L. Grossmann: Roms Samnitenkriege

Cover
Titel
Roms Samnitenkriege. Historische und historiographische Untersuchungen zu den Jahren 327-290 v. Chr.


Autor(en)
Grossmann, Lukas
Reihe
Reihe Geschichte 1
Erschienen
Düsseldorf 2009: Wellem Verlag
Anzahl Seiten
X, 201 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Kuhlmey, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Immer wieder ist in der Forschung die Kritik zu vernehmen, dass bestimmte Bereiche der Geschichtswissenschaft bevorzugt, andere hingegen stark vernachlässigt werden – eine Kritik, die auch Lukas Grossmann am Anfang seiner nun in Publikation vorliegenden Dissertation aus dem Jahr 2007 für den Bereich der Samniten konstatiert. Bewusst nimmt er sich deshalb in seinen historischen und historiographischen Untersuchungen der Jahre 327 bis 290 v.Chr. ein vor allem in der hiesigen Forschung stiefmütterlich behandeltes Thema vor: Roms Samnitenkriege. Da das zur Verfügung stehende Quellenmaterial, welches neben Livius auch Fragmente des Cassius Dio, Diodor sowie Dionysios von Halikarnassos umfasst, eine gleichmäßige intensive Analyse nicht zulässt, konzentriert sich Grossmann auf eine punktuelle Untersuchung zu verschiedenen Ereignissen, von denen er sich grundlegend neue Erkenntnisse verspricht. Er verfolgt dabei das Ziel, neben der Rekonstruktion der Abläufe auch allgemeine Erkenntnisse zum Charakter des römisch-samnitischen Konfliktes und eine Bewertung der Glaubwürdigkeit der erhaltenen Quellen zu erreichen (S. 2). Besonderen Wert legt er dabei auf die kritische Analyse der antiken Texte; zudem betrachtet er die Frage, inwiefern die vorliegenden Zeugnisse, bei denen es sich ohne Ausnahme um Sekundärquellen handelt, durch spätere Traditionen inhaltlich an Authentizität einbüßen.

Als Einleitung gibt Grossmann einen Überblick zur aktuellen Forschungslage über die Samniten. Darüber hinaus wird in einer zwangsläufig groben Zusammenfassung die innenpolitische Situation in Rom im von ihm bearbeiteten Zeitraum kurz dargestellt, weil sich die im Blickpunkt stehenden außenpolitischen Handlungen nicht hinreichend ohne diese erklären lassen. Aber nicht nur die römische Seite wird betrachtet, Grossmann behandelt auch den Gegenpart, die „samnitische Liga“ (S. 21).1 Er berücksichtigt dabei sowohl die Lebensweise als auch die politische Organisation der Samniten – eine nicht nur sinnvolle, sondern überaus hilfreiche Maßnahme, die zum vertieften Verständnis der dann folgenden Quellenanalyse beiträgt.

In dieser Analyse geht Grossmann die Texte aber nicht Satz für Satz an, sondern erkennt wichtige Schlüsselpunkte der jeweils beschriebenen Situation, fasst diese unter einem Oberbegriff zusammen und kommt so am Ende unter Einbeziehung aller Erkenntnisse zu einem klaren Fazit. Beispielhaft lässt sich dies am ersten behandelten Ereignis, dem Beginn der Auseinandersetzungen zwischen Rom und den Samniten, darstellen, dessen Schilderungen in den Quellen von erheblichen Widersprüchen gekennzeichnet sind. Grossmann geht dabei zuerst der Frage der Lokalisation der älteren Siedlung nach, und klärt die unterschiedlichen Namensnennungen (Neapel oder Palaepolis) bei Livius auf:2 Unter Bezugnahme auf archäologische Quellen kann er so nachweisen, dass es sich um zwei eigenständige Orte gehandelt hat, von denen Neapel der ältere war.3 Erst im Anschluss daran widmet er sich der Frage der Gesandtschaften und den verschiedenen Verhandlungsgruppen. Darauf folgt die Analyse zur Diskrepanz der Datierung des Kriegsbeginns in den Quellen (327 oder 326 v.Chr.). Grossmann interpretiert die Angaben der Autoren dahingehend, dass zwar zumindest auf römischer Seite eine längere Vorbereitung nachweisbar ist, der eigentliche Beginn aber nach dem Abbruch der Verhandlungen am Ende des Jahres 327 v.Chr. in das Jahr 326 v.Chr. fällt (S. 50f.). Neben diesem Punkt zum Kriegsbeginn finden sich im Werk noch Untersuchungen zur römischen Niederlage bei Caudium (321 v.Chr.), zu den Zwischenjahren (hier insbesondere dem Zeitraum 316–314 v.Chr.), zu ausgewählten Ereignissen der Jahre 311 und 306 v.Chr., zum antirömischen Bündnis und zur Schlacht bei Sentinum (296 und 295 v.Chr.) sowie zum Feldzug des Fabius Gurges und dem Amtsjahr des Postumius Megellus (292 und 291 v.Chr.). In allen Analysen nähert sich Grossmann in einer detaillierten Vorgehensweise den antiken Autoren und überprüft kritisch deren unterschiedliche Angaben. Zusätzlich hervorzuheben ist, dass Grossmann, wo immer möglich, auch Bezug auf in der Forschung bestehende Diskussionen nimmt. Allerdings wäre hier in Einzelfällen eine noch etwas konkretere Benennung wünschenswert gewesen, die mehr als eine allgemeine Formulierung enthält, und klar nachvollziehbar die unterschiedlichen Meinungen einzelnen Forschern zuordnet (so unter anderem S. 78).

In einem abschließenden Resümee fasst Grossmann die gewonnenen Erkenntnisse zusammen und konstatiert, dass die Zuverlässigkeit der Quellen „in vielerlei Hinsicht problematisch und wohl entscheidend von der Spätannalistik geprägt – und verfälscht – worden ist“; dennoch findet sich bei den antiken Autoren immer ein übereinstimmendes Grundgerüst, welches für historisch gehalten werden kann; Eigenheiten und kompositorische Gestaltung verschleiern aber häufig den vermutlichen wahren Ablauf bzw. sorgen für eine missverständliche oder parteiische Darstellung (S. 175).

Neben dieser schlüssigen und methodisch guten Analyse, die eine durchgehend konsequente Anwendung findet, sind es aber vor allem Grossmanns Erkenntnisse zum Charakter des römisch-samnitischen Konflikts, die von Bedeutung sind. Grossmann sieht in der von ihm bearbeiteten Periode auch einen wichtigen Ausgangspunkt auf dem Wege Roms zu einer Großmacht. Allerdings plädiert er bei der Betrachtung der Samnitenkriege für einen größeren, weniger auf ausgewählte Ereignisse fokussierten Blickwinkel; ein Ansatz, der durch die einhellige Quellenlage unterstützt wird: Dort findet die moderne Einteilung in mehrere Kriege keinen Widerhall.4 Er wendet sich damit beispielsweise gegen die in der bisherigen Forschung vorherrschende Überhöhung der Bedeutung der Schlacht von Sentinum, eine Position, die etwa Oakley, Cornell oder Forsythe vertreten.5 Die Schlacht sei zwar wichtig, aber keineswegs kriegsentscheidend gewesen sei (S. 178).

Grossmann macht ebenfalls deutlich, dass die Hartnäckigkeit, mit der Rom Feldzüge gegen Samnium führte, nicht einer längerfristigen Eroberungsstrategie folgte, sondern durch die innenpolitischen Umwälzungen in der römischen Aristokratie motiviert waren. Besonders die Konsuln standen unter erheblichem Erfolgsdruck, und der Senat hatte noch nicht die dominierende und regulierende Stellung späterer Jahre. Mit diesem interessanten Ansatz kommt Grossmann zu einem besseren Verständnis der politischen Gepflogenheiten in dieser Phase der Republik und klärt schlüssig den Charakter der römischen Eroberungs- und Expansionspolitik in Italien.

Grossmanns detaillierte Quellenanalysen und die Neubewertung der Ereignisse stellen einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Forschung dar, zumal die letzte große Monographie zu den Samniten von Salmon schon mehrere Jahrzehnte alt ist 6 und neuere Untersuchungen zu diesem Bereich eher die archäologischen Aspekte beleuchten.7 Das Werk bildet somit einen guten Ausgangspunkt für weitere Forschungen zu den römisch-samnitischen Beziehungen.

Anmerkungen:
1 Zur Problematik des Begriffs und zur aktuellen Forschungsdiskussion vgl. auch S. 21, Anm. 105.
2 Liv. 8,22,5
3 Entgegen der Annahme von Marianne Elster, Die Gesetze der mittleren römischen Republik. Text und Kommentar, Darmstadt 2003.
4 Z.B. Liv. 7,29,2
5 Stephen P. Oakley, A Commentary on Livy. Books VI–X, Bd. 4: Book X, Oxford 2005, S. 268; Gary Forsythe, A Critical History of Early Rome, Berkeley 2005, S. 330; Tim J. Cornell, The Beginnings of Rome. Italy and Rome from the Bronze Age to the Punics Wars, London 1995, S. 352.
6 Edward T. Salmon, Samnium and the Samnites, Cambridge 1967.
7 Unter anderem Gianluca Tagliamonte, I Sanniti. Caudi, Irpini, Pentri, Carricini, Frentani, 2. Aufl., Milano 2005 (1. Aufl. 1996).

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