Minderheiten in Jugoslawien, Kroatien und der Vojvodina 1918-1941

: Die Deutsche Volksgruppe in Jugoslawien 1918-1941. Innen- und Außenpolitik als Symptome des Verhältnisses zwischen deutscher Minderheit und jugoslawischer Regierung. Frankfurt am Main 2009 : Peter Lang/Frankfurt am Main, ISBN 978-3-631-59557-2 427 S. € 64,80

: Deutsche und ungarische Minderheiten in Kroatien und der Vojvodina 1918-1941. Identitätsentwürfe und ethnopolitische Mobilisierung. Wiesbaden 2009 : Harrassowitz Verlag, ISBN 978-3-447-05924-4 718 S. € 98,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Kessler, Stiftung Martin-Opitz-Bibliothek, Herne

Sieht man von Hans-Ulrich Wehlers 1980 unter dem Titel „Nationalitätenpolitik in Jugoslawien. Die deutsche Minderheit 1918-1978“ gedruckter, nur wenig überarbeiteter Einleitung aus dem fünften Band der offiziösen „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa“ (1961) 1 und dem Beitrag Holm Sundhaussens in dem von Günter Schödl in der Reihe „Deutsche Geschichte im Ostens Europas“ herausgegebenen Band „Land an der Donau“ ab 2, fehlten bislang sachlich gehaltene Darstellungen der Geschichte der Deutschen im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen bzw. Königreich Jugoslawien. In deutscher Sprache lagen darüber hinaus vor allem Rechtfertigungen und Selbstdarstellungen von Aktivisten aus Kreisen der Minderheit vor, dazu die aus dem Nachkriegsschicksal heraus interpretierte Martyrologie der eigenen Gruppe, während auf jugoslawischer, jetzt serbischer und kroatischer Seite lange die Rolle der „Volksdeutschen“ im Zweiten Weltkrieg mit der Tendenz im Fokus stand, sie als Fünfte Kolonne abzuqualifizieren um damit ihr Nachkriegsschicksal zu rechtfertigen.

Johann Böhm wurde 1929 in Siebenbürgen geboren und gibt seit 1989 im Selbstverlag die zeitgeschichtlich orientierte „Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik“ als Alternativorgan vor allem zum Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde heraus. Seit seiner Kölner Dissertation aus dem Jahre (1985) 3 befasst er sich mit dem Einfluss des Deutschen Reiches auf die Deutschen in Rumänien in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkrieges sowie dem Weiterwirken von „Hitlers Vasallen der deutschen Volksgruppe in Rumänien“ nach 1945.4 Jetzt erweitert er seine Perspektive auf das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen bzw. Jugoslawien. Er will, so der Umschlagtext, „dem zeitgeschichtlich interessierten Publikum eine gut lesbare Bestandsaufnahme anhand des vorhandenen Quellenmaterials“ anbieten „und dabei Aufsehen erregende Ereignisse und typische Vorgehensweisen“ darstellen. Er zieht dazu zahlreiche Akten aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, den Bundesarchiven in Berlin und Bayreuth sowie dem Österreichischen Staatsarchiv heran, aber auch zeitgenössische Publizistik und ohne die gebührende Quellenkritik gedruckte Veröffentlichungen unterschiedlichster Qualität. Im Ergebnis bietet er ein Referat aus Archivmaterialien, wobei methodische und quellenkritische Fragen kaum Behandlung finden. Von einer über die chronologische Reihung der Quellen hinausgehenden Strukturierung des Materials zu sprechen, würde dem Autor Unrecht tun. Johann Böhm bleibt deshalb fast notgedrungen in der Perspektive und in der Terminologie des deutschen und des österreichischen diplomatischen Dienstes. Er verwendet zwar jugoslawische Veröffentlichungen, seine Einsichten in die komplexe Staatsstruktur erreichen indes nur geringe Tiefe. Urteile folgen zumeist den diplomatischen Akten, so dass man sich über – nicht als Zitat gekennzeichnete – Sätze wundern darf, wie diese: „Nach 20jähriger, rücksichtslos ausgenutzter Vormachtstellung gelang es den Serben nicht, die Kroaten und die übrigen Völkerschaften Südslawiens im Serbentum einzuschmelzen“ (S. 317).

Den für deutsche Minderheiten im östlichen Mitteleuropa nach 1933 typischen Konflikt zwischen dem eher konservativen „Kulturbund“ und den eher nationalsozialistischen, seit 1939 dominanten „Erneuerern“ ordnet er in keinen größeren Kontext ein. So kommt Böhm über einen insgesamt traditionalistischen Bericht mit zwölf im Anhang abgedruckten, auf den Gesamttext bezogen aber eher zufällig wirkenden Quellen nicht hinaus. Das Verhältnis zwischen der Gesamtentwicklung der Minderheit im jugoslawischen Staat und den Entwicklungen in den historischen Regionen und den neuen administrativen Einheiten bleibt unklar. Fehlerhafte Namensformen sind zudem keine Ausnahmen, so im Literaturverzeichnis: „Lendel, E.: Das Deutschtum in Slowenien und Syrmien“ müsste richtig „Lendl“ bzw. „Slawonien“ heißen. Anders als der Mehrzahl der seit der Arbeit Wehlers erschienenen Darstellungen mit Rechtfertigungscharakter muss man Böhm konzedieren, dass er sich bemüht hat, die lange von jugoslawischer Seite vorgetragenen einseitigen Schuldzuweisungen zu differenzieren und der von ihm im Text unspezifisch als „Volksgruppe“ bezeichneten Minderheit historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Man könnte bei einigem guten Willen von einem gewissen Fortschritt in der Bearbeitung des Themas sprechen, hätte nicht Carl Bethke etwa gleichzeitig sein Buch zum Thema vorgelegt.

Bethke reflektiert im Unterschied zu Böhm sein theoretisches Vorverständnis und arbeitet durchgängig methodenorientiert. Ausgehend vom Ansatz Milton J. Esmans 5 untersucht er die „ethnische Mobilisierung“ der deutschen und der ungarischen Minderheiten konzentriert auf die Regionen Kroatiens (wesentlich Slawonien, seit jüngster Zeit auch „Ost-Kroatien“ genannt) und der Vojvodina. Zur stärkeren Profilierung der Ergebnisse nutzt er den historischen Vergleich zwischen der unter Irredenta-Verdacht stehenden ungarischen und den in einer Diaspora-Struktur lebenden deutschen Minderheiten, die Ungarn ohne politisch-gesellschaftliche Handlungsspielräume, die Deutschen mit der Möglichkeit zur Organisation und – eingeschränkt – politischen Partizipation. Der Schwerpunkt liegt auf der differenziert und quellengestützt erstmals systematisch untersuchten inneren Geschichte der Minderheiten in den Regionen, ohne dass die äußeren Faktoren wie die „Mutterländer“ vergessen würden.

In innovativer Weise beschreibt Bethke nach der Darlegung von Fragestellung, Methoden sowie Quellen- und Forschungslage unter selbstverständlicher Heranziehung der serbischen, kroatischen und ungarischen Literatur die historischen Voraussetzungen, das heißt die Ergebnisse der Entwicklungen des 19. Jahrhunderts. Ähnlich innovativ und dabei gut strukturiert untersucht er die „Rahmenbedingungen“ des neuen Staates und seiner Minderheiten in den beiden behandelten Regionen. Es folgen die „Erfahrungen in Parlamentarismus und [seit der Königsdiktatur 1929] autoritärem Staat“ bis 1933 mit der Entwicklung des Schwäbisch-deutschen Kulturbundes“ und der Minderheitenparteien, der Propagierung einer neuen Identität und dem Beginn der ethnopolitischen Mobilisierung. Bethke lässt Abweichler und Randgruppen nicht aus, berücksichtigt auch die deutsch- und die ungarischsprachigen Juden. Er befasst sich dann mit den – in der ungarischen Minderheit ähnlich zu beobachtenden – politischen Differenzierung in „Alte“ und „Junge“ mit den „Innervölkischen Auseinandersetzungen“ 1935-1938 und dem Sieg der „Erneuerer“ 1939 und der darauf folgenden Schaffung der schnell gleichgeschalteten „Volksgruppe“. Bei allen von Bethke geäußerten terminologischen Bedenken erweist sich seine Beschreibung des Weges in die „volksdeutsche Parallelgesellschaft" als praktikabel und überzeugend. Er zeigt die regionalen Unterschiede, die unterschiedlichen Widerstände, aber auch das im Vergleich zur ungarischen Minderheit größere Ausmaß der Nazifizierung. Nach der von Berlin aus durch die „Volksdeutsche Mittelstelle“ initiierten „Machtergreifung“ der „Erneuerer“, die in den Organisationen eher die Minderheit darstellten, wandelte sich der „Kulturbund“ in kurzer Zeit in eine nationalsozialistisch ausgerichtete Massenorganisation, auch wenn es – anders als in Ungarn und Rumänien – vor dem Zerfall Jugoslawiens zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht zu einer durch Gesetz öffentlich rechtlich geregelten „Volksgruppe“ kam. Erst im November 1940 konnte nach der politischen Annäherung zwischen Ungarn und Jugoslawien ein ungarischer Kulturbund gegründet werden, der nur gut vier Monate lang seine Arbeit beginnen konnte.

Bethke hat vielfach bislang unbekannte Quellen unter Nutzung erstmals auch kroatischer, serbischer und ungarischer Archive herangezogen, die er, notgedrungen den Lesefluss hindernd, mit dem Ziel der Nachvollziehbarkeit seiner Aussage referiert. Er hütet sich vor einfachen Urteilen, klagt nicht an, sondern zeigt Entwicklungen und Prozesse. Bei der eindrucksvollen Materialfülle vermisst man ein Personen- und ein Geographisches Register. Bethke analysiert differenziert mit einem auch für die mitteleuropäische historische Minderheitenforschung neuen methodischen Ansatz die innere Entwicklung der deutschen und der ungarischen Minderheitsgruppen in der Vojvodina und in Kroatien zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Er weist keine Schuld zu, sondern zeigt distanziert auf der Grundlage einer horrenden Materialfülle die „ethnopolitische Mobilisierung“ der „Schwaben“ und der Ungarn in den untersuchten Regionen bis zur Nazifizierung der Deutschen. Bethke hat die Geschichte der Deutschen und der Ungarn in den beiden Regionen von der Konstituierung als Minderheit nach der Staatsgründung bis in die Schlussphase vor dem Zweiten Weltkrieg auf völlig neue inhaltliche wie methodische Grundlagen gestellt. Das werden ihm die Betroffenen vermutlich nur wenig danken, dafür hoffentlich aber die historische Forschung, auch wenn die den europäischen Südosten sonst gerne übersieht.

Anmerkungen:
1 Hans-Ulrich Wehler, Einleitende Darstellung, in: Theodor Schieder (Hrsg.), Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien (= Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost- Mitteleuropa, Bd. 5), Bonn 1961, S. 1E–132E; ders., Nationalitätenpolitik in Jugoslawien. Die deutsche Minderheit 1918-1978, Göttingen 1980.
2 Holm Sundhaussen, Die Deutschen in Kroatien-Slawonien und Jugoslawien, in: Günter Schödl (Hrsg.), Land an der Donau (= Deutsche Geschichte im Osten Europas), Berlin 1995, S. 291-348.
3 Johann Böhm, Das nationalsozialistische Deutschland und die deutsche Volksgruppe in Rumänien 1936-1944, Frankfurt am Main 1985.
4 Johann Böhm, Hitlers Vasallen der deutschen Volksgruppe in Rumänien vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2006.
5 Milton J. Esman, Ethnic Politics. Ithaca 1994.

Kommentare

Replik von Klaus Popa auf Wolfgang Kesslers Sammelrezension "Minderheiten in Jugoslawien, Kroatien und der Vojvodina 1918-1941" vom 06.05.2010

Von Popa, Klaus26.05.2010

Der Rezensent Wolfgang Kessler von der „Stiftung Martin-Opitz-Bibliothek“ erhebt in seiner Besprechung von Johann Böhms „Die Deutsche Volksgruppe in Jugoslawien 1918-1941. Innen- und Außenpolitik als Symptome des Verhältnisses zwischen deutscher Minderheit und jugoslawischer Regierung“, Frankfurt am Main 2009 ungerechtfertigte Vorwürfe gegen das Buch.

