S. Alkier: Die Realität der Auferweckung

Cover
Titel
Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments.


Autor(en)
Alkier, Stefan
Reihe
Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie 12
Erschienen
Tübingen u.a. 2009: A. Francke Verlag
Anzahl Seiten
XVI, 281 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paul Metzger, Institut für Evangelische Theologie, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

„Wer die Wahrheit des Osterrufes nicht auf eine noch so diffuse Art und Weise spürt, dem wird sich die Osterbotschaft nicht emotional erschließen“ (S. 230). Indem der Mensch sich angesprochen fühlt, findet er einen Zugang zur Realität der Auferstehung, der sich Alkier in der vorliegenden Publikation widmet. Allerdings scheint es noch nicht zu genügen, allein den Osterruf „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ (Lk 24,34) aufrichtig mitsprechen zu können, sondern man muss gleichzeitig auch Psalmen singen können: „Nur wer Schöpfungspsalmen singen kann, wird die Wahrheit der Realität der Auferweckung […] empfinden können“ (S. 236). Die Überzeugung, die Welt als Schöpfung anzusehen, gehört also zu den Voraussetzungen, um Auferstehung glaubhaft machen zu können. „Die Welt, alles Leben und auch das je meinige Leben entspringen […] nicht einem blinden Zufall, sondern der intentionalen Kreativität des sich liebevoll in Beziehung setzenden Gottes.“ „Wer diese Hypothese nicht teilt, kann auch nicht mit den Schriften des Neuen Testaments […] von der Auferweckung Jesu Christi und der Hoffnung auf die Auferweckung der Toten sprechen“ (S. 238).

Dass man die Welt in der Gegenwart aber als Schöpfung verstehen kann, hängt wiederum von dem Empfinden ab, „dass die reine instrumentelle und mechanische Auffassung der Natur als Umwelt der Wahrnehmung des Lebens in dieser Welt nicht ausreichend entspricht“ (S. 237). Insgesamt bedeutet dies also, dass „die Auferstehung Jesu Christi und die Hoffnung auf die Auferweckung der Toten“, so Alkier, „ohne eine starke Schöpfungstheologie“ nicht zu haben sind. Sie sei „das Fundament, auf dem die Rede von der Auferweckung […] fußt“ (S. 236). Mit dieser Grundentscheidung ist eine zentrale Perspektive der Monographie von Alkier erfasst. Offensichtlich ist die Auferstehung nicht allein zentral und entscheidend für den christlichen Glauben, sondern nur eingebettet in ein weites Spektrum christlicher Grundannahmen versteh- und nachvollziehbar. Auferstehung – so eine zentrale These des Buches – lässt sich nur im Gesamtkontext der biblischen Überlieferung verstehen und für die Gegenwart plausibel machen. Methodisch bedeutet dies, dass eine isolierte Betrachtung der einschlägigen Texte (vor allem 1. Kor 15) der Komplexität des Themas nicht gerecht wird. Damit entlastet Alkier die einzelnen Texte davon, die Frage nach der Auferstehung Jesu isoliert beantworten zu müssen. Trotzdem muss das Gewicht der Auferstehung für die christliche Religion beachtet werden: Ist Christus nicht auferstanden, dann ist unser Glaube leer (1. Kor 15,14). Ist es angesichts dieser paulinischen Mahnung ein Missverstehen der Intention Alkiers zu fragen, ob es wirklich angebracht scheint, die Akzeptanz Gottes als Schöpfer der Auferstehung Jesu vorzuordnen?

Unabhängig davon ist es sinnvoll, die verschiedenen Bezüge der biblischen Texte auf die Auferstehung hin zu befragen. Dies untersucht Alkier im ersten und umfassendsten Teil seines Buches. Er führt vor, wie „die Rede von der Auferweckung in den Schriften des Neuen Testaments“ gestaltet wird und wodurch sie hier „ihre Plausibilität“ (S. 3) erhält. Zunächst wehrt er falsche Fragen ab: Es geht ihm darum, die rein historisch ausgerichteten Perspektiven auf das leere Grab und die Frage nach der Qualität der berichteten Visionen auszuweiten und zu einer umfassenden Sicht der Wirklichkeit zu kommen. Dies legt er vor allem im zweiten Teil der Untersuchung offen, wenn er seine methodischen Grundannahmen erläutert. Zunächst bespricht er aber alle neutestamentlichen Schriften im Hinblick auf deren Beitrag zur Frage nach der Auferstehung. Dass dies notwendigerweise nicht in die Tiefe der exegetischen Forschung gehen kann, ist verzeihlich. Es bleibt allerdings ein Verdienst, alle neutestamentlichen Texte auf ihre Vorstellung der Auferstehung untersucht zu haben. Erfreulich ist ebenfalls, dass Alkier als Exeget auch immer Theologe bleibt. Gemäß der Erkenntnis „Wer nur Historiker sein will, hört auf, Theologe zu sein“ (S. 5), versucht er die theologischen Positionen der Texte zu verdeutlichen. Er führt überzeugend „die Intensität, die Komplexität, die Einheitlichkeit und zum Teil auch die Widersprüchlichkeit des Auferweckungsdiskurses im Neuen Testament“ (S. 201) vor, verweist aber gleichzeitig darauf, dass durchaus Gemeinsamkeiten zu erheben sind: „Die Basisüberzeugung besteht darin, dass der Gott Israels […] der barmherzige und gerechte Schöpfergott ist.“ Nur dieser sei in der Lage, Tote zu erwecken. Diese Auferweckung diene „der Herstellung des durch die Gewalt von gottlosen Mächten und Menschen verletzten Rechts Gottes.“ Sie habe in der Auferweckung Jesu „ihren alles definierenden Anfang genommen“ (S. 202). Die Texte halten dabei fest, dass „das eigene Erleben der Gemeinschaft mit dem gekreuzigten, auferweckten und erhöhten Kyrios Jesus Christus […] den plausiblen hinreichenden Erweis der Wahrhaftigkeit seiner alles verändernden Auferweckung“ (S. 203) erbringt. Dieser Befund ist für den zweiten Teil des Buches leitend.

