S.W. Pope u.a. (Hrsg.): Routledge Companion to Sports History

Titel
Routledge Companion to Sports History.


Herausgeber
Pope, Steven W.; Nauright, John R.
Reihe
Routledge International Handbooks
Erschienen
London 2010: Routledge
Anzahl Seiten
672 S.
Preis
£ 95.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Orban, Historisches Seminar, Universität Erfurt

„What do they know of cricket who only cricket know?“ Mit dieser von Rudyard Kipling inspirierten rhetorischen Frage forderte C. L. R. James (1901-1989) im Vorwort zu „Beyond a Boundary“ (1963), seiner klassischen Studie zum westindischen Cricket im frühen 20. Jahrhundert, seine Leser/innen heraus. Dabei pointierte der angesehene afrotrinidadische Autor, politische Reformer und marxistisch-postkoloniale Kulturkritiker Cricket als eine zentrale soziokulturelle Institution, die auch jenseits des Spielfeldes der regelhaften Mannschaftssportart (also „Beyond a Boundary“) vielschichtig bedeutungsvoll ist. Cricket, das James als ein umkämpftes, gesellschaftlich eingebettetes Terrain ernst nahm, diente ihm sonach als Prisma und „Window onto a world“: Gelesen als kultureller Text, gewährte es ihm Einblicke in das (Nicht)Funktionieren von Kultur und Gesellschaft, von soziokulturellen Ordnungsformen und Identitätsformierungen im karibischen Britischen Empire; zumal er infolgedessen zugleich die Komplexität und Relevanz von Sport eindrucksvoll aufzeigte. Etwa beschrieb er Cricket als bedeutsame Bühne für das Aushandeln von Zuschreibungen sowie von Über- und Unterordnungen (besonders entlang von „Race“); als ästhetisierte, stilpolitische Körperpraktik und Selbsttechnologie; und als Arena sozialer Interaktion, Kommunikation und vor allem widerständiger Solidarität.1 Insofern offerierte James in „Beyond a Boundary“ – obgleich es sich weniger um ein analytisches, als ein literarisches, dichtes und persönliches Narrativ handelt, das durchaus blinde Flecken aufweist und nicht zuletzt das Produkt einer spezifischen historischen Konfiguration darstellt – wichtige Ansätze, Perspektiven und Themen, die in der internationalen Sportgeschichtsschreibung leicht verspätet und mitunter zögerlich aufgegriffen wurden.

Mit dem von Steven Pope und John Nauright herausgegebenen „Routledge Companion to Sports History“ liegt indessen erstmals ein Handbuch vor, das jenen „‚state of play‘ in sports history around the world“ (S. 3) für Forschende und insbesondere Studierende systematisch umfassend auffächert. Schließlich ist Sportgeschichte inzwischen eine gereifte, gut vierzig Jahre junge Subdisziplin, die ganz im Sinne C. L. R. James’, den Pope und Nauright in ihren Danksagungen als eine Inspirationsquelle würdigen, weit mehr als ein „antiquarian account of some past team or game“ (S. X) darbietet, so der Historiker Peter N. Stearns im Vorwort des Bandes. Denn obschon sie keineswegs mehr die Rolle einer belächelten und trivialisierten akademischen Kuriosität spielt, besteht für Sporthistoriker/innen nach wie vor ein gewisser Legitimationsdruck, die Signifikanz ihrer Arbeiten und damit ihres Sujets nachzuweisen. Allerdings scheint dies einerseits, etwa auf das angeführte Beispiel von „Beyond a Boundary“ rekurrierend und aufbauend, eher unproblematisch zu sein; andererseits verspricht die wiederholt eingeforderte Partizipation an zeitgemäßer Theoriebildung und -anwendung sowie methodisch-innovativer (Selbst)Reflexion entscheidend zu einer nachhaltig verbesserten Positionierung des Sportfeldes beizutragen.2 Dies ist wiederum eine Schlüsselstelle, wo Pope und Nauright mit ihrem als „a solid guide“ (S. 6) konzipierten Einführungs- und Überblickswerk bewusst ansetzen.

Dem Anspruch der wegweisenden Solidität werden die Herausgeber und zahlreichen Beiträger/innen weitgehend gerecht. Insgesamt gelingt es ihnen, einen verständlichen und facettenreichen Einstieg in das umkämpfte und vielschichtige Terrain internationaler Sportgeschichte vorzulegen. Entlang thematisch-konzeptioneller Faltlinien sowie geografisch-regionaler Kerbungen und Verwerfungen skizzieren sie die Herausbildung des Forschungsfeldes. So bieten die einzelnen Teilartikel in der Zusammenschau eine umfangreiche Bilanz, die einen nahezu weltumspannenden Rückblick auf bisherige sporthistoriografische Forschungen, Momentaufnahmen gegenwärtiger Lagen, Lücken und Trends sowie einen Ausblick auf zukünftige (inter)disziplinäre Entwicklungen und Erfordernisse beinhaltet. Daher erfolgt eine gerade für „Rookies“ Orientierung und hilfreiche Anregungen bergende Einführung in theoretisch-methodologische Grundlagen, derzeitig prominente Forschungsthemen, -fragen und -ansätze als auch in „neue“ Wege von „Doing Sports History“. Folgerichtig verstehen Pope und Nauright ihre um Interdisziplinarität bemühte und global ausgerichtete Anthologie als einen weit über 600 Seiten starken „starting point for a new sports history“ (S. 9). Hierbei setzen sie also gezielt auf ein transnationales produktives Miteinander, dem eine methodisch-theoretische und analytisch-konzeptionelle Informiertheit als solide Basis dienen soll.

Diese Ausrichtung bedenkend, mag die duale Struktur und Anlage des Buches nur konsequent sein. In Teil eins findet dementsprechend ein breites Spektrum an Theorien, Methoden und sporthistorischen Schlüsselthemen, versehen mit einer kurzen Einleitung der beiden Herausgeber, ausreichend Spielraum. Der gleichgewichtete zweite Teil, „Sports history around the world“, ist von Afrika bis zu den USA alphabetisch nach Weltregionen und Nationalstaaten arrangiert. Zusätzlich steht am Ende des Bandes eine Auswahlbibliografie, die Pionierarbeiten, Klassiker und einen Querschnitt aktueller Arbeiten internationaler Forscher/innen erfasst. Jedoch sei hier darauf hingewiesen, dass ein solch ambitioniertes Vorhaben, ein ausdifferenziertes Forschungsfeld möglichst vollständig einfangen zu wollen, unzweifelhaft nur partiell gelingen kann. Dessen sind sich Pope und Nauright auch durchaus bewusst. In ihrer Einleitung sprechen sie mithin explizit Limitationen und Lücken an, die insbesondere mit dem „Unlevel Playing Field“ internationaler Sportgeschichtsschreibung korrelieren. So dominieren beispielsweise vorwiegend männliche, primär englischsprachige Autoren, mehrheitlich von den Britischen Inseln, aus Nordamerika und Australasia das Beiträger/innenfeld. Folglich kann von einer nichtintentionalen Privilegierung englischsprachiger Sportgeschichten, die mitunter national und männlich fokussiert sind, respektive „westlicher“ Sportkulturen, Gesellschaften und (Forschungs)Perspektiven die Rede sein. Jener kritische Tatbestand, der wie angedeutet sicherlich mit der transregional ungleichen Ausbildung und dem Ansehen von Sporthistoriografie verlinkt ist, schränkt den Wert der dennoch breit aufgestellten Anthologie gleichwohl nur punktuell ein.

Was die inhaltlich-konzeptionelle Ebene des ersten Hauptteils anbetrifft, so ist er in 17 Sektionen unterschiedlicher Länge und Dichte untergliedert, die sich titelgