J. Trappe: Rumäniens Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit

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Titel
Rumäniens Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit. Eine Untersuchung aus strafrechtlicher Perspektive


Autor(en)
Trappe, Julie
Reihe
Diktaturen und ihre Überwindung im 20. und 21. Jahrhundert Bd 3
Erschienen
Göttingen 2009: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
€28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Ulrich Weiß, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Rumänien gehört gegenwärtig zu den am häufigsten verklagten Staaten am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg. Das hat seine Ursache auch in den Hunderten Verfahrensanträgen zur Aufklärung der ungesühnten Todesfälle während der rumänischen Revolution 1989/90. Deren Antragsteller sehen in diesem Schritt oftmals die letzte Chance, den rumänischen Staat bzw. die rumänische Justiz zu einer vollständigen strafrechtlichen Aufarbeitung zu zwingen. Ob dies gelingen wird, ist fraglich, denn dieses Aufarbeitungsdefizit bettet sich ein in die allgemein unzureichende Aufarbeitung kommunistischen Unrechts durch die rumänische Justiz nach 1989. Woran das liegt und mit welchen Schwierigkeiten und Versäumnissen die strafrechtliche Aufarbeitung konfrontiert ist, darüber gibt die vorliegende Dissertation von Julie Trappe einen umfassenden Einblick.

Die Auffassung, in Rumänien habe keinerlei strafrechtliche Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit stattgefunden, ist weit verbreitet. Trappe begegnete ihr vor allem unter rumänischen Politikern und Fachleuten selbst. Dem gegenüber führt sie die Zahl von weit über 4500, nach 1989 eingeleiteten Verfahren an. Deren Nicht-Berücksichtigung sei charakteristisch für die allgemeine Rezeption, so Trappe, denn die rumänische Justiz gelte nicht als Institution, die zur Aufklärung kommunistischen Unrechts beitrage (S. 223). Das Verfahrens-Konvolut selbst bezeichnet die Autorin als „umfangreiche strafrechtliche Reaktion“, was nicht ausblendet, dass viele der Verfahren (die sich in der Mehrzahl auf die 1989er Dezemberereignisse beziehen) unabgeschlossen sind. Trappe interessieren vor allem die Implikationen und Auswirkungen des strafrechtlichen Maßstabswechsels, der der transitional justice in Zeiten des politischen Systemwechsels innewohnt. Aus dieser Perspektive erweist sich für Rumänien der 22. Dezember 1989 als entscheidendes Datum: Es ist der Tag, an dem das Diktatorenehepaar Ceauşescu aus Bukarest flieht und die Front der Nationalen Rettung im staatlichen Fernsehen das Ende deren Herrschaft verkündet. Von nun an gibt es in der rumänischen Rechtsprechung ein Vorher und ein Nachher in der Frage, wie Unrecht definiert bzw. wie mit ihr umgegangen wird. Fragwürdig bekannt wurde diese Festlegung vor allem durch die Haltung der Militärstaatsanwaltschaft, die mit aller Macht die Deutung etablierte, seit dem 22. Dezember sei die Armee der legitime Verbündete der Demonstranten und der Rettungsfront und damit auf Seiten des Rechts gewesen. Noch zweifelhafter wurde diese Argumentation vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Militärstaatsanwaltschaft mit fast allen „Revolutionsprozessen“ betraut war.

Trappe hat in mühevoller Kleinarbeit Akten und Informationen zu rund 100 Strafverfahren aus dem Zeitraum 1989 bis 2008 zusammengetragen, die das Quellenfundament ihrer sieben Kapitel umfassenden Darstellung bilden. Dabei geht sie rückwärts chronologisch vor, beginnend mit dem Prozess gegen die Ceauşescus, über die „Revolutionsprozesse“ und den Fall des 1985 ermordeten Gheorghe Ursu bis zur Aufarbeitung des kommunistischen Terrors unter Gheorghiu-Dej. Überzeugend und detailliert führt Trappe aus, dass der spektakuläre und moralisch umstrittene Prozess gegen das Diktatorenehepaar (Kapitel 2) nicht nur im Kontext der geltenden Strafprozessordnung und des Strafgesetzbuches eine Farce, sondern auch das Urteil selbst „zum Zeitpunkt seiner Vollstreckung“ formal „nicht rechtskräftig“ war (S. 58). Obwohl die Hinrichtung zu den Schlüsselereignissen der rumänischen Revolution mit Weltbekanntheit zählt, liegt ein dichter, mystifizierender Schleier über den Fall: So beging der leitende Richter drei Monate später aus ungeklärten Umständen Selbstmord, über die wahren Drahtzieher des Prozesses gibt es kein gesichertes Wissen, der eigentliche Exekutionsmoment blieb im Unterschied zum Rest des Prozesses ungefilmt und die Originalprozessakte gilt als verschwunden. Zwar wurde die Akte im Jahre 2004 aufwendig rekonstruiert, jedoch in Teilen mit Geheimhaltungsauflagen versehen, so dass es Trappe nicht möglich war, das Urteil selbst offiziell einzusehen (S. 60ff.).

Dass die strafrechtliche Aufarbeitung an machtpolitische Konstellationen gebunden war und in mehreren Wellen verlief, wird besonders bei den "Revolutionsprozessen" deutlich: Die erste Welle begann mit dem summarischen Schauprozess gegen die Ceauşescus am 25. Dezember 1989. Nach der Aburteilung einiger höchster Amtsträger begann die Entwicklung zu stagnieren. Mit der Abwahl Präsident Iliescus und dem Regierungsantritt des Oppositionsführers Emil Constantinescus im Jahre 1996 setzte eine zweite Welle ein. Diese endete erneut mit der Wiederwahl Iliescus und seiner postkommunistischen sozialdemokratischen Partei im Jahr 2000. Als vier Jahre später der liberal-konservative Traian Basescu das Präsidentenamt antrat, begann die dritte und bislang aufwendigste Aufarbeitungswelle. „Für jedes Opfer suchen wir jetzt den dazugehörigen Täter“, verkündete ein Staatsanwalt der Bukarester Militärstaatsanwaltschaft (S. 68). Dafür wurden Tausende von Zeugen gehört, Strafverfahren jedoch kaum eingeleitet. Trappe legt aussagekräftige Zahlen vor, die die enorme Diskrepanz zwischen der Anzahl von Verfahren und tatsächlichen Anklageerhebungen belegen: Bis 1999 wurden 4495 Ermittlungsverfahren eingeleitet, davon 2894 von der Militärstaatsanwaltschaft Bukarest und 1601 von anderen Militärstaatsanwaltschaften. Von denen hatten 3135 die Tötung oder Verletzung von Personen zum Gegenstand. Bis 1994 wurde über die Hälfte der Verfahren eingestellt (2224), bis zum Jahre 2008 wurden dann konkret nur noch gegen 245 Personen in 112 Verfahren Anklage erhoben (S. 67).

