K.-E. Frandsen: The Last Plague in the Baltic Region 1709-1713

Cover
Titel
The Last Plague in the Baltic Region. 1709-1713


Autor(en)
Frandsen, Karl-Erik
Erschienen
Anzahl Seiten
537 S.
Preis
€ 64,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carl Christian Wahrmann, Universität Rostock

Einer der Forschungsschwerpunkte Karl-Erik Frandsens ist die letzte Pestepidemie, die Anfang des 18. Jahrhunderts den Ostseeraum heimsuchte. In zahlreichen Veröffentlichungen hat sich der Autor diesem Thema gewidmet und hier vor allem die Verhältnisse in Kopenhagen und Helsingör analysiert. 1 In dieser Hinsicht bleibt sich Frandsen mit dem vorliegenden Werk treu, denn beide Städte stehen im Mittelpunkt seiner umfangreichen und fundierten Untersuchung. Dem mit Esprit geschriebenen Buch ist die Freude deutlich abzulesen, die Frandsen während der sechsjährigen Vorarbeiten hatte, und nie verfällt er in ein ödes Leichenzählen, wie er selbst scherzhaft seine Tätigkeit beschreibt (S. 9).

Gemäß der chronologischen Ordnung zeichnet Frandsen den Weg der Pest von den ersten verdächtigen Todesfällen in Polen über die Ausbreitung in fast alle Ostseeterritorien bis zum Verschwinden der Seuche von den Küsten nach etwa fünf Jahren. Den Schwerpunkt seiner materialreichen Untersuchung legt der Autor auf die Geschehnisse auf der Insel Seeland. Diesem Bereich sind fast zwei Drittel des Werkes gewidmet, so dass die deutlich schmaleren Abschnitte über die Pest in anderen Regionen fast wie der Auftakt bzw. das Nachspiel der Pest in Kopenhagen und Helsingör erscheinen.

Frandsens erklärter Anspruch ist es, einen Überblick über die letzte Pest im Ostseeraum zu geben (S. 12). Damit unternimmt er als erster den Versuch, die zahlreichen lokal- und regionalhistorischen Untersuchungen zusammenzufassen. Diesem hohen Anspruch wird er insbesondere gerecht, wenn er für verschiedene Gebiete ältere, schwer zugängliche oder nicht publizierte Arbeiten anführt, durch welche seine Untersuchung künftigen Forschern eine gute Hilfestellung geben kann. Trotzdem sind einige Lücken erkennbar. So fehlen etwa beim Kapitel über Schweden und Finnland die meisten Veröffentlichungen von Lars Preinitz und Andreas Bergström über die Pest in Stockholm. Frandsen ist sich dieser Fehlstellen gleichwohl bewusst und benennt sie zum Teil selbst (S. 479). Ein wichtiges Ergebnis dieser Kapitel ist die Deutlichmachung der Beziehungen zwischen den verschiedenen betroffenen Regionen. Frandsen durchbricht damit die in der Forschung überwiegende Aufmerksamkeit auf einen Ort oder ein kleines Gebiet und zeigt, dass es sich jeweils um Teile einer weitläufigen Epidemie handelte, deren Verknüpfungen er nachvollzieht.

Hinsichtlich seiner Leitfragen ist Frandsen hauptsächlich an den demografischen Fakten (Sterblichkeitsrate, berufs- und geschlechtsbezogene Gefährdung) interessiert. Weiterhin beschäftigt er sich mit den Behandlungsmethoden des medizinischen Personals, den Maßnahmen der Obrigkeiten und den Reaktionen der Bevölkerung auf die teilweise einschneidenden Beschränkungen ihrer Freiheit und verbrieften Rechte (Bestattungsriten). Frandsen geht diesen Fragen mit großer Sorgfalt nach und veranschaulicht seine Ergebnisse mit einer Vielzahl an übersichtlichen Karten, Tabellen und Diagrammen (etwa 300 Stück). Eine schnelle Information ist dem Leser dadurch gewiss. Der latenten Gefahr, die Bilder könnten eine falsche Vollständigkeit der Werte suggerieren, kommt der Autor stets durch quellenkritische und sehr reflektierte Ausführungen zuvor, da für viele Kirchspiele keine Sterbelisten existieren, diese unvollständig oder in ihrer Aussagekraft beschränkt sind.

Frandsen legt dar, dass im Bewusstsein der Obrigkeiten wie der Bevölkerung die Pest immer als eine äußere Gefahr angesehen wurde, die von anderen Orten eingeschleppt werden konnte. Die Gerüchte über verdächtige Personen, welche gefährliche Waren (z.B. Altkleider und Bettzeug) mitbrachten, sind zahlreich und zeigen, dass die Krankheit in direkte Beziehung mit anderen infizierten Gebieten gebracht wurde. Über den Wahrheitsgehalt der meisten Gerüchte lässt sich nicht viel aussagen, sie wirkten sich jedoch direkt auf das wirtschaftliche und soziale Leben aus, wenn aufgrund dieser Geschichten Handelsboykotte durchgesetzt wurden.

Zu den demografischen Ergebnissen zählt die Erkenntnis, dass die Geschlechter unterschiedlich betroffen waren. Zu Beginn der Seuche starben mehr Frauen, während zum Ende vor allem Männer betroffen waren. Auf die Kindersterblichkeit hingegen wirkte sich die Krankheit nicht signifikant aus, da diese Anfang des 18. Jahrhunderts ohnehin hoch war und hier die Pest nicht mehr Opfer forderte als sonst aus anderen Ursachen gestorben wären. Auf die Frage, warum ganze Dörfer oder in den Städten einige Straßenzüge komplett ausstarben, während benachbarte Orte und Stadtviertel unberührt blieben, kann aufgrund der dürftigen Quellenlage leider keine befriedigende Antwort gegeben werden.

Entgegen der vielfach behaupteten Hilflosigkeit angesichts der tödlichen Seuche kommt Frandsen zu dem Schluss, dass die eingeleiteten Maßnahmen sinnvoll waren. Dabei unterscheidet er zwischen den chirurgischen Eingriffen der Barbiere und den fragwürdigen Medikamenten der studierten Ärzte, deren Wirksamkeit nicht belegbar ist. Besonders die Quarantäne, die sowohl vorsorglich als auch zur Absonderung bereits Erkrankter eingesetzt wurde, und die Verbrennung von Textilien sieht Frandsen als effektiv an und beweist dieses unter anderem anhand der Verhältnisse in der Quarantänestation Saltholm (S. 71-82). Aus diesen Umständen schlussfolgert er, dass es vor allem die administrativen Maßnahmen waren, die zum Ende der Seuche führten. Die anfängliche Unsicherheit der Behörden war im Laufe der etwa fünf Jahre währenden Bedrohung konsequent durchgesetzten Maßnahmen gewichen. Freilich gilt diese Einschätzung nur für Gebiete, die bereits einmal von der Seuche heimgesucht wurden und in denen die Behörden aus ihren Fehlern lernen konnten. Für die von ihm untersuchten Gebiete verneint Frandsen das Vorhandensein einer planvollen Ausnutzung der Seuche zur Durchsetzung absolutistischer Herrschaftsansprüche, wie sie Volker Gaul vor einigen Jahren in Schleswig und Holstein feststellte. 2

Bei der Frage nach dem Charakter der Seuche ist Frandsen von der Gleichartigkeit der heute nachgewiesenen Form Yersinia pestis mit der seinerzeit auftretenden Krankheit fest überzeugt. Die historische Forschung ist in dieser Hinsicht noch immer gespalten. Vielfach sind die erhaltenen Berichte zur Übertragung und den Symptomen sehr ungenau oder fragmentarisch, so dass man sie schwerlich mit einer der heutigen Krankheiten identifizieren könnte. Die von Frandsen für seine Beweisführung herangezogenen zeitgenössischen Krankheitsbeschreibungen (z.B. S. 43-45) stützen allerdings seine Annahme, indem die dort geschilderten Symptome (Pestbeulen, Krankheitsverlauf) der heutigen Pest stark ähneln. Mit den klassischen Mitteln der Geschichtswissenschaft wird sich diese Frage aber voraussichtlich nicht eindeutig beantworten lassen. Die Hoffnung liegt folglich auf naturwissenschaftlichen Untersuchungen von Pesttoten mittels mikrobiologischer Methoden. Die bislang erzielten Ergebnisse sind jedoch widersprüchlich und haben noch keine sicheren Resultate erbracht (S. 16, 400).

Ein übersichtlicher Namens- und Ortsindex runden das Werk ab. Wünschenswert wären neben einem Abbildungsverzeichnis ein dem Buch beiliegender Datenträger mit allen Grafiken und Landkarten, wodurch der Leser auf die Datengrundlagen direkt zurückgreifen und die verschiedenen Maßstäbe der Diagramme vereinheitlichen könnte.

Zweifellos wichtiger als diese kritischen Anmerkungen ist jedoch, dass es Frandsen gelungen ist, die Auswirkungen der letzten Pestepidemie auf die Ostseeanrainer umfassend darzustellen. Seine Arbeit verbindet die eigenen detaillierten Forschungen zu dänischen und estnischen Gebieten mit zahlreichen anderen Einzeluntersuchungen. Die Aufarbeitung der frühneuzeitlichen Pest hat mit Frandsens Werk einen deutlichen Zuwachs erhalten.

Anmerkungen:
1 Zuletzt: Karl-Erik Frandsen, Pesten i Helsingør 1711. En familiesygdom. En undersøgelse af epidemiens spredningsmønstre, in: Personalhistorisk Tidsskrift 2 (2008), S. 241-259; Karl-Erik Frandsen, Pesten i Tikøb Sogn, in: Egebækken 45 (2008), S. 3-18; Karl-Erik Frandsen, „Das könnte nützen.“ Krieg, Pest, Hunger und Not in Helsingør im Jahr 1711, in: Stefan Kroll / Kersten Krüger (Hrsg.), Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum in der Frühen Neuzeit. Urbane Lebensräume und Historische Informationssysteme. Beiträge des wissenschaftlichen Kolloquiums in Rostock vom 15. und 16. November 2004 (Geschichte und Wissenschaft 12), Berlin 2006, S. 205-225; Karl-Erik Frandsen, Kampen mod pesten. Karantænestationen på Saltholm 1709-1711, Kopenhagen 2004.
2 Volker Gaul, Möglichkeiten und Grenzen absolutistischer Herrschaft. Landesherrliche Kommunikationsstrategien und städtische Interessen während der Pest in den Herzogtümern Schleswig-Holstein-Gottorf (1709-1713), Tönning 2005.

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