Unangemessen ist beispielsweise der Vorwurf, Böhm ordne den „nach 1933 typischen Konflikt zwischen dem eher konservativen ‚Kulturbund‘ und den eher nationalsozialistischen, seit 1939 dominanten ‚Erneuerern‘ [...] in keinen größeren Kontext ein“. Im Gegenteil schätzt Böhm die jugoslawiendeutschen Akteure politisch und ideologisch sachgerecht ein und ordnet sie kontextgetreu zu. Dies belegen unter anderem die folgenden Textstellen Böhms: „Gemessen an den Zielsetzungen und Machtinteressen waren die Führer der Erneuerungsbewegung keine harmlosen Träumer, so wie das Janko behauptet, sondern machtbesessene Nazi-Fanatiker.“ (S.208); „Seine nationalsozialistische Gesinnung versucht Sepp Janko mit dem Satz: ‚Das war unser völkischer Sozialismus, unser uns heutzutage vorgeworfener ‚Nationalsozialismus‘, nicht nur zu leugnen, sondern auch zu vertuschen.“ (S.210); „Nach 1933 etablierte sich das nationalsozialistische Herrschaftssystem und es verwundert nicht, dass zumindest für die jüngeren Volkstumsführer endlich die Zeit angebrochen zu sein schien, dem von ihnen als lästig empfundenen Vereinspluralismus ein Ende zu machen und eine straff geführte Volksgruppenpolitik nach innen und nach außen aufzubauen.“ (S.224); „Ihr [der Führung der „Erneuerungsbewegung“] ging es programmatisch weniger um eigentliche sozialpolitische Zielvorstellungen, vielmehr wurde die Sozialpolitik dieser Bewegung den zentralen politischen Zielen des NS-Regimes untergeordnet, von wo die Erneuerer eine sozialpolitische Erlösung erhofften.“ (S.236); „Den ‚Erneuerern‘ ging es in erster Linie darum, die deutsche Minderheit auf die Ziele des Nationalsozialismus einzuschwören und sie zu diesem Zwecke der totalitären Kontrolle bis tief hinein in die privatesten Belange zu unterwerfen.“ (S.237) usw.

Auch die wiederholten Hinweise Böhms auf die Wechselwirkungen zwischen der politischen Entwicklung in Deutschland und den konfliktgeladenen Vorgängen innerhalb der Minderheit, vor allem die des Kapitels 2.3 „Die innervölkische Auseinandersetzung zwischen den konservativen donauschwäbischen Führern im Kulturbund und den Befürwortern der jugoslawischen Politik und der nationalsozialistischen Ideologie 1933-1939“ (S.197ff.), nimmt Kessler nicht zur Kenntnis.

Der Einwand, „Das Verhältnis zwischen der Gesamtentwicklung der Minderheit im jugoslawischen Staat und den Entwicklungen in den historischen Regionen und den neuen administrativen Einheiten bleibt unklar“, läuft ins Leere, weil er Böhm Unterlassungen vorwirft, die überhaupt nicht Gegenstand seines Buches sind. Der eigentliche Gegenstand des Buches wird vom Rezensenten dagegen wenig thematisiert. Zwar beruft er sich auf den Umschlagtext, übergeht aber die Aussagen des „Vorworts“ (S.9-13) und des „Forschungsstands“ (S.15-26), wo der Verfasser die Notwendigkeit eines „Versuch(s) einer objektiven Neuaufnahme des Gegenstandes“ unterstreicht (S.9) und den „spätere(n) Erfolg der nazistischen Erneuerungsbewegung [...] als ein Produkt der innen- und außenpolitischen Machtkonstellation des Nationalsozialismus in Deutschland“ betrachtet (S.12). Auch betont Böhm, eine „aufgeklärt“ ausgerichtete geschichtliche Darstellung zu liefern, die „keine Patenturteile“ zulässt. (S.13) Er weist zudem darauf hin, dass sich „Widersprüche in der Darstellung auch heute noch nicht völlig klären lassen“ (S.26) und hebt hervor: „Die Sondierung der Quellenlage ist noch fernab davon, abgeschlossen zu sein, so dass sich auf diese Weise Anregungen zu Abklärungen und weiteren Nachforschungen ergeben.“ (S.26)

Kesslers Vorwurf, die im Anhang abgedruckten zwölf Quellen seien „auf den Gesamttext bezogen [...] eher zufällig“ ausgewählt vernachlässigt, dass es sich in drei Fällen um Dokumente der Selbstverfassung der Deutschen und in fünf Fällen um Unterlagen zur Schulordnung handelt, wobei Böhm dem Schulwesen auf den Seiten 111-125 und 169-196 einen zentralen Platz in seinem Buch einräumt.

Kesslers harscher Verriss lässt vermuten, dass auch der von Böhm geplante Folgeband (für die Zeitspanne 1942-1945) zu weiteren Kontroversen anregen wird.


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