Titel
Becoming African Americans. Black Public Life in Harlem, 1919-1939


Autor(en)
Corbould, Clare
Erschienen
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 32,42
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patricia Wiegmann, Historisches Seminar, Universität Erfurt

„The diaspora is both process and condition“, deklarierten Tiffany Ruby Patterson und Robin D.G. Kelley im Bezug auf die so genannte „African Diaspora“ vor einigen Jahren in der African Studies Review und forderten schlussfolgernd HistorikerInnen dazu auf, vergangene Prozesse ihrer Bildung als auch ihrer Negierung eingehend in den Blick zu nehmen. 1 Genau dies leistet nun die Australierin Clare Corbould mit ihrer Publikation „Becoming African Americans: Black Public Life in Harlem, 1919-1939”, in der sie entlang von Presseerzeugnissen, Pamphleten, Organisationsakten, Kunstwerken, Theaterstücken sowie literarischen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen untersucht, in welcher Weise Vorstellungen von Afrika und einer nationale Grenzen transzendierenden, schwarzen Gemeinschaft im Harlem der Zwischenkriegszeit produziert und verhandelt wurden.

Ihre kulturwissenschaftlich angelegte Analyse organisiert Corbould thematisch in sechs Kapiteln, die jeweils unterschiedliche Akteure und deren Einbindung in Diskurse um Afrika untersuchen. So beschäftigt sich das erste Kapitel zunächst mit den Aktivitäten der „Universal Negro Improvement Association“ sowie der „National Association for the Advancement of Colored People“ und legt dar, wie beide Organisationen in Reaktion auf die andauernde Ausgrenzung schwarzer Menschen in den USA in den frühen 1920er-Jahren öffentlichkeitswirksam begannen, Afrika als eigentliche Herkunft, als „Motherland“ (S. 18) schwarzer Menschen weltweit zu propagieren. Diese Vorstellung wurde zugleich von wissenschaftlich angelegten Darstellungen gestützt, wie Corbould im zweiten Kapitel herausarbeitet. Entlang der Aktivitäten schwarzer Intellektueller wie etwa Arthur Schomburg veranschaulicht sie hier die Bedeutung Afrikas als Kristallisationspunkt einer „usable black past“ (S. 57): Um zeitgenössische Darstellungen Afrikas als rückständigen Kontinent sowie die daran gekoppelte Vorstellung einer biologisch determinierten Minderwertigkeit schwarzer Menschen zu widerlegen, schufen die Autoren Harlems alternative historische Narrative, in denen sie Afrika, unter Verweis auf die Leistungen einstiger Pharaonen, als Wiege einer „world civilization“ präsentierten und zugleich zu einem Teil des kulturellen Erbes schwarzer Menschen in den USA deklarierten.

Das dritte Kapitel knüpft thematisch an das zweite an und beschreibt Institutionalisierungsprozesse schwarzer Geschichtsschreibung wie etwa die Gründung der „Association for the Study of Negro Life and History“, die Etablierung spezieller Bibliotheken und die Erarbeitung schulischer Curricula, die nach Ansicht Corboulds maßgeblich zur Generierung von Wissen über Afrika beitrugen und die Thematik im Alltag breiter Schichten verankerten. Interessanterweise schließt die Autorin hierbei auch die Straße als eine wirkmächtige gesellschaftliche Institution in ihre Analyse ein und verweist damit auf die Bedeutung eines von der Forschung in diesem Zusammenhang bisher wenig untersuchten Raumes. Im Unterschied dazu beschäftigt sich das vierte Kapitel mit einem bereits vielfach analysierten Thema: der Harlem Renaissance. Dabei diskutiert Corbould jedoch nicht nur verschiedene künstlerische Produktionen wie etwa jene Countee Cullens oder Malvin Gray Johnsons, sondern setzt diese in Bezug zu Debatten um zeitgenössische Ausstellungen afrikanischer Artefakte. So gelingt es ihr anschaulich, das Spannungsverhältnis nachzuzeichnen, in dem Kunstschaffende der Harlem Renaissance agierten: Einerseits die neuartige Wahrnehmung afrikanischer Artefakte als Kunst begrüßend und forcierend, thematisierten die Künstler anderseits in ihren eigenen Arbeiten auch immer wieder fehlende emotionale Bindungen zu Afrika und distanzierten sich durch Verweise auf die eigene Multikulturalität von eindimensionalen Verknüpfungen zwischen Afrika und schwarzen US-AmerikanerInnen.

Ambivalenzen wie diese, das Oszillieren zwischen einer Glorifizierung und Exotisierung Afrikas und gleichzeitiger Distanzierung werden im fünften Kapitel weiter ausgeführt, in dem die Autorin Darstellungen Haitis in Broadway Shows und zeitgenössischen Bühnenstücken diskutiert. Ausgehend von der Annahme, dass Haiti den Zeitgenossen als „stepping stone to Africa“ (S. 163) galt, legt sie dar, wie auch dieser Raum von schwarzen Künstlern und Aktivisten als ein Ort positiver Selbstreferenz ausgestaltet und insbesondere die kulturellen Praktiken der Region als Verweis auf eine distinkte schwarze Kultur performiert wurden. Während im fünften Kapitel der Protest gegen die Besetzung Haitis durch US Marines zwischen 1915 und 1934 und dessen zentrale Bedeutung für die Herausbildung eines schwarzen Gemeinschaftsgefühls zwar konstatiert, aber kaum anhand konkreter Materialien belegt wird, setzt sich das sechste Kapitel dezidiert mit dem Widerstand gegen die italienische Invasion Äthiopiens auseinander. Nach ausführlicher Diskussion verschiedener Formen des aktiven und passiven Protests schlussfolgert Corbould hier, dass in diesen Protesten „black American’s direct identification with Africa and Africans“ (S. 213) kulminierte. Zugleich seien die Äußerungen jedoch auch zunehmend vom Gedanken der Solidarität und Zusammengehörigkeit mit kolonisierten und unterdrückten Menschen überall in der Welt begleitet worden, ein Gedanke, der nach Ansicht Corboulds die Debatten der Folgedekaden dominieren sollte.

In diesen sechs Kapiteln, die inhaltlich immer wieder ineinander greifen, gelingt es Corbould in anschaulicher wenngleich äußerst dichter Schreibweise, bisher in der Forschung meist separat betrachtete Felder und Phänomene zusammenzuführen und diese als interagierende Teile eines vielschichtigen kulturellen Prozesses zu präsentieren. Allerdings führt dieser komplexe Analysezuschnitt leider hin und wieder zu Oberflächlichkeit. Viele spannende Argumente und Informationen werden aufgeworfen, aber nicht immer ausführlich diskutiert und belegt. Auch hätten Differenzen und Schattierungen, die sich aus der Nationalität der AkteurInnen oder aus Strukturbedingtheiten wie etwa „class“ oder „gender“ und ihren damit korrelierenden Sprecherpositionen ergaben, stärker herausgearbeitet werden können. So verweist Corbould beispielsweise immer wieder auf geschlechtliche Kodierungen innerhalb des Afrika-Diskurses, während auf Akteursebene allerdings männliche Intellektuelle scheinbar unhinterfragt die Analyse dominieren. Neben fehlenden Erläuterungen hinsichtlich Auswahl und Arrangement der untersuchten Personen und kulturellen Produktionen ist auch der Umgang mit Termini stellenweise oberflächlich. Gravierend ist dies vor allem im Bezug auf die im Titel verankerte Konzeption eines „Black Public Life“, das an keiner Stelle konkretisiert und kritisch reflektiert wird. Auch Corboulds Trennung zwischen einer „black“ und einer „white public sphere“ (S. 11) bleibt ohne tief greifende Erläuterungen und wirkt damit höchst fragwürdig.

Trotz einiger Unschärfen insbesondere auf theoretisch-methodischer Ebene ist Corboulds Publikation eine facettenreiche Arbeit, in der es der Autorin gelingt, über eine auf Harlem gerichtete Analyselinse transnationale Strömungen und ihre vielschichtigen Effekte innerhalb US-amerikanischer Geschichte einzufangen. Wie bereits im Titel „Becoming African American“ angekündigt, macht ihre Darstellung insgesamt überzeugend deutlich, dass Verknüpfungen zwischen schwarzen Menschen in den USA und Afrika keineswegs eine Selbstverständlichkeit waren, sondern vielmehr ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess sind, der sich zwischen 1919 und 1939 auf vielschichtige Weise verdichtete.

Anmerkung:
1 Tiffany Ruby Patterson / Robin D.G. Kelley, Unfinished Migrations. Reflections on the African Diaspora and the Making of the Modern World, in: African Studies Review Vol. 43, No. 1, Special Issue on the Diaspora (April, 2000), S. 11-45.

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