U. J. Hebel: Einführung in die Amerikanistik

Titel
Einführung in die Amerikanistik / American Studies.


Autor(en)
Hebel, Udo J.
Erschienen
Stuttgart 2008: J.B. Metzler Verlag
Anzahl Seiten
X, 483 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Gassert, Philologisch-Historische Fakultät, Universität Augsburg

Die Reform des Studiums nach Bologna setzt nicht allein die Lehrenden und Studierenden an den Universitäten unter erheblichen Anpassungsdruck. Sie generiert verlagsseitig ein neues Genre: Die Einführung für den Bachelor und Master-Studiengang. Die vorliegende „Einführung in die Amerikanistik/American Studies“ wird von dem 1682 gegründeten Metzler-Verlag als „unentbehrlich für B.A.-Studiengänge“ beworben und ist Teil einer neuen Reihe „BA Studium“. Dafür wurde als Autor der Regensburger Amerikanist Udo J. Hebel verpflichtet, der die Zeitschrift „Amerikastudien/American Studies“ herausgibt und zu den profiliertesten Vertretern des Faches amerikanische Kultur- und Literaturwissenschaft in Deutschland gehört.

Der Band schließt vor allem für Studium und Lehre eine Lücke im bisherigen deutschsprachigen Nordamerika-Schrifttum. So gibt es in deutscher Sprache die Klassiker zur US-Geschichte von Angermann, Dippel, Guggisberg/Wellenreuther, Sautter und anderen, sowie die vielen jüngeren Überblickswerke von Depkat, Mauch/Heideking, Gassert/Häberlein/Wala und als Longseller den „Länderbericht USA“ der Bundeszentrale für politische Bildung. Ergänzt wird das Angebot durch einige deutschsprachige Quellensammlungen sowie zahlreiche Einführungen in die Anglistik/Amerikanistik bzw. in die amerikanische Literaturgeschichte (z.B. von Meyer und Zapf). Abgesehen von der mehr als 10 Jahre alten Einführung in die amerikanische Geschichte von Heideking/Nünning ist jedoch ausgesprochene Studienliteratur zur US-Geschichte und Kulturgeschichte in deutscher Sprache rar.

Die vorliegende Arbeit leistet jedoch mehr als eine Lücke im Studienschrifttum zu schließen. Es handelt es sich um einen ambitionierten und konzeptionell im Ganzen überzeugenden Versuch, American Studies, wie sie ja zunehmend auch den konkreten Gegenstand von Studiengängen darstellen, nicht nur als trans- bzw. interdisziplinäre Kulturwissenschaft zu definieren, sondern in konkreter Anschaulichkeit zu zeigen, was unterschiedliche disziplinäre Angebote und Methoden zu einem Verständnis von Kultur und Lebenswirklichkeit der USA gemeinsam beitragen können. So werden zum Beispiel in den beiden Unterkapiteln zur New-Deal-Ära neben einen knappen Überblick über wirtschaftliche, soziale und ideologische Krisenphänomene und die klassischen politischen Lösungsansätze seitens der Administration Roosevelt, Diskussionen der sozialkritischen Protestkultur der 1930er-Jahre sowie der auf Affirmationen zielenden staatlichen Kulturförderung gestellt. Dass Letztere einen Innovationsschub bei der Dokumentarfotografie mit ausgelöst hat, bleibt ebenso wenig unerwähnt wie der Hang zum Eskapismus in der damaligen Unterhaltungsindustrie. Jeweils für sich selbst genommen sind dies natürlich keine neuen Erkenntnisse, aber die Gesamtschau ist innovativ und vermittelt ein anderes Bild, als wir es aus bisherigen deutschsprachigen Überblicken kennen.

Das erste Kapitel (Fachkonzeptionen, Materialien, Studienangebote) und das achte Kapitel (Theorien und Fachgeschichte) beschäftigen sich mit dem Grundverständnis des Faches als einer interdisziplinären Kulturwissenschaft. Nach einem Überblick über Definitionen von „American Studies“ sowohl amerikanischer als auch deutscher AutorInnen werden wichtige Materialien zur Untersuchung von Lebenswirklichkeiten vorgestellt. Hebel vertritt einen aus literaturgeschichtlicher Perspektive revolutionär breiten Quellenbegriff, will literarische Texte als wirkmächtige Repräsentationen einer Gesellschaft nicht privilegieren, sondern stellt ihnen visuelle, massenmediale, performative (z.B. Musik, Sportereignisse, aber ohne Erwähnung von Theater) und auch Ausdrucksformen der „material culture“ gleichberechtigt an die Seite. Dennoch ist es für HistorikerInnen irritierend, dass das Wort „Archiv“ nicht vorkommt und dass in Archiven und Bibliotheken massenhaft überlieferte Materialien als staatlicherseits, aber auch von privater Seite bewusst institutionalisiertes kulturelles Gedächtnis keiner Erwähnung für würdig befunden wurden. Diese Ignorierung von Archiven bzw. den dort zu findenden ja nicht nur schriftlichen Zugängen zur Vergangenheit stellt eine merkwürdige Blindstelle in einer ansonsten so penibel auf Vielfalt und auf Anschlussfähigkeit über die Grenzen der Disziplinen hinweg achtenden Einführung dar.

Aus der Perspektive des Historikers kann eine ähnlich Kritik auch mit Bezug auf Kapitel 8 „Theorien und Fachgeschichte“ formuliert werden. Auch hier ist der Ausgangspunkt der imaginierte Kanon einer sich zwar als interdisziplinär verstehenden Kulturgeschichte, die aber aufgrund ihrer Fachgeschichte und Institutionalisierung an den Universitäten quasi als „American Civilization“ nach wie vor stark von der Literaturwissenschaft her gedacht wird und sich schwer damit tut, sozialwissenschaftliche und historische Ansätze zu integrieren. So werden die Methoden- und Paradigmenkrisen einer amerikanischen Kulturgeschichte als Integrationswissenschaft so kompetent und umfassend abgerissen wie dies in einem Überblickswerk eben möglich ist. Aber es bleiben die historischen Kontroversen z.B. zwischen der „New Left“-Interpretation der 1960er-Jahre und der älteren Konsensschule der amerikanischen Geschichtswissenschaft ganz unerwähnt. Für Studierende der amerikanischen Geschichte liegt daher der Wert des Fachüberblicks in Kapitel 8 darin, sich rasch die wichtigsten Tendenzen in den American Cultural Studies anzueignen, ohne dass nun die Querverbindungen und wechselseitigen Impulse zwischen Literatur- und Geschichtswissenschaft transparent würden.

Es ist sicher auch Beckmesserei, einer derartig umfassenden Synthese, die unter einem extremen Zwang zur Auswahl steht, Unvollständigkeit vorzuwerfen, zumal fast ein Drittel des Textes (Kapitel 3) einem historischen Überblick über die Kulturgeschichte der USA (Kanada wird am Rande mit behandelt) gewidmet ist, der in der konzisen Verbindung von Politik- und Sozialgeschichte, aber durchaus auch außenpolitischer Entwicklungstendenzen (z.B. Isolationismus, Wilsonianismus), als Einführung in die Kulturgeschichte bisher in Deutschland unübertroffen ist. Hinzu kommen noch Skizzen von Geschichte und Gegenwart der Verfassung und des politischen Systems (Kapitel 4), eine Diskussion von Ideologien und Identitätskonstruktionen (Kapitel 5) und ein Überblick über Religionen in den USA (Kapitel 6), die jeweils stark historisch unterfüttert sind. Damit sind alle wesentlichen Dimensionen der US-Geschichte erfasst, mit einer gravierenden Ausnahme: Wirtschaft und Handel. Erstere wird zwar im Rahmen der allgemeinen Kulturgeschichte immer kurz angerissen, aber insgesamt bleibt soziale Ungleichheit („Klasse“) als Determinante der amerikanischen Kultur ebenso randständig wie die Bedeutung ökonomischer Innovationen (weder Henry Ford, noch Frederick Winslow Taylor noch Henry Kaiser tauchen im Register auf) und die Rückwirkungen der Position der USA im Welthandels- und Finanzsystem auf die Gesellschaft der USA. Das würde man jetzt eventuell wieder höher bewerten als bei Abschluss des Manuskripts (im Herbst 2008).

Diese vermutlich den disziplinären perspektivischen Verengungen und „Steckenpferden“ des Rezensenten geschuldete Kritik sollte nicht davon ablenken, dass es sich um einen ganz hervorragend gemachten Band handelt, der sorgfältig ediert und schön ausgestattet ist. Er besticht (wie von einem modernen „text book“ zu erwarten, aber nur selten grafisch so gekonnt umgesetzt) durch eine übersichtliche Gliederung, eine rasche Lektüre erleichternde Randglossen, durch in Boxen hervor gehobene Vignetten mit wichtigen Definitionen, Forschungskontroversen und kurzen Quellenauszügen „zur Vertiefung“. Kurzbibliografien, Zeittafeln, Kartenmaterial und zahlreiche Abbildungen werden nicht rein illustrativ eingeworfen, sondern vertiefen die Argumentation und bereiten das Material didaktisch auf. Ein Literaturverzeichnis und ein Personenregister runden den Band ab. Leider wurde auf ein Sach- oder wenigstens Institutionen- und Ortsregister verzichtet. In der Summe kann diese Einführung Studierenden, aber auch Lehrenden der amerikanischen Geschichte/Kulturgeschichte zur raschen Orientierung über Stand und Perspektiven der American Studies im Sinne von American Cultural Studies wärmstens empfohlen werden. Aber sie ist auch ein gutes Referenzwerk für Allgemein- und Nicht-US-HistorikerInnen, die sich über zentrale Tendenzen der amerikanischen Kulturgeschichte und die damit zusammenhängenden jüngsten Debatten über Theorie und Methode informieren möchten.

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