Cover
Titel
History of Modern Africa. 1800 to the present


Autor(en)
Reid, Richard
Reihe
Blackwell Concise History of the Modern World
Erschienen
Oxford 2008: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
408 S.
Preis
$ 34.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Winfried Speitkamp, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Giessen

Die Geschichte Afrikas findet auch an deutschen Universitäten zunehmend Interesse. Doch noch liegen nur wenige deutschsprachige Überblicke über die Geschichte des Kontinents vor. Unter den weitaus zahlreicheren englischsprachigen Synthesen ragt das vorliegende Buch heraus. Es sollte auch hierzulande in der Lehre Berücksichtigung finden. Richard Reid ist Fachmann für die Geschichte des östlichen Afrika im 19. Jahrhundert. Er hat über Buganda sowie über Krieg und Kriegführung in Ostafrika wichtige Studien vorgelegt. Im vorliegenden Buch zeigt er seine Fähigkeit zum konzisen Überblick. Ihm gelingt eine elegante, gut lesbare, intelligent und griffig gegliederte Einführung in die Geschichte des Kontinents während des 19. und 20. Jahrhunderts. Mit sicheren Schwerpunktsetzungen durchmisst er eine höchst komplexe Geschichte; er zeigt die großen Linien auf und verweist auf besondere Entwicklungen. Sein Zugang ist ebenso einfach wie einsichtig: Er umreißt eingangs einige Grundaspekte, die die neuere Geschichte Afrikas geprägt haben: An erster Stelle steht die Tatsache, dass der Kontinent bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts keineswegs dicht besiedelt, sondern eher unterbevölkert war. Das hatte spezifische Konsequenzen, von der Art, Konflikte zu regeln, bis zur Konkurrenz um Frauen. Sodann kam die Schwierigkeit hinzu, dauerhafte und stabile Regierungssysteme zu errichten. Ferner spielte die Problematik der Beziehungen Afrikas zu anderen Kontinenten eine durchgängig wichtige Rolle. Vor allem der Sklavenhandel gilt Reid, sehr zu recht, als Ausgangspunkt einer modernen Geschichte Afrikas. Die Folgen des Sklavenhandels schätzt er dabei etwas im Unterschied zu einem Teil der neueren Literatur als recht hoch ein, gerade in Bezug auf die Wirtschaft. Alles in allem erscheint Afrika als Kontinent der – freiwilligen oder erzwungenen – Migrationen.

In diesem Rahmen entfaltet Reid nun das Panorama eines Kontinents, der alles andere als geschichtslos oder gar statisch war, vielmehr im 19. und 20. Jahrhundert tiefgreifende Wandlungsprozesse erlebte. Schon das vorkoloniale 19. Jahrhundert, das in der Literatur meist etwas vernachlässigt wird, tritt dabei plastisch hervor. Hier wird besonders die Rolle von Gewalt und Krieg – mitsamt den politischen Folgen der neuen Staatenbildungen zum Beispiel im westafrikanischen Yoruba-Gebiet oder im ostafrikanischen Nyamwezi-Gebiet unter Mirambo – deutlich herausgestellt. Auch die Zusammenhänge zwischen dem Ende des Sklavenhandels, den vielfältigen inneren Kriegen und dem Wirken neuer Warlords sowie der Kolonialisierung durch die europäischen Mächte treten deutlich hervor – die alte Frage nach den Antriebskräften des europäischen Imperialismus wird dabei elegant beantwortet, genauer: „Der“ Imperialismus wird aufgelöst in einer Vielfalt von unkoordinierten Aktionen und Reaktionen, von Expansionen, Expeditionen und Eroberungen. Aber anders als in anderen europäischen Darstellungen weist Reid auch dem Islam den ihm gebührenden Raum zu. Er macht deutlich, welch hohe Bedeutung die islamischen Einflusszonen hatten – der Djihad in Westafrika seit dem frühen 19. Jahrhundert ebenso wie der Islam in Ostafrika seit dem Vordringen der arabisch-swahilischen Händler von der Küste aus. Auch auf knappem Raum werden zum Beispiel für Westafrika die unterschiedlichen Ebenen der Konflikte, die zur islamischen Revolution und zum Sokoto-Kaliphat führten, einleuchtend behandelt.

Bei alledem erscheinen Afrikaner als Handelnde und Gestalter ihrer eigenen Geschichte. Das gilt auch, mit allen Ambivalenzen, für die Kolonialzeit. Neben der Rolle der Europäer wird hier das Wirken afrikanischer Beteiligter und Mittelsmänner erörtert. Afrikanische Reaktionen in Form diverser Widerstände behandelt der Autor ebenso wie die Integration von Afrikanern in Verwaltung und Militär des Kolonialstaats. Auch die Entstehung oder Verfestigung von Ethnizitäten durch koloniales Handeln wird ausführlich diskutiert. Reid stellt in diesem Zusammenhang einleuchtend dar, wie Afrikaner in eine Vielzahl von Identitäten und Loyalitäten eingebunden waren, wie dann Ethnien oder „Stämme“ quasi hineingelesen und administrativ verfestigt wurden, von den Fulani bis zu den Nyamwezi.

Durchweg auf dem aktuellen Stand der Forschungsdebatten schildert der Autor hier komplexe Prozesse in eingängigen Begriffen und Formulierungen. Dasselbe gilt für den Prozess der Entkolonialisierung. Wieder erscheint Reid auf dem Stand der Forschung. Seine Originalität besteht in diesen Abschnitten ebenfalls in der Sicherheit, mit der er neue Forschungsergebnisse verknüpft und zu klaren Aussagen verdichtet. Für die nachkoloniale Zeit erscheint seine Darstellungsweise noch am ehesten traditionalistisch: Neben der Rolle des Kalten Kriegs, der weltwirtschaftlichen Entwicklung und der problematischen binnenstaatlichen Wirtschaftsstrukturen und Politikpraktiken diskutiert er das Erbe des Kolonialismus, und wie viele Autoren vor ihm stellt er die Geschichte des nachkolonialen Afrika doch eher als Krisengeschichte dar. So endet er denn, übrigens etwas abrupt, mit der Frage von Gesundheit und Krankheit in der Gegenwart, konkret mit dem Umgang mit Aids, immerhin in einem optimistischen Schlusswort. Doch auch in diesem letzten Teil setzt Reid eigene, gut begründete Akzente, so beispielsweise in seinen Ausführungen zum Aufschwung des Islam im Kontext der jüngsten Demokratisierungswelle. Bis hin zu den Hinweisen auf Gaddafis Hinwendung zum Panafrikanismus zeigt sich Reid dabei jederzeit auf dem gegenwärtigen Stand der historischen und politischen Diskussion. Kurz: Das Buch stellt eine vorzügliche Einführung in die jüngere Geschichte Afrikas dar.

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