M. Eggert: Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie

Titel
Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie.


Autor(en)
Eggert, Manfred K.H.; Samida, Stefanie
Reihe
UTB Basics
Erschienen
Tübingen 2009: UTB
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Stöllner, Ur- und Frühgeschichte, Ruhr-Universität Bochum

In den vergangenen Jahren ist es innerhalb der deutschen Ur- und Frühgeschichte vor allem M.K.H. Eggert zu verdanken, dass uns zeitgemäße Einführungen zur Verfügung stehen, die das Studium der Ur- und Frühgeschichte begleiten.1 Dies ist den neuen Studiengängen geschuldet, die im Zuge des Bologna-Prozesses gegliedert in eine Bachelor- und Masterphase eingeführt wurden. Sie verlangen eine Straffung der Lehrpläne, die für Student/innen eine bisweilen übergroße Fülle an Veranstaltungen mit sich bringen. Die bis weit in die 1990er-Jahren benutzte Einführung von Hans Jürgen Eggers (1906-1975) schien schon allzu lange nicht mehr ausreichend, den ungeheuren Wissensbestand der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie zeitgemäß abzubilden.2 Bevor wir uns mit dem vorliegenden Buch näher befassen wollen, scheint mir es daher angezeigt, einige Bemerkungen zum Sinn solcher Einführungen voranzustellen: Wie muss eine zeitgemäße Einführung in unser Fach aussehen? Was ist ur- und frühgeschichtliche Archäologie heute? Heute haben sich in der Regel überdisziplinäre Grundstudien etabliert, die sich als „Archäologien“, als „Altertumswissenschaften“ oder als „Archäologische Wissenschaften“ verstehen. Die ur- und frühgeschichtliche Archäologie wird somit stark in das Feld ihrer Nachbardisziplinen eingebettet. Sie bekommt daher zwangsläufig ein stärker transdiszplinäres Gesicht. Muss sich die prähistorische Archäologie zwangsläufig stärker abgrenzen? Ich denke nicht, da gerade in dieser fachübergreifenden Auseinandersetzung große Chancen liegen. Dass Ähnliches seit langem innerhalb der Naturwissenschaften praktiziert wird, ist uns heute selbstverständlich. Es hat den durchaus eigenständigen Zweig einer Archäometrie, einer naturwissenschaftlichen Archäologie, entstehen lassen. Neben dieser universitären Realität bleibt auch die zunehmend globale Perspektive der prähistorischen Archäologie zu berücksichtigen. Sie hat im angloamerikanischen Wissenschaftsraum schon längst ihren Widerhall in entsprechenden Einführungen und in der Forschung gefunden.3 Sie klingt auch in der vorliegenden Darstellung mit der immanent „Eggert’schen“ Vorliebe für Afrikaarchäologie und dem Verweis auf Ethnologie und einer kulturenübergreifenden Kulturanthropologie an. Dennoch bleibt diese Einführung – und zwar in allen Teilbereichen – aus der Perspektive der deutschen (nicht einmal der deutschsprachigen) Forschung geschrieben. Das ist ihr größter Nachteil. Sie spiegelt sich in der Debatte um die Forschungsgeschichte (S. 15-28) ebenso wie etwa in der Auswahl der Kapitel in „Aus der archäologischen Forschung“ (S. 151-266). Eine europäische oder gar globale Perspektive wird kaum angeboten. Als Beispiel sei nur das Fehlen eines Verweises auf Moriz Hoernes (1852-1917) als erstem deutschsprachigen Ordinarius des Faches in Wien erwähnt, dessen grundlegende, fachbezogene Auseinandersetzung sehr wohl auch in die deutsche Vor- bzw. Ur- und Frühgeschichte gewirkt hat. Auch ein Aufruf zur grundsätzlichen Auseinandersetzung mit nomadischen Lebensweisen kann nur unter einer explizit deutschen Sichtweise begriffen werden, denn diese Debatte wird im französischen, russischen und angloamerikanischen Wissenschaftsraum unter Beteilung auch deutscher Archäologen und Archäozoologen intensiv geführt (S. 222). Diskussionen, wie sie entweder nicht bekannt oder für die Erstellung des Textes ignoriert wurden.

Nicht weniger erstaunt der eng disziplinäre Zugang in die Realität der Archäologien: Es wird nur von jenen Forschungstraditionen gesprochen, die sich universitär etabliert haben. Dies scheint mir ein exklusiver Blick aus dem universitären Elfenbeinturm: Wer die heutige Forschungslandschaft innerhalb Europas und Deutschlands betrachtet, der findet zahlreiche Beispiele thematischer Archäologien, die sich bestimmten Forschungsfragen thematisch und diachron annehmen. Hier liegt nicht nur der Kern einer maritimen oder nautischen Archäologie, einer Montanarchäologie oder auch jener Institutionen, die sich bestimmten Habitaten und Lebensräumen (Arktis, Hochgebirge, Wüsten) angenommen haben und diese diachron und außeruniversitär erforschen. Auch universitär etablierte Nachbarfächer wie die Archäobotanik oder die Archäozoologie haben hier letztlich den Kern ihrer eigenen Disziplin jenseits des „hilfswissenschaftlichen“ Zuarbeitens gefunden. Diese Teilfächer haben auch in spezifischen Arbeitsfeldern der Museen und Denkmalinstitutionen ihre Berücksichtigung gefunden. Wäre es nicht an der Zeit gewesen, auch die ur- und frühgeschichtliche Archäologie in diesem Sinne erweitert zu betrachten?

Abseits dieser grundsätzlichen Wertung setzt sich das Buch dennoch mit zahlreichen auch aktuellen Themen auseinander und bietet viel Nützliches für eine Einführung: Es bietet neben der Definition und Abgrenzung des Faches (S. 5-12) und seiner „deutschen“ Forschungsgeschichte (siehe oben) (S. 13-28) die Grundzüge einer fachspezifischen Methodik (S. 28-90). Dieser Teil ist sicherlich sehr gelungen und in Teilen aus der älteren Version von 2001/2008 weiter entwickelt. Warum neben den traditionellen Quellengruppen Grab, Hort, Siedlung und Einzelfund nicht weitere Quellen besprochen werden, erschließt sich ebenso nicht: Sind Werkplätze wie Schmieden oder Bergwerke nicht längst gut erforscht und in ihren Spezifika bewertet? Gibt es keine archäologische Wegeforschung bzw. spezifische Quellen dazu, mag man fragen?

Nach einer Diskussion über Grundbegriffe (S. 91-106) wird ein Epochenüberblick (S. 107-118) referiert sowie eine Diskussion der Nachbarwissenschaften (S.119-150) angeboten. In vielem haben sich hier persönliche Sichtweisen eingeschlichen: Einerseits die disziplinäre Sichtweise, denn weder betreibt die klassische Archäologie heute nur noch eine Archäologie der Griechen und Römer (so S. 127), noch beschäftigt sich die christliche Archäologie mit der Christianisierung Skandinaviens, selbst wenn dies in disziplinärer Auffassung passen könnte (S. 131). Anderseits auch die unreflektierte Übernahme von absoluten Zeitansätzen, wie etwa zum Ende der Phase Latène D1, wo es durchaus auch andere Ansätze gibt (siehe etwa Tabelle S. 113).

Dass sich das Kapitel 7 „Aus der archäologischen Forschung“ als unter deutscher Perspektive geschrieben erweist, wurde schon diskutiert. Das ist nicht weiter problematisch, sollte aber gekennzeichnet werden. Ärgerlicher sind dagegen Ausklammerungen wichtiger internationaler Diskussionen zu bestimmten Fragen, etwa des französischen Strukturalismus zur Debatte der eiszeitlichen Felsbildkunst (S. 162f.). Des Weiteren mag man Seitenhiebe auf Kollegen unangebracht finden (zum Beispiel auf J. Lüning’s Missionarsmodell S. 183f., oder die erste, letztlich aber irrelevante Fehldatierung des „Ötzi“ durch K. Spindler S. 191f.).

Schließlich muss auf zwei bisher ausgeklammerte Bereiche des Buches eingegangen werden, die zunächst äußerst verdienstvoll erscheinen: Die Diskussion um „Grundbegriffe“ (S. 91-106) und den „kulturwissenschaftlichen Leitkonzepten“ (S. 267-287). Man müsste fragen, ob es nicht besser wäre, beide Kapitel zusammenzunehmen, denn in beiden Abschnitten werden konzeptionelle Fragen unter theoriebezogenem Hintergrund erläutert. Dass sie bei Eggert und Samida stark ethnologisch und kulturanthropologisch ausgerichtet sind, überrascht nicht und ist zu begrüßen. Phasenweise aber hat man den Eindruck, dass das Vorgetragene eher zur Durchsetzung des eigenen theoriebetonten Ansatzes dient, als wirklich immer an Bachelorstudenten gerichtet ist. So wird etwa dem unbestreitbar wichtigen Thema „kulturelles Wissen“ sehr großer Raum gegeben (S. 270-278). Dagegen ist das Thema „Mensch und Umwelt“, jener durch die Archäologie heute am stärksten untersuchter Forschungsgegenstand, unterrepräsentiert. Es fehlt beinahe jeder Verweis auf Rohstoff- und Wirtschaftsfragen, Paläoökologie nur als System der Ausbeutung und Anpassung zu begreifen, wie in einer Umweltarchäologie, greift meines Erachtens zu kurz. Vor allem die Debatte um den Raum (als Kultur- und Naturraum) als kulturspezifische Konstante, ein altes Thema nicht nur in der Archäologie sondern auch zum Beispiel Humangeografie oder Geschichte, wird nicht verfolgt. Dabei ist gerade der Raum und seine kulturelle Prägekraft im kulturwissenschaftlichen Diskurs als gleichrangiges kulturwissenschaftliches Leitkonzept anzuerkennen.4

Abschließend widmet sich das Buch höchst verdienstvoll den Studienstrukturen und Berufsaussichten des ur- und frühgeschichtlichen Archäologen (S. 287-310): Hier sind viele wichtige Anmerkungen gemacht, etwa der Umgang mit sogenannten „Paraarchäologien“ oder der Rezeption von Archäologie in den Medien. Hier hätte man sich (siehe oben) eine Auseinandersetzung mit einer fächerübergreifenden Methodenausbildung in den „Archäologien“ gewünscht. Das stärker methodenorientierte Grundstudium in der Bachelorstufe fordert dazu ja geradewegs heraus. Auch fehlt ein Verweis auf das sogenannte Zwei-Fach-Bachelor-Studium, das vielerorts für die Studierenden eine zusätzliche berufliche und fachliche Perspektive eröffnet. Auch zusätzliche Masterqualifikationen wie Geoarchäologie oder Wirtschafts- und Rohstoffarchäologie haben in einem solchen Modell ihre Berechtigung: Sie helfen, breitere Kenntnisse für den jeweils eigenen Weg in das Berufsfeld „Archäologien“ zu erwerben. Denn, es sind immer die persönlichen Nischen und Fähigkeiten, die es jungen Kolleg/innen ermöglichen, ihren eigenen Weg im Fach zu gehen.

Das vorliegende Buch ist als Einführung durchaus zu empfehlen, doch sollten jene, die es benutzen, die besonderen Perspektiven der Autoren berücksichtigen, die den Anspruch dieser Einführung dann doch relativieren.

Anmerkungen:
1 M.K.H. Eggert, Prähistorische Archäologie: Konzepte und Methoden, Tübingen 2001; M. Trachsel, Ur- und Frühgeschichte: Quellen, Methoden, Ziele, Zürich 2008.
2 H.J. Eggers, Einführung in die Vorgeschichte, München 1959.
3 Z.B. B.M. Fagan, Peoples of the Earth. An Introduction to World Prehistory 9, New York 1998.
4 Z.B. F. Braudel, Geschichte und Sozialwissenschaften. Die longue durée, in: Claudia Honegger (Hrsg.), Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zu einer systematischen Aneignung historischer Prozesse, Frankfurt am Main 1977, S. 47-85; C. Bartels / C. Küpper-Eichas (eds.), Cultural Heritage and Landscapes in Europe. Landschaften: Kulturelles Erbe in Europa. Proc. Internat. Conf. Bochum 2007.

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