H. M. Cotton u.a. (Hrsg.): From Hellenism to Islam

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Titel
From Hellenism to Islam. Cultural and Linguistic Change in the Roman Near East


Herausgeber
Cotton, Hannah M.; Hoyland, Robert G.; Price, Jonathan J.; Wasserstein, David J.
Erschienen
Anzahl Seiten
XXX, 481 S.
Preis
£ 65,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Muriel Moser, Faculty of Classics, University of Cambridge

Dass die Welt der Antike eine Vielfalt an Sprachen und Schriften beherbergte, ist sicher keine neue Feststellung, auch nicht, dass sich dieser Reichtum in inschriftlichen Zeugnissen aller Art bewahrt hat. Es mag daher schon etwas erstaunlich anmuten, dass sich bisher nur wenige Studien der detaillierten Erforschung der kulturellen, sozialen, politischen und nicht zuletzt sprachlichen Phänomene widmen, die eine solche Mehrsprachen- und Mehrschriftenwelt unweigerlich hervorbringen musste. Der vorliegende Sammelband widmet sich nun eben diesem Thema und verbindet dabei historische und linguistische Forschung; er ist daher in vielerlei Hinsicht thematisch und methodisch wegweisend.

Basierend auf der Studie inschriftlicher Quellen gehen die achtzehn Beiträge der Frage nach Kontinuität und Wandel in der Sprachen- und Schriftwelt der Antike nach, wobei sich die untersuchten Inschriften über den gesamten Zeitraum zwischen der Verbreitung des Griechischen als lingua franca auf der einen und dessen Untergang bzw. Ablösung durch das Arabische nach der Eroberung durch islamische Truppen auf der anderen Seite erstrecken. Ein Großteil der Beiträge ist Ertrag einer internationalen Tagung, die im Sommer 2003 an der Hebrew University in Jerusalem im Zuge des Erscheinens des neueditierten Corpus Inscriptiorum Iudaeae Palestinae (CIIP) stattfand. Diese Beiträge erkunden daher die Regionen des Corpus, das alle epigraphischen Zeugnisse vom 4. Jahrhundert v.Chr. bis zum 7. Jahrhundert n.Chr. beinhaltet, die im heutigen Israel und Palästina gefunden wurden. Nicht zuletzt verdeutlicht dieses Corpus, so die Grundthese der Organisatoren der Konferenz, wie wenig wir über die Beschaffenheit der Mehrsprachenwelt der Antike wissen. Dass dies nicht nur für die Region Israel und Palästina gilt, zeigen die zusätzlich aufgenommenen Beiträge, die sich den linguistischen Eigenheiten epigraphischer Zeugnisse anderer Regionen, vor allem im Osten des Römischen Reiches, annehmen.

Wie Fergus Millar in seiner Einleitung richtigerweise heraushebt, erweisen die Beiträge vor allem, dass es sich bei der Antike nicht so sehr um eine durch Bilingualität, also eine durch „duallingualism“ (S. 2) geprägte Welt handelte, da es wohl eher selten der Fall war, dass zwei (oder mehrere) Sprachen gleichzeitig beherrscht wurden. Vielmehr lebten die Völker der Antike in parallelen Sprachwelten, die getrennt voneinander und nebeneinander her existieren. Nur wenige bilinguale Sprecher waren in mehreren Sprachwelten zu Hause; zweisprachige Inschriften waren daher oft das Ergebnis individueller Versuche, dem Sprachgewirr im konkreten Fall und für einen konkreten Anlass gerecht zu werden.

Im ersten Teil des Sammelbandes beleuchten Werner Eck (Kapitel 1) und Benjamin Isaac (Kapitel 2) die Rolle des Lateinischen in Inschriften der römischen Provinzen im Nahen Osten. Dabei kommen beide zum Schluss, dass den ehemaligen Kolonien hierbei eine besondere Stellung eingeräumt werden muss, da nur dort auch Privatleute, also nicht nur die römische Administration, Latein als Sprachmedium wählten. Nicole Balayches Beitrag zum Einfluss Roms auf die Religion im antiken Palästina ergänzt diese Einblicke in die Romanisierung des Nahen Ostens mit der Feststellung, dass traditionell römische religiöse Praktiken dort mit wenigen Ausnahmen nur durch Römer und römische Soldaten, nicht aber von Einheimischen vollzogen wurden.

Zwei Autoren widmen sich Themen der griechischen bzw. hellenistischen Geschichte. In ihrer Studie der threptoi im hellenistischen Griechenland und dem römischen Osten von 200 v.Chr. bis 300 n.Chr. stellt Marijana Ricl (Kapitel 4) fest, dass threptos an sich kein juristischer Begriff ist, der etwa auf den Sklaven-Status des Beschriebenen hinweist; vielmehr werde er für eine Vielzahl von unterschiedlichen Auf- oder Erziehungsverhältnissen gebraucht. Der soziale Status der Betroffenen in solchen Inschriften bleibt damit meistens im Dunkeln – ganz im Gegensatz zur starken emotionalen Beziehung des Ziehkindes zu seiner Erziehungsperson, die aus fast allen Inschriften hervorgeht. Ähnlich persönliche Qualität haben die Buß- und Verdammungsinschriften aus Lydien und Phrygien, die Angelos Chaniotis in Kapitel 5 bespricht. Diese epigraphischen Quellen stehen in Verbindung mit ritualisierten Gesten zur Erflehung göttlicher Justiz. Besonders interessant an diesen Inschriften ist, so der Autor, dass es sich bei ihnen um die Publikation des im öffentlichen Ritual geäußerten Schwures handelt. Folglich müssen bei dieser Form der lokalen Religiosität dem anwesenden Publikum und dem Tempelbezirk als Ort des Rituals besondere Bedeutung zugemessen werden.

Einen weiteren Schwerpunkt formt die jüdische Geschichte: Zunächst bejaht Seth Schwartz in seinem Beitrag (Kapitel 3), dass die ungewöhnliche Inschriftenlandschaft Jerusalems, in dem keine euergetischen Belege gefunden wurden, das tatsächliche Ausbleiben der traditionellen Form der Euergesie widerspiegelt. Statt mit öffentlichen Ehrungen dankte das jüdische Volk seinen euergetischen Wohltätern, die es sehr wohl gab, mit der Aufnahme ihrer Taten in die kollektive Erinnerung ihrer Nation. Des weiteren erfährt der Leser durch Walter Amelings Studie der epigraphischen Zeugnisse der jüdischen Diaspora in Kleinasien und Syrien (Kapitel 8), dass Mitglieder der jüdischen Gemeinde in ersterem scheinbar weitaus intensiver am öffentlichen Leben ihrer Städte teilnahmen, auch wenn dies nicht für die jüdische Gemeinde als Ganzes, sondern nur für einzelne Mitglieder galt. Die einzelne Familie und ihr wirtschaftlicher Erfolg stehen im Zentrum von Ernst Axel Knaufs Untersuchung der Nabatäisierung des Grabmahles der Hezir-Familie aus Jerusalem. Der Autor wagt mit Blick auf den Familiennamen und die Integration vieler jüdischer Familien in die Bewirtschaftung des nabatäischen Moab die Vermutung, dass es sich bei den Hezir um eine der Familien handelt, die vom Kaufe großer Ländereien in Judäa durch geographische und religiöse Hindernisse abgehalten im Nachbarstaat der Nabatäer Güter besaßen. In diesen Kontext des Spannungsfeldes zwischen Integration und Exklusivität in der multikulturellen Welt des Nahen Osten fällt auch Ted Kaizers Beitrag über die religiöse Welt in Dura-Europos, wo Inschriften eine Mischkultur im religiösen Bereich eher ausschließen (Kapitel 9). So scheint die Vielzahl der dort ausgeübten Kulte unabhängig voneinander praktiziert worden zu sein, wobei vor allem den polytheistischen unter ihnen gemeinsam ist, dass zur Kommunikation auf die griechische Sprache zurückgegriffen wurde.

Jonathan J. Price und Shlomo Naeh gehen in einer höchst interessanten Untersuchung dem Gebrauch der Transkription in der Antike auf den Grund (Kapitel 10). Sie legen zunächst dar, dass lange Texte, die in einer Schrift verfasst wurden, die nicht die der benutzten Sprache war, zumeist Ausdruck der Marginalität bzw. Liminalität sind. Des Weiteren zeigen die Autoren, wie die spätantike Neuinterpretation der Mishna dazu führte, dass die jüdische Schrift, nicht aber die jüdische Sprache, als heilig angesehen wurde. Dies hatte zur Folge, dass viele Sprachen für biblische Texte gebraucht werden konnten, solange sie in aramäischer Schrift verfasst wurden. Im letzten Beitrag, der sich mit der jüdischen Geschichte befasst, benutzt Gideon Bohak (Kapitel 14) magische Texte aus der Geniza von Kairo, um die Praxis der jüdischen Magie sowie ihre fortschreitenden Veränderung zu beleuchten.

Drei weitere Beiträge widmen sich dem Aufkommen des Arabischen und dem Übergang vom Griechischen in die Sprache der neuen islamischen Herrscher. Zunächst plädiert Robert G. Hoyland in seinem Beitrag zur Geschichte der arabischen Stämme und Könige im Nahen Osten überzeugend dafür, die Transformation der einzelnen arabischen Kriegerstämme in romanisierte Fürstenherrschaften mit der ganz ähnlich gestalteten Integration bzw. Romanisierung der Goten im Norden des Reiches zu vergleichen (Kapitel 16). Dies ist ein vielversprechender Ansatz, wie auch Leah Di Segnis Studie über das Schicksal des Griechischen im Nahen Osten zeigt (Kapitel 15): Sie stellt heraus, dass nicht etwa die Ankunft der muslimischen Herrscher, sondern wohl eher die Pest im Jahre 541/42 dazu führte, dass sich in dieser Region ein kultureller Umschwung weg von den Städten hin zu einer dörflicheren Lebensweise vollzog. Zudem überlebte, so Di Segni, das Griechische im epigraphischen Habitus, weil es Zeichen der kulturellen Zusammengehörigkeit der Eliten gerade in Zeiten des religiösen Wandels war. Der Vergleich mit den christlichen Gemeinschaften im ägyptischen Theben, die Arietta Panaconstantinou in Kapitel 18 untersucht, zeigt, dass auch in anderen Regionen das Festhalten am Griechischen sowie an hellenistischen Datierungssystemen, Titeln sowie Orts- und Personennamen Ausdruck christlicher Kultur wurde. Dies gilt also selbst dort, wo – wie im nicht-chalzendonischen Ägypten – eine Spaltung von der orthodoxen Kirche stattgefunden hatte.

Besonders aufschlussreich ist auch der letzte Themenkomplex, der weniger erforschte Sprachen und Schriftphänomene beleuchtet. So präsentiert Sebastian Brock (Kapitel 11) eine Studie zu syrischen Inschriften aus dem spätantiken Syrien, in der er besonders auf die Phraseologie, Aspekte der Bilingualität sowie den sozialen und politischen Kontext dieser mehrheitlich kirchlichen Bauinschriften eingeht. Dan Barags umfassende Untersuchung der samaritanischen Sprache und Schrift in Kapitel 12 kommt zum Schluss, dass die Entstehung dieses vom griechischen leicht abweichenden Alphabets auf das 4. Jahrhundert n.Chr. zu datieren und als Abwehrreaktion auf die Ausbreitung des Christen- und Judentums zu verstehen ist. Ähnlich interessant ist Hannah M. Cottons Arbeit über das Fortbestehen des nabatäischen Rechts in Petra. Sie belegt, dass Rechtstraditionen auch in fremden Sprachen über Jahrhunderte weitergegeben wurden. Beeindruckend ist schließlich Tonio Sebastian Richters Beitrag zu Entwicklung und Untergang des Koptischen (Kapitel 17). Er liefert hiermit nicht nur eine brillante Einführung in die aktuelle Methodologie der Sprachgeschichte, sondern bereichert auch unser Wissen um die Gestalt der Multikulturalität Ägyptens in der Antike um wesentliche Erkenntnisse.

Die Bandbreite der abgedeckten Themen macht es unmöglich, den Band nur der Geschichte der hellenistischen und römischen Welt zuzuweisen. Vielmehr liefert es auch wichtige Einblicke sowie Ansätze zur Erforschung der Geschichte des jüdischen Volkes, der Provinz Ägypten und lokaler Völkergruppen des Nahen Ostens für den Zeitraum von Alexander dem Großen bis zum Beginn der islamischen Expansion. Mit diesem Buch ist eine exzellente Einführung in die Welt des CIIP erschienen, die durch ihre thematische Breite sowie durch die Qualität und Neuheit der Beiträge höchst informativ, faszinierend und bereichernd ist. Es handelt sich dabei um eine Lektüre, die den Historiker ebenso wie dem Sprachwissenschaftler wärmstens empfohlen sei.

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