T. Ahbe u.a. (Hrsg.): Die Ostdeutschen in den Medien

Cover
Titel
Die Ostdeutschen in den Medien. Das Bild von den Anderen nach 1990


Herausgeber
Ahbe, Thomas; Gries, Rainer; Schmale, Wolfgang
Erschienen
Anzahl Seiten
217 S.
Preis
24,00 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans-Jörg Stiehler, Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Universität Leipzig

Dieses Buch hat nach seinem Erscheinen schon ein erhebliches Echo in den Medien, vor allem in ostdeutschen Medien und Foren, ausgelöst. Es scheint – mit wissenschaftlicher Exaktheit und/oder mit dem Renommee von Wissenschaftlern – ein Unbehagen an der Behandlung Ostdeutschlands und seiner Bewohner durch die überregionalen Leitmedien des bundesdeutschen Diskurses zu belegen. Diese Medien (Der Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung usw.) sitzen im Westen, sie beschäftigen in großer Mehrheit Journalisten mit westdeutscher Sozialisation und Berufsqualifikation, sie werden dominierend in Westdeutschland genutzt. Dass sie westdeutsche Identitäten stützen (müssen), und aus diesem Blickwinkel die Ostdeutschen als die „Anderen“ konstruieren, ist ein plausibler Ausgangspunkt für eine genauere Analyse. „Nicht was ARD und ZDF aus Ostland berichten, wenn sie’s mal tun, stört die Ostler, sondern daß es klingt wie Auslandsjournal“, hatte Christoph Dieckmann schon 1996 auf den Mainzer Tagen der Fernsehkritik moniert und damit ein Problem angesprochen, dass die Darstellung Ostdeutschlands zum damaligen Zeitraum durchaus richtig charakterisierte.1

Bei dem Band handelt es sich um die Publikation einer Tagung zum Projekt „Die diskursive Konstruktion ‚der Ostdeutschen‘ in westdeutschen und österreichischen Medien als Quelle für kollektive Alteritäts- und Identitätsdiskurse“, das interessanterweise vom Jubiläumsfond der Österreichischen Nationalbank gefördert wurde und in der Projektleitung an der Universität Wien stationiert war. Nach einer Einleitung der Herausgeber und einer historiographischen Einordnung (Rainer Gries) berichten aus diesem Projekt Elke Kimmel über die Presseberichterstattung über DDR-Flüchtlinge im Sommer 1989, Thomas Ahbe über die Konstruktion des Ostdeutschen in überregionalen Printmedien (Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Spiegel, Tageszeitung) in den Jahren 1989/90 und 1995, Juliette Wendl über die Ossi-Wessi-Stereotype in der „Zeit“ (1996-2007) und Julia Belke über das Bild der Ostdeutschen im ARD-Magazin „Kontraste“ zwischen 1987 und 2005. Der methodische Ansatz dieser Autoren ist Varianten der Diskursanalyse zuzuordnen. Christian Kolmel verfolgt in seinem den Band abschließenden Beitrag zum Bild Ostdeutschlands und der DDR in den Medien einen anderen Ansatz, in dem er sich auf standardisierte Inhaltsanalysen des Instituts Media Tenor stützt, das durchgehend die Politik- und Wirtschaftsberichterstattung einer Vielzahl von Print- und Funkmedien beobachtet. Die Befunde der differenzierten Studien lassen sich schwer auf einen Nenner bringen, werden im Untertitel des Buches aber schon angedeutet: Die Ostdeutschen kommen in den untersuchten Medien nur innerhalb eines relativ schmalen Themenspektrums vor, ihre Darstellung ist von gängigen, meist negativen Klischees geprägt, die sie zu „Anderen“ und „Fremden“ werden lassen. Über den Untersuchungszeitraum hinweg, der freilich in den einzelnen Analysen variiert, lassen sich kaum Veränderungen feststellen, so dass auch im zweiten Jahrzehnt des vereinten Landes ein an „westdeutschen Identitätsinteressen“ ausgerichtetes Medienbild von Ostdeutschen bzw. Ostdeutschland dominiert (S. 109). Wie schwer sich Verständigung über Stereotype herstellen lässt, war kürzlich in der ARD-Sendung „Hart aber fair“ am 4.11.2009 zu besichtigen, die unter dem Titel „Einigkeit und Recht auf Fremdheit – Wann fällt die Mauer in den Köpfen?“ – genretypisch?! – den Konflikt und nicht Verständnis inszenierte.

Drei Probleme wirft das Buch indes auf und macht die Befunde nicht nur diskussionswürdig, sondern auch angreifbar. Erstens wird das diskursanalytische Verfahren, das den meistens Beiträgen zugrunde liegt, nicht systematisch vorgestellt. Methodische Informationen muss sich der Leser aus den verschiedenen Beiträgen zusammensuchen. So ist streng genommen für den Leser nicht entscheidbar, was dominierende Tendenz eines Beitrags und was (nur) Illustration einer These ist. Dieses Problem lässt sich gewiss in der Projekt-Monographie, die noch aussteht, klären lassen.

Zweitens finden sich an vielen Stellen des Buches „starke“ Wirkungsunterstellungen. Den in den untersuchten Medien eher singulären Beiträgen wird zugetraut, zu einer „symbolischen Desintegration“ (siehe S. 109), zur Stereotypisierung der Ostdeutschen insgesamt beizutragen (S. 175), tief ins kollektive Gedächtnis der Gesellschaft hinein zu strahlen; generell: den Diskurs über die Ostdeutschen als Machtstruktur zu etablieren. Diese Wirkungen können die untersuchten Medien ja nun vermutlich nicht über ihre Reichweite (im Osten, teilweise auch im Westen), sondern – wenn überhaupt – durch Themensetzung und Rahmungen in ihrer Rolle als Leitmedien erzielen. Und sie benötigen beim Publikum eine „Resonanz“, etwa durch medialen Diskursen entsprechende persönliche Erfahrungen. Diese starken Wirkungsannahmen werden in den Beiträgen selten plausibel gemacht, Verweise auf die Befunde der Medienwirkungsforschung stellen eine absolute Ausnahme dar. Und sie sind teilweise auch nicht plausibel zu machen. Wenn beispielsweise die Analyse des Ossi-Wessi-Disputs in der „Zeit“ sich auf circa 20 Artikel pro Jahr stützt (von geschätzten vier- oder fünftausend), und wenn mit einigem Recht anzunehmen ist, dass ein erheblicher Teil aus der Feder eines Autors stammt, der Ost-West-Klischees ironisch zu brechen vermag, dann fällt es schwer, dieser geringen Quantität eine besondere Qualität zuzuschreiben. Ähnliches lässt sich vom Korpus der untersuchten „Kontraste“-Sendungen sagen (sie sollen übrigens das öffentlich-rechtliche Fernsehen insgesamt repräsentieren) – hier sind es in fast 20 Jahren knapp 120 Beiträge.

Drittens steht als Krux aller medienanalytischer Verfahren, dass die Frage, was an einer Darstellung interessengeleitete Konstruktion ist, was darin an Realität von Ostdeutschland und Ostdeutschen aufscheint, was eigenwillige Thematisierung und was Reflex von Ereignislagen ist, schlicht nicht beantwortbar ist. Dem kann nur über Hilfskonstruktionen beikommen, zum Beispiel indem man das Medienbild von Ostdeutschen mit dem von Westdeutschen vergleicht – und zwar idealerweise bei vergleichbaren Themen und Problemlagen. Ein solcher Vergleich wird in dem Buch nur in zwei Beiträgen vollzogen, und er erbringt nur wenige überzeugende Belege für eine grundsätzlich andere Darstellung von West- und Ostdeutschen.2 Auch ein Vergleich von westdeutschen und ostdeutschen Medien wäre hilfreich gewesen. ARD-Anstalten wie der Norddeutscher Rundfunk oder der Rundfunk Berlin-Brandenburg, die in ihren Publika den Spagat zwischen zahlenmäßig majoritären Westdeutschen (bzw. Westberlinern) und minoritären Ostdeutschen (bzw. Ostberlinern und Brandenburgern) zu meistern haben, wären hier ein interessantes Untersuchungsfeld.

Anmerkungen:
1 Die Rede wurde unter dem Titel „Was Sachsen gerne sehen. Ossis Fernbedienung“ abgedruckt, in: DIE ZEIT, Nr. 24/1996. Hier zitiert nach: Christoph Dieckmann, Das wahre Leben im falschen. Geschichten von ostdeutscher Identität, Berlin 1998, S. 77-84.
2 Siehe auch Werner Früh u.a., Ostdeutschland im Fernsehen, München 1999.

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