A. Coskun: Bürgerrechtsentzug oder Fremdenausweisung?

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Titel
Bürgerrechtsentzug oder Fremdenausweisung?. Studien zu den Rechten von Latinern und weiteren Fremden sowie zum Bürgerrechtswechsel in der Römischen Republik (5. bis frühes 1. Jh. v.Chr.)


Autor(en)
Coşkun, Altay
Reihe
Hermes-Einzelschriften 101
Erschienen
Stuttgart 2009: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
236 S.
Preis
€ 50,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Timmer, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn

Rom gilt als ein Beispiel für gelungene Integration: Zu den Gründen für den Aufstieg der Stadt zur unbestrittenen Herrin des gesamten Mittelmeerraumes zählt – neben Faktoren wie der Bedeutung des Krieges als Medium des Leistungsvergleiches innerhalb der Nobilität, wie einem politischen System, in dem kollektiv verbindliche Entscheidungen durch Verhandlungen hergestellt wurden und damit Wohlfahrtsgewinne maximiert werden konnten, wie der Leistungsfähigkeit des römischen Bürgerheeres und wie der Stabilität gesellschaftlicher Ordnung – sicher nicht zuletzt auch die erstaunliche Integrationskraft des Imperium Romanum.

Zu diesem Bild wollen die Berichte des Livius über die Ausweisung von größeren Personengruppen aus Rom zwischen 206 und 173 v.Chr. nur schwerlich passen: Nach der Verbesserung der Lage Roms in der zweiten Hälfte des Zweiten Punischen Krieg bemühte sich die römische Elite die in die Stadt geflüchteten Bauern zu bewegen, wieder aufs Land zurückzukehren. Im Umfeld dieser Anstrengungen ordneten die Konsuln auch die Rückkehr der aus Placentia und Cremona geflüchteten Kolonisten an (Liv. 28,11,8–11). Rund 20 Jahre nach diesen Ereignissen sollte, wie wiederum Livius berichtet, Q. Terentius Culleo 187 v.Chr. eine Untersuchung durchführen, wer von den sich in Rom aufhaltenden Latinern nach 205/04 v.Chr noch in seiner Heimatstadt geschätzt worden sei, um diese zur Rückkehr in ihre Heimatgemeinde zu bewegen. 12.000 Latiner sollen im Anschluss an diese Untersuchung Rom verlassen haben (Liv. 39,3,4–6). Umfangreich ist auch der Bericht zu den Ereignissen des Jahres 177 v.Chr., als im Senat das Problem der Umsiedlung von Bürgern der Bundesgenossen nach Rom und der Erschleichung des Bürgerrechts verhandelt wurde und Gesandte der Bundesgenossen die Rücksendung ihrer Emigranten forderten (Liv. 41,8,6–12). Schließlich verfügte im Kontext des Zensus von 174/73 v.Chr. der Konsul L. Postumius, dass die 177 v.Chr. zur Rückkehr in ihre Gemeinden aufgeforderten Bundesgenossen in ihren Heimatgemeinden und nicht in Rom geschätzt werden sollten.

Diese „Fremdenausweisungen“ des späten 3. und frühen 2. Jahrhunderts v.Chr. stehen im Mittelpunkt von Coşkuns Arbeit, die im Rahmen des Trierer Sonderforschungsbereichs „Fremdheit und Armut. Wandel von Inklusions- und Exklusionsformen von der Antike bis zur Gegenwart“ entstanden ist. Dabei fragt der Autor vor allem nach der rechtlichen Stellung der Ausgewiesenen: Handelte es sich also, wie in der Forschung häufig zu lesen, um römische Neubürger oder um Personengruppen, die zwar in Rom lebten, aber keine römischen Bürger geworden waren, sondern weiterhin das Bürgerrecht ihrer latinischen oder italischen Heimatgemeinde besaßen?

In der Einführung gibt Coşkun einen ersten kurzen Überblick über die von ihm behandelten „Massenausweisungen“ und ordnet sie kurz in die demographische und wirtschaftliche Entwicklung der römischen Republik während des Untersuchungszeitraumes ein (S. 13–30). Im folgenden Abschnitt widmet sich der Verfasser umfangreich und grundsätzlich der Frage nach den Vorrechten der Latiner (S. 31–155): Thematisiert werden hierbei unter anderem Sonderrechte der Latiner gemäß dem foedus Cassianum (S. 31–34), das conubium (S. 34–39), das commercium (S. 39–47), die Möglichkeit des Grunderwerbs von Latinern in der Stadt Rom (S. 55–60), deren Stellung im Bereich des Testier- und Erbrechts (S. 60–70), das ius postliminii (S. 82–107) oder die Frage nach dem Zensus für in Rom lebende peregrini (S. 113–124). Coşkun argumentiert in den verschiedenen Unterpunkten durchgängig gegen die Vorstellung, die Römer hätten Rechte allzu großzügig an ihre bevorzugten Bündner abgegeben. Skeptisch äußert er sich etwa zu der Vorstellung eines allgemeinen ius migrandi.

Der dritte Teil der Arbeit ist dann den erwähnten Ausweisungen latinischer und italischer Bundesgenossen aus der Stadt Rom gewidmet (S. 156–200). Coşkun vertritt hierbei die These, dass es sich bei den aus Rom ausgewiesenen Personengruppen nicht um römische Neubürger gehandelt habe. Für ein solches rechtswidriges Vorgehen gebe es keine ausreichenden Belege. Selbst dort, wo das römische Bürgerrecht durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zustande gekommen sei, etwa durch die Adoption von Personen, die in der Heimatgemeinde die Bedingung des stirps es sese erfüllt hätten, sei von einer Ausweisung abgesehen worden. Betroffen seien stets Personengruppen gewesen, die sich in Rom aufhielten, ohne das römische Bürgerrecht erhalten zu haben. Möglich – und gerade hier schließt Coşkun an die Ergebnisse des Vorabschnitts an – sei dies zum einen, weil es kein allgemeines ius migrandi für Latiner gegeben habe, in Rom also Latiner ohne Bürgerrecht gelebt haben müssen, und zum anderen, weil ein eigener Zensus für Latiner in Rom existierte, also feststellbar gewesen sei, wer auszuweisen sei und wer nicht.

Coşkuns Arbeit besitzt zwei Stärken: Zunächst einmal besticht sie dadurch, dass die immer wieder in der Literatur zu findenden Sonderrechte der Latiner hier einmal zusammengestellt und – unter umfangreicher Berücksichtigung der einschlägigen Forschung – einer eingehenden Prüfung unterzogen werden. Dabei überzeugt auch Coşkuns Skepsis gegenüber einer auf Stammessolidarität beruhenden Großzügigkeit der Römer bei der Vergabe von Sonderrechten an die Latiner. Ebenso überzeugend ist im Grundsatz seine Detailanalyse der rechtlichen Grundlagen der vier Fremdausweisungen aus der Stadt Rom zwischen 206 und 173 v.Chr. Coşkun gelingt es hier, plausibel zu machen, dass nicht römische Neubürger, sondern Bundesgenossen aus der Stadt verwiesen wurden.

Allerdings bleiben Einwände gegen Coşkuns Arbeit bestehen. So wird man skeptischer als der Verfasser in Hinblick auf den Erfolg von Ausweisungen sein dürfen: Während der Autor unter Verweis darauf, dass stets nur Peregrine betroffen gewesen seien, für die es römische Zensuslisten gegeben habe, mithin stets klar gewesen sei, wen man habe ausweisen müssen, vom Erfolg der Maßnahmen überzeugt ist, wird man wohl einwenden können, dass zur Durchsetzung politischer Entscheidungen auch ein entsprechender Verwaltungs- und Erzwingungsstab notwendig war, den man für die römische Republik des späten 3. und frühen 2. Jahrhunderts v.Chr. nicht voraussetzen kann.

Dies leitet zu einem grundsätzlichem Problem von Coşkuns Arbeit über, das aus deren rechtshistorischen Perspektive erwächst: Der rechtliche Rahmen und die Praxis werden bei ihm nicht getrennt. Mit der Rekonstruktion des Rechts ist das Erkenntnisinteresse befriedigt. Weder die Bedingungen, die zur Entstehung der thematisierten Rechtsnormen führten, noch die historische Situation zu Beginn des 2. Jahrhunderts, unter der Migration und Ausweisung zu erklären sind, noch schließlich die Frage, inwieweit das gesetzte Recht die Lebenswirklichkeit der Akteure bestimmte, spielen in der Arbeit eine signifikante Rolle.

Unabhängig von diesen Kritikpunkten handelt es sich bei Coşkuns Arbeit aber um eine plausible Deutung der rechtlichen Grundlagen der Fremdausweisungen im frühen 2. Jahrhundert v.Chr. und um eine ausgesprochen nützliche Diskussion der „Sonderrechte“ der Latiner.

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