E. Faber: Europäische Aufklärung zwischen Wien und Triest

Cover
Titel
Europäische Aufklärung zwischen Wien und Triest. Die Tagebücher des Gouverneurs Karl Graf von Zinzendorf 1776-1782, mit einer monograpischen Einführung von Grete Klingenstein


Herausgeber
Faber, Eva; Klingenstein, Grete; Trampus, Antonio
Reihe
Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 103
Erschienen
Anzahl Seiten
4. Bde, 2011 S.
Preis
€ 279,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl Vocelka, Institut für Geschichte, Universität Wien

Die vier stattlichen Bände in dem roten Schuber wirken zunächst wie eine exklusive Literaturausgabe, nicht wie eine wissenschaftliche Edition, erst ein Blick ins Innere und das Wissen um die lange Arbeit an diesem Projekt und seinen wissenschaftlichen Stellenwert belehren den Betrachter eines anderen.

Der erste, dünnste Band enthält eine Einleitung, die weit über das sonst bei Editionen Gewohnte – Editionsgrundsätze, Beschreibung der Quelle und Hinweise auf die Literatur – hinausgeht, auf diesen Teil des Werkes wird noch näher einzugehen sein. Die beiden mittleren Bände (insgesamt 1010 Seiten) sind der eigentlichen Edition gewidmet, in ihnen wird der französische Text des Tagebuches im Volltext unkommentiert wiedergegeben und der letzte, vierte, ebenfalls sehr umfangreiche Band (662 Seiten) erschließt die edierten Texten durch ein Register, das allerdings gleichzeitig auch die Kommentare enthält.

Der Nachlass des Grafen Karl Zinzendorf (1739-1813) steht seit langer Zeit im Mittelpunkt des editorischen Interesses der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs in Hinblick auf die Geschichte, was vielleicht zunächst überraschend scheinen mag. Karl Zinzendorf war keiner der „Big Players“ seiner Zeit, also nicht vergleichbar mit Haugwitz, Kaunitz, Sonnenfels, Thugut oder Metternich, durch deren Wirken die Geschichte der Habsburgermonarchie entscheidend mitbestimmt wurde.

Zinzendorf stammte aus einer protestantischen kursächsischen Familie, die eng mit der Entwicklung der Herrenhuter Brüdergemeinde verbunden war, er übersiedelt nach Wien und wurde dort 1762 zum k.k. Kommerzienrat ernannt, unternahm in seiner Amtsfunktion große Auslandsreisen und konvertierte auch bald zum Katholizismus. 1770 wurde er Hofrat in der Hofrechenkammer und unternahm wieder große Reisen im Auftrag des Staates. 1776 wurde er bis zu seiner Bestellung zum Präsidenten der Hofrechenkammer Gouverneur in Triest / Trieste/ Trst. Aus dieser Zeit stammen die in dieser Ausgabe edierten Tagebücher. Später wurde er noch geheimer Rat, Staatsminister und schließlich Staats- und Konferenzminister, immer im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Finanzspezialist. Eine weitere wichtige Schiene seiner Tätigkeit war der Deutsche Orden, in dem er es bis zum Landeskomtur der Ordensballei Österreich brachte.

Was Zinzendorf auszeichnet, ist also nicht seine politische Bedeutung, sondern die Fülle und Breite seines Nachlasses, vor allem der Egodokumente (Tagebücher und Briefe) die noch Generationen von Historikerinnen und Historikern beschäftigen können und werden, denn solche Tagebücher von ihm liegen aus 50 Lebensjahren vor. Ein kleiner, aber bedeutender Teil dieser Schriften, eben die Tagebücher aus der Zeit Zinzendorfs in Triest von 1776 bis 1782 werden in dieser Edition vorgestellt.

Der erste Band dieser Edition geht, wie schon erwähnt, weit über die traditionelle Einleitung einer Edition hinaus, ist gleichzeitig auch eine erste Auswertung des Materials und gibt eine überaus gediegene und grundlegende Einordnung der Arbeit in die Forschung. Die Beschäftigung mit dem späten 18. Jahrhundert – oft als „großes“ 18. Jahrhundert bezeichnet –, in der Habsburgermonarchie die Phase des Aufgeklärten Absolutismus unter der Herrschaft Maria Theresias und ihrer beiden Söhne Joseph II. und Leopold II., hat in der österreichischen Geschichtsschreibung eine lange Tradition und kann auch heute noch als eine der Stärken der österreichischen Historikerinnen und Historiker gelten. In diesen Kontext fügt sich natürlich die vorliegende Edition hervorragend ein.

Der einleitende Band führt zunächst in die komplizierte Geschichte und das Schicksal des Nachlasses Zinzendorf ein, der nicht wie die Nachlässe vieler adeliger Familien geschlossen in einem Familienarchiv zu finden ist, sondern was die Tagebücher und sonstigen Schriften anlangt, auf mehrere Archive und Sammlungen verteilt ist. Die Autobiographien von Karl und seinem Halbbruder Ludwig Zinzendorf1 wurden bereits veröffentlicht, dazu käme noch als Ergänzung des von Zinzendorf stammenden Materials die große Menge der Briefe, die natürlich – dabei unterscheidet seinen Briefwechsel nichts von dem anderer Persönlichkeiten – auf viele Empfängerarchive aufgeteilt ist.

Die Anfänge der Zinzendorfforschung liegen schon im 19. Jahrhundert, einer der damals maßgeblichen Forscher, Theodor Georg von Karajan, hat sich als erster mit dem reichen Nachlass Karls von Zinzendorf wissenschaftlich beschäftigt. Auch Alfred von Arneth, der großartige Biograph Maria Theresias, der ihr mit seiner auch heute noch wichtigen zehnbändigen Geschichte, ein Denkmal „mächtiger als Erz“ gesetzt hatte, bediente sich der Aufzeichnungen des Grafen Zinzendorf. Der dritte bedeutende Gelehrte der Zeit, der sich mit Zinzendorf auseinandersetzte, war Adam Wolf, auf dessen Forschungen auch die Biographie Zinzendorfs im Biographischen Lexikon von Wurzbach beruht.2

Den eigentlichen Durchbruch erlebte die Beschäftigung mit Zinzendorf allerdings erst, als sich die Kommission für Neuere Geschichte Österreichs intensiv dieser Person und ihres Nachlasses annahm. Dieser neue Beginn in den 1970er-Jahren wurde wesentlich geprägt von dem Salzburger Historiker Hans Wagner, der ein Spezialist für die Aufklärung, das 18. Jahrhundert und die Freimaurer – er war selbst Mitglied einer Loge – war und daher in Zinzendorf eine zentrale Gestalt des späten 18. Jahrhunderts erblickte. Von ihm stammt auch eine Auswahledition der Jugendtagebücher Zinzendorfs, welche die Jahre 1747/1752-1763 umfasst.3

Seine Begeisterung allein hätte vermutlich nicht genügt, um dieses große Projekt zu initiieren und so lange am Leben zu erhalten, aber einige Diskurse der historischen Forschung haben die Bedeutung der Aufzeichnungen des Grafen zusätzlich legitimiert, vor allem die intensive Beschäftigung mit der europäischen Aufklärung, aber auch der kulturwissenschaftliche Zugang, vor allem der Musik- und Theatergeschichte, die neue Quellenmaterialien zu erschließen versuchten, die zum Beispiel neben den harten Fakten der Aufführungen bei Hofe (wie sie etwa das bekannte, ebenfalls in den Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte edierte und auch mehrfach ausgewertete Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch zeigt4), auch eine Annäherung an rezeptionsgeschichtliche Fragestellungen ermöglichte. Ein weiteres Motiv war sicherlich auch das wachsende internationale Interesse an der Habsburgermonarchie und dabei auch an dem von Zinzendorf produzierten Quellenmaterial. Verschiedene Teile der Tagebücher wurden in der Zeit seit den 1970er-Jahren ediert oder zumindest benützt.

Das alles legitimiert – und die ausführliche Darstellung im ersten Band zeigt das deutlich – die Tatsache, dass Zinzendorf zu einem „Hauptforschungsgebiet der Kommission“ wurde. Dass man das begründen muss, liegt auf der Hand, denn einerseits wurden und werden damit auch implizit Entscheidungen gegen andere Projekte oder Editionsunternehmungen gefällt, und andererseits muss man sich gegen den naheliegenden Vorwurf wappnen, dass auch in der Zeit des Aufgeklärten Absolutismus viele Personen und die von ihnen produzierten Quellen als wichtiger angesehen werden könnten, als die Ego-Dokument Zinzendorfs.

In den 1990er-Jahren begann dann Grete Klingenstein mit ihrem Team mit der Edition dieses Tagebuches und der einiger Reisetagebücher (deren Publikation demnächst erfolgen sollte). Sie haben sich also sehr lange Zeit diesem Hauptforschungsgebiet gewidmet und die vorliegende Edition beweist, mit welchem Erfolg.

Ein weiterer, sozusagen traditioneller Abschnitt des Einleitungsbandes ist der sehr disparaten Forschungslage zum Thema gewidmet und auch Inhalt und Form der Tagebücher werden charakterisiert. Darüber hinaus bieten einige Teile des Bandes Hintergrundinformationen zur Person des Verfassers und seiner Funktion in Triest, sowie eine Charakterisierung seiner stark auf „Kommerzien“ ausgerichteten Tätigkeit.

Auch der Hauptort der Tätigkeit Zinzendorfs, die kaiserliche Hafenstadt Triest, die zu diesem Zeitpunkt ein wichtiger Handelsmittelpunkt der Habsburgermonarchie war, der 1719 zum Freihafen befördert worden war, wird als Umfeld seiner Tätigkeit in einer statistisch-topographische Annäherung dargestellt. Diese Hintergrundinformationen verbinden sich schon mit dem noch außergewöhnlicheren Teil des Einleitungsbandes, nämlich einer teilweisen Auswertung des Quellenbestandes der Edition, womit man sich von den alten positivistischen Tradition der Edition, die ja ihr Material ohne Kommentar und Auswertung der Forschung zur Verfügung stellen wollte, entfernt.

Fragen wie sein Verhältnis zu den Lutheranern, denen er in Triest vor dem Toleranzpatent Josephs II. die Religionsausübung gestattete, sein Tagesablauf in Triest und Wien – ein wichtiger Beitrag zur Alltagsgeschichte des 18. Jahrhunderts – seine Reisen nach Wien, Kärnten, Istrien, Zengg / Senj und Venedig oder seine Beziehungen zum Herrscher, die sich im Herrscherlob und dem Tadel am Monarchen in den Tagebüchern äußern, bilden solche Themen, die ausgewertet wurde. Eine umfangreiche Bibliographie und eine Zeittafel runden diesen Einleitungsband ab.

Man könnte natürlich auch bei dieser sehr verdienstvollen Edition – wie bei vielen großen Editionsunternehmen, wie den Reichstagsakten, den Monumenta Germaniae Historica etc. – die allgemeine Frage diskutieren, in welchem Verhältnis der geistige und materielle Aufwand eines solchen Großprojektes zu der Zahl der Benützer steht und vor allem in der Gegenwart auch, ob nicht eine Publikation im Internet sinnvoller wäre. In letzterem Zusammenhang kann man sicherlich argumentieren, dass diese Edition zweifellos etwas Bleibendes darstellt, das in der traditionellen, haptischen Form der Verbreitung sicherer scheint, als irgendwo im Internet.

Alles in allem also eine sehr gewichtige Edition, die neue, sehr spannende und wichtige Quellen erschließt und damit zu unserem Wissen um das „große“ 18. Jahrhundert in der Habsburgermonarchie beiträgt.

Anmerkungen:
1 Ludwig und Karl von Zinzendorf, Minister unter Maria Theresia, Joseph II., Leopold II. und Franz I., ihre Selbstbiographien nebst einer kurzen Geschichte des Hauses Zinzendorf, hrsg. v. Eduard Gaston Graf von Pettenegg, Wien 1879.
2 Zinzendorf, Karl Graf, in: Biographisches Lexikon des Kaiserthums, enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche seit 1750 in den österreichischen Kronländern geboren wurden oder darin gelebt und gewirkt haben 60, hrsg. von Constant von Wurzbach, Wien 1891, S. 160–164.
3 Karl von Zinzendorf, Aus den Jugendtagebüchern 1747, 1752 bis 1763, n. Vorarbeiten v. Hans Wagner hrsg. v. Maria Breunlich und Marieluise Mader, Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 84, Wien 1997.
4 Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Joseph Khevenhüller-Metsch, 7 Bde, Wien 1907, Bd. 8: Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 56, Wien 1972.

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