A. Goltz (Hrsg.): Konstantin der Große

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Titel
Konstantin der Große. Das Bild des Kaisers im Wandel der Zeiten


Herausgeber
Goltz, Andreas; Schlange-Schöningen, Heinrich
Reihe
Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 66
Erschienen
Köln u.a. 2008: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 315 S.
Preis
€ 32,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffen Diefenbach, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Universität Augsburg

Die eintausendsiebenhundertjährige Wiederkehr der Ausrufung Konstantins I. zum Kaiser im britannischen York (am 25. Juli 306) hat in den letzten Jahren zu einer wahren Flut von Publikationen geführt, die sich dieser spätantiken Herrschergestalt widmen.1 In diesem Zusammenhang sind nicht nur die Zeit Konstantins und die Bedeutung dieses Kaisers für die Geschichte des 4. Jahrhunderts, sondern verstärkt auch rezeptionsgeschichtliche Aspekte zur Sprache gekommen.2 Dieser Thematik widmet sich auch der hier zu besprechende Sammelband, der aus einer Sektion des 46. Historikertages in Konstanz vom September 2006 hervorgegangen ist. Er versammelt neben den vier ursprünglich gehaltenen Vorträgen fünf weitere Beiträge, denen ein kurzes Vorwort von Alexander Demandt vorangestellt wurde. Ein knappes Register und ein Autorenverzeichnis beschließen den Band. Das Tableau der Beiträge ist sehr breit gefächert – sowohl in chronologischer als auch in methodischer und thematischer Hinsicht. Auf zwei Darstellungen zum Fortleben Konstantins im byzantinischen Reich folgen drei Beiträge, die sich mit dem Bild Konstantins in der mittelalterlichen Geschichte und Literatur befassen. Die folgenden vier Aufsätze gelten dann Aspekten der Konstantinrezeption in der Frühen Neuzeit, der Aufklärung und der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts sowie der Präsenz des Kaisers in der Medienlandschaft der Gegenwart.

In einer tour d’horizont zum Konstantinbild in der byzantinischen Geschichte geht Albrecht Berger kurz auf rezeptionsgeschichtlich relevante Aspekte ein – Konstantin als Gründer der Hauptstadt, als Heiliger, als Kaiser und legitimatorischer Bezugspunkt für die byzantinischen Herrscher –, belässt es jedoch bei Einzelbeobachtungen, die nur lose miteinander verbunden sind. Marilena Amerise konzentriert sich mit dem Bild Konstantins in der Bibliotheke des Patriarchen Photios demgegenüber auf einen spezifischen Rezipienten: Photios, dessen anfängliches Wirken als Patriarch von Konstantinopel in die Zeit des wiederaufkommenden Bilderstreits fiel, habe Konstantin als Garanten der Orthodoxie eine zentrale Rolle zugewiesen und ihn gegen die – mit den Arianern des 4. Jahrhunderts gleichgesetzten – Ikonoklasten in Stellung gebracht. Diese Einzelbeobachtung ist fraglos zutreffend, hätte allerdings stärker in den historischen Kontext eingeordnet werden können, in dem Konstantin zum Gegenstand von Vereinnahmungsversuchen sowohl von ikonoklastischer wie von ikonodulischer Seite wurde.

Jürgen Miethke macht in einem materialreichen Beitrag zur Rezeption des Constitutum Constantini im juristischen und politiktheoretischen Diskurs des 9. bis 14. Jahrhunderts deutlich, dass die Konstantinische Schenkung zwar seit ihrer Aufnahme in die kanonistischen Sammlungen des Hochmittelalters immer wieder von Rechtsgelehrten und Theologen im Umfeld der päpstlichen Kurie herangezogen wurde, um einen päpstlichen Herrschaftsanspruch zu begründen. Sie erwies sich jedoch als zweischneidiges Schwert, da nach dieser Konstruktion die päpstliche Herrschaft auf eine – potentiell revozierbare – kaiserliche Delegation zurückgeführt wurde; für die umfassende Vollgewalt auch über Kaiser und weltliche Fürsten, die die Päpste seit dem 13. Jahrhundert beanspruchten, bildete nicht das Constitutum Constantini, sondern ihre Stellung als vicarii Christi die entscheidende Legitimationsgrundlage.

Dass die Erinnerung an Konstantin während des Mittelalters weniger durch die Konstantinische Schenkung als vielmehr durch seine Beteiligung bei der Auffindung des Heiligen Kreuzes geprägt war, hebt Heike Johanna Mierau hervor. In der ausgeprägten Kreuzverehrung Kaiser Karls IV. erkennt Mierau eine Bezugnahme auf Konstantin und ein mit ihm verbundenes spätantikes kaiserliches Selbstverständnis: Die Verbindung Konstantins mit dem Heiligen Kreuz habe den Kaiser in eine unmittelbare Nahbeziehung zu Gott gesetzt, ihm priesterliche Züge vermittelt und damit Kaiser und Reich eine am Papsttum vorbeigreifende heilsgeschichtliche Dimension verliehen. Der Einschätzung, dass für die Wahrnehmung Konstantins die liturgische Memoria (Kreuzauffindung und -erhöhung, Heiligengedenken an Silvester und Helena) in Text und Bild eine maßgebliche Bedeutung hatte, wird man vorbehaltlos zustimmen. Zu bedenken ist jedoch, dass Konstantin bei der Kreuzauffindung neben Helena nur eine Nebenrolle spielte; auch für eine Stilisierung des Kaisers als Priester ist Konstantin – zumindest was den lateinischen Westen betrifft – wohl kein Vorbild gewesen.3

Paul Dräger widmet sich der wohl zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert entstandenen Legende zur Herkunft und Jugend Konstantins. Die durch typische Elemente des Romans (Liebesabenteuer, Trennung und Wiedererkennung) gestaltete historia de ortu atque iuventute Constantini Magni eiusque matre Helena ist im Kern offenbar im byzantinischen Osten entstanden. Im Spätmittelalter hat sie nicht nur den Anstoß für die Ausbildung vergleichbarer Legenden mit veränderter personaler Konstellation gegeben, sondern partiell auch Eingang in die Chronistik gefunden. Dräger referiert ausführlich die einschlägigen Testimonien, beschränkt sich dabei jedoch auf motivgeschichtliche Beobachtungen, aus denen der Stellenwert der historia im Rahmen der mittelalterlichen Legendenbildung nicht deutlich wird: Drägers pauschale einleitende Bemerkung, dass Konstantin wie Alexander oder Karl der Große zum „Objekt blühender Legendenbildung“ geworden sei, erscheint dabei zumindest diskutabel.4

Der Kunsthistoriker Rolf Quednau untersucht einen Kabinettschrank mit Szenen Konstantins des Großen, der in den 1660er-Jahren in Rom für Kaiser Leopold I. gefertigt wurde. Die Darstellungen legen den Schwerpunkt auf die Kreuzesvision Konstantins, die dadurch verbürgte Sieghaftigkeit des Kaisers und die Schlacht an der Milvischen Brücke. Die in einem kleinformatigen Bild der Sockelzone dargestellte Konstantinische Schenkung tritt demgegenüber stark in den Hintergrund; überhaupt bietet der Kabinettschrank die letzte bezeugte bildliche Darstellung dieses Vorgangs. Quednau stellt diese Inszenierung überzeugend in den Kontext einer die Verbindung von Frömmigkeit und Sieghaftigkeit akzentuierenden Erinnerung an Konstantin, wie sie im österreichischen Herrscherhaus besonders ausgeprägt war. Dass in der – vielfältige Deutungen eröffnenden – Relation zwischen Konstantin und dem Kreuz der Aspekt der militärischen Sieghaftigkeit stärker als bis dahin üblich herausgestellt wurde, dürfte für die Entwicklung des Konstantinbildes in der Frühen Neuzeit auch insgesamt charakteristisch sein.

In seinem Beitrag zu Grundzügen der neuzeitlichen Wirkungsgeschichte Konstantins schlägt Heinrich Schlange-Schöningen einen weiten, von der Aufklärung bis ins frühe 20. Jahrhundert reichenden Bogen, indem er innerhalb dieses chronologischen Rahmens die Positionen einzelner Autoren näher erläutert. Die weniger strukturelle, sondern primär personalisierte Kritik an Konstantins Religionspolitik, mit der die französische Aufklärung die moralische Integrität des ersten christlichen Kaisers (und damit sein Christentum als solches) in Zweifel zog, hat auch Jacob Burckhardts Konstantinbild maßgeblich bestimmt. Demgegenüber versuchte Edward Gibbon, das religiöse Selbstverständnis des Kaisers aus dessen eigener Zeit heraus zu verstehen und billigte Konstantin eine genuin religiöse Motivation für sein Handeln zu, sah in seiner Förderung der Kirche jedoch eine entscheidende Weichenstellung, die auf mittlere Sicht zu einer Schwächung der politischen Ethik und der Strukturen des spätantiken Imperiums führte. Die Historiker Ranke und Mommsen urteilten in dieser Hinsicht weniger skeptisch, erblickten in Konstantin vielmehr eine zukunftsweisende bzw. den Notwendigkeiten folgende Allianz von Christentum und antiker Kultur. Der Beitrag schließt mit kritischen Stimmen zur preußischen Verbindung von Thron und Altar, unter deren Eindruck Mommsen sein positives Urteil fällte – bekanntlich sollte sich diese Kritik dann erst nach 1945 unter dem Schlagwort vom „Konstantinischen Zeitalter der Kirche“ zuspitzen.5

Dem Konstantinbild Jacob Burckhardts ist ein weiterer Beitrag von Hartmut Leppin gewidmet, in dem deutlich wird, dass das Spezifische an Burckhardts Position weniger in einer Aufnahme und Weiterführung aufklärerischer Konstantinkritik, als vielmehr in der religionsgeschichtlichen Kontextualisierung des Kaisers zu finden ist. Die konstantinische Wende vollzog sich vor dem Hintergrund eines profunden Wandels spätantiker Religiosität: Sie verhalf nicht einer neuen Religion zum Durchbruch, sondern war die folgerichtige Antwort auf veränderte religiöse Bedürfnisse, die das Christentum eher erfüllte als die herkömmlichen Religionen. Die individuelle Handlungsmächtigkeit und machtpolitische Weitsicht Konstantins treten bei Burckhardt dementsprechend stärker hinter den strukturellen Voraussetzungen zurück: In Konstantin verdichtete sich die historische Entwicklung, ohne dass er in der Lage gewesen wäre, ihre Eigendynamik zu steuern.

Den Abschluss des Bandes macht Andreas Goltz mit einem Beitrag zur medialen Rezeption der ersten christlichen Kaisers. Goltz gelangt zu der Beobachtung, dass Konstantin in den modernen Massenmedien nur vergleichsweise schwach repräsentiert ist, und bietet unterschiedliche Erklärungen dafür an. Diese stehen freilich unter dem Vorbehalt, dass Goltz nicht klar zwischen unterschiedlichen Gattungen trennt: Dass Konstantin nicht zum Gegenstand von Monumentalfilmen oder Opern wurde 6, mag andere Gründe haben als seine geringe Präsenz in Dokumentarsendungen und populären Wissenschaftsmagazinen.

Es liegt in der Natur eines derartigen Sammelbandes, dass sich immer noch weitere Aspekte finden ließen, die man gerne behandelt sähe. Möglicherweise wäre es aber sinnvoll gewesen, einen Beitrag zur Spätantike mit aufzunehmen, da in dieser Zeit bereits entscheidende Weichenstellungen für die Konstantin-Rezeption vollzogen wurden. Zu bedauern ist ferner, dass die Herausgeber darauf verzichtet haben, ihrem Band eine Einleitung vorauszuschicken (das vierseitige Geleitwort von Demandt kann in dieser Hinsicht nicht wirklich befriedigen). Eine Rezeptionsgeschichte wird sich immer primär an den jeweiligen historischen Rezeptionshorizonten orientieren müssen, nicht am Gegenstand der Rezeption. In diesem Sinne wäre es angebracht gewesen, die Konzeption vom „Bild des Kaisers im Wandel der Zeiten“ näher zu erläutern und in die diskursiven Kontexte einzuführen, in denen die Rezeption dieses spätantiken Kaisers erfolgte. Eine derartige Verortung bleibt allein den jeweiligen Autoren überlassen, die sich dieser Aufgabe in unterschiedlicher Weise gestellt haben. Für sich genommen bieten die einzelnen Beiträge interessante Einblicke in Aspekte des Nachlebens Konstantins und seiner Wirkungsgeschichte. Jeder historisch Interessierte wird das Buch gerne zur Hand nehmen.

Anmerkungen:
1 Unmittelbarer Ausfluss des 1700-Jahr-Jubiläums sind die Begleitbände und Kataloge der drei großen Ausstellungen in York (Elizabeth Hartley u.a. [Hrsg.], Constantine the Great. York’s Roman Emperor, Aldershot 2006), Rimini (Angela Donati / Giovanni Gentili [Hrsg.], Costantino il Grande, Mailand 2005) und Trier (Alexander Demandt / Josef Engemann [Hrsg.], Konstantin der Große, Trier 2006; dies. [Hrsg.], Konstantin der Große. Ausstellungskatalog, Darmstadt 2007). Unmittelbar durch das Jubiläum inspiriert sind auch die Sammelbände von Michael Fiedrowicz / Gerhard Krieger / Winfried Weber (Hrsg.), Konstantin der Große, Trier 2006; Klaus Martin Girardet (Hrsg.), Kaiser Konstantin der Große, Bonn 2007; Florian Schuller / Hartmut Wolff (Hrsg.), Konstantin der Große, Lindenberg 2007. Dem weiteren Umfeld dieser auffälligen „Konstantin-Renaissance“ sind ebenfalls zuzuordnen die Monographien von Charles M. Odahl, Constantine and the Christian Empire, London 2004; Hartwin Brandt, Konstantin der Große, München 2006; Oliver Schmitt, Constantin der Große (275–337), Stuttgart 2007; Elisabeth Herrmann-Otto, Konstantin der Große, Darmstadt 2007; Raymond Van Dam, The Roman Revolution of Constantine, Cambridge 2007; Heinrich Schlange-Schöningen (Hrsg.), Konstantin und das Christentum, Darmstadt 2007. Ein Ende des Trends ist noch nicht abzusehen; für das Jahr 2012 ist ein von Kay Ehling und Gregor Weber herausgegebener Sammelband geplant, der im Zabern-Verlag erscheinen wird.
2 Neben den einschlägigen Beiträgen in den in der vorigen Anmerkung aufgeführten Sammelbänden sind insbesondere die unter der Ägide von Giorgio Bonamente herausgegebenen Sammelbände zu Rezeption und Nachleben Konstantins des Großen zu nennen: Costantino il Grande dall’antichità all’umanesimo, 2 Bde., Macerata 1992–1993; Costantino il Grande nell’età bizantina, Spoleto 2003; Costantino il Grande tra medioevo ed età moderna, Bologna 2008. Vgl. ferner Hartwin Brandt, Constantin und die Schlacht an der Milvischen Brücke – im Zeichen des Kreuzes, in: Elke Stein-Hölkeskamp / Karl-Joachim Hölkeskamp (Hrsg.), Erinnerungsorte der Antike, München 2006, S. 277–288.
3 Ebensowenig wie in Byzanz, vgl. Gilbert Dagron, Emperor and Priest, Cambridge 2003, S. 127–157.
4 Vgl. diesbezüglich die skeptische Einschätzung von Michael Embach, Kaiser Konstantin in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters, in: Fiedrowicz, Konstantin, S. 183–236.
5 Dazu zuletzt Michael Hüttenhoff, „Das konstantinische Zeitalter“. Über die Karriere und Funktion einer historisch-theologischen Formel, in: Girardet, Konstantin, S. 177–192.
6 Zur Affinität von Oper und antikem Monumentalfilm vgl. Mischa Meier, Fruchtbare Missverständnisse. Oper, Film und Antike, in: Mischa Meier / Simona Slanicka (Hrsg.), Antike und Mittelalter im Film, Köln u.a. 2007, S. 85–101.

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