F. G. Hirschmann: Die Stadt im Mittelalter

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Titel
Die Stadt im Mittelalter.


Autor(en)
Hirschmann, Frank G.
Reihe
Enzyklopädie deutscher Geschichte 84
Erschienen
München 2009: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
XII, 146 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heidrun Ochs, Historisches Seminar III, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Für das Thema „Stadt im Mittelalter“ fehlte lange Zeit eine neuere knapp gefasste Überblicksdarstellung. Mit den Arbeiten von Felicitas Schmieder und von Bernd Fuhrmann liegen seit 2005 bzw. 2006 zwei solche vor.1 Sie werden durch den Band von Frank G. Hirschmann in der Reihe „Enzyklopädie deutscher Geschichte“, der hier anzuzeigen ist, sinnvoll ergänzt, da er das Thema mit eigenem Zugriff und Schwerpunkt behandelt. Seiner Darstellung liegt (implizit) jener Stadtbegriff zugrunde, wie ihn der Verfasser und Monika Escher entwickelt haben 2, ein Stadtbegriff, der wesentlich auf Zentralitäts- und Urbanitätskriterien fußt. Sein Anliegen ist es dabei, die zeitlichen und räumlichen Ausprägungen der Aspekte aufzuzeigen, um so die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Städte von der Nordsee bis zum Alpenraum sowie von der Atlantikküste bis nach Polen deutlich zu machen.

Der erste Teil des Bandes – der enzyklopädische Überblick – umfasst 55 Seiten. Hirschmann beginnt ihn mit einem konzisen Überblick über die Entwicklung des Städtewesens von der Antike bis zum Spätmittelalter (S. 1–20). Den Schwerpunkt bilden die topografische und kommunale Entwicklung, wobei er die verschiedenen Ansatzpunkte und Faktoren der Stadtentstehung sowie die doch recht unterschiedlichen Konstellationen und Verläufe der Kommunebewegung anhand der gewählten Beispiele prägnant aufzeigt. Die Beschreibung der so entstehenden Städtelandschaften und der Verteilung der Städte in Europa sowie ein Überblick über die Einwohnerzahlen und die Größe der städtischen Areale ordnen das Phänomen Stadt in die mittelalterliche Lebenswelt ein. Mit der ummauerten Fläche wird zudem die Bedeutung der Mauer gestreift: Sie hatte militärische und begrenzende Funktionen für die mittelalterliche Stadt und ist eines ihrer charakteristischen Merkmale.

Politische und soziale Strukturen (S. 20–31) werden in einem relativ kurzen Kapitel thematisiert, das die Schwerpunkte auf neuere Aspekte der Stadtgeschichtsforschung legt. In Grundzügen werden Ratsverfassung und innerstädtische Auseinandersetzungen dargestellt, bevor der Verfasser ausführlich auf Ausdrucksformen der Autonomie und Kommunikationsinstrumente der Gemeinde (unter anderem Siegel, Glocken, Belfriede und Rolande) sowie auf (multifunktionale) Elemente der städtischen Infrastruktur (Brücken, Hospitäler, Kirchen, Kirchhöfe und Frauenhäuser) eingeht. Die städtische Gesellschaft allerdings wird mit den gewählten Gruppen der Bruderschaften, Zünfte und Juden zu speziell behandelt.

Das Verhältnis der Städte zum Königtum und den Partikulargewalten steht im Mittelpunkt des folgenden Kapitels (S. 31–37). Auf der Grundlage der Einteilung der Städte in Reichsstädte, Freie Städte und Landstädte werden das Verhältnis und die Funktionen der unterschiedlichen Typen zu bzw. für König, Bischöfe und übrigen Landesherren beschrieben (Rechtstitel, Residenzen, Ständeversammlungen).

Mit den nächsten Kapiteln wird die Stadtgrenze überschritten und die Stadt in ihr außerstädtisches Beziehungsnetz eingeordnet. Zunächst geht es dabei um Formen und Ziele zwischenstädtischer Kommunikation (S. 37–42). Städtebünde und die Hanse, deren Entwicklung, Zielsetzungen und Handeln beschrieben werden, dienen hier als Beispiele. Aus zentralörtlicher Perspektive werden vor allem die wirtschaftlichen (S. 42–49) und kultisch-kulturellen (S. 49–51) Aspekte der Stadtgeschichte behandelt. Dem Markt kommt im Zusammenhang der Stadtwerdung eine zentrale Funktion zu, seine Spezialisierung und Häufigkeit können die Bedeutung der Stadt ebenso anzeigen wie etwa auch Münzstätten in städtischer Hand. In gewerblicher Hinsicht sind vor allem das städtische Metall-, Tuch-, Bier- und Papiergewerbe für die Ermittlung des Bedeutungsüberschusses der Städte von Interesse sowie der Bergbau, der zwar außerhalb der Stadt, aber mit städtischem Kapital betrieben wurde und somit eng mit der Stadt verbunden war. Die sakrale Ausstattung der Stadt hingegen ist nur bedingt ein Indikator für die Bedeutung der Stadt. Die Anzahl an Pfarreien, Klöstern, Kollegiatstiften und Bettelorden konnte ebenso unterschiedlich sein wie das Verhältnis der jeweiligen Institutionen zu den Städten. Unbestritten ist die Rolle der Städte als Bildungszentren, angefangen mit Aachen als Zentrum der karolingischen Renaissance über die Dom- und Stiftsschulen bis hin zu den Universitäten, die seit dem 14. Jahrhundert von weltlichen und geistlichen Territorialherren und schließlich auch von Städten gegründet wurden.

Der zweite reihentypische Teil des Bandes „Grundprobleme und Tendenzen der Forschung“ konzentriert sich nach einem Überblick über die Literatur- und Quellenlage (S. 55–61) zunächst auf Definition und Typologisierungen der mittelalterlichen Stadt. Der Verfasser zeigt die ausführliche und schwierige Diskussion um den Stadtbegriff auf (S. 61–70). Er ordnet die vielfältigen Definitionsvorschläge in den jeweiligen Forschungskontext ein und konstatiert schließlich, dass „der kombinierte Stadtbegriff mit einem mehr oder weniger ausdifferenzierten Kriterienbündel […] heute weitestgehend als Konsens der Forschung erachtet werden“ (S. 67) kann, der die Grundlage für den von Hirschmann und Escher entwickelten Stadtbegriff bildet. Ausgehend von der Definition der Stadt im Rechtssinn von Max Weber haben die Stadtrechte lange Zeit eine zentrale Rolle (S. 70–75) gespielt. Ihre Bedeutung wird in letzter Zeit relativiert, da eine Verleihung von Stadtrechten nicht immer mit einer Differenzierung in Wirtschaft und Gesellschaft einherging und die Siedlung nicht zwangsläufig städtischen Charakter aufwies. Gerade im Zusammenhang mit der Frage der Abgrenzung von Dorf und Stadt und einem der neueren Forschungsfelder im Rahmen der Stadtgeschichte, den kleinen und mittelgroßen Städten (S. 77–80), denen sich die Forschung seit etwa 1990 verstärkt zuwendet, wird die Bedeutung der Stadtrechtsverleihungen neu diskutiert. Die Stadtrechte werden nicht mehr unbedingt als Versuch einer Stadtgründung gedeutet, sondern vielmehr als Instrument der Territorialpolitik.

In weiteren Kapiteln wird der Forschungsstand zu verschiedenen Stadttypen (S. 75–77), zum Thema Stadt und Kirche (S. 80–83) sowie zur Demografie (S. 83) referiert und in einem Überblickskapitel (S. 84–94) der Stand weiterer Forschungsgebiete knapp skizziert (Frauen in der Stadtgeschichte, Juden, Lombarden, Randgruppen, Kommunikation und Öffentlichkeit, Stadt und Umland, Migration, Infrastruktur, Verteidigungswesen, Hospitäler, Städtebünde, Hanse, Bruderschaften/Zünfte, Stadt und Residenz, Geschichtsschreibung, Bürgerbücher und Städtelandschaften). Der Band schließt mit einer umfangreichen Bibliografie (S. 95–129).

Entlang der Zentralitäts- und Urbanitätskriterien entwickelt Hirschmann die Geschichte der mittelalterlichen Stadt. Dabei werden zwar sozialgeschichtliche Aspekte nur angedeutet, und manche für Studienanfänger wichtige Erklärungen oder Einordnungen fallen sehr knapp aus. Doch das ist sicher angesichts der vom Umfang beschränkten Bände eine notwendige Einschränkung und gewollte Schwerpunktsetzung, da die mittelalterliche Stadt in ihrer räumlich und zeitlich differenzierten Form beschrieben werden soll; denn: „Die Geschichte der Stadt im Mittelalter erweist sich also tatsächlich als Geschichte der Städte im Mittelalter, da sich dieses Phänomen außerordentlich vielfältig gestaltet“ (S. XI). Hier liegt eine der Stärken des Bandes, der auf diese Weise manch zu grobe Zeichnung vermeidet und trotz des knapp bemessenen Raumes die Vielfältigkeit des Städtewesens aufzeigen kann.

Anmerkungen:
1 Felicitas Schmieder, Die mittelalterliche Stadt, Darmstadt 2005; Bernd Fuhrmann, Die Stadt im Mittelalter, Stuttgart 2006.
2 Monika Escher / Frank G. Hirschmann: Die urbanen Zentren des hohen Mittelalters. Vergleichende Untersuchungen zu Städten und Städtelandschaften im Westen des Reiches und in Ostfrankreich, 3 Bde., Trier 2005.

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