Nachdem er dieses Ergebnis festgehalten hat, wendet er sich der Frage zu, wie die Auferstehung Jesu heute gedacht und ausgesagt werden kann. Dabei strebt Alkier ein wohltuend bescheidenes Ziel an: Lediglich als „theologische Hypothese über die Erschließung von Wirklichkeit“ will er die christliche Perspektive „in den pluralen gesellschaftlichen Diskurs“ (S. 205) einbringen. Die Plausibilität der Hypothese macht er methodisch mit einem Rückgriff auf das „Realitätskonzept kategorialer Semiotik“ (S. 206) deutlich. Hier geht es um die Einsicht, dass sämtliche Realität durch Interpretation von Zeichen erschlossen wird (S. 207). Dabei unterscheidet Alkier im Gefolge von Peirce drei grundlegende Kategorien von Zeichen: Eine vorkritische Wahrnehmung ist ein Zeichen der „Erstheit“; „Zweitheit“ bezeichnet dagegen die Reaktion von etwas auf etwas anderes. Unter „Drittheit“ kann man das Denken überhaupt verstehen, das Beziehungen zwischen den einzelnen Phänomen her- und darstellt (S. 208). Diese drei Kategorien von Zeichen stellen die Wirklichkeit so dar, wie sie menschlich erfassbar ist. Insofern lässt sich sagen, dass wir die Wirklichkeit nur als und in Zeichen haben – nicht anders. Fraglich scheint mir allerdings, wie ein Traum (Zeichen der Erstheit), an den man sich nicht erinnert, Realität sein kann (S. 206)? Wenn ich mich nicht daran erinnere, dann weiß ich doch davon auch nichts.

Angewandt auf die neutestamentlichen Texte hilft das semiotische System, die im ersten Teil gemachten Beobachtungen zu klassifizieren und für die Gegenwart zu verdeutlichen. Nur zusammengenommen bilden sie dann den Rahmen, in dem heute plausibel über die Auferstehung gehandelt werden kann. Für Alkier ist wichtig zu betonen, „der Ursprung des Osterglaubens“ liege im „kritischen Gefühl, Jesus nach seiner Hinrichtung als Lebenden gesehen zu haben“ (S. 214). Die Rede von der Auferweckung gründet also „in einem spontanen Erleben“, das durch etwas ausgelöst wurde, was nicht in diesem Erleben aufgeht.“ Dieses Phänomen der Erstheit ist aber nicht ausgelöst durch eine kognitive Dissonanz zwischen Erwartung der Jünger und Erfahrung des Todes Jesu (S. 218), sondern stellt ein dynamisches Objekt dar. Dieses Erleben setzt gleichursprünglich eine Schlussfolgerung zur Verarbeitung des Phänomens in Gang, die in dem Ausdruck der Auferweckung ihr Zeichen findet (S. 215). Im Rahmen der Jesus-Christus-Geschichte (Zweitheit) und in dem der gesamten biblischen Geschichte (Drittheit) kommt schließlich die Auferweckung Jesu erst richtig in den Blick. So wird im Neuen Testament „die emotionale Gewissheit des wirksamen Lebens des Gekreuzigten in der eigenen Gegenwart mit der eigenen zeitgeschichtlichen Erfahrung und mit der überlieferten Erinnerung an die Jesus-Christus-Geschichte […] auf die alles umgreifende eschatologische Tat Gottes“ verbunden (S. 229). Auferstehung und (Neu-)Schöpfung stehen damit in einem unauflöslichen Gedankengang.

Ein dritter Teil schließlich weist Perspektiven für die Praxis auf. Hier geht Alkier auf die Bestattung, den Religionsunterricht und das Abendmahl ein. Dabei entstehen aus der Praxis heraus Fragen: Im Bezug auf die Bestattung ist die Rede vom Endgericht interessant (S. 240). Wie lässt es sich vorstellen, dass Gott „jeden Einzelnen […] in seinem Gedächtnis“ behält (S. 248)? Wie verhalten sich Auferstehung Jesu und die Auferstehung der Toten zu der Problematik der Allversöhnung? Und wären nicht vielleicht auch noch ein paar Worte über einen eventuellen „Zwischenzustand“ angebracht? Im Hinblick auf das Abendmahl wären ein paar Worte zur Thematik von Opfer und Sühne interessant gewesen. Trotz der Fragen ist das Anliegen dieser Ausführungen sehr zu würdigen: die Vermittlung theologischer Forschung in die Praxis.

Ein Problem bleibt in meinen Augen grundlegend: Woher kommt das Gefühl, mit dem im System Alkiers alles beginnt und an dem alles hängt? Fühlt es der eine und der andere eben nicht? So scheint es: „Der Geist dieser [Jesus-Christus-]Geschichte überzeugt emotional – oder eben auch nicht“ (S. 229). Gibt es eine Prädestination zum Gefühl? Oder lässt es sich im Gottesdienst oder im Religionsunterricht zumindest evozieren? Ist es nicht gerade die Aufgabe der Interpretation, das Potential der biblischen Texte so zur Sprache zu bringen, dass es zumindest potentiell das Gefühl wecken kann? Letztlich geht es um das bekannte Problem biblischer Textinterpretation: Wie lässt sich aus (aufgeschriebener) Erfahrung anderer Menschen eigenes Erleben gewinnen? Dieser Frage muss weiter nachgegangen werden.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension