lizenzierungsstrukturen im Staatlichen Rundfunk wären in einem der ersten Beiträge hilfreicher gewesen, liest man doch auch Sammelbände eher von vorne nach hinten und hätte einige Aufsätze dann besser einordnen können. Die politische Linie gegenüber der Popmusik wurde nach Stahl nie konsequent eingehalten, was auch an institutionellen Konkurrenzen lag. Stets sprang man zwischen dem Anspruch, eine „saubere Gefühlswelt“ und „Zukunftsoptimismus“ zu transportieren und gleichzeitig massenwirksam zu sein, hin und her.

Uwe Breitenborn erkennt in der Öffnung der staatlichen Rundfunksendungen für Heavy-Metal-Musik in den 1980er-Jahren, dass die Prinzipien des Marktes gegenüber den ideologischen Grundsätzen an Einfluss gewannen. Durch die kulturelle „Umarmung“ der Outsider sollte der Underground gezähmt werden. Die wachsende Anzahl von Amateur-Heavy-Metal-Bands, die ihr Publikum mit den gewünschten westlichen Titeln versorgten, zeigt, dass dieses Vorgehen eher kontraproduktiv war. Gleichzeitig widerspricht die Sendepraxis in den 1980er-Jahren, die auch kontroverse Titel wie „Pleasure to kill“ zuließ, eindeutig der These einer abgeschotteten totalitären Medienpraxis.

Thomas Wilke steuert zwei Beiträge zum Thema Diskotheken bei, die stets Orte der Auseinandersetzung um Akzeptanz und Aneignung aktueller Musik waren. Im ersten untersucht er die Podiumsdiskothek bei DT64, in der ab 1973 für DJs lizenzierte Titel zum Mitschneiden angeboten wurden. Die Sendung fungierte auch als Informationsbörse und versuchte sich als meinungsbildende Instanz zu profilieren. Durch die Mitschneidesendung umging man ein großes finanzielles Problem: die West-Titel mussten für Devisen eingekauft werden und wurden dann durch die Sendung für die weitere öffentliche Aufführung frei gegeben, was rechtlich durchaus fragwürdig war. Das Diskothekengesetz von 1973 regelte Registrier- und Ausbildungspflicht, Entlohnung, Ordnungsstrafmaßnahmen und Leistungsüberprüfungen (so genannte „Einstufungen“). Das wichtigste öffentliche Podium waren die Leistungsvergleiche der Schallplattenunterhalter, die zunächst auf Kreis- und Bezirksebene stattfanden, um dann die besten DJ-Programme auf Republikebene auszuzeichnen. Eine Jury honorierte eine gelungene Mischung aus Unterhaltungsprogramm mit klarer politischer Stellungnahme und folgte damit, ähnlich wie bei den Spartensendungen im Jugendradio, einer Einhegungs- und Kontrollstrategie.

Viele Beiträge vermitteln den Eindruck, dass es in den stark reglementierten offiziellen DDR-Medien kaum Raum für eigenständige Initiativen von Musikgruppen als Lieferanten von Popmusik oder für das meist jugendliche Publikum gab. Ob die Publikation also tatsächlich dazu beiträgt, mehr „Freiräume des Ausdrucks“ (S. 7) zu entdecken, wie es die Herausgeber in der Einleitung einfordern, bleibt durchaus fraglich.

Anmerkungen:
1 Monika Deutz-Schroeder / Klaus Schroeder, Abschlussbericht Das DDR-Bild von Schülern in Berlin. Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 38/2007, Berlin 2007, S. 306, online unter: <http://www.spiegel.de/media/0,4906,16648,00.pdf> (25.06.2010).
2 Vgl. dazu vor allem Michael Rauhut / Thomas Kochan (Hrsg.), Bye, Bye, Lübben City. Bluesfreaks, Tramps und Hippies in der DDR. Berlin 2004; vgl. Heiner Stahl: Rezension zu: Rauhut, Michael; Kochan, Thomas (Hrsg.): Bye, Bye, Lübben City. Bluesfreaks, Tramps und Hippies in der DDR. Berlin 2004, in: H-Soz-u-Kult, 13.02.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-097>.

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