Titel
Confronting the Bomb. A Short History of the World Nuclear Disarmament Movement


Autor(en)
Wittner, Lawrence S.
Reihe
Stanford Nuclear Age
Erschienen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 15,83
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Baur, Geschichte des europäisch-transatlantischen Kulturraums, Universität Augsburg

Seit dem Beginn der Obama-Administration steht weltweite nukleare Abrüstung wieder explizit auf der Agenda internationaler Diplomatie. Auch wenn die tatsächlichen Fortschritte des am 8. April 2010 in Prag zwischen den USA und Russland unterzeichneten START-Folgeabkommens (New Start) unterschiedlich bewertet werden – in der Öffentlichkeit, so scheint es, hält sich die Debatte um die faktisch kaum veränderte Präsenz von Nuklearwaffen in Grenzen. Es ist aber gerade die Bedeutung einer kritischen und protestbereiten Zivilgesellschaft, die Lawrence S. Wittner in seinem neuen Buch „Confronting the Bomb: A Short History of the World Disarmamament Movement“ zurück in den Fokus der Aufmerksamkeit holt. Nach Hiroshima und Nagasaki wurden Nuklearwaffen außer in Tests nie wieder eingesetzt, auch die heißen Phasen des Kalten Krieges hat die Welt ohne einen atomaren Schlagabtausch überstanden. Die konventionelle Erklärung von „Friede durch Abschreckung“ greife aber, so schreibt Wittner in der Einleitung, bei weitem zu kurz. Ohne die Berücksichtigung einer Protestbewegung, die global Millionen von Menschen mobilisierte, können weder das Ausbleiben eines Atomskrieges noch die bekannten politischen Initiativen zur Rüstungsbegrenzung bzw. Abrüstung verstanden werden (S. xi-xii).

Wittners neues Buch bietet eine gut 200-seitige Zusammenfassung seines dreibändigen Hauptwerks „The Struggle Against the Bomb“, das mit seinen über 1.800 Seiten grundlegender Forschung eine der wichtigsten Referenzstudien zur Geschichte des Kalten Krieges ist.1 Darin hervorgehoben sind zwei Thesen: die internationalen Abrüstungs- und Atomwaffenkontrollverträge seien in erheblichem Maße auf das Engagement und den Protest der globalen Abrüstungsbewegung zurückzuführen, und die meisten Regierungsvertreter der Großmächte haben sich erst in Reaktion auf den öffentlichen Druck, nicht aber aus genuiner sicherheitspolitischer Überzeugung für Abrüstung entschieden. Dies hat Wittner die Kritik eingebracht, seine Darstellung sei teils überzeichnet und geprägt von binären Polaritäten (Volk-Regierung, gut-böse), die selbst für die Block-Konfrontation des Kalten Krieges überspitzt erscheinen. Ohne die wissenschaftliche Leistung in Frage zu stellen merkte etwa Holger Nehring an, dass Wittners historische Analyse mitunter von einem politischen Impetus geprägt sei.2

In gewisser Weise gilt dies auch für „Confronting the Bomb“, das Wittner mit einer Standortbestimmung in der Gegenwart beschließt, verbunden mit dem Aufruf, dass eine nuklearwaffenfreie Welt nur durch die tatkräftige Agenda einer globalen Graswurzelbewegung sowie internationalen, nicht nationalstaatlich geführten Initiativen erreicht werden könne (S. 221-225). Mögliche historische Bezugspunkte und Vorbilder dafür beschreibt er in den neun vorangehenden Kapiteln. Ausgangspunkt der Darstellung ist die Frühphase des 20. Jahrhunderts, über die Wittner pointiert bemerkt: „The Bomb had its critics long before it became a reality.“ (S. 1) Formen dieses Protestes, gerade im Zuge des amerikanischen Manhattan Projektes, kamen hauptsächlich von prominenten Exil-Wissenschaftlern wie Niels Bohr oder Max Born. Sie hatten die militärische Brisanz nuklearer Fission bereits früh erkannt und versuchten, wenn auch erfolglos, auf Roosevelt und Churchill einzuwirken.

Die Ursprünge einer eigentlichen Anti-Nuklearbewegung verortet Wittner in der unmittelbaren Zeit nach den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki im Sommer 1945. Unter dem Eindruck der Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges erhielten Stimmen nach einer Weltregierung zur gemeinsamen Friedenssicherung („One World or None“) international regen Zuspruch. In diesem Milieu fanden auch die Gegner der Atombombe einen Platz und begannen, sich weltweit zu organisieren. Hatten Forderungen nach Abrüstung unmittelbar nach Kriegsende noch politisches Gehör gefunden, so wies der sich verfestigende Ost-West-Gegensatz schon Ende der 1940er-Jahre in die entgegengesetzte Richtung – das nukleare Wettrüsten der beiden Supermächte USA und Sowjetunion begann. Auch in der öffentlichen Meinung der frühen 1950er-Jahre fanden pazifistische Stimmen eine immer geringere Aufmerksamkeit. Trotzdem wertet Wittner die überwiegende Ablehnung eines Atomwaffeneinsatzes (auch in Regierungskreisen) als einen Erfolg der frühen Abrüstungsbewegung (S. 49-51).

Die Entwicklung der Wasserstoffbombe führte ab Mitte der 1950er-Jahre zu einer Renaissance und Institutionalisierung des Protestes. Die britische „Campaign for Nuclear Disarmament“ (CND) ist nur eines der prominenteren Beispiele für Nicht-Regierungsorganisationen, die sich global für atomare Abrüstung stark machten und breiten öffentlichen Zuspruch erhielten. Deren Argumente kontrastiert Wittner (paradigmatisch für die Konzeption des Buches) mit den Reaktionen von Regierungen und Politikern, die sich zunächst ablehnend bis feindselig verhielten, dann aber dem öffentlichen Druck doch nachgeben mussten. Sowohl die Sowjetunion als auch die USA verhängten etwa 1958 Moratorien für Atombomben-Tests (S. 79-81).

Dieser Erfolg der Aufrüstungsgegner sollte zwar nur von kurzer Dauer sein – Anfang der 1960er-Jahre nahmen neben den USA und der Sowjetunion auch Frankreich, Großbritannien und China wieder oberirdische Atomwaffen-Tests auf und entwickelten neue Interkontinental-Raketen – aber im gleichen Atemzug organisierten sich die nationalen Protestbewegungen verstärkt auf internationaler Ebene, etwa in der „International Confederation for Disarmament and Peace“ (ICDP). In Folge der Kuba-Krise vom Oktober 1962 und des „Nuclear-Test Ban Treaty“ (August 1963) wurde die Abrüstungsbewegung dann zum „Opfer ihres eigenen Erfolgs.“ (S. 112) Im selben Maße, wie die beiden Supermächte USA und Sowjetunion sich von der unmittelbaren nuklearen Konfrontation entfernten, nahm auch das Mobilisierungspotential der sich siegreich fühlenden Atomwaffengegner ab.

Wittner argumentiert, dass die 1970er-Jahre zwar gemeinhin als Zeit der Entspannungspolitik gelten und die Abrüstungsgruppierungen einen deutlichen Mitgliederschwund zu verzeichnen hatten, diese aber dennoch institutionell mehr als nur überwinterten. Nur so sei zu erklären, dass sie Ende der 1970er-Jahre, im Zuge des Nato-Doppelbeschlusses und der Debatte um die Wiederbewaffnung der NATO-Streitkräfte in Europa, ein umso stärkeres Revival erfuhren (S. 139-140). Die frühen 1980er-Jahre charakterisiert Wittner als eine Zeit des Aufeinanderprallens der kriegswilligen „Falken“ (hawks) der „Establishment“-Seite, allen voran U.S.-Präsident Reagan, und den friedfertigen „Tauben“ (doves) der Friedensbewegungen. Das Buch findet hier seinen dramatischen Höhepunkt, im Vordergrund steht die Ereignisgeschichte der zahlreichen globalen Proteste (S. 174-176). Wittner betont dabei den unmittelbaren „Triumph“ der Abrüstungsbefürworter und die Folgen der Abrüstungsbestrebungen für den Kollaps der Sowjetunion. Damit widerspricht er Forschungsstimmen, die die Friedensbewegung der 1980er-Jahre zumindest an ihren kurzfristigen Zielen gemessen als gescheitert ansehen.3 Das letzte Wort in dieser Diskussion ist noch nicht gesprochen und kann wohl erst durch neuere Forschungen abgewogen werden.4

„Confronting the Bomb“ bietet einen prägnanten und schnell zu lesenden Einblick in die bewegte (Erfolgs-)Geschichte der internationalen Abrüstungs- und Friedensbewegung sowie ihre transnationalen Vernetzungen. Dabei bezieht Wittner immer auch die Konflikte mit der „Establishment“-Seite ein. Zu den Stärken des Buches zählt die Berücksichtigung der Proteste in der Sowjetunion sowie der divergierenden Rahmenbedingungen in Ost und West. Das Ergebnis ist ein globales Protest-Panorama des nuklearen Zeitalters. In bester angelsächsischer Tradition gelingt es Wittner, wissenschaftliche Sachverhalte verständlich darzustellen und so auch einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen. Eine deutsche Übersetzung ist sicher wünschenswert.

Gleichzeitig wird die Kürze der Darstellung der Komplexität und Spannbreite des Themas nicht immer gerecht. Mehr als eine Einführung in die Ereignisgeschichte bietet das Buch kaum. Forschungsdiskussionen sind selbst in Ansätzen ausgeklammert, Fuß- oder Endnoten sowie ein Literatur- und Quellenverzeichnis fehlen leider komplett. Dies ist auch der Grund, warum Wittners leitmotivischer These vom binären Konflikt zwischen Establishment und Anti-Establishment letztlich der argumentative Unterbau fehlt. Eine differenzierte Diskussion und vor allem vielseitige Kontextualisierung (zum Beispiel durch die Berücksichtigung populärkultureller Auseinandersetzungen mit der Bombe) muss selbst in einer Einführung nicht zu kurz kommen. Der wissenschaftliche Leser dürfte deswegen wohl größeres Interesse an Wittners unübertroffenem Hauptwerk „Struggle Against the Bomb“ finden.

Anmerkungen:
1 Lawrence S. Wittner, The Struggle Against the Bomb, Band 1: „One World or None“ (1993); Band 2: „Resisting the Bomb“ (1997); Band 3: „Toward Nuclear Abolition“ (2003), Stanford 1993/1997/2003.
2 Vgl. Holger Nehring: Rezension zu: Wittner, Lawrence S.: Toward Nuclear Abolition. A History of the World Nuclear Disarmament Movement, 1971 to the Present. Stanford 2003, in: H-Soz-u-Kult, 03.07.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-007> (21.05.2010). Auch Benjamin Ziemann ist sehr kritisch in der Einleitung des von ihm herausgegeben Sammelbandes: Peace Movements in Western Europe, Japan and the USA during the Cold War, Essen 2007, S. 17f.
3 Vgl. u.a. Helmut F. Dräcker, Warum die Friedensbewegung scheitern musste. Gedanken zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen 1980-1984. Frankfurt am Main 1985; Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1982-1989/90, München 2006, S. 105f.
4 Vgl. als Einstieg in die Forschungsdiskussion das Portal „Nuclear Crisis“ <http://www.nuclearcrisis.org/> (21.05.2010).

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