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Titel
Der Eidophor. Ein Grossbildprojektionssystem zwischen Kino und Fernsehen 1939-1999


Autor(en)
Meyer, Caroline
Erschienen
Zürich 2009: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
440 S.
Preis
€ 37,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Hammacher, Agentur scopium

Seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 gehört ‚public viewing‘, das kollektive Erleben sportlicher Großereignisse mittels öffentlich aufgestellter Großbildwände, zum festen Eventinventar deutscher Städte. Bis zu diesem Zeitpunkt war das gemeinschaftliche Erlebnis der Fussballübertragung in Deutschland auf das heimische Wohnzimmer und seit den 1990er-Jahren, als über den Pay-TV-Sender „Premiere“ entsprechende Lizenzen erworben werden konnten, auf den Besuch einschlägiger Gaststätten beschränkt. Doch auch hier gilt: die Ausnahme bestätigt die Regel. Während allsommerlich in unseren Städten die Freilichtkinos wie Pilze aus dem Boden schießen, bleibt die öffentliche Fernsehübertragung mittels Großbildschirm bislang ein Randphänomen, das nicht allein durch die aufwendigere Projektionstechnik und die komplexen urheberrechtlichen Fragen zu erklären ist. Dies um so mehr, wenn man berücksichtigt, dass am Anfang der Fernsehgeschichte Heimempfang und Kinofernsehen gleichermaßen als Optionen zur Verfügung standen. So verfolgten im August 1936 während der Olympischen Spiele schon mehr als 162.000 Zuschauer das sportliche Geschehen in Fernsehstuben und Fernsehtheatern.1

Dem Film wie auch dem Fernsehen sind jeweils eigene dispositive Rahmungen eigen, zu deren Beschreibung nicht nur technische und institutionelle Aspekte gehören, sondern unter anderem auch Fragen der ästhetischen Möglichkeiten des Mediums so wie der Wahrnehmungserwartungen und -disposition der jeweiligen Zuschauer.2 Einen wichtigen Baustein zum Verständnis des Dispositivs Fernsehen liefert Caroline Meyer mit ihrem Buch, gerade weil sie nicht dem historiographischen Hauptstrang folgt, sondern sich einer peripheren Nutzungsvariante zuwendet. Die hier vorzustellende Veröffentlichung wurde 2008 als Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich angenommen.

Bei dem Eidophor handelt es sich um ein technisches Verfahren zur großformatigen Projektion von Fernsehbildern, das in den 1930er-Jahren von dem Schweizer Physiker Prof. Fritz Fischer an der ‚Abteilung für Industrielle Forschung‘ (AFIF) entwickelt wurde, die dem Institut für technische Physik der ETH Zürich angegliedert war und das am 8. November 1939 zum Patent angemeldet wurde. Nach dem Bau eines ersten Prototyps 1943 und der Lösung einer Reihe technischer Probleme stand jedoch erst Mitte der 1950er-Jahre ein Gerät für die kommerzielle Auswertung zur Verfügung. Eine solche wurde jedoch schon seit der Mitte der 1940er-Jahre offensiv angegangen. Einen potentiellen und vielversprechenden Markt sah man hierbei im sogenannten Kinofernsehen, der großflächigen Präsentation des Fernsehprogrammes in einem Kinosaal als Alternative zum sich allmählich entwickelnden Heimempfang, so wie anfänglich im ‚electronic Cinema‘, der Distribution und Präsentation von Kinofilmen auf dem elektronischen Weg, das Kosten für Kopien und Transport derselben sparen helfen wie auch eine schnellere Verbreitung der Filme fördern sollte. Hoffnung auf einen kommerziellen Erfolg in der Schweiz machten Entwicklungen vor allem in den USA, wo gerade in den 1940er-Jahren intensive Bemühungen zur Forcierung des Kinofernsehens erfolgten, die in den Jahren 1952/53 ihren Höhepunkt erreichten (S. 96). Vorangetrieben wurden sie dort vor allem von einer aktiven Ingenieur-Community und einzelnen großen Filmunternehmen, die einerseits hofften, auf diesem Wege im expandierenden Fernsehgeschäft Fuß zu fassen, andererseits dem durch den häuslichen Fernsehempfang einsetzenden Zuschauerschwund entgegenzuwirken suchten. Doch noch fehlte eine Projektionstechnik, die über eine auch ein Kinopublikum befriedigende Bildqualität verfügte. Hier lieferte nun der Eidophor eine ausreichend lichtstarke Technologie, die zudem farbige Bilder übertragen konnte. So war es dann auch kein Zufall, dass zu Beginn der 1950er-Jahre, also noch vor Fertigstellung eines marktgängigen Gerätes, einer der großen amerikanischen Film-Majors, die 20th Century Fox Film Corporation, die Exklusivrechte am Eidophor erwarb und einen Bedarf von über 1.000 Geräten in Aussicht stellte. Doch dem Kinofernsehen war keine Zukunft beschieden, hatte doch Anfang der 1960er-Jahre das Fernsehen zu seiner dominanten dispositiven Form im privaten Wohnumfeld gefunden. Die mediale Grenzüberschreitung scheiterte an Abwehrreaktionen sowohl von Seiten des Fernsehens wie auch der Kinoindustrie, letztlich an Fragen des Urheberrechts, der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens über Konzessionen und der Frequenzpolitik. Für den Eidophor mußte eine Marktnische außerhalb dieser beiden medialen Hauptstränge gesucht werden und man wurde in den exklusiven und hochpreissegmentigen ‚Closed Circuit Television‘-Bereichen (CCTV) fündig. Überall da, wo dem Livecharakter einer Großbildübertragung für eine begrenzte Zuschauerzahl eine hohe Bedeutung zukam, d.h. in Kongresshallen, Universitäten und Sportarenen, wurde der Eidophor dank seiner überragenden Bildqualität zur führenden Projektionstechnik. Daneben fanden sich Einsatzmöglichkeiten bei Rückprojektionen in Fernsehstudios oder in Flug- und Schiffssimulatoren. Diese führende Marktposition konnte der Eidophor bis Ende der 1990er-Jahre behaupten, wo er dann der neuen LCD- und der digitalen High Definition Television-Technik (HDTV) weichen mußte, die nun den Markt übernahmen.

Dezidiert und in einer auch sprachlich überzeugenden Form verbindet die Autorin Technik-, Unternehmens- und Mediengeschichte. Aus der Perspektive einer peripheren Anwendungsvariante wird ein Stück nicht nur der Schweizer Fernsehgeschichte insbesondere der 1940er- und 1950er-Jahre transparent, wird erkennbar, wie aus einer Vielzahl an medialen Möglichkeiten zu Beginn sich im Prozeß der Habitualisierung ein dominantes Dispositiv konstituierte. Dem unternehmerischen und technischen Geschick der Betreiber und Entwickler war es zu verdanken, dass das technische Potential des Eidophor hierbei nicht dem Vergessen überantwortet wurde, sondern als Nischenanwendung über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren ein durchaus einträgliches Geschäft beschieden blieb. Es mutet schon ein wenig wie die Ironie der Geschichte an, dass die digitale HDTV-Technik, vor der der Eidophor schließlich wirtschaftlich kapitulieren musste, durch die Vergrößerung der Bildschirmfläche und eine deutliche Verbesserung der Bildqualität wieder eine Annäherung an den Kinostandard leistet und hierbei (siehe „public viewing“ und „electronic Cinema“) die dem Eidophor ursprünglich zugrunde liegende Idee des Fernsehkinos auf ein Neues befeuert.

Anmerkungen:
1 Peter Paul Kubitz, Der Traum vom Sehen. Zeitalter der Televisionen (Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Gasometer Oberhausen 30. Mai – 15. Okt, 1997), Dresden 1997, S. 21
2 Zur Frage des Mediendispositivs siehe u.a. Knut Hickethier, Dispositiv Fernsehen - Skizze eines Modells, in Montage AV 4/1/1995, S. 63-83; ders.: Film und Fernsehen als Mediendispositive in der Geschichte, in: Knut Hickethier / Eggo Müller / Rainer Roth (Hrsg.): Der Film in der Geschichte, Berlin 1997, S. 63-73.

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