Th. Fögen (Hrsg.): Bodies and Boundaries in Antiquity

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Titel
Bodies and Boundaries in Graeco-Roman Antiquity.


Herausgeber
Fögen, Thorsten; Lee, Mireille M.
Erschienen
Berlin u.a. 2009: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII, 317 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lukas Thommen, Historisches Seminar, Universität Zürich

„Grenzen“ als Forschungsthema sind en vogue, und so ist es naheliegend, dass es auch auf die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper angewendet wird, der ebenfalls ungebrochenes Interesse genießt. Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes gehen im Kern auf eine Tagung am Center for Hellenic Studies in Washington D.C. vom April 2006 zurück. Sie stammen von deutschen und amerikanischen Forscherinnen und Forschern vorwiegend aus den Bereichen der Klassischen Philologie und Archäologie bzw. Kunstgeschichte. Obwohl sich die meisten von ihnen redlich bemühen, zum Thema der Grenzen explizit Stellung zu nehmen, fehlt eine übergeordnete Auseinandersetzung mit dem zugrunde gelegten Begriff. Dieser bleibt daher eher schwammig und gewinnt durch das zusätzliche Gewicht, das auf „performance“, „self-styling“ und „hierarchy“ gelegt werden soll, kaum an Schärfe: Es geht um „dynamics by which the contour of the body as a being and as a social agent is defined, maintained, transgressed or undone“ (S. 7).

Naturgemäß handelt es sich um sehr heterogene Beiträge, die teilweise auch in anderen Kontexten als der Körpergeschichte unterzubringen gewesen wären und die auch durch die Anordnung in fünf Abschnitte („The Body in Performance“, „The Erotic Body“, „The Dressed Body“, „Pagan and Christian Bodies“ und „Animal Bodies and Human Bodies“) nicht überall die entsprechend klaren Konturen schaffen. Ihre Inhalte sind zudem nicht alle durchgehend neu, sondern spiegeln verschiedentlich größere Forschungsthemen der Autoren, die als Monographien bereits vorliegen oder kurz vor dem Erscheinen stehen. Andererseits ist genau der Aspekt der Komprimierung einzelner breiter Themen in einem kurzen Überblick der Vorteil einiger Beiträge, die insgesamt eine Fülle von Anregungen bieten.

Eine kurze Einleitung von Gloria Ferrari (S. 1–9) ruft die Klassiker der modernen Körpergeschichte, angefangen von Marcel Mauss’ Körpertechniken über Michel Foucaults Geschichte der Sexualität, in welcher der Körper als soziales Konstrukt analysiert wird, bis zu Judith Butlers Untersuchungen zur Performativität und ihren jüngsten Nachfolgern in Erinnerung – und endet mit der zutreffenden Feststellung, dass der vorliegende Band Beiträge zum Körper in der griechischen und römischen Literatur und Kunst enthält, wobei der Plural „Körper“ als Ausdruck größerer Komplexität geeigneter sei. Obwohl die Beiträge zu Recht wiederholt disziplinäre und chronologische Grenzen überschreiten und in thematische Abschnitte angeordnet sind, gruppiere ich sie für eine kurze Besprechung hier nach traditionelleren Klassifizierungen der Altertumswissenschaften, welche sich nach den Interessengebieten der Klassischen Philologie, Archäologie und Kunstgeschichte sowie der Erforschung der Spätantike bzw. des Frühen Christentums richten.

In einem philologisch orientierten Kontext setzt sich Thorsten Fögen (Sermo corporis: Ancient Reflections on gestus, vultus and vox, S. 15–43) im Zuge etlicher neuerer Forschungen mit der nicht-verbalen Kommunikation auseinander, also mit äußeren Kennzeichen und Gesten der Redner, die vor allem Cicero und Quintilian thematisieren. Über Handbewegungen, Gesichtsausdruck und Kleidung bringen die Redner ihre Maskulinität zum Ausdruck, wodurch sie sich von der effeminierten Rede und weiblichem Körperverhalten distanzieren und als tugendhafte Römer gegen Außenseiter abgrenzen. Nancy Worman (Bodies and Topographies in Ancient Stylistic Theory, S. 46–62) beschäftigt sich detailreich, aber wenig systematisch mit den in Griechenland und Rom verwendeten Metaphern, die der Charakterisierung von Schreib- und Redestilen dienen. Sprachgewohnheiten werden mit Hilfe des Körpers als Organisationsprinzip eingeordnet und im Vergleich mit (beschwerlichen und angenehmen) Wegen oder Flüssen in die Landschaft versetzt, so dass sie auch unterschiedliche Gefühle wie Strenge und Vergnügen widerspiegeln.

Judith P. Hallett (Corpus erat: Sulpicia’s Elegiac Text and Body in Ovid’s Pygmalion Narrative [Metamorphoses 10.238–297], S. 111–124) versucht in einer philologischen Untersuchung zu Ovids Pygmalion darzulegen, dass in dieser Geschichte Bezug auf die erotischen Elegien der zeitgenössischen Dichterin Sulpicia genommen wird. Diese soll dadurch selber zu einer Art Statue bzw. von einer aktiven, schöpferischen Person und Liebhaberin zu einem kontrollierbaren Kunstobjekt umgeformt worden sein. Donald Lateiner (Transsexuals and Transvestites in Ovid’s Metamorphoses, S. 125–154) untersucht demgegenüber die Geschlechtsumwandlung im Mythos, die auch bei Ovid als Denkmodell dient. Transsexualität und Transvestismus (als Ersatzform) machen Gender-Grenzen durchlässig und verdeutlichen das Problem der gesellschaftlich definierten Geschlechterrollen.

Als ein Highlight der philologisch orientierten Aufsätze darf schließlich der Beitrag von Peter von Möllendorff (Man as Monster: Eros and Hubris in Plato’s Symposium, S. 87–109) bezeichnet werden, der andernorts in deutscher Sprache erscheint und gerade auch von (erkenntnis-)philosophischem Interesse ist. Er analysiert die platonische Fabel des Aristophanes über den doppelleibigen Ur-Menschen, dessen Trennung – als Strafe für hybris – den Menschen zu einer Art Monster gemacht hat, das ewig nach seiner Komplettierung strebt. Diese Geschichte dient als Vorspann und Parabel für die Suche des Philosophen nach (transzendentaler) Erkenntnis, die ebenfalls als göttlicher Frevel gedeutet werden kann und den „Silen“ Sokrates dem Monströsen annähert.

Von archäologischem Interesse ist zunächst der Beitrag von Mireille M. Lee (Body-Modification in Classical Greece, S. 155–180), der ihre noch nicht erschienene Monographie „Kalos Kosmos. The Body, Dress and Gender in Early Greece“ zusammenfasst. Während der männliche Körper in der Palästra öffentlich trainiert und unterhalten wird, findet die weibliche Körperpflege zu Hause statt. Sie erfolgt in beiden Fällen regelmäßig und erfüllt bestimmte Körperideale, während permanente Körperveränderungen durch Tätowierung und Beschneidung nur bei den Barbaren zur Anwendung kommen.

Mit der Darstellung von Tieren in der griechischen Kunst beschäftigen sich die Beiträge von Annetta Alexandridis (Shifting Species: Animal and Human Bodies in Attic Vase Painting of the 6th and 5th Centuries B.C., S. 261–281) und Catherine M. Keesling (Exemplary Animals: Greek Animal Statues and Human Portraiture, S. 283–309). Alexandridis verdeutlicht für die Vasen von der spätarchaischen bis zur frühklassischen Zeit eine Veränderung in den Darstellungen mythischer Figuren, die in Tiere umgewandelt wurden (Aktaion, die Gefährten des Odysseus und Thetis). Während die Göttin Thetis ihre menschliche Erscheinung bewahrt, werden die irdischen Figuren immer mehr mit tierischen Elementen vermischt, so dass sich letztlich auch die Grenzen zwischen Mensch, Tier und Gottheit auflösen. Keesling macht demgegenüber deutlich, dass klassische griechische Tierskulpturen, die als Weihgeschenke in Heiligtümer kamen oder auf Gräbern standen, in römischer Zeit als spezifische, berühmte Tiere identifiziert wurden, denen eine Vorbildfunktion für die Menschen zukam.

Zur römischen Kunst leitet der Beitrag von Lauren Hackworth Petersen („Clothes Make the Man“: Dressing the Roman Freedman Body, S. 181–214) über, der auf ihrer Monographie zu den Freigelassenen in der römischen Kunst aufbaut.1 Er verdeutlicht den problematischen Status von Freigelassenen, die sich zwar äußerlich gerade in der Kleidung den Bürgern anpassen, aber trotz des teilweise beachtlichen gesellschaftlichen Erfolgs ihren alten Status nie ganz verwischen können, was sich auch bei Petrons Trimalchio zeigt. In die Spätantike führt der Beitrag von Kathrin Schade (The Female Body in Late Antiquity: Between Virtue, Taboo and Eroticism, S. 215–236), die sich dazu schon 2003 in ihrer Dissertation umfassend geäußert hat.2 Sie verdeutlicht den Gegensatz zwischen dem Ideal der Asketin in der christlichen Literatur und der prominenten, nach römischem Muster reich ausgestatteten Matrone in der Bildwelt, die aber zunehmend auch ihre christliche pietas zum Ausdruck bringen musste. Die Jungfrau Maria vereinigt die Ideale von Virginität und Mutterschaft auf beispielhafte Art und Weise.

In einem historisch ausgerichteten Beitrag erklärt Judith Perkins (Early Christian and Judicial Bodies, S. 237–259), die sich 2009 auch durch ihre Arbeit „Roman Imperial Identities in the Early Christian Era“ ausgewiesen hat, die Debatte über die Materialität des Körpers Christi im 2. Jahrhundert vor dem Hintergrund einer zweigeteilten Klassenjustiz, welche die Oberschicht von harten Körperstrafen ausnimmt. Die Aufwertung des christlichen Körpers erfolgt im Hinblick auf das für alle gleich geltende Letzte Gericht, das über die Auferstehung entscheidet und damit neben der Seele auch auf einen intakten Körper angewiesen ist. In die weiter entfernte Geschichte der justinianischen Zeit gehört schließlich der Beitrag von Charles Pazdernik (Paying Attention to the Man Behind the Curtain: Disclosing and Withholding the Imperial Presence in Justinianic Constantinople, S. 63–85). Er legt dar, dass durch das veränderte Hofzeremoniell die Untergebenen nicht mehr nach Rangordnung auftraten, sondern sich als einheitliche Gruppe unterwarfen und dadurch ein größerer Abstand zum Herrscherpaar geschaffen wurde.

Anmerkungen:
1 Lauren Hackworth Petersen, The Freedman in Roman Art and History, Cambridge 2006.
2 Kathrin Schade, Frauen in der Spätantike – Status und Repräsentation, Mainz am Rhein 2003.

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