R. Pöppinghege (Hrsg.): Tiere im Krieg

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Titel
Tiere im Krieg. Von der Antike bis zur Gegenwart


Herausgeber
Pöppinghege, Rainer
Erschienen
Paderborn 2009: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Schütze, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Wir leben in einer Gesellschaft, in der allein in bundesdeutschen Haushalten über 23 Millionen Haustiere gehalten werden1, in der der Markt für Heimtierbedarf trotz Wirtschaftskrise im Wachstum begriffen ist und Tierschutz ein Thema darstellt, das geeignet ist, die Gemüter hochschnellen zu lassen. „Tiere im Krieg“ begegnen uns dagegen nur noch in Kriegs- und Historienfilmen. Diese heute ferne Realität beleuchten die im vorliegenden Band versammelten 16 Beiträge in Ausschnitten aus unterschiedlichen Epochen.

Rainer Pöppinghege schildert in der Einleitung die Schwierigkeiten, eine Auswahl kriegsbeteiligter Tiere und ihrer Verknüpfungen mit dem Menschen vorzunehmen.2 Als wichtig erweist sich – trotz aller nüchterner Betrachtungsweise – die Beziehung zwischen Mensch und Tier, die sich auch im Krieg nicht auflösen lässt, weil Tiere entweder wichtige Ausgleichsfaktoren im Alltag des Kriegswahnsinns boten3 oder Sympathieträger darstellten (vgl. zum Beispiel S. 237). Bis heute vermögen sie medial wichtige Identifikationsplattformen für die zivile Außenwelt des Krieges zu schaffen (vgl. zum Beispiel S. 275). Die Beiträge sind in die drei Abschnitte „Bellizierung“, „Mystifizierung“ und „Medialisierung“ untergliedert. Abgerundet wird der Band von einem Autorenverzeichnis; Literaturverzeichnisse, ein Register oder ein Abbildungsverzeichnis wurden nicht erstellt.

Sehr überzeugend vermittelt Holger Müller (Tiere als Kostenfaktor in antiken Kriegen, S.15–31), dass die für den Einsatz mächtiger Tierwaffen erforderlichen Aufwendungen finanzieller und logistischer Art nicht weniger spektakulär waren: Anhand der Beispiele Pferd und Kriegselefant exemplifiziert Müller die Rechtfertigung dieses immensen Aufwandes durch eine nicht zu überschätzende militärische Wirkkraft. Ähnlich gelagert erscheint zunächst der Beitrag von Sebastian Buciak (Kriegselefanten – Giganten an der Front, S. 33–46). Allerdings legt Buciak seinen Schwerpunkt auf die militärische Effizienz. Nicht anders als entlarvend mag man den Beitrag von Martin Clauss (Waffe und Opfer – Pferde in mittelalterlichen Kriegen, S. 47–63) empfinden, denn Clauss seziert das von der Literatur gepflegte Bild des Kämpfers zu Pferde und seines feurigen Schlachtrosses im Mittelalter. So korrigiert er diese Vorstellung durch die Tatsache, dass nur eine Minderheit der Kriegspferde Schlachtrösser waren, die Überzahl diente vielmehr logistischer Zwecke. Mit Blick auf das Bild vom Schlachtross kehrt Clauss nicht nur die Effizienz der Waffe Pferd, sondern auch ihre Schwachstelle heraus, sei es als gezieltes Opfer der Gegner oder eigener schlechter Versorgung.

In einem mit zahlreichen Belegen versehenen Aufsatz betont Felix Schürmann (Herrschaftsstrategien und der Einsatz von Pferden im südwestlichen Afrika, ca. 1790–1890, S. 65–85) die Rolle des Pferdes für die koloniale Entwicklung in Afrika: Neben seiner Bedeutung als Prestige- bzw. Herrschaftsabzeichen eröffnete es erst die Möglichkeit einer Ausbreitung territorialer Herrschaft. In seinem sehr lesenswerten Aufsatz „Kamele im Krieg – eine Kavallerie für unkonventionelle Kampfeinsätze“ (S. 85–102) beschreibt Elmar Janssen die Eigenheiten dieser für Europäer so ungewohnten Kriegstiere, deren stoische Art selbst in Leid und Tod noch unberückbar erschien. Als sehr facettenreich darf der Beitrag „‚Außerordentlicher Bedarf für das Feldheer‘ – Brieftauben im Ersten Weltkrieg“ (S. 103–117) von Rainer Pöppinghege und Tammy Proctor bezeichnet werden, in dem die Autoren Einsatz und Image der heute als „Ratten der Lüfte“ geschmähten, dereinst jedoch sehr populären gefiederten Helden untersuchen. Vor der Folie des Ersten Weltkrieges eröffnen sie dem Leser zwei ungleiche Kombinationen: einerseits den Konflikt anhaltend effizienter, alter Kriegsmittel im Wandel zunehmender Technisierung, andererseits das Aufeinandertreffen der emotional-bürgerlichen Welt der Kleintierzüchter und der kalt berechnenden, harten Kriegsrealität.

In einer auch dem Laien gut verständlichen Weise bespricht Anne-Kathrin Wese in „Die Tierseuche als militärisches Problem. Zur Bedeutung des Rotzes im Ersten Weltkrieg am Beispiel der 11. Bayerischen Infanterie-Division“ (S. 119–133) den Fall der Rotzseuche, anhand dessen sie nicht nur auf die Achilles-Verse einer auf ihre Pferdebestände angewiesenen Kriegsmaschinerie hinweist, sondern den Leser auch mit der Ambivalenz „deutscher Gründlichkeit“ konfrontiert: Einerseits wurden ausgefeilte Prophylaxesysteme entwickelt, andererseits versuchte man die gezogenen Erkenntnisse für Bio-Waffen zu nutzen. Nach einem Überblick über die Biene als historische Kriegswaffe informiert Jodok Troys Beitrag „‚Die gläserne Biene‘ – Honigbienen in der Kriegsführung“ (S. 135–147) über aktuelle militärische Forschungen, in denen der besondere Geruchsinn dieser Tiere für ein höchst effizientes Aufspüren von Landminen eingesetzt wird. In seinem Beitrag „Der afghanische Jihad von 1985 bis 1992. Waffenlieferungen und Maultiere“ (S. 149–158) vermittelt Albert Stahel zwar einen sehr umfangreichen Einblick in die auch im heutigen Afghanistan-Konflikt relevanten historischen Verknüpfungen, dabei gerät ihm allerdings der eigentliche Schwerpunkt, der Einsatz speziell gezüchteter amerikanischer Maultiere, die bis heute logistisch wertvolle Militäreinsätze leisten, etwas zu kurz.

In einem breiten Fächer von altorientalischen und ägyptischen Mythen und Herrscherikonographien bis hin zu Comics des 21. Jahrhunderts beleuchtet Matthias Naumann (Der Löwe und die Löw/innen. Das sich wandelnde Auftreten eines Wappentiers kriegerischer Politik, S. 161–180) die Bedeutung des Löwen und seines weiblichen Pendants als Vertreter von Macht und Freiheit. Heiko Hiltmann (Das Tier im Mann – Altnordische Tierkrieger-Erzählungen, S. 181–197) setzt sich mit dem Bild des Wolfs auseinander: Am Beispiel tierisch-gewalttätiger Männlichkeitsvorstellungen und magischer Tierrituale in nordischen Sagas zeichnet er deren literarische Entwicklung vom zunächst dem Göttervater Odin nahestehenden Männerideal hin zum heidnisch-negativen Kriegerethos nach. Die Raben des Londoner Towers, 1870 eingeführt, um dem Tower einen touristischen Schauereffekte zu verleihen, avancierten nach dem Zweiten Weltkrieg zu Nationaltieren und Schutzsymbolen des Britischen Empires. Am Beispiel ihrer Mythenbildung hinterfragt Boria Sax in „The Tower Ravens as Mascots of Britain in World War II“ (S. 199–213) die bemerkenswerte Tatsache der Akzeptanz des Inakzeptablen, sobald es durch Krieg oder Medien vermittelt wird.

„All the Muddy Horses: Giving a Voice to the Dumb Creatures of the Western Front (1914–1918)“ (S. 217–234) von Gene M. Tempest gehört sicherlich zu einem der schockierendsten Beiträge des Bandes. Entgegen heutiger Wahrnehmung spielten nicht allein Motoren, sondern auch 18 Millionen Pferde, die „unsung heroes of the war“ (S. 219), eine eminent kriegstragende Rolle im Ersten Weltkrieg. Die Beschreibung von unglaublichen Strapazen, denen diese Tiere ausgesetzt waren, und schrecklichem Sterben in schrillen Schreien als „last acts […] of unbelievable suffering“ (S. 226) führt nicht allein eine rein wirtschaftlich und mechanisch denkende Kriegsmaschinerie vor, sondern zeigt auch, wie sehr ihr Schicksal diese Tiere zu medialen Informationsträgern werden ließ, indem sich in ihnen tierisches Schicksal und menschliche Emotionen verquickten, um patriotische Stimmungen zu erzeugen. In seinem zweiten Beitrag „Abgesattelt! Die publizistischen Rückzugsgefechte der deutschen Kavallerie seit 1918“ (S. 235–250) setzt sich Rainer Pöppinghege mit der elitären und prestigebehafteten Waffengattung der Kavallerie auseinander. Auch hier – wie schon zuvor an den zahlreichen Beiträgen rund um den ersten Weltkrieg – wird erneut das Aufeinandertreffen moderner Kriegs- bzw. Waffenrealität mit traditionellem und beinahe schon fortschrittsblindem Kriegerethos exemplifiziert. Nicht ganz unproblematisch erscheinen allerdings die verwendeten Grafiken, die keinesfalls als selbsterklärend betrachtet werden können.

Nach dem traditionellen Krieg wendet sich Roman Marek mit „Weltraumhunde im Kalten Krieg: Laika als Versuchstier, Propagandawaffe und Heldin“ (S. 251–268) einem wesentlich auch medial geführtem Krieg zu: Sehr überzeugend entlarvt Marek am Beispiel des Schicksals der russischen Hündin Laika und anderer Vergleichstiere, wie sehr die Wahrnehmung des Falles dem damals vorherrschenden Ost-West-Denken unterlag und in welchem Maße die menschliche Empathie für diese Tieren durch mediale Steuerung beeinflusst wurde. Ramón Reichert untersucht in „Die Medialisierung des Tieres als Protagonist des Krieges“ (S. 269–278) die militärische Sprach- und Bilderwelt in Tierdokumentationen. Dem Autor ist sicher darin zuzustimmen, dass die Verwendung bekannter Darstellungsschemata bestens geeignet erscheinen, Informationen – augenscheinlich oder unterschwellig – medial an den Konsumenten zu vermitteln. Allerdings halte ich diese Sichtweise für zu einseitig: Eine Darstellung des Lebens von Wildtieren mit Kriegsmetaphorik liegt nicht allein darin begründet, wie der Autor meint, dass über militärische Vorstellungswelten natürliche Abläufe medial vermittelt werden können. Ein weiterer Punkt ist sicherlich auch die durchaus existente und den Betrachter ansprechende Kriegs- und Gewaltästhetik, die als jüngstes Beispiel etwa die Macher des Filmes „Unsere Ozeane“ zu zahlreichen gleichartigen Darstellungsweise bewegt hat. Ein anderer wichtiger Aspekt für diese Inszenierung liefert die Bionik: So wären beispielsweise Kriegswaffen wie der Tarnkappenbomber ohne Beobachtungen an natürlichen Vorbildern kaum denkbar.

Der Band bietet zahlreiche interessante Perspektiven auf das Verhältnis von Mensch und Tier im Krieg und dessen teilweise fragwürdige emotionale Ambivalenz, er vermag den Leser dabei mitunter auch zu bedrücken und zu erschüttern. Das Buch liefert so einen schönen und weitgefächerten Einstieg für jeden, der sich der Materie der Kriegstiere nähern möchte, und gibt zahlreiche, wenn auch etwas mühsam allein über Fußnoten erschließbare Literaturhinweise an die Hand.

Anmerkungen:
1 Vgl. Struktur und Umsatzdaten des Industrieverbands für Heimtierbedarf für 2008.
2 So wird beispielsweise auf eine nähere Diskussion des Themas der Kampfhunde verzichtet, wenngleich sie Holger Müller der Vollständigkeit halber in einer Anmerkung erwähnt. Angesichts der aktuellen Diskussionen hätte dies durchaus auch interessante historische Aspekte liefern können.
3 Vgl. S. 114: „Als Kontrast zu der brutalen Kampfweise […] stellte die Pflege von Tieren […] ein geradezu filigranes Refugium dar. Die Soldaten betrachteten die Tiere als Kameraden und emotionale Rückzugsräume.“

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