Cover
Titel
Das Kino und der Krieg. Deutschland 1914-1929


Autor(en)
Stiasny, Philipp
Anzahl Seiten
443 Seiten
Preis
€ 38,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Thomas F. Schneider, Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Osnabrück

Über die dominante Rolle des Ersten Weltkrieges für die Diskurse in der Zwischenkriegszeit und für die Zustimmung oder Ablehnung des politischen Systems der Weimarer Republik herrscht in den Geschichts-, Literatur und Medienwissenschaften umfassender Konsens. Für den deutschen Film ist dies bereits seit den 1990er-Jahren durch die grundlegenden Arbeiten von Rainer Rother und Bernadette Kester und ihnen nachfolgenden zahlreichen Studien untersucht und nachgewiesen worden. Hieran schließt auch Philipp Stiasnys Studie „Das Kino und der Krieg“ an, allerdings mit dem fundamentalen Unterschied, sich nicht mit Frontfilmen zu beschäftigen, sondern den Spuren des Weltkrieges im „populären Kino“ im Zeitraum 1914 bis 1929 nachzuspüren, also bis zur Einführung des Tonfilms, die Stiasny quasi als Paradigmenwechsel wertet und demzufolge als Zäsur setzt. Im Fokus stehen in vier zentralen Kapiteln, die jeweils aus Überblicksdarstellungen und detaillierten Analysen von einzelnen als signifikant verstandenen Filmen bestehen, daher im Ersten Weltkrieg produzierte Unterhaltungsfilme, Filme, die sich mit den revolutionären Ereignissen 1918/1920 beschäftigen, Filme, die in der frühen Weimarer Republik einen zukünftigen Krieg imaginieren, und schließlich Historienfilme.

Diese freiwilligen Reduktionen beinhalten einige nicht genauer diskutierte Implikationen und Konsequenzen. Grundsätzlich sind im Fortgang der Untersuchung die Arbeiten zu den Frontfilmen jeweils ebenso parallel zu denken wie die internationale Filmproduktion, die zwar verschiedentlich erwähnt, aber für die Untersuchungsergebnisse kaum eine Rolle spielen. Die deutsche Filmproduktion erscheint so weitgehend isoliert (was für den Zeitraum 1914–1918 kriegsbedingt auch zutreffen mag), die für Stiasny so überaus wichtige Publikumsorientierung des „populären Kinos“ aber ebenso unbeeindruckt von Filmimporten wie das Kriegsbild des deutschen Films und Publikums.

Das „populäre Kino“ bleibt als Terminus technicus nebulös. Stiasny weist zu Recht auf die Übernahme von Elementen des Melodrams, des Krimis, der Spionage- und Abenteuergeschichten in Erzählungen über den Krieg hin, liefert aber keine Begründung, warum dies die Bezeichnung „populär“ rechtfertigen könnte. Implizit schwingt hier eine längt überholte Trennung in Unterhaltungs- und Kunstkino mit, die zwar in der Filmkunstdebatte in den Anfangsjahren der Emanzipation des Films als eigene Kunstform von einiger Relevanz gewesen sein mag, in der Gegenwart seit den 1920er-Jahren jedoch jegliche Substanz verloren hat. Dennoch sind nur aufgrund dieser impliziten und die Untersuchung eher behindernden Annahme Stiasnys abschließende Bemerkungen zu verstehen: „Der Film besitzt Wärme, womöglich Feuer. Damit ist eine Schlüsselqualität der in diesem Buch untersuchten Filme bezeichnet: Ihr Vermögen, zugleich die Schaulust zu befriedigen, die Distanz zwischen dem Zuschauer und den Figuren auf der Leinwand verschwinden zu lassen und allen Genrekonventionen zum Trotz Gefühle und Emotionen zu wecken. Die Filme gestatten sinnliche Erlebnisse und bringen Menschen zum Lachen, Weinen, Staunen, vielleicht auch zum Grübeln, Ärgern und Mitleiden.“ (S. 397) Zumindest gestattet sei die Frage, wie denn ein Film aussehen sollte, der all dies nicht erfüllt.

Die Zäsur des Jahres 1929 bleibt unbelegt, nicht nur ungeachtet der Tatsache, dass Filme wie „All Quiet on the Western Front“ sowohl als Ton- als auch als Stummfilm vertrieben wurden, Darstellungsmodi aus dem Stumm- in den Tonfilm und die Muster der Auseinandersetzung um die Bewertung des Ersten Weltkrieges nahtlos in das partiell neue Medium übernommen wurden. Stiasny bringt sich mit dieser frei gesetzten Zäsur um die Möglichkeit, die von ihm für den Zeitraum 1914–1929 in den gewählten Teilbereichen brillant aufgezeigten Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit über den Ersten Weltkrieg bis zum vorläufigen Abschluss Ende Januar 1933 fortzuführen. Seine Studie hängt am Ende gewissermaßen in der Luft. Denn dass diese Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit von BuFA und Ufa als von der deutschen militärischen Führung initiierte und dominierte Institutionen bereits während des Krieges begannen, durch die Transformierung der Darstellung des Krieges in andere thematische Bereiche des Films als die direkte Repräsentation der Front zu favorisieren, weist Stiasny im ersten Kapitel überzeugend nach. Ebenso detailliert wie erhellend demonstriert er anhand des bereits während des Krieges unter dem Titel „Der Adler von Flandern“ begonnenen, erst 1919 als „Ikarus“ in die Kinos gebrachten Films, also eines „Überläuferfilms“, die von der Änderung des politisch-gesellschaftlichen Systems unbeeindruckten Kontinuitäten zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik – eine „Stunde Null“ hat es demnach im deutschen Kino 1918 nicht gegeben.