Mit den Schwierigkeiten der rumänischen „Aufarbeiter“ sieht sich auch Trappe in ihrer Analyse konfrontiert: So ist eine ständige (das heißt vor allem einheitliche) Rechtsprechung schwer auszumachen; es fehlen sonst übliche Verfahrensdokumentationen oder -darstellungen; zwischen Rechtsprechung und -wissenschaft bestehen kaum Verbindungen; die Fachwissenschaft publiziert selten und wenig praxisbezogen; es finden trotz komplizierter Fragestellungen und Rechtsauslegungen (beispielsweise in den "Revolutionsprozessen") kaum rechtswissenschaftliche Debatten statt. Viele der Verfahren sind durch eine sehr lange Dauer und prozessuale Unübersichtlichkeit („Prozesse voller Umwege“, S. 225) gekennzeichnet. Es entsteht der Eindruck, als ob sich die rumänischen Rechtsgelehrten der Problematik der transitional justice geradezu verweigern und damit auf ihre Weise zur Undurchsichtigkeit von historischen Ereignissen wie der Dezemberrevolution von 1989 beitragen. Insofern exemplifiziert Trappes Untersuchung nicht nur Versäumnisse von Politikern, sondern auch das Versagen einer wichtigen Teilelite im gesellschaftlichen Transitionsprozess. Das Fazit bestätigt eigentlich die bekannten Einschätzungen: „Die rumänische Justiz hat nach 1989 nur ein Bruchteil des Geschehenen als ahndungswürdiges Unrecht qualifiziert. [...] Insofern haben in gewisser Weise diejenigen recht, die von einer fehlenden Aufarbeitung durch die rumänische Justiz sprechen.“ (S. 224) Dennoch will Trappe nicht wie selbstverständlich in den gängigen Chorus der Aufarbeitungskritik einstimmen, sondern zeigt auch Erfolge und Chancen auf, wie im Fall des 1985 in der Haft umgekommenen und in Rumänien sehr bekannten Regimegegners Gheorghe Ursu (Kapitel 4). So sieht sie in der „unendlichen Geschichte“ der Versuche nach 1989, die genauen Todesumstände zu rekonstruieren und die Schuldigen zu überführen, nicht nur das gern angeführte Negativbeispiel für den Aufarbeitungs-Unwillen der rumänischen Justiz, sondern auch „ein positives Symbol für die entscheidende Rolle der Zivilgesellschaft im Bereich der strafrechtlichen Aufarbeitung“ (S. 163). Denn ohne das über 16 Jahre andauernde, unermüdliche Engagement von Ursus Sohn und seinem Unterstützerkreis wäre es nicht zu der letztendlich erfolgten Verurteilung der Täter gekommen. Ebenso will sie kein negatives Pauschalurteil über die rumänische Justiz fällen, sondern verweist auch auf engagierte Einzelvertreter, die in der bisherigen Geschichte der strafrechtlichen Aufarbeitung wichtige Impulse setzten. Damit macht sie einmal mehr deutlich, dass sich die rumänische Justiz in vielerlei Hinsicht in einem Umbruch befindet und damit auch ihre Aufarbeitung kommunistischen Unrechts noch längst nicht an ihr Ende gekommen ist. Gleichzeitig verkennt Trappe nicht die Schwierigkeiten eines solchen Engagements, das vor allem mit der Gefahr von kostspieligen und kraftaufwendigen „Gegenprozessen“ verbunden ist, mit denen „Aufarbeiter“ immer wieder überzogen wurden (S. 230).

Indem die Autorin die politischen, archivalischen und methodischen Probleme und Rahmenbedingungen ihres Untersuchungsgegenstandes bewusst thematisiert, verflechtet sie Fallanalyse und kritische Aufarbeitung der rumänischen Aufarbeitung zu einer instruktiven Synthese, in der rechtswissenschaftliche und -geschichtliche Sichten und Erkenntnisse mit bereits vorhandenem historischem bzw. politikwissenschaftlichen Wissen gut lesbar vereint werden. Zwar werden einige der beschriebenen Prozesse und Fälle dem Rumänieninteressierten nicht unbekannt sein, aber neuartig ist die gewählte Perspektive, die dem Leser ein beredtes Bild von den Irrungen und Wirrungen der rumänischen Justiz zeichnet, die angesichts personeller und struktureller Kontinuitäten (und Seilschaften), heterogener Rechtsauslegungen und ungenügendem Problembewusstsein kaum mit den Anforderungen von transitional justice zu Rande kommt.

Dass die Situation nach wie vor offen ist, zeigen die Protestaktionen von Teodor Maries, Vorsitzender des Verbandes „21. Dezember", der Familien der Revolutionsopfer von 1989 vertritt. Mit mehrwöchigen Hungerstreiks vor Bukarester Regierungsgebäuden im Sommer/Herbst 2009 und Frühjahr 2010 erreichte er die Herausgabe von bislang zurückgehalten Akten der Militärstaatsanwaltschaft und des Verteidigungsministeriums zu den mörderischen Dezemberereignissen von 1989. Diese Dokumente sollen dem Europäischen Gerichtshof nun zur Prüfung vorgelegt werden.

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