C. Sedlarz (Hrsg.): Stadtraum und Wohnräume in Berlin um 1800

Cover
Titel
Die Königsstadt. Stadtraum und Wohnräume in Berlin um 1800


Herausgeber
Sedlarz, Claudia
Erschienen
Hannover 2008: Wehrhahn Verlag
Anzahl Seiten
408 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter-Michael Hahn, Historisches Institut, Universität Potsdam

Bei den vorliegenden Aufsätzen handelt es sich um thematisch sehr unterschiedlich angelegte Beiträge zweier Tagungen, die ein wenig wortgewaltig überschrieben wurden: „Schöner Wohnen im schönen Staat. Wohnen in Berlin um 1800“ bzw. „Die Königsstadt. Berliner urbane Topographie um 1800“. Den Veranstaltern ging es dabei nicht nur um eine Verschränkung von Bau- und Kulturgeschichte, sondern auch darum, in Bezug auf die kurmärkische Hauptstadt und Residenz der Hohenzollern städtisches Leben sowohl in sozial als auch architektonisch gefassten räumlichen Kontexten zu beschreiben. Überdies lag es in der Absicht der Initiatoren, am Beispiel Berlins dem Prozess einer Großstadtbildung nachzugehen und ihn in seinen neuartigen und umwälzenden Elementen zu analysieren.

Das enorme Bevölkerungswachstum Berlins, dessen Rolle als ein protoindustrielles Zentrum der Mark sowie die erheblich gestiegene Bedeutung des Ortes als Residenz und Verwaltungszentrum für die einzelnen Territorien der Hohenzollernmonarchie legen es nahe, dies exemplarisch zu betrachten. Allerdings liegt es in der Natur rückschauender Betrachtung, sehr leicht scheinbar „Modernes“ im Verhältnis zum Althergebrachten überzubewerten. Dieser Versuchung ist die Mehrzahl der Autoren in der Hoffnung, urbane Modernität im Zeichen einer Berliner Klassik identifizieren zu können, erlegen; zumal der historische Zusammenhang sehr oft großzügig ausgelegt wurde.

Wenn man die Bedeutung kultureller Veränderungen in ihrer gesellschaftlichen Verwurzelung beschreibt, ist es unverzichtbar, soziale Kontexte eingehend zu beachten. So machten ohne die Militärbevölkerung die zur Unterschicht zählenden Gesellen, Arbeiter, Dienstboten und Tagelöhner über 65% der Bevölkerung aus, rechnet man ferner Handwerksmeister und kleine Gewerbetreibende heraus, so umfasste die soziale Elite Altberlins großzügig gerechnet knapp 10% der Einwohnerschaft, innerhalb derer allein sich sämtliche von den Autoren herausgearbeiteten Modernisierungs- bzw. Veränderungsprozesse abspielten. Selbst diese relativ kleine Gruppe differenzierte sich überdies nach Herkunft, Funktion und Lebensstil. Es wäre daher erkenntnisfördernd gewesen, dies schärfer im Blick zu bewahren, statt vielfach mit verallgemeinernden Begriffen, deren soziale und kulturelle Reichweite offen bleibt, zu arbeiten, wie die nachfolgenden Beispiele andeuten.

So erfährt man beispielsweise mehr oder minder Bekanntes über die Verbreitung von Logen, Theatervereinen und erste museale Projekte, um schließlich mit dem erhellenden Fazit konfrontiert zu werden: „Diese vorgestellten Räume sind…wesentlich mit der Entstehung der Moderne verbunden, mit den großen Entwicklungen von Säkularisierung und Individualisierung“ (S. 31). Kaum besser ergeht es dem Leser, wenn man den knappen Überblick über das Berliner Polizeiwesen betrachtet. Bekanntlich tat sich seit dem Mittelalter zwischen dem obrigkeitlichen Wunsch nach Reglementierung und den zur Verfügung stehenden Machtmitteln eine gewaltige Kluft auf. Daran hatte sich bis dato nichts geändert. Daher liest man in diesem Zusammenhang mit Interesse als „Ausblick“: „Der sich um 1800 verändernde Stadtraum Berlins mit seinen sozialen Verwerfungen…die Aufbruchsstimmung und die Dynamik bildeten wichtige Voraussetzungen, ja, das Bedingungsgefüge für die kulturelle Blüte Berlins um 1800“ (S. 60). Auch die Ausführungen zum Bau des Brandenburger Tores, seines politischen Kontextes und seiner Funktion für die Residenzstadt zeichnen sich durch einige Ungereimtheiten aus. So wird die außenpolitisch fragile Situation Preußens im europäischen Mächtegefüge seit den 1780er-Jahren, die sich in den 1790er-Jahren noch verschärfte, nicht erkannt. Die Deutung des Tores unter Hinweis auf ein Architekturtraktat als „Einbindung der monarchischen Repräsentation in die Stadtmauer als eine erste Akzentverschiebung vom Herrscherlob hin zur Artikulation städtischen Selbstbewusstseins“ (S. 126) läßt massive Zweifel aufkommen, zumal die Beteiligung von Amtsträgern bürgerlicher Herkunft an den Planungen nicht als ein Ausdruck stadtbürgerlichen Wollens angesehen werden kann. Ähnlich eigenwillig sind partiell die Darlegungen zum Bau der Börse, die der Autor „als Zentralort der bürgerlichen Öffentlichkeit“ bezeichnet (S. 189). Bestand letztere nur aus der kleinen Schar der Großkaufleute? Im Übrigen zeichnet der Autor jedoch anschaulich deren Planungsgeschichte nach. Es illustriert nachgerade die schwache Position der Berliner Kaufleute und deren geringen kulturellen Handlungsspielraum, dass sie mit dem Projekt einen Amtsträger der königlichen Bauverwaltung beauftragten.

Insgesamt betrachtet erfährt der geduldige Leser in mehreren Beiträgen eine Reihe anschaulicher Details zum Lebensstil um 1800 in Berlin und Brandenburg: Dies gilt für städtisches Wohnen, im Wohnbau verwandte Schmuckformen ebenso wie die Rezeption einer klassizistischen Formensprache durch den Landadel. Aber die eingangs genährte Erwartung, etwas Neues über den Berliner Klassizismus zu erfahren, erfüllt sich in Gänze nicht, denn dieser verbindet sich auch hier nur mit altbekannten Namen und Bauaufgaben.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension