C. Strohm u.a. (Hrsg.): Konfessionalität und Jurisprudenz

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Titel
Konfessionalität und Jurisprudenz in der frühen Neuzeit.


Herausgeber
Strohm, Christoph; de Wall, Heinrich
Erschienen
Anzahl Seiten
443 S.
Preis
€ 84,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cornel Zwierlein, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Der Band verfolgt die von Strohm seit längerem aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Konfessionalität und gelehrter Jurisprudenz insbesondere im 16. und 17. Jahrhundert weiter. Im einleitenden Beitrag zu konfessionellen Einflüssen auf das Werk reformierter Juristen formuliert Strohm drei methodische Probleme und vier forschungsleitende Hypothesen. Als methodische Probleme werden die Identifizierung der Konfessionsgrenzen, die Zugehörigkeit der Juristen zu einer Konfession und die Frage, was von der gegebenenfalls theologisch bestimmbaren Konfessionalität wirklich in das juristische Werk hineinwirkt, erfasst. Die große Pluralität innerhalb der konfessionellen Lager – trotz orthodoxie-formierenden Einschnitten wie Tridentinum und Konkordienformel – macht eine klare Zuordnung schon der Universitäten, an denen die Autoren lehrten, schlecht möglich. Weiter ist die Religiosität der einzelnen Autoren selbst oft kaum bestimmbar; schließlich mag ein Autor zwar sogar nachweisbar klare Positionen hinsichtlich etwa des theologoumenon der Abendmahls-Interpretation vertreten haben – aber was folgte hieraus für sein juristisches Werk? Strohms Hypothesen sind, dass erstens lutherische und reformierte Jurisprudenz kaum zu unterscheiden seien und dass zweitens besonders die Reformierten den Kampf gegen das Papsttum als fundamentales Motivationselement empfunden hätten. Drittens sei die Vereinbarkeit der biblischen Religion mit der recta ratio eine Grundüberzeugung der (insbesondere reformierten) Protestanten gewesen, und viertens habe sich „die Übernahme eines großen Teils der Hochschulausbildung in den katholischen Territorien durch die Jesuiten hemmend auf die Entwicklung einer modernen, von theologischen Grundentscheidungen und Wahrheitsansprüchen sich emanzipierenden Rechtswissenschaft insgesamt“ ausgewirkt (S. 30).

Nicht alle Beiträge im Sammelband – von denen hier lediglich die Mehrzahl Erwähnung finden kann – bestätigen diese über die Bestimmung der Spezifik nur der Reformierten hinausgehenden Hypothesen oder folgen dem damit vorgegebenen Frageraster. Isabelle Deflers’ Beitrag hebt vor allem auf die strikte Unterteilung zwischen den Bereichen Recht und Religion als Ermöglichungsgrund für die Hochschätzung auch des römischen Rechts durch Philipp Melanchthon ab. Ralf Frasseks wichtiger, aus den Thüringer Archivalien geschöpfter Beitrag zur frühen Institutionalisierung des Eherechts in Kursachsen folgt materialbezogenen Fragen. Hans Hattenhauer stellt in seinem Beitrag zum Recht im Kirchenlied heraus, dass Martin Luther das Recht kaum erwähnte, dass Johannes Calvin und die Hugenotten im Psalter nie weltliches, sondern alttestamentarisches Recht aufleben ließen, die Täufer jedoch ihre Erfahrung mit dem weltlichen Recht vertonten. Thomas Maissen vergleicht Jean Bodins und Calvins Souveränitäts-Begrifflichkeit, beim einen auf den weltlichen Herrscher, beim anderen auf Gott angewandt. Die Konfessionsfrage wird dabei kaum gestreift, es wird auch eher – dies allerdings gründlich und erhellend – Calvins Begriffsverwendung und ihr Verhältnis zur älteren theologischen Tradition aufgearbeitet, als dass die Spezifik Bodins konturiert würde (etwa die Anlehnung an die antike Politikpraxis: Souveränität als Diktatur ohne Zeitbegrenzung).

Die Beiträge von Dieter Wyduckel, Katharina Odermatt, Diego Quaglioni und Christian Hattenhauer fokussieren das Werk von Johannes Althusius. Wyduckel weist darauf hin, wie genau und sicher auch kritisch sich Althusius mit den katholischen Juristen (Spätscholastiker, Peter Gregorius, William Barclay) auseinandersetzt, während er geradezu penibel lutherische Autoren gar nicht zitiert – was Strohms erster Hypothese zu widersprechen scheint. Odermatt meint mentalitätsgeschichtlich Elemente der Weberschen ‚protestantischen Ethik’ in Althusius’ Amtsverständnis wiederentdecken zu können, während Quaglionis genaue Analyse der althusischen Stellung zu Juden die mittelalterlich-kanonistische Tradition hervorhebt. Christian Hattenhauer zeigt in einem weiterführenden Beitrag, wie Althusius schon zu einer systematischen Trennung zwischen materiellem und prozessualem Recht im Kaufrecht durchdrang, weitgehend ohne auf den römischen actio-Begriff zurückzugreifen. Die ramistische Bifurkationstechnik dürfte für diese Innovation, die über Hugo Donellus hinausging, wichtig gewesen sein. Inwieweit hier aber eine ‚konfessionelle’ Spezialität vorliegt, ist nicht ersichtlich.

Luzide arbeitet Lucia Bianchin die Weite des Zensurbegriffs insbesondere bei Althusius heraus: Sie ist der Name für Disziplinierungsanspruch und -praxis, kann aber auch gegen die Könige verwandt werden. Massimo Meccarelli betont für die spanische Spätscholastik, dass deren Innovationsgehalt zwar nicht in einer Politiklehre bestünde, sondern in einer Neudefinition der Autonomie des Rechts, dass dies aber nichtsdestoweniger eine „andere Modernität“ (S. 309) sei. Mathias Schmoeckel zeigt, wie eine „zunächst protestantische Idee“ – die neuzeitliche Naturrechtslehre – bei Hugo Grotius „ihres konfessionellen Gewandes entledigt“ (S. 346) und so allgemein rezeptionsfähig wurde, während Christoph Link den Ausführungen Grotius’ zum Verhältnis von Staat und Religion eine Mittelposition zwischen der Einheit von Glauben und Recht einerseits und der Neutralität des Staates gegenüber der Religion andererseits zuspricht. Merio Scattola zeigt, wie Jakob Lampadius weder einen theologischen, noch einen politischen Weg geht, um die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches zu erklären, sondern einen juristischen, indem er zur Grundlage seiner Überlegungen einen höchst weiten Jurisdiktionsbegriff macht. Abschließend zeigt Heinrich de Wall – vorrangig am Beispiel Johann Friedrich Horns –, dass die theokratische Herrschaftsbegründung – also die Verleihung der Staatsgewalt an den Herrscher „ohne Zwischentreten der Civitas“ (S. 413) – ein Kennzeichen lutherischer Lehren war, wenngleich es auch wenige calvinistische und katholische Beispiele gibt; dass aber die schärfste Kritik an theokratischer Herrschaftsbegründung schließlich in lutherischen Kreisen ihren Anfang nahm (Samuel Pufendorf, Christian Thomasius). Detlef Döring zeigt dann abschließend wiederum, dass Pufendorfs Naturrechtskonzeption gleichwohl nicht gänzlich transkonfessionell, sondern durchaus durch stark lutherische Konfessionselemente geprägt war.

Die Beiträge des Bandes verfolgen insgesamt von den eingangs postulierten Strohmschen Hypothesen relativ unabhängige Fragen und Thesen. Etliche Beiträge zeigen gerade Unterschiede zwischen Calvinisten und Lutheranern auf, andere zeigen, wie die katholische Jurisprudenz zumindest um 1600 durchaus gerade von den Calvinisten als auf gleicher Höhe wahrgenommen wurde. Eine weitere nicht unbeachtliche Anzahl von Beiträgen zeigt besonders stark transkonfessionelle Lösungen von Rechts- und Staatsbegründung in der Jurisprudenz des 17. Jahrhunderts auf. In dieser Vielstimmigkeit bietet der mit einem Namensregister versehene Band gleichwohl profunde und gerade in der Widerstrebigkeit der Argumentationen und Hypothesen anregende Beiträge zum übergreifenden Problem des Verhältnisses von Recht und Religion bzw. Konfessionalität im 16. und 17. Jahrhundert.

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