Diese bruchlose Kontinuität dominiert nach Stiasny auch die Filme, die sich in den frühen 1920er-Jahren mit den revolutionären Ereignissen beschäftigen und von einem „antibolschewistischen“ Konsens geprägt sind, der wiederum seine Ursprünge in Anti-Streikfilmen des Ersten Weltkrieges findet (anhand von „Unsühnbar“, „Nerven“ und „Die entfesselte Menschheit“). Spätestens hier hätte ein von Stiasny explizit vermiedener Seitenblick auf andere Medien wie Literatur und Photographie der Untersuchung geholfen: „Überläufer“ in diesen Medien existieren in Literatur und Photographie in unübersehbarer Anzahl; die quantitativ hoffnungslos unterlegenen pazifistischen Produkte sahen sich einer von den Kontinuitäten der Darstellungsmodi aus dem Kaiserreich dominierten Übermacht gegenüber. Dass imaginierte zukünftige Kriege, unabhängig vom gewählten Medium, stets mit einem Sieg Deutschlands und der Revision des Versailler Vertrages endeten, überrascht daher ebenso wenig wie das Primat der Konsensstiftung in den von Stiasny gewählten Filmen wie „Welt ohne Krieg“ oder „Giftgas“.

Als ein weiteres Vehikel der in diesem Sinne Revisionisten identifiziert Stiasny die Filme, die sich mit historischen Ereignissen auseinandersetzen, speziell Langs „Nibelungen“ und die „Fridericus-Rex“-Tetralogie. Stiasny zeigt überzeugend, dass speziell in den äußerst populären Preußen-Filmen Geschichte als Muster für die Interpretation der Gegenwart verwendet wurde, „nationale Mythen und Führerfiguren“ installiert (der Gedanke, „_Nibelungen“ als nationales Denkmal des unbekannten Soldaten des Weltkrieges zu interpretieren, scheint bei Stiasny auf) und so die Grundlagen für die Hegemonie des entsprechenden Kriegsbildes in den Filmen der 1930er- und 1940er-Jahren gelegt wurden, die die Darstellungsmodi aus den historisierenden Filmen übernahmen. Auch dies findet seine Parallele in der historisierenden Literaturproduktion und der Geschichtsschreibung am äußersten rechten politischen Rand der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“ – es handelt sich somit nicht um isolierte Phänomene in der deutschen Filmproduktion der 1920er-Jahre, sondern um gesamtmediale Deutungsmuster und Argumentationsschemata, die wiederum auf die deutschnational und letztlich faschistisch dominierte Auseinandersetzung um die Deutungshoheit über den Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik zurückzuführen wären.

Hieran hätten sich Fragen angeschlossen, die die trotz aller Detailgenauigkeit und erhellender Ergebnisse weitgehend auf das Kino konzentrierte Perspektive Stiasnys erweitern könnten: Wie sind die für den Weimarer Film herausgearbeiteten Ergebnisse im Medienkonglomerat der 1920er-Jahre einzuordnen? Welche Personen und Institutionen haben maßgeblich Einfluss auf die Gestaltung der Medienprodukte genommen und welche Verflechtungen gab es? Welche Bilderverbote gab es und von wem wurden sie installiert und protegiert? Im abschließenden Fazit reißt Stiasny das Thema am Beispiel der physisch und psychisch körperlich versehrten Kriegsteilnehmer an und behauptet ein implizites Darstellungsverbot: „In den Wochenschauen sind dokumentarische Aufnahmen so grauenhaft entstellter Gesichter wohl nie gezeigt worden, und die Spielfilme meiden sie ebenfalls.“ (S. 394) Stiasny schließt sich hier einem weit verbreiteten Irrtum an: Repräsentationen der „Gueules Cassées“ gab es bereits im Ersten Weltkrieg in Photographie und bildender Kunst, Repräsentationen stießen auf ein überragendes Publikumsinteresse, was die in die Hunderttausende gehenden Auflage von Ernst Friedrichs Photoband „Krieg dem Kriege“ in den frühen 1920er Jahren belegt, und schließlich: im Kompilationsfilm „Pour la Paix du Monde“ (Frankreich 1926) sind in der im Filmmuseum Amsterdam überlieferten niederländischen Fassung zu Beginn in zivil gekleidete Gesichtsverletzte zu sehen. Ob der Film auch in Deutschland lief und mit welchem Echo, ist mir nicht bekannt; festzuhalten bleibt jedoch, dass entsprechende Bilder existierten und massenhaft verbreitet wurden, ebenso dass sie bekämpft wurden, was unmittelbar die Frage nach den Urhebern des Bilderverbotes stellt, dessen Spuren sich auch in Stiasnys Arbeit finden. Alternative Bildangebote waren demnach stets vorhanden und wurden letztlich erfolgreich von den Kriegsbefürworten, die zugleich die Republikgegner waren, unterdrückt. Philipp Stiasny hat mit seiner umfangreichen, detaillierten, in weiten Teilen erhellenden und vor allem gut lesbaren Arbeit den status quo der Kriegsdarstellung in bislang wenig beachteten Teilbereichen der deutschen Filmproduktion der Jahre 1914–1929 identifiziert. Die Beschreibung der Ursachen, Gründe und gesellschaftlichen, historischen wie mediengeschichtlichen Konsequenzen dieses unzweifelhaft dominanten revisionistischen Kriegsbildes bleibt jedoch weiteren Arbeiten vorbehalten.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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