M. Asche u.a. (Hrsg.): Krieg, Militär und Migration

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Titel
Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit.


Herausgeber
Asche, Matthias; u.a.
Reihe
Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, Bd. 9
Erschienen
Berlin 2008: LIT Verlag
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Holger Th. Gräf, Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg

Wie es in der Reihe des Arbeitskreises für Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit mittlerweile zehnjährige Tradition ist, verbindet auch der vorliegende Band aktuelle "große" Fragen der Frühneuzeitforschung mit dem Themenfeld Krieg und Militär, begriffen gleichermaßen als Äußerung wie als Agent und integraler Bestandteil von Herrschaft und sozialen Systemen in der Frühen Neuzeit.

Der Reigen wird mit "einleitenden Beobachtungen zum Verhältnis von horizontaler und vertikaler Mobilität in der kriegsgeprägten Gesellschaft Alteuropas im 17. Jahrhundert" aus der Feder des Mitherausgebers Matthias Asche eröffnet. Die problemorientierte Annäherung und die umfassende Kenntnis der neueren Literatur lassen indes diese "Beobachtungen" zu einer Revue des Forschungsstandes zum Thema über die Grenzen des langen 17. Jahrhunderts und über die Grenzen des deutschsprachigen Raumes hinaus geraten. Die folgende von Jochen Oltmer stammende Überblicksdarstellung mit ihrem Schwerpunkt in der späten Neuzeit fällt dagegen zwar etwas ab, macht aber implizit eindrucksvoll den Quantensprung deutlich, den die Nationalisierung des Militärs wie die Technisierung des Krieges im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts für den Bereich Militär und Migration mit sich gebracht haben. Allerdings lässt der Osnabrücker Migrationsforscher den insbesondere für das Militär der Frühen Neuzeit so wichtigen Aspekt der vertikalen, also der sozialen Mobilität völlig außer Acht.

Die folgenden dreizehn Beiträge gliedern sich in drei Blöcke. Zunächst werden von Ulrich Köchli unter der Überschrift "Mobilitätsfaktor Militär" die Zusammensetzung und Organisation des päpstlichen Heeres im 17. Jahrhundert untersucht, wobei in dieser gelungenen Skizze des päpstlichen Militärwesens der Ertrag für die Fragestellungen des Bandes begrenzt bleibt. Dies stellt sich in dem folgenden Beitrag von Herbert Langer zu den "Formen der Begegnung schwedisch-finnischer 'Nationalvölker' und Geworbener mit den Einwohnern Schwedisch-Pommerns" anders dar, denn dem Autor gelingt es, auf der Grundlage eigener Quellenstudien gewisse, in der Forschungsliteratur immer noch begegnende Mythen des schwedischen Militärs zu relativieren und vor allem den lebensweltlichen Dualismus zwischen einheimischer Bevölkerung und fremden, oft als exotisch empfundenen Besatzungssoldaten aufzuzeigen. Die folgende Studie von Vivien Costello und Matthew Glozier gibt wiederum einen knappen, nichtsdestoweniger nützlichen Überblick über den Umfang des hugenottischen Exodus nach der Aufhebung des Edikts von Nantes und die Rolle der Hugenotten in den Armeen der Republik der Vereinigten Niederlande, Großbritanniens, Brandenburg-Preußens, Dänemarks sowie Savoyen-Piemonts. Dabei kommt auch zur Sprache, dass die geschlossenen hugenottischen Regimenter in ihren "Gastländern" zunächst durchaus mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert und als elitär und geradezu spaltend angesehen wurden. Erst nachdem die geschlossenen Verbände aufgelöst worden waren, stiegen zahlreiche hugenottische Offiziere in die höchsten militärischen Ränge auf und wurden rasch assimiliert, wie an einigen individuellen Beispielen knapp skizziert wird. Am Beispiel ehemaliger Söldner in Straßburg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weist Hanna Sonkajärvi auf der Grundlage intensiver Quellenarbeit darauf hin, dass das Militär nicht allein einen wichtiger Mobilisationsfaktor im Sinne von Flucht und Vertreibung der Zivilbevölkerung darstellte, sondern auch eine erhebliche Rolle in der Binnenmigration zu Friedenszeiten spielen konnte. Denn viele abgedankte oder invalide Soldaten vom Land oder aus dem Ausland ließen sich nach ihrer Entlassung als "unerwünschte Fremde" in der Stadt nieder und beeinflussten das städtische Leben beträchtlich. Einen ganz unerwarteten Aspekt kann Daniel Krebs anhand seiner Untersuchung der in britischem Sold stehenden deutschen Söldner deutlich machen, die während des Unabhängigkeitskrieges in die amerikanische Gefangenschaft gerieten. Diese Kriegsgefangenen sollten nämlich ab 1782 über den Dienst in der Kontinentalarmee zu neuen Nationalbürgern werden. Der Kongress und das Board of War versuchten mit diesen militärischen Zwangsmigranten die Zentralmacht gegenüber den einzelstaatlichen und lokalen Loyalitäten unter den Revolutionären zu stärken. In Konsequenz vergrößerte also die Kriegsgefangenschaft die Mobilität der Soldaten, statt sie einzuschränken.

Den zweiten Block zur kriegsbedingten Migration der Zivilbevölkerung eröffnet Gundula Gahlen mit einer Untersuchung zum Einfluss des Dreißigjährigen Krieges auf die städtische Bevölkerung am Beispiel Perlebergs. Sie liefert damit gewissermaßen eine brandenburgische Variation zum Thema "Krise des 17. Jahrhunderts", indem sie nicht allein die Zeit des Krieges selbst, sondern die Zeit von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des Siebenjährigen Krieges anhand serieller Quellen, insbesondere der Kirchenbücher, aber auch von Steuer-, Einwohner- und Musterungslisten untersucht. Dabei kann sie einen deutlichen Bevölkerungsrückgang bereits vor dem Dreißigjährigen Krieg feststellen. Ein Trend, der vom sonst üblichen Regelbefund abweicht und durch den Krieg noch derart beschleunigt wurde, dass es bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes dauerte, bevor die Stadt etwa den Stand von 1560 wieder erreicht hatte. Das Beispiel eines hohenlohischen Amtes dient Frank Kleinehagenbrock, um das gängige Schreckensbild der unter der einquartierten Soldateska leidenden Bevölkerung zu modifizieren. Er kann zeigen, dass trotz aller objektiv vorhandenen Belastungen und Konflikte eine für beide Seiten erträgliche Lebenssituation entstehen konnte – vorausgesetzt, die lokale Obrigkeit und die Offiziere wirkten zusammen. Bedingung waren dabei stabile administrative Strukturen in der territorialen Verwaltung wie in der Armee. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Shin Demura in seiner Untersuchung zu den Fluchten der Landbevölkerung am Beispiel der Reichsstadt Ulm und ihrem Territorium. Weitgehend auf das oft und gern zitierte "Zeytregister" des Hans Heberle und die städtische Überlieferung gestützt zeigt er auf, dass nach meist eher kurzfristigen Fluchten in die Stadt im Zuge akuter militärischer Bedrohungen eine Rückkehr der Dorfbevölkerung auf das Land folgte, da sie dort für die Versorgung und Dienstleistungen für das Militär gebraucht wurde. Mit der Flucht von rund drei Vierteln aller elsässischen Welt- und Ordenspriester nach Ausbruch der Französischen Revolution beschäftigt sich Donatus Düsterhaus im letzten Beitrag dieses Blocks. Deren Exil im Reich bzw. in der Eidgenossenschaft und die Rückkehr von vier Fünfteln der 1803 noch lebenden Geistlichen sieht er als eine Ursache für deren hohes Ansehen, das sie in der Diözese Straßburg bis in das 20. Jahrhundert hinein behalten konnten.

Der letzte Block widmet sich schließlich der kriegsbedingten Migration der Zivilbevölkerung in den Zeiten nach den Kriegen. In seinem Beitrag führt Alexander Schunka überzeugend aus, dass die Rekatholisierungspolitik der Habsburger zwar die Auswanderungszahlen in die Höhe schnellen ließ, dass aber die "Glaubensflucht" oder "Kriegsmigration" nicht ein völlig neues Wanderungsgeschehen begründete, sondern im Grunde das längerfristig bestehende Migrationssystem zwischen den Habsburgerterritorien und Mitteldeutschland dadurch lediglich dynamisiert und perpetuiert wurde. In einer knappen Skizze weist anschließend Eberhard Fritz auf das Desiderat einer Untersuchung der Immigration aus den Alpenländern in den vom Dreißigjährigen Krieg besonders betroffenen Gebieten Württembergs und Oberschwabens hin. Der kaum zu überschätzenden Rolle des habsburgischen Militärs in der Besiedlungspolitik in dem nach 1686 von den Osmanen eroberten Ungarn widmet sich Marta Fata. Sie konstatiert einen Doppelgewinn, insofern mit der Ansiedlungspolitik einerseits ein Ventil für die Demobilisierung der im Verlaufe der Türkenkriege enorm angewachsenen Heere gefunden wurde und andererseits die Ressourcen für den habsburgischen "Kriegsstaat" damit gesichert und erheblich erhöht werden konnten. In seinem eher wissenschaftsgeschichtlichen Schlussbeitrag führt Hans-Christof Kraus den intensiven und lang anhaltenden kameralistischen Diskurs über Kriegsfolgen und Peuplierung bis zum Ende des 18. Jahrhundert auf die "spezifisch deutsche, ausgesprochen traumatische Kriegserfahrung" (S. 279) des Dreißigjährigen Krieges zurück.

Nur auf den ersten Blick scheint der Inhalt des Bandes insgesamt etwas disparat, und selbstverständlich sind chronologische und geographische Lücken zu beklagen. Insbesondere würden vergleichende Blicke in die Zusammenhänge zwischen Militär und Migration unter mehr oder minder andersartigen Herrschafts- und Sozialsystemen interessieren. Man denke etwa an die Vorgänge in den englisch-schottischen und spanisch-französischen Grenzgebieten oder etwa die kriegsbedingte Migration auf osmanischer Seite auf dem Balkan. Tatsächlich macht dieser Band jedoch mit seinen spezifischen Überblicksdarstellungen und insbesondere seinen vertiefenden, quellengestützten Detailstudien den Facettenreichtum des Themenkomplexes eindrucksvoll deutlich und liefert damit eine unabdingbare Grundlage für künftige Arbeiten in diesem Bereich.

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