H. Kunz-Ott u.a. (Hrsg.): Kulturelle Bildung im Museum

Cover
Titel
Kulturelle Bildung im Museum. Aneignungsprozesse - Vermittlungsformen - Praxisbeispiele


Herausgeber
Kunz-Ott, Hannelore; Kudorfer, Susanne; Weber, Traudel
Reihe
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement
Anzahl Seiten
199 S.
Preis
€ 23,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristiane Janeke, Tradicia History Service, Berlin

Die vorliegende Publikation dokumentiert den Jahreskongress des Bundesverbandes Museumspädagogik von 2008 im Deutschen Museum. Eine ihrer Herausgeberinnen, Hannelore Kunz-Ott, ist die Vorsitzende des Bundesverbandes. Weitere, im Umfeld erschienene Veröffentlichungen belegen die Aktualität des Themas: 2008 bereits gab der Museumsverband Museumspädagogik zusammen mit dem Deutschen Museumsbund die Broschüre „Qualitätskriterien für Museen: Bildungs- und Vermittlungsarbeit“ heraus. Der im Januar 2010 erschienene Band 74/09 der Zeitschrift „Museumskunde“ macht die Beiträge der 2009 vom Deutschen Museumsbund sowie der Kulturstiftung der Länder gemeinsam veranstalteten Tagung unter dem Motto „Chefsache Bildung“ zugänglich. All dies zeigt: Die lange allein mit Kleben und Basteln assoziierte „Museumspädagogik“, heute meist Vermittlung oder Kommunikation genannt, ist im Zentrum der Debatten über die Institution des Museums angekommen.

In drei Teilen – Vorträge, Vermittlungsformen, Praxisbeispiele – gibt das Buch einen Überblick über die in Museen und wissenschaftlichen Einrichtungen diskutierten Fragen zum Thema „Bildung im Museum“. Wie häufig bei Tagungsberichten findet der Leser auch in diesem Fall Beiträge recht unterschiedlicher Qualität, die erst in der Gesamtschau ihren Wert offenbaren. Bis auf die beiden ersten, überwiegend theoretischen Beiträge des ersten Teils berichten alle Texte über die Praxis in Museen unterschiedlicher Länder (Deutschland, Großbritannien, Niederlande, Schweiz und Österreich), so dass mehrheitlich Museumspraktiker von dieser Veröffentlichung profitieren können, weniger dagegen die museumswissenschaftliche Forschung. Gerade im Hinblick auf die Praxis der Vermittlung in den Museen wäre ein Ausblick in die USA nützlich, ein Blick über den westlichen Tellerrand nach Ost- und Ostmitteleuropa darüber hinaus wünschenswert gewesen. Anregend ist die Herkunft der Autoren und (mehrheitlich!) Autorinnen aus unterschiedlichen Disziplinen, die neben Pädagogik, Psychologie und Soziologie, Geschichte, Kommunikationswissenschaften, Kunst und Kunstvermittlung auch die Naturwissenschaften abdecken.

Die Annahme, dass Museen eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen, wird in den letzten Jahren meist durch Analysen ihrer Funktion als Orte der Erinnerung und des kollektiven Gedächtnisses belegt. Dass sie darüber hinaus unverzichtbar für die Vermittlung von Bildung in einer zunehmend heterogenen und multikulturellen Gesellschaft sind, führt die vorliegende Publikation eindrucksvoll vor Augen. Ebenso aktuelle wie dringliche Fragen werden angesprochen: Das Museum als Raum der Identitätsbildung in Migrationsgesellschaften, als Ort von Beteiligungsprozessen im Rahmen öffentlicher Debatten oder von lebenslangem Lernen und Kommunikation zwischen den Generationen. Ihre spezifischen institutionellen Eigenschaften, beruhend auf der Verbindung ihrer zentralen Aufgaben Sammeln, Bewahren, Ausstellen und Vermitteln, machen Museen zu einzigartigen Lernorten „an denen stark individualisierte und ganzheitliche Bildungsprozesse stattfinden können“ (S. 14). Die Museumspädagogik dient dabei als „Gebrauchsanweisung“, „die den Besucherinnen und Besuchern eine formelle und informelle Wissensaneignung im Museum ermöglicht“ (S. 16). Berücksichtigt man den integrativen Impuls dieser Thesen, dann mag man bei den folgenden Beiträgen allein einen Blick auf die Barrierefreiheit von Museen und die damit verbundene Integrationsfunktion von Menschen mit Behinderungen vermissen.

Allen Texten des ersten Teils ist die These gemeinsam, dass es sich beim Museum um einen Lernort mit spezifischen Bedingungen und Möglichkeiten handelt. Anders als die Schule oder das Fernsehen, so Stephan Schwan in seinem Beitrag „Lernen und Wissenserwerb im Museum“, kann im Museum gezielt auf Besucher eingegangen werden. Die Voraussetzungen, die die Besucher mitbringen, kann das Museum kompensieren, es kann also „der Heterogenität der Zugangsvoraussetzungen bei den BesucherInnen Rechnung […] tragen“ (S. 37). Mittel dazu sind Angebote für die Selektion beim individuellen Rundgang durch eine Ausstellung, Tourenvorschläge, Audioguides, Führungen sowie die Motivation durch Interaktivität, Spiele oder die Verbindung von allgemeinem Wissen mit individuellen Geschichten mit dem Ziel, Informationen aktiv abzurufen. Insgesamt sind die Erkenntnisse Schwans, wie auch diejenigen von Doris Lewalter und ihrem nachfolgenden Beitrag „Bedingungen und Effekte von Museumsbesuchen“ nicht wirklich neu, werden aber durch aktuelle wissenspsychologische Forschung unterlegt. Deren Ergebnisse werden durchaus kritisch beleuchtet, was zum Beispiel die Nachhaltigkeit des Lernerfolgs betrifft. Beide Texte bieten jedoch letztlich nicht mehr als ein Plädoyer, unterschiedliche und differenzierte Methoden zu konzipieren und für die Vermittlung einzusetzen. Eher irritierend ist die betont abstrakte Fachsprache, die zudem wenig zum Erkenntnisgewinn beiträgt.

Anna Cutler geht in ihrem Beitrag auf die informale Lernumgebung in kulturellen Institutionen im Allgemeinen und im Museum im Besonderen ein. Ihr stellt sie die formale Lernumgebung in Schulen und Universitäten gegenüber. Aus der Analyse unserer Lerngewohnheiten und Erziehung zur Bildung kommt sie zu dem Ergebnis, dass die Möglichkeiten der informalen Lernumgebung noch immer unterschätzt werden. Im Beitrag von Gabriele Stöger wird die Einzigartigkeit des Lernortes Museum auf die Möglichkeiten der Partizipation der Besucher bezogen. Anhand des Modells der „keyworker“ (zum besseren Verständnis könnte man auch von Multiplikatoren oder Vermittlern sprechen) zeigt sie Wege auf, wie bereits aktive ebenso wie potentielle Museumsbesucher jenseits der Museumsräumlichkeiten mit der Institution und ihren Angeboten in Kontakt gebracht werden können.

Einen kurzen historischen Abriss über die Entwicklung der Museumspädagogik in den Niederlanden (durchaus vergleichbar mit derjenigen in Deutschland) gibt Arja von Veldhuizen. In einem Exkurs geht sie auf die ministerielle Zuständigkeit für Bildung und Kultur in ihrer Heimat ein: Anders als in Deutschland, wo die Ressorts von Bildung, Schule und Unterricht auf der einen und Kultur (also auch Museen) auf der anderen Seite in Bund und Ländern getrennt sind, existiert in den Niederlanden seit 1994 ein gemeinsames Ministerium für Unterricht, Kultur und Wissenschaft. Obwohl es einen „Abgrund zwischen den Bereichen Unterricht und Kultur“ (S. 92) gibt, so die Autorin, haben sich daraus produktive Ansätze für die Zusammenarbeit zwischen Schule und Museum ergeben. Ausgehend von der Feststellung, dass nur durch Schule wirklich alle in Kontakt mit Kultur kommen, wurden inhaltliche und Förderprogramme zur besseren Verzahnung beider Bereiche in der Bildung entwickelt.

Der zweite Teil der Publikation stellt verschiedene Formen der Vermittlung in der Praxis vor. Unter den insgesamt neun Beiträgen über personelle Besucherbetreuung (in den Jüdischen Museen Berlin und München sowie der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen), die Entwicklung zielgruppenspezifischer Angebote unter Berücksichtigung der Methoden des Marketings, den Einsatz von Medien im Museum (Spiele, CD-ROMS/DVDs, Internet), Kooperationen zwischen verschiedenen Kultureinrichtungen über die Grenzen des Museums hinweg, Vermittlungsmethoden in Firmenmuseum sowie Evaluationsmethoden sind die folgenden hervorzuheben.

Sabine Radl und Susanne Gessner stellen die Besonderheiten der Vermittlung in Kindermuseen heraus, die darin besteht, dass dieser Museumstyp konsequent und ausschließlich auf seine Zielgruppe hin konzipiert wird, ja sogar die „Unterordnung aller Angebote unter die Prämisse der Vermittelbarkeit“ (S. 118) verfolgt. Dies ist möglich, da diese Museen meist über keine eigene Sammlung verfügen. Eine Ausnahme ist das im kulturhistorischen Museum verankerte Kindermuseum Frankfurt, das mit dem engen Bezug zu dessen Sammlung einen kindgerechten Umgang mit den Originalen vermitteln kann. Ausführlich vorgestellt wird das Medium des Theaters als Beispiel einer Vermittlungsstrategie. Dabei erhält man vertiefende Einblicke in die Motive, Methoden und den didaktischen Hintergrund der Angebote.

Einen oft vernachlässigten Aspekt der Vermittlung vertieft Susanne Kudorfer in ihrem Beitrag, nämlich die räumliche Dimension, die häufig Möglichkeiten und Grenzen der Museumspädagogik vorgibt: „Der Raum, die Museums- und Ausstellungsarchitektur sind vielleicht die dominantesten Vermittler im Museum“ (S. 126). Anka Bolduan und Ulrike von Gemmingen berichten über „Interkulturelles Lernen im Museum“, also die Bildungs- und Vermittlungsarbeit mit Menschen mit Migrationshintergrund. In individuell konzipierten Projekten werden insbesondere „Jugendliche und deren Verwandte selbst zu ExpertInnen ihrer eigenen Migrationsgeschichte und Kultur“ gemacht (S. 145). Dazu dienen die Auseinandersetzung mit den Objekten im geschützten Raum des Museums ebenso wie die Nutzung eines Museumskoffers in der Schule. Darüber hinaus wird das Museum durch Sprach- und andere Kurse zum Ort der Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache und Kultur.

Die Publikation fügt sich in die aktuelle Bildungsdiskussion ein und leistet dazu einen ebenso spezifischen wie wichtigen Beitrag. Dabei verweisen die Autoren immer wieder darauf, dass der Erfolg von Bildungsarbeit in den Museen, wie in anderen Bereichen auch, von festen und verlässlichen Strukturen, insbesondere gut ausgebildetem Personal sowie konstanten Budgets, abhängt (S. 123, S. 151). Von praktischem Vorteil ist die Nennung von Literatur jeweils am Ende eines Beitrags, was einen Überblick über die Forschung zu den sehr unterschiedlichen Zugängen zur Bildungsarbeit in Museen ermöglicht. Der Band schließt mit einer Auflistung von Praxisbeispielen, gegliedert nach verschiedenen Stichworten (thematischer Zugang, Zielgruppen, Museumstyp). Die durchgängige Bebilderung mit Fotos aus der Museumspraxis ermöglicht eine Vorstellung von der Vielfalt der hier vorgestellten Ansätze.

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