S. Mayer u.a. (Hrsg.): Debating Migration

Titel
Debating Migration. Political Discourses on Labor Immigration in Historical Perspective


Herausgeber
Mayer, Stefanie; Mikael Spång
Erschienen
Innsbruck 2009: StudienVerlag
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Timo Luks, Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz

Stefanie Mayers und Mikael Spångs Band eröffnet eine Schriftenreihe des „Ludwig Boltzmann Instituts für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit“, zu dessen Forschungsfeldern die Migration und deren Beitrag zur Konstituierung europäischer Öffentlichkeiten gehört. In zwei umfangreichen Aufsätzen werden die Migrationsgeschichte Österreichs (Mayer) und Schwedens (Spång) seit den 1960er-Jahren analysiert. Der Vergleich wird unter anderem mit einer relativen Systemgleichheit beider Länder begründet – vor allem der Bedeutung neokorporatistischer und konsensdemokratischer Elemente. Diese ‚sozialpartnerschaftlichen’ Strukturen, in denen Gewerkschaften und Unternehmerverbände eine zentrale Rolle spielten, trugen dazu bei, so die erste These von Mayer und Spång, dass Migration lange Zeit nahezu ausschließlich als Problem der Arbeitsmarktregulierung behandelt wurde. Zwischen 1960 und 1975 bildeten sich Strukturen und Regelungen heraus, die Migration und Arbeitsmarkt aneinander banden und bei allen Veränderungen stabil blieben. Die Studien konzentrieren sich daher auf diese formative Phase der Regulierung der ‚Arbeitsmigration’, oder besser: der Problematisierung von Migration als Arbeitsmigration. Diese Phase wird dann mit den Diskussionen verglichen, die sich im Zuge der EU-Osterweiterung (2004) um Übergangsregelungen bei der Öffnung der Arbeitsmärkte entwickelte. Zwischen diesen beiden Eckdaten, so die zweite These, verschob sich der Rahmen der Problematisierung von Migration: Neben arbeitsmarkt- traten nun zunehmend auch sicherheitspolitische Bezüge.

Die Aufsätze zu Österreich und Schweden werden ergänzt durch kürzere Texte zur tschechischen Diskussion um die Einschränkung der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt nach dem EU-Beitritt, zur jugoslawischen Migration seit den 1960er-Jahren, zu transnationalen Integrationsprozessen am Beispiel der in verschiedenen europäischen Ländern lebenden türkischen Migrantinnen und Migranten sowie der finnischen Migrationspolitik. Diese Beiträge fallen allesamt deutlich knapper aus und sind in der Regel als Ergänzung oder Korrektiv der Hauptbeiträge angelegt.

Methodisch stützt sich der Band in lockerer Form auf einige diskursanalytische Überlegungen. Er nimmt primär den politischen Diskurs parlamentarischer Eliten in den Blick und rechtfertigt diese Engführung einerseits mit dem privilegierten Zugang dieser Akteure zu den Medien und andererseits damit, dass so die Verbindungen von Diskursen und institutionellen Strukturen sichtbar würden.

In den 1960er-Jahren wurden Migrationsfragen in Österreich nahezu ausschließlich von den Sozialpartnern verhandelt. Gewerkschaften und Unternehmerverbände einigten sich auf branchen- und regional spezifische Zuwanderungs-‚Kontingente’. Man ging von zeitlich befristeten Aufenthalten der zugewanderten Arbeiter und dem ‚Rotationsprinzip’ aus. Seit Beginn der 1970er-Jahre zeigen sich dann freilich erste Spuren eines Integrationsdiskurses. Ein Stück weit rückten hier nun – und das führte weg vom starren Festhalten am Prinzip der Rückkehr, des temporären Aufenthalts und der ‚Rotation’ – Themen wie Familienzusammenführung ins Blickfeld. Während nach wie vor klassische arbeitsmarktpolitische Argumente (Arbeitskräftebedarf versus Schutz der einheimischen Arbeiter) die politischen Debatten strukturierten, etablierte sich doch langsam eine Sicht auf Migration, die sich derartigem ökonomischen Reduktionismus zu entziehen trachtete. Dabei ging es vor allem um einen ‚menschlichen’ Umgang mit den Migrantinnen und Migranten – deren eigenständige und möglicherweise nicht kompatible ‚Kultur’ (egal, ob als Quelle der Bereicherung oder neuer Gefahren) war kein Thema. Der Integrationsdiskurs richtete sich zunächst vor allem gegen das bis dato vorherrschende Rotationssystem. Adressat war der Staat, von dem eine Erleichterung des Familiennachzugs oder die Bereitstellung besserer Wohnungen gefordert wurde. Die rechtlichen Regulierungen durch das Parlament folgten dem freilich nicht unmittelbar, dominierte hier doch ungeachtet des breiten Spektrum der verhandelten Themen weiterhin das Anliegen, einheimische Arbeiter zu ‚schützen’. Im Verlauf der 1980er- und 1990er-Jahre verschoben sich sowohl der institutionelle Rahmen als auch die Diskurse, innerhalb derer Migration problematisiert wurde. Migration wurde zum Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen und im Zuge dieser Entwicklung verloren die Sozialpartner an Einfluss und Bedeutung und der Schauplatz verlagerte sich. Es kam zu einer nachhaltigen Neuausrichtung der Debatte entlang der Themen Sicherheit und Kriminalität, Asyl und ‚illegale Einwanderung’ – immer wieder und vorangetrieben durch die erstarkte FPÖ mit offen rassistischem Einschlag. Institutionell schlug sich dieser Wandel in einer Verschiebung der Zuständigkeiten vom Sozial- zum Innenministerium nieder. Der Terminus Integration änderte in diesem politischen Klima seine Bedeutung: „Integration in this context is no longer perceived as an opportunity given by society but as a duty to be fulfilled by (individual) migrants.“ (S. 58)

In Schweden setzten in den 1960er-Jahren Versuche ein, Migration mit einer aktiven Integrationspolitik zu begegnen. Auch hier gerieten arbeitsmarktpolitische Themen in den Blick, sie wurden jedoch in stärkerem Maß an Probleme sozialer Integration, Ungleichheit und Wohlstandsverteilung gekoppelt. „The government contended that labor migration ought to be discussed in the context of two social arguments. The first argument was that it should be related to the possibilities of providing access to the labor market for other groups of society, especially married women but also disabled people and others. [...] The second argument was that labor migration had to be viewed in the light of efforts to secure that immigrants enjoyed the same living standard as the rest of the population.“ (S. 78f.) Der entscheidende Punkt der schwedischen Debatten war die Frage nach den Möglichkeiten der Integration in und durch den Wohlfahrtsstaat. Der angestrebte ‚Schutz’ vor niedrigen Löhnen, schlechten Arbeitsbedingungen oder einem hohen Arbeitsrisiko als übergreifendes Prinzip betonte einerseits die Gemeinsamkeiten schwedischer und zugewanderter Arbeiter (eben als Arbeiter, die den Risiken des kapitalistischen Markts ausgesetzt seien und durch Gewerkschaft und Wohlfahrtsstaat davor geschützt werden müssen), anderseits aber auch die Unterschiede. Die einen waren bereits integriert und genossen Schutz, die anderen waren in besonderer Weise verwundbar und dem Risiko der Ausbeutung ausgesetzt. Auch in Schweden verschob sich die Debatte seit den 1970er-Jahren. Im Zentrum stand nun nicht mehr primär die Arbeitsmigration samt ihrer Beziehung zum Wohlfahrtsstaat, sondern Flüchtlingsproblematik und Familienzusammenführung. Der frühere politische Konsens löste sich, auch in Schweden unter den Einfluss rechtspopulistischer Gruppierungen, zunehmend auf und in den 1990er-Jahren wurden klassische arbeitsmarktpolitische Dimensionen der Migration zunehmend an demographische Diskussionen um Geburtenraten und eine alternde Gesellschaft gekoppelt.

Die beiden Hauptbeiträge des Bands bieten, wenngleich derjenige zu Schweden etwas abfällt, einen guten Überblick über Migrationsdiskurse und die institutionelle Regelung von Migration in Österreich und Schweden. Die Beiträge analysieren nicht immer jede Facette des Themas, bieten aber zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten für weitergehende Forschungen. Eine dieser Möglichkeiten besteht in der Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Zeitdiagnosen. So wäre beispielsweise zu fragen, ob und wie zeitgenössische, sich zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren entscheidend wandelnde Selbstbeschreibungen (‚Industriegesellschaft’, ‚postindustrielle Gesellschaft’, ‚Wissensgesellschaft’, ‚Dienstleistungsgesellschaft’ usw.) strukturierend auf die Problematisierung von Migration einwirkten. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Einbeziehung einer Analyse des Strukturwandels des Arbeitsmarktes.

In methodischer Hinsicht soll mit Blick auf den vorliegenden Band wie auch denkbare weitere Studien angemerkt werden, dass Diskursanalyse vielleicht doch etwas anderes ist, als die hier gelieferte Auflistung parlamentarischer Sprechakte politischer Eliten. Eine Sammlung von Aussagen oder Gegenüberstellung politischer Positionen ist kein Diskurs. Die Fokussierung auf die Äußerungen politischer Eliten überzeugt dann auch am wenigsten, denn der Umstand, dass bestimmte Akteure einen privilegierten Zugang zu Medien und politischen Ressourcen haben, sagt noch gar nichts darüber aus, welche ‚Bedeutung’ (nicht Gewicht oder Einfluss) ihre Äußerungen haben, wie sie funktionieren und welche Effekte sie haben.

Dennoch: Der Band von Stefanie Mayer und Mikael Spång ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Er bietet eine wertvolle Kartierung des Gegenstands und er lässt begründet hoffen, dass die Reihe insgesamt einiges zur Analyse des Strukturwandels der (europäischen) Öffentlichkeit(en) beitragen wird.

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