Cover
Titel
Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart


Herausgeber
Beyrau, Dietrich; Hochgeschwender, Michael; Langewiesche, Dieter
Reihe
Krieg in der Geschichte 37
Erschienen
Paderborn u.a. 2007: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
522 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Werner Bührer, Technische Universität München

Der „umgangssprachliche Krieg“ taucht in dieser Typologie zwar noch nicht auf, doch ansonsten bietet der im Zusammenhang mit dem Tübinger Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“ entstandene Sammelband einen umfassenden und hochaktuellen Überblick über Erscheinungsformen und Charakteristika des Krieges seit dem 8. Jahrhundert v.Chr. Die Besonderheit dieses Forschungsvorhabens ist es, Erfahrungen ins Zentrum zu rücken, also „Handlungen, Wahrnehmungen und Reflexionen von Personen..., sei es der Akteure während des Geschehens oder in rückblickender Deutung“ (S. 10). Eine solche erfahrungsgeschichtliche Typologisierung von Kriegen ist zwar sehr reizvoll und auf jeden Fall erkenntnisträchtiger als eine Unterscheidung etwa anhand waffentechnischer Kriterien – aber auch, wie Christoph Mick, einer der Autoren, lakonisch anmerkt, „schwierig“ (S. 325).

Erfahrung als eine „Vermittlungsinstanz zwischen subjektiver – individueller oder kollektiver – deutender Wahrnehmung und einem dadurch geleiteten Handeln liegt“, so konstatieren die Herausgeber in ihrer Einführung, die aber auch als Zusammenfassung der folgenden 21 Beiträge gelesen werden kann, „quer zur gängigen Typisierung von Kriegen nach ihren dominanten Mustern“ (S. 12). Typenbildung ist bekanntlich nur möglich, „indem das Geschehen durch Hervorhebung und Ausblendung von Aspekten in seiner Komplexität reduziert“ wird, um so „übergreifende Muster“ erkennen zu können (S. 13). Epochengrenzen verlieren deshalb an Bedeutung, erfahrungsgeschichtliche Ansätze entdecken eher Kontinuitäten. Der Widerspruch, den die These von den „Neuen Kriegen“ des ausgehenden 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts von den fünf Autorinnen und 19 Autoren fast ausnahmslos erntet, überrascht insofern nicht – ebenso wenig wie die Neigung, bisher gängige Zäsuren zu relativieren, wie Ute Planert dies am Beispiel der Französischen Revolution mit Verve demonstriert.

Nach einem begriffsgeschichtlich angelegten Beitrag – Nikolaus Buschmann, Christoph Mick und Ingrid Schierle zeigen anhand einer Untersuchung deutscher, russischer und sowjetischer Lexika, wie die „typologische Erfassung des Krieges“ vom 18. ins 20. Jahrhundert „an historischer Tiefenschärfe und systematischer Komplexität“ (S. 48) gewann – gehorchen die folgenden Aufsätze einer lockeren chronologischen Ordnung. Martin Zimmermann provoziert in seinem Beitrag über „antike Kriege zwischen privaten Kriegsherren und staatlichem Monopol auf Kriegführung“ mit der These, dass die „vermeintlich neuen Kriegstypen beinahe kontinuierlich in den letzten drei Jahrtausenden nachweisbar“ seien (S. 52). Mit dem „mittelalterlichen Krieg“ setzt sich auf hohem methodisch-theoretischem Niveau Hans-Henning Kortüm auseinander, indem er zunächst allgemeine Überlegungen zu den Problemen einer Typologisierung anstellt, ehe er sich eventuellen Spezifika dieses Kriegstyps zuwendet und zu dem Ergebnis gelangt, dass es „keine spezifisch mittelalterlichen Kriegstypen, sondern nur Kriege im Mittelalter“ gebe (S. 98). Die nächsten Stationen sind die Frühe Neuzeit und die Kabinettskriege insbesondere des 18. Jahrhunderts mit Beiträgen von Anton Schindling und Frank Göse. Anschließend setzt sich Ute Planert, wie erwähnt, kritisch mit der gängigen Auffassung von den Kriegen im Gefolge der Französischen Revolution bis hin zu den napoleonischen Kriegen als einer Zäsur zwischen „Kabinettskrieg alten Stils“ und „Volkskrieg“ auseinander (S. 149). Ihr Fazit lautet, dass sich „die Französischen Kriege besser in ein Konzept evolutionären Wandels als in ein Schema revolutionärer Veränderung einordnen“ ließen (S. 162). Nikolaus Buschmann und Dieter Langewiesche begreifen die „meisten Kriege“ im Europa des 19. Jahrhunderts als „gehegte Staatenkriege“, die von den kriegführenden Nationen indes als „Volkskriege“ wahrgenommen worden seien, mit anderen Worten: „der gehegte Staatenkrieg wurde als nationaler Volkskrieg imaginiert und erfahren“ (S. 163). Im deutsch-französischen Krieg von 1870/71, den manche Forscher als Vorboten des „totalen Krieges“ deuten, seien zwar nach dem republikanischen Aufruf zum „guerre à la outrance“ die Trennlinien zwischen Kombattanten und Zivilisten verwischt worden, doch sei es nicht zu einer „systematischen Enthegung des Krieges“ gekommen (S. 194).

Die folgenden Aufsätze lenken den Blick vom Zentrum an die Peripherie Europas oder auf andere Kontinente. Katrin Boeckh beschäftigt sich mit den serbischen Aufständen von 1804 bis 1815 und deren Formwandel von der lokalen zur nationalen Revolte. Michael Riekenberg rekapituliert das Kriegsgeschehen in Lateinamerika und wendet sich dabei gegen die gängige Sicht einer Dominanz von Bürgerkriegen. Die englischen Kolonisierungskriege in Virginia und Neu-England, die im Unterschied zu den damaligen Konflikten in Europa rasch den Charakter von Vernichtungskriegen mit dem Ziel der völligen Unterwerfung der Indianer annahmen, thematisiert Georg Schild. Michael Hochgeschwender widerspricht der These, die Kolonialkriege der europäischen Mächte, der USA und Japans seien „Experimentierstätten“ der rassischen oder weltanschaulichen Vernichtungskriege des 20. Jahrhunderts gewesen, und deutet sie statt dessen „typologisch eher als – wenngleich brutaler – Ausfluss paternalistischer ‚Zivilisierungsmissionen‘“ (S. 275) imperialen Zuschnitts. Allein drei Beiträge widmen sich dem osteuropäischen Raum: Jörg Baberowski kommt zu dem Ergebnis, dass es der „staatsferne Gewaltraum“ gewesen sei, der die „Entgrenzung und Brutalisierung“ des Krieges in Russland und der Sowjetunion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „nicht nur ermöglichte, sondern erzwang“ (S. 309). Dietrich Beyrau präsentiert am Beispiel des deutsch-sowjetischen Krieges eine differenzierte Aufschlüsselung des Begriffs „totaler Krieg“, während Christoph Mick das Osteuropa der Jahre 1918-1921 durch „vielerlei Kriege“ gekennzeichnet sieht. Nicola Spakowski schließlich befasst sich mit dem Volkskriegskonzept der chinesischen Kommunisten bis zum Sieg der Revolution 1949.

Die restlichen sechs Aufsätze haben übergreifende Fragen zum Gegenstand: Andreas Holzem und Hans G. Kippenberg untersuchen aus unterschiedlichen inhaltlichen und zeitlichen Blickwinkeln das Verhältnis von Religion und Krieg. Annegret Jürgens-Kirchhoff erweitert das thematische Spektrum mit ihrem durch ein Dutzend Schwarz-Weiß-Abbildungen angereicherten Aufsatz über den Wandel der Schlachtenmalerei und deren Beitrag zur Konstruktion von Kriegstypen. Michael Bothe zeichnet die Versuche nach, den Krieg völkerrechtlich zu definieren und einzuhegen, während Sven Chojnacki die politikwissenschaftlichen Bemühungen um plausible und trennscharfe Kriegstypologien vorstellt. Im letzten Beitrag des Bandes referiert der Zoologe Gerhard Neuweiler die Forschung über „Kriege“ im Tierreich, die bislang nur bei Ameisen und Schimpansen entsprechende Fähigkeiten und Handlungen belegen kann.

Der Band zeichnet sich durch eine differenzierte, im guten Sinne „streitlustige“ Auseinandersetzung mit den Problemen der Typologisierung von Kriegen aus. Großes Lob verdient auch die interdisziplinäre Anlage des Bandes: Neben einer breiten Phalanx von Historikern und Historikerinnen kommen auch andere Disziplinen wie Kunstgeschichte, Politikwissenschaft, Kirchengeschichte oder Rechtswissenschaft zu Wort. Angesichts der unterschiedlichen Zugriffe fällt es schwer, gemeinsame Befunde und Thesen zu entdecken. Die größte Einigkeit herrscht noch in der bereits erwähnten Ablehnung des Theorems von den „Neuen Kriegen“ vor: „Die sogenannten neuen Kriege sind die alten Kriege“ (S. 14), resümieren deshalb die Herausgeber. Lediglich Chojnacki appelliert an die „Fundamentalkritiker/innen der neuen Kriege“, die „Veränderungen im Kriegsgeschehen nicht vorschnell“ zu verwerfen (S. 502). Ungeachtet dieser eindeutigen Tendenz besitzt der Band durchaus handbuchartigen Charakter. Ein gewisses Unbehagen verursacht eher, dass der Untersuchungsgegenstand mitunter auf die Wortwahl abzufärben scheint: „In all diesen Kriegen konnte nur bestehen“, schreibt Baberowski in seinem Beitrag, „wer den Gegner vernichtete und ihn der Möglichkeit beraubte, sich je wieder zu erheben“ (S. 300). Friedenspolitisch sensible Leserinnen und Leser mögen darin nicht nur ein Übermaß an Einfühlungsvermögen erkennen, sondern auch einen Mangel an kritischer Distanz.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension