R. Gooding-Williams: In the Shadow of Du Bois

Titel
In the Shadow of Du Bois. Afro-Modern Political Thought in America


Autor(en)
Gooding-Williams, Robert
Erschienen
Anzahl Seiten
x, 350 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Wendt, Forschungsbereich Transcultural Studies, Universität Heidelberg

W.E.B. Du Bois ist zweifelsohne einer der einflussreichsten afroamerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Vor allem seine 1903 veröffentlichte Aufsatzsammlung „The Souls of Black Folk“ machte den Historiker, Aktivisten und „public intellectual“ bereits zu Lebzeiten zu einer intellektuellen Ikone. Nach seinem Tod im Jahr 1963 wurde „Souls“, welches sich vor allem mit afroamerikanischer Kultur und Identität auseinandersetzt, zur Pflichtlektüre für Aktivistinnen und Aktivisten, Studierende und WissenschaftlerInnen. Besonders Du Bois’ Aussagen über das „double consciousness“ (doppeltes Bewusstsein) von AfroamerikanerInnen und die Bedeutung der von ihm als „Talented Tenth“ bezeichneten kleinen Elite gebildeter AfroamerikanerInnen, die den schwarzen Freiheitskampf anführen sollten, wurden breit rezipiert und vielfach diskutiert. Interessierten sich im wissenschaftlichen Bereich zunächst vor allem die Literaturwissenschaften und Geschichtswissenschaften für das einflussreiche Werk, wurde es später auch von der Philosophie und der Politikwissenschaft analysiert und interpretiert.

Robert Gooding-Williams’ Studie knüpft an die Vorarbeiten der zwei letztgenannten Disziplinen an und analysiert „Souls“ und dessen Einfluss im Kontext einer „Afro-modern tradition of political thought“, welche er als ein Subgenre moderner politischer Philosophie versteht. Während der Titel seines Werkes vor allem eine Auseinandersetzung mit der Wirkung von Du Bois’ Werk auf nachfolgende Generationen afroamerikanischer Intellektueller erwarten lässt, konzentriert sich Gooding-Williams in erster Linie auf zwei Werke, zum einen „Souls“ selbst und zum anderen „My Bondage and My Freedom“, die 1857 veröffentlichte Autobiographie des afroamerikanischen Antisklavereiaktivisten Frederick Douglass. Douglass beschreibt darin sein Leben als Sklave, seine Flucht in die Freiheit und die Anfänge seines politischen Aktivismus. Im letzten von sechs Kapiteln untersucht Gooding-Williams schließlich, wie sich afroamerikanische Philosophinnen und Philosophen und PolitikwissenschaftlerInnen seit den 1980er-Jahren mit den in „Souls“ formulierten Ideen auseinandergesetzt haben.

Gooding-Williams verfolgt mit seiner Analyse von „Souls“ und „Bondage“ drei Ziele: Erstens möchte er Du Bois’ Entwurf einer Politik nachzeichnen, der es AfroamerikanerInnen erlaubt, die rassistische Diskriminierung in den USA herauszufordern. Du Bois war der Überzeugung, dass eine solche Politik von einer kleinen schwarzen Elite gesteuert werden müsse, die die Situation der „rückständigen“ schwarzen Massen verbessern und einem dezidiert afroamerikanischen Ethos folgen müsse. Gooding-William unterzieht diese Vorstellungen in einem zweiten Schritt einer kritischen Neubewertung. Drittens nutzt er Douglass’ Autobiografie, um unser bisheriges Verständnis afro-moderner politischer Theorie zu problematisieren. „Bondage“ dient Gooding-Williams in diesem Zusammenhang dazu, Du Bois’ zentrale Ideen kontrastierend zu hinterfragen. Dem auf einer kleinen schwarzen Führungsschicht basierenden Politikkonzept von Du Bois, der schwarze Identität als „politics of expressive self-realization“ (S. 6) essentialisierte, stellt Gooding-Williams das auf demokratischer und gemeinschaftlicher Aktion basierende Konzept Douglass’ gegenüber. Im Gegensatz zu Du Bois, so Gooding-Williams, sah Douglass eine essentialisierte schwarze Identität nicht als Bedingung für den erfolgreichen Kampf gegen die weiße Vorherrschaft an, sondern vertraute darauf, dass sich eine auf schwarzer Solidarität basierende Identität im Laufe des schwarzen Freiheitskampfes herausbilden würde. Zuletzt stellt Gooding-Williams Du Bois’ eher konservativen, sich an europäischen bzw. amerikanischen Normen orientierenden Plan für den Widerstand gegen weißen Rassismus den radikalen Entwurf von Douglass entgegen, der nicht nur die Sklaverei abgeschafft sehen wollte, sondern eine revolutionäre Veränderung amerikanischer politischer Traditionen und Normen propagierte.

Im letzten Kapitel untersucht Gooding-Williams schließlich eine Reihe von zeitgenössischen schwarzen Theoretikerinnen und Theoretikern, um dem Einfluss von „Souls“ im späten 20. Jahrhundert nachzuspüren. Anhand kurzer Analysen der Werke einflussreicher afroamerikanischer Denkerinnen und Denker wie zum Beispiel John Brown Childs, Joy James, Adolph Reed, Cornell West und Paul Gilroy, zeigt Gooding-Williams auf, dass eine Mehrheit dieser Autorinnen und Autoren das Führerschicht-zentrierte Politikverständnis von Du Bois ablehnt und für ein Konzept plädiert, dass sich an Frederick Douglass’ Vorstellung von gemeinschaftlichem Aktivismus orientiert.

Gooding-Williams’ Neubewertung von „Souls“ leistet nicht zuletzt wegen der Gegenüberstellung zu „Bondage“ einen wichtigen Beitrag zur Erforschung afroamerikanischer politischer Theorie und Philosophie. Gooding-Williams analysiert beide Werke nicht nur nuanciert und präzise, sondern betritt auch theoretisches Neuland durch das bisher nicht auf Du Bois’ Werk angewendete Konzept des „political expressivism“. Von einer ideengeschichtlichen Perspektive betrachtet sind jedoch sowohl sein Fokus auf „Souls“ und „Bondage“, als auch die Nichtbeachtung schwarzer Theoretikerinnen und Theoretiker vor den 1980er-Jahren nicht ganz nachvollziehbar. Während Gooding-Williams in seinem Werk die große Bedeutung der historischen Kontextualisierung anspricht, wird diese in seiner Analyse von Du Bois und Douglass nur angedeutet. Eine ausführlichere Einbettung der untersuchten Texte in den historischen Kontext ihrer Zeit hätte deutlicher zutage gefördert, warum Du Bois einen scheinbar weniger radikalen Ansatz als Douglass verfolgte, dessen Konzept der revolutionären Umstrukturierung amerikanischer politischer Traditionen und Normen eine fast zwangsläufige Konsequenz der von ihm geforderten Sklavenbefreiung war. Du Bois formulierte seine Ideen hingegen im Kontext eines rassistischen „Jim Crow“-Systems, dass seiner Meinung nach reformiert, aber nicht unbedingt radikal umstrukturiert werden konnte und sollte. Aus diesem Grund wären Vergleiche mit anderen schwarzen Aktivistinnen und Aktivsten des 20. Jahrhunderts angebracht gewesen, um den Einfluss von und den intellektuellen Widerstand gegen „Souls“ genauer zu analysieren. Eine Untersuchung von Denkerinnen und Denkern wie zum Beispiel Marcus Garvey, A. Philipp Randolph, Ella Baker, Stokely Carmichael oder Amiri Baraka hätte außerdem gezeigt, dass Du Bois’ elitäres Führerkonzept bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren einer gezielten Kritik unterzogen wurde, die sich teilweise aus der Praxis der Bürgerrechtsbewegung ergab und gerade in der Black Power Bewegung der 1960er- und 1970er-Jahre Anwendung fand. Eine kontrastierende Analyse der von schwarzen Nationalistinnen und Nationalisten hervorgebrachten Werke, die Gooding-Williams explizit als „afro-modern political thought“ ansieht, hätte dazu beigetragen, das Versprechen des sehr allgemein formulierten Buchtitels einzulösen. Diese Kritikpunkte, die aus der Perspektive der Geschichtswissenschaften formuliert sind, sollen jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die vorliegende Studie einen essentiellen Beitrag zur Erforschung afroamerikanischer politischer Theorie leistet und zweifellos eine breite Leserschaft finden wird.

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