A. Kasher: King Herod. A Persecuted Persecutor

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Titel
King Herod: A Persecuted Persecutor. A Case Study in Psychohistory and Psychobiography. In Collaboration with Eliezer Witztum


Autor(en)
Kasher, Aryeh
Reihe
Studia Judaica 36
Erschienen
Berlin 2007: de Gruyter
Anzahl Seiten
XX, 514 S.
Preis
€ 138,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Wilker, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Das anzuzeigende Werk – eine englische Übersetzung des hebräischen Originals – setzt sich von den zahlreichen bestehenden Untersuchungen zu Herodes und seiner Regentschaft ab, indem es einen dezidiert psychohistorischen Ansatz verfolgt. Proklamiertes Ziel der Biographie ist dabei, die Taten des Königs aus seiner psychischen Veranlagung heraus zu erklären. Zu diesem Zweck hat sich der Autor, Aryeh Kasher, der fachlichen Beratung von Eliezer Witztum, Professor für Psychiatrie, versichert. In ihrer gemeinsamen Analyse der Quellen kamen sie dabei, wie bereits in der Einleitung vermerkt wird, zu dem Schluss, dass der judäische König eindeutig unter einer paranoiden Persönlichkeitsstörung (Paranoid Personality Disorder) sowie weiteren mentalen Krankheiten gelitten habe, und ziehen diese Diagnose zur Erklärung seiner überlieferten Handlungen und Verhaltensweisen heran (S. XV, 13–16 u.ö.).

Die Studie beginnt dementsprechend mit einer Zusammenfassung des methodischen Ansatzes, die freilich sehr kurz ausfällt. Nach einer knappen Einführung, in der zunächst allgemein auf die Schwierigkeiten des Ansatzes hingewiesen wird, folgt ein Überblick über die Hauptquellen und ihre allgemeine Tendenz. Die folgenden 20 Kapitel zeichnen chronologisch die Biographie des Herodes nach, konzentrieren sich dabei aber jeweils auf einige Hauptaspekte, in denen Kasher seine These besonders begründet sieht. Sieben Karten, eine Bibliographie sowie ein Namens- und Ortsregister schließen das Werk ab.

Für diese erweist sich bereits in den ersten Kapiteln über die Jugend und den Aufstieg des Herodes seine idumäische Abkunft als wesentlich. Kasher sieht in dieser Herkunft den Minderwertigkeitskomplex begründet, der Herodes’ Biographie bis zu seinem Tode geprägt und bestimmt habe (vor allem S. 19-24). So ist aus vielen Quellen bekannt, dass die Abkunft des Herodes aus einer idumäischen Familie, die erst einige Generationen zuvor zum Judentum konvertiert war, von seinen Gegnern zumindest als Argument gegen seine Herrschaft gebraucht wurde; und auch der Versuch des Nikolaos von Damaskus, sicherlich im Auftrag des Königs für diesen eine „bessere“ Herkunft aus einer jüdisch-babylonischen Familie zu konstruieren (Ios. ant. Iud. 14,9), zeigt deutlich, dass die tatsächliche Abstammung als Defizit empfunden wurde. Doch lässt sich kaum entscheiden, ob die (explizite oder versteckte) Ablehnung das Selbstwertgefühl des Herodes wirklich verletzte oder ob er lediglich versuchte, politische Hindernisse für seine Karriere und seine Akzeptanz aus der Welt zu schaffen. Kasher jedoch sieht in Herodes’ Gefühl der Inferiorität eine treibende Kraft für seinen Willen zum politischen und gesellschaftlichen Aufstieg und für die Beharrlichkeit, mit der er diesen verfolgte. Als Konsequenz aus diesem Bild folgt Kasher denn auch – im Gegensatz zur deutlichen Mehrheit der neueren Forschung – der Darstellung des Flavius Josephus, dass Herodes schon früh den Königstitel für sich selbst angestrebt habe (S. 47, 52f. u. 68-70).

Auch die Herrschaftspolitik des Herodes sieht Kasher insbesondere von dessen Verlangen geprägt, die von der Opposition konstatierte Illegitimität und vom König selbst verinnerlichte Inferiorität zu kompensieren. Zu Recht unterstreicht Kasher, dass Herodes sich ab der Mitte seiner Regentschaft von den Hasmonäern absetzen und sich seinen jüdischen Untertanen gegenüber als im Vergleich zur ehemaligen Dynastie besserer und erfolgreicherer Herrscher präsentieren musste (dazu vor allem die Kapitel 7, 9 und 10). Besonders deutlich wird dies im Zusammenhang mit dem Neubau des Jerusalemer Tempels. So streicht der König in seiner in den Antiquitates Iudaicae des Flavius Josephus (ant. Iud. 15,382-387) überlieferten, aber wohl aus dem verlorenen Werk des Nikolaos von Damaskus stammenden Rede vor dem Baubeginn in Jerusalem heraus, dass erst seine Frömmigkeit und seine politischen Erfolge ein solch großartiges Projekt zu Ehren des jüdischen Gottes möglich machten (vor allem S. 215f. u. 225-243). Auch hier setzt sich freilich die interpretatorische Schwierigkeit fort, dass kaum zu entscheiden ist, ob das Handeln des Herodes mit einem tiefgreifenden psychologischen Problem oder als rationale politische Entscheidung im Rahmen der historischen Situation in Judaea und angesichts des Legitimationsdefizits des Königs zu erklären ist (zudem schließen sich beide Begründungen nicht aus, sondern sind auch komplementär denkbar).

Besondere Bedeutung misst Kasher der Paranoia des Herodes und seinem wachsenden Verfolgungswahn zu, so dass die Konflikte innerhalb der Dynastie und das harsche Vorgehen des Herodes gegen seine Ehefrau Mariamme, seine Söhne und weitere Familienmitglieder einen deutlichen Schwerpunkt innerhalb der Untersuchung bilden (Kapitel 5, 7 u. 12-18). Angesichts des Wütens des Königs unter den Mitgliedern der eigenen Familie ist einer solchen Diagnose kaum zu widersprechen. Dabei schätzt Kasher – basierend auf einer Analyse der Einzelfälle – viele der überlieferten Intrigen und Verschwörungen aus der Dynastie bzw. dem engsten Umkreis des Hofes als unhistorisch oder zumindest als nicht so gefährlich ein, dass sie die heftigen Reaktionen des Herodes rechtfertigen könnten. Diese Wertung unterstützt somit die Interpretation, Herodes sei aufgrund seiner paranoiden Persönlichkeitsstörung derartig brutal gegen die vermeintlichen Verschwörer vorgegangen.

Das gesamte Werk beruht in seiner Anlage und der Argumentation auf der bereits in der Einleitung formulierten These, Herodes habe unter den genannten psychischen Störungen gelitten, und es fällt auf der Basis der unzureichenden und tendenziösen Quellen schwer, die Folgerungen Kashers im Detail zu widerlegen. Zugleich aber muss der hier gewählte Erklärungsansatz oberflächlich bleiben und kann so auch nur schwer überzeugen, beruht er doch an keiner Stelle auf zwingenden Argumenten. So werden die generell mit dem Ansatz einer Psychohistorie verbundenen methodischen Schwierigkeiten im Falle des Herodes noch verstärkt durch unsere weitgehende Abhängigkeit von den Berichten des Flavius Josephus, aus dessen hochtendenziösen Darstellungen Kasher nicht nur die berichteten Fakten und Ereignisse, sondern vielfach auch die Deutung übernimmt. So argumentiert er unkritisch mit der zumindest toposverdächtigen Schilderung, Herodes sei kleinwüchsig und nicht besonders ansehnlich gewesen und habe sich auch deswegen vor Neid gegenüber dem jungen Hasmonäerprinzen Aristobul und dem eigenen (hasmonäischen) Sohn Alexander verzehrt (S. 32 u. 301-304). Ebenso zieht er für seine Interpretation Episoden heran, deren historischer Wahrheitsgehalt in der Forschung zumindest stark umstritten ist, so etwa die angebliche Herrschaftsprophezeiung des Esseners Menahem für den jungen Herodes (S. 24-27) oder die Plünderung des Davidsgrabes in Jerusalem (S. 281-285). Auch aus diesem Grund erscheint das Unterfangen, nicht nur die psychologische Allgemeinveranlagung des Herodes, sondern auch seine Persönlichkeitsentwicklung (relativ) genau nachzuzeichnen, als methodisch unsicher.1

Es ist Aryeh Kasher als Verdienst anzurechnen, wieder ein verstärktes Augenmerk auf die Person des Herodes geworfen zu haben; zudem bietet das Werk interessante Ansätze zur Deutung einzelner Episoden, wie es etwa die kritische Sicht auf viele der dynastieinternen Intrigen und Konflikte zeigt. Die Gesamtdeutung wird in der aktuellen Forschung zu Herodes und seiner Zeit jedoch sicherlich – und weitgehend zu Recht – Widerspruch hervorrufen, löst sie sich doch zu sehr von dem historischen Kontext, als dass auf diesem Wege die vielen Fragen zur Herrschaft und Biographie des Herodes geklärt werden könnten.

Anmerkung:
1 Selbst die chronologische Übersicht am Ende des Werkes enthält „brief references to Herod’s psychological state“ (S. 435-447).

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