P. Hallama: Zwischen Volksfront und Blockbildung

Titel
Zwischen Volksfront und Blockbildung. Die Wiener Tschechen und die KSC 1948-1952


Autor(en)
Hallama, Peter
Erschienen
Innsbruck 2009: StudienVerlag
Anzahl Seiten
216 S.
Preis
€ 26,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Blanka Koffer, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität Berlin

Die vor kurzem im Innsbrucker Studienverlag im Druck veröffentlichte Diplomarbeit von Peter Hallama beleuchtet einen bislang unbeachtet gebliebenen Teilaspekt der Geschichte der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (Komunisticka strana Ceskoslovenska, KSC): ihre Beziehung zur organisierten tschechischen Minderheit in Wien um 1950. Dazu sichtete Hallama eine beeindruckende Fülle an Archivalien und zeitgenössischen Periodika. Hinzu kommen Interviews mit einigen Zeitzeugen: Frantisek Buchal, Bedrich Docekal, Hans Marsalek, Otto Podolsky, Josef Pojar, Herta Soswinski und Irma Trksak.

In seiner Herangehensweise an diese heterogenen Quellen entscheidet sich der Autor für eine Kombination von institutionshistorischen und akteurszentrierten Ansätzen, wenngleich er dies im einleitenden Teil nicht explizit ausführt. Die "kommunistische Ideologie" soll "als methodischer Parameter" dienen (S. 12). Die Leserin fragt sich, ob damit ein diskursanalytischer Ansatz gemeint ist oder ob "der gemeinsame Leitgedanke" Kommunismus (S. 11) als rhetorisches Mittel interpretiert wird. Dieses Lavieren mag dem Forschungskontext geschuldet sein, in den Hallama seine Arbeit einordnet: Die deutsch- und tschechischsprachigen Debatten zur Geschichte der Tschechoslowakei (bis 1960 Ceskoslovenska republika, CSR), aus deren Zusammenhang der größte Teil der von Hallama diskutierten Arbeiten stammt, werden seit einigen Jahren von diskurstheoretischen Fragestellungen dominiert. Zu begrüßen ist Hallamas Berücksichtigung bislang nicht publizierter, die Diskussion potentiell durchaus bereichernder Abschlussarbeiten. Eine eingehendere Einbettung in die aktuelle transnationale Historiographie des Kalten Kriegs unterbleibt allerdings, was den Erkenntniswert der Studie sicher nicht schmälert, aber eine ihrer herausragenden Stärken unbetont lässt.

Hallama gliedert seine Analyse in drei Teile. Zunächst stellt er vier Institutionen seiner tschechisch-österreichischen Beziehungsgeschichte ausführlicher vor: die Internationale Abteilung des Zentralkomitees der KSC, das Tschechoslowakische Auslandsinstitut (Ceskoslovensky ustav zahranicni), das Außenministerium der tschechoslowakischen Regierung in Prag, die Gesandtschaft der Tschechoslowakei in Wien und die Tschechoslowakischen Sektionen der Kommunistischen Partei Österreichs. Laut Hallama seien gerade diese Organe im Hinblick auf die Vermittlung des Machtanspruchs der KSC im Milieu der Wiener Tschechen bedeutsam gewesen. Im Verlauf der Arbeit entsteht allerdings der Eindruck, dass es sich bei den genannten Institutionen schlichtweg um die offiziellen Ansprechpartner der KSC für die Wiener Tschechen handelte, nicht aber um zentrale "Akteure", wie die entsprechende Kapitelüberschrift suggeriert. Hallama selbst konzentriert sich nach diesen vergleichsweise ausführlichen Institutionenporträts auf andere Foren der Ideologievermittlung und Konfliktaustragung: den Tschechoslowakischen Zentralausschuss (Ceskoslovensky ustredni vybor ve Vidni), das Tschechische Herz (Ceske Srdce), die Vereinigung der Tschechen und Slowaken in Österreich (Sdruzeni Cechu a Slovaku v Rakousku), den Schulverein Komensky, den Sportverein Sokol, die Wiener Freien Blätter (Videnske svobodne listy) und die Wiener Minderheitsblätter (Videnske mensinove listy). In diesen selbsterklärt politischen wie unpolitischen Vereinen und Medien spielten sich die Auseinandersetzungen um Mehrheiten und öffentliche Aufmerksamkeit ab. Hallama schildert deren konkrete Ursachen und Verlauf sowie die neu entstandenen Interessengruppen und deren Verhältnis zueinander.

Dabei fallen einige terminologische Unschärfen auf: Wenn Hallama von "Akteuren" spricht, sind oft Institutionen gemeint, an anderen Stellen tauchen wiederum Personen als "Akteure" auf; eine Definition des Begriffes bleibt aus. Ähnlich verhält es sich mit "der KSC", der "Tschechoslowakei", "Prag" und "Wien". Um welche Gremien der Partei, welche Organisationen und Interessenskoalitionen innerhalb der tschechoslowakischen und österreichischen politischen Institutionen es sich jeweils handelt, lässt sich an einigen Stellen aus dem Kontext erschließen, an anderen nicht. Zudem bestärken diese verkürzenden Formulierungen, die offensichtlich den Lesefluss befördern sollen, den Eindruck der Geschlossenheit der Partei/der Regierung/der Ideologie. Der Aushandlungscharakter von Macht, der in Hallamas Arbeit insgesamt durchaus herausgearbeitet wird, wird an diesen Stellen ignoriert. Eine weitere Unschärfe ergibt sich aus dem Umgang mit den Zeitzeugeninterviews. Hallama grenzt in seiner Einleitung "Erfahrungsgeschichte" von "Realgeschichte" ab und erklärt damit seinen Verzicht auf die Methode der Oral History (S. 29): Im Folgenden dienen jedoch die Interviews als Belege für "echte" Ereignisse.

Die vielen Minibiographien, die sich im Haupttext und in den Fußnoten finden, sind zwar durchaus interessant, häufig stellt sich aber die Frage der Relevanz im Hinblick auf das eingangs klar formulierte Erkenntnisinteresse. Im Gegenzug fehlen einige Informationen, die den Text bereichert hätten, wie beispielsweise zur Funktion der Minderheitsfunktionäre und zur Popularität der genannten Exilorganisationen und -medien unter der Gesamtheit der Wiener Tschechen. Auch über die kurz erwähnten Reisen der Exiltschechen in die CSR zu Propagandazwecken sowie überhaupt über den "Kontakt [der Wiener Tschechen] zur `alten Heimat´" (S. 150-160) hätte die Leserin gern mehr erfahren.

Dennoch wird deutlich: Die Strategien der KSC, die eigene Machtposition zu sichern, beschränkten sich nicht nur auf die Tschechoslowakei. Peter Hallama zeigt, welche Rolle dabei die Exilorganisationen in Wien um 1950 einnahmen. Die entsprechenden Handlungen der Beteiligten sowie die mittel- bis langfristigen Auswirkungen der sich daraus ergebenden Konflikte auf das gesamte Beziehungsgefüge zeichnet Hallama eindrücklich nach. Indem er sich auf die überlieferten Auseinandersetzungen konzentriert, lassen sich die Interessen und Ressourcen der Beteiligten gut nachvollziehen. Ein Personenregister und Reproduktionen ausgewählter Dokumente vervollständigen die (bis auf die stellenweise störenden Parenthesen) angenehm lesbare Arbeit.

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