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Titel
Bebilderte Politik. Staatsbesuche in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1990


Autor(en)
Derix, Simone
Reihe
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 184
Erschienen
Göttingen 2009: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
400 S., 20 Abb.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Meike Vogel, SFB 584 "Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte", Universität Bielefeld

So sehr sich der Charakter von Staatsbesuchen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verändert hat, ist ihr wesentlicher Sinn und Zweck doch unverändert geblieben: Staatsbesuche dienten und dienen dazu, das eigene Land nach außen darzustellen und das gewünschte Bild auch nach innen zu transportieren. Im Falle der Bundesrepublik musste dieses Bild nach dem Nationalsozialismus „erstmal gefunden und immer wieder aktualisiert werden“ (S. 11). Eine Langzeituntersuchung von Staatsbesuchen verspricht daher neue Erkenntnisse über die Herrschaftsrepräsentation der Bundesrepublik von ihren Anfängen bis 1990.

Programmatisch hat Simone Derix ihrer Kölner Dissertation ein Zitat von Michael Walzer vorangestellt: „The state is invisible; it must be […] imagined before it can be conceived.“ (S. 9) Nach Aussage eines Mitarbeiters des Bundespresseamtes eigneten sich die „Staatsbesuche der gekrönten Häupter“ bestens, „um die Repräsentierung des Staates sichtbar werden zu lassen.“ (S. 266) Die Sichtbarkeit und Repräsentation des Staates anlässlich des Besuches eines gekrönten oder ungekrönten Hauptes war unmittelbar mit der Staatsform verknüpft und führte zu der Herausforderung, einerseits einen angemessenen Empfang bieten und gleichzeitig ein demokratisches Zeremoniell gestalten zu müssen. Besonders in der frühen Bundesrepublik musste sich das Zeremoniell von der nationalsozialistischen Ästhetik abgrenzen und stand unter einem „Pathos der Nüchternheit“, das sich auch in anderen Bereichen deutlich beobachten lässt und die Bundesrepublik bis in die frühen 1970er-Jahre kennzeichnete.1 Angesichts des Anspruches, eine „demokratische“ Ausrichtung zu gewährleisten, stand besonders der Grad der Inszenierung und Organisiertheit des Publikums in der Kritik.

Tatsächlich wurden die zu besuchenden Orte und ihr symbolischer Gehalt in den Protokollen der Staatsbesuche sorgfältig abgestimmt. Auch für den angemessenen Jubel der Bevölkerung wurde gesorgt. Schulklassen bekamen frei, um an dem jeweiligen Besuch teilnehmen zu können, es wurden Fähnchen verteilt und Plakate vom Bundespresseamt gedruckt oder finanziert. Stellte die Rekrutierung der Straßenöffentlichkeit zunächst eine Maßnahme dar, um das Bild abzurunden, folgte in den 1970er-Jahren eine Auswahl der anwesenden Öffentlichkeit, denn die Sicherheitsbedürfnisse stiegen angesichts zunehmender Proteste. Ohne Frage betrieb die Führung der Bundesrepublik eine ausgefeilte Bildregie.

Doch auch die bundesdeutsche Bevölkerung hatte es bei Staatsbesuchen in den 1950er- und 1960er-Jahren nicht leicht: Sie sollte Emotionen nicht unterdrücken, aber auch keinesfalls überschwänglich zum Ausdruck bringen. Die Forderung nach wohltemperiertem „demokratischem“ Jubel lässt sich einordnen in die geforderte „Sachlichkeit“, besonders in „politischen“ Belangen. Derix konstatiert, dieses Misstrauen und Ringen um angemessene Ausdrucksformen sei neben der Organisiertheit das zweite prägende Kennzeichen der Straßenöffentlichkeit in den 1950er- und 1960er-Jahren gewesen (S. 264).

Wie aber wurde die Bundesrepublik repräsentiert? Derix beschäftigt sich im zweiten großen Kapitel des Buches mit dem, was die Staatsgäste sehen sollten (und zum Teil sehen wollten). Sie fächert die Repräsentationen auf nach den Bildern, die die Bundesrepublik zum jeweiligen Zeitpunkt ausmachten. Diese Idee, anhand der Staatsbesuche ein Mosaik bundesrepublikanischer Wahrnehmung und Selbstdarstellung zu entwerfen, überzeugt vollends. Die Autorin beschreibt vier Bildkomplexe der Bundesrepublik: Bilder der Prosperität, Bilder der Teilung, Bilder der NS-Vergangenheit und Bilder der Heimat.

Der symbolische Ort der deutschen Teilung war natürlich Berlin, das für den Kalten Krieg stand und mit der Mauer eindrückliche Bilder lieferte. Ab dem Tod Benno Ohnesorgs vom 2. Juni 1967 nahmen die Berlinreisen der Staatsgäste jedoch sukzessive ab; Angst vor Ausschreitungen auf der Straße veranlasste die Protokollchefs dazu, Berlin zu umgehen. Zudem kann Derix zeigen, dass die Staatsgäste und ihre Protokollchefs sich zunehmend davor fürchteten, dass ihr Besuch in Berlin als politisches Statement aufgefasst werden könnte. Derix weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Inszenierung von Staatsbesuchen auf die mediale Darstellung ausgerichtet war. Bei der Auswahl der Orte und Bilder wurde die Wirkung der international verbreiteten Dokumentation der Besuche immer mitgedacht (S. 107).

Die Bilder wurden sowohl von den Repräsentanten der Gastgeberländer wie von den Ländern der Staatsgäste sorgsam gewählt und unterschiedlich inszeniert und konnotiert. So zeigten die deutschen Pressemedien anlässlich des Besuches von de Gaulle 1962 Bilder, auf denen der französische Staatspräsident deutschen Kriegsveteranen die Hand reicht, und deuteten dies als Geste der Vergebung. In den französischen Blättern dominierte dagegen ein Bild, auf dem sich ein Hauptmann der Schutzpolizei vor de Gaulle verbeugte, was als Siegeszeichen der Eroberung Deutschlands gesehen wurde. Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Autorin Gesten, Bilder und Inszenierungen umsichtig analysiert. Durch den langen Zeitraum lassen sich Verschiebungen der Symbolik (etwa Berlins) sehr plausibel verdeutlichen, auch wenn die Befunde nicht immer überraschend sind.

Derix’ Interesse gilt nicht nur der Wirkung „nach außen“, sondern auch der Selbstrepräsentation der Bundesrepublik „nach innen“. Die Staatsbesuche eignen sich in dieser Hinsicht ausgezeichnet, um das Verhältnis zwischen den staatlichen Repräsentanten und anderen Akteuren in den Blick zu nehmen. Denn Staatsbesuche und andere Repräsentationen staatlicher Herrschaft sollen intern auf die Integration der Gesellschaft wirken, die Loyalität der Bürger fördern und gleichzeitig präsentieren. Dass die Beziehung zwischen staatlicher Politik und zahlreichen sonstigen Akteuren, nicht zuletzt in den Medien, seit Mitte der 1960er-Jahre grundlegend gestört war, wurde auch in den Zeremonien der Staatsbesuche manifest.

Derix arbeitet den Schahbesuch von Reza Pahlewi und seiner Frau Farah Diba 1967 als Wendepunkt im Verhältnis von Staat und Gesellschaft heraus. „Der Straßenrand war nicht mehr nur Kulisse und Peripherie, sondern konkurrierte zunehmend erfolgreich mit der staatlichen Inszenierung.“ (S. 318) Die Protokollbeamten, die bislang die alleinige Hoheit über die Inszenierungen gehabt hatten, mussten von nun an Rücksicht auf andere Akteure nehmen. In dem Maße, wie Staatsbesuche zum Anlass für Proteste wurden, schaukelten sich Demonstrationen und Sicherheitsmaßnahmen gegenseitig hoch und prägten den Ablauf der Besuche. Zum anderen wurden die Besuche zum Gegenstand einer kritischen Berichterstattung durch die Medien, die zunehmend den Charakter und die Legitimation der Inszenierungen hinterfragten und als „Operettenzauber“ abtaten.

Angesichts der hohen Bedeutung, die die Autorin den Medien zu Recht einräumt, ist es bedauerlich, dass sie die Berichterstattung zu den Staatsbesuchen nicht detaillierter in den Blick nimmt. Derix zeigt das Setting der Medienlandschaft auf und hebt besonders die Bedeutung des neuen Bildmediums Fernsehen hervor. Sie kommt zu dem Schluss, dass „das Zeremoniell selbst [...] funktional in der Berichterstattung der Massenmedien“ aufging (S. 356)2 und die öffentliche Wahrnehmung von Politik wesentlich in den Massenmedien konstruiert und gerahmt wurde (S. 358). Diese Funktionen und Effekte der Presse- oder Fernsehberichterstattung werden aber leider nur sporadisch ausgewertet; stattdessen stützt sich die Rekonstruktion im Wesentlichen auf Quellen des Bundespresseamtes. Der Preis für die inhaltliche Breite einer Untersuchung, die Staatsbesuche in der Bundesrepublik über die Dauer von 40 Jahren verfolgt, ist notwendigerweise eine Beschränkung in der Quellenauswahl und Analysetiefe. Eine stärkere Einbeziehung der Medienberichte hätte die plausiblen Argumentationen dieser ertragreichen Studie noch überzeugender gemacht.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Thomas Mergel, Der mediale Stil der „Sachlichkeit“. Die gebremste Amerikanisierung des Wahlkampfs in der alten Bundesrepublik, in: Bernd Weisbrod (Hrsg.), Die Politik der Öffentlichkeit - Die Öffentlichkeit der Politik. Politische Medialisierung in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2003, S. 29-53.
2 Vgl. dazu systematisch Daniel Dayan / Elihu Katz, Media Events. The Live Broadcasting of History, Havard 1994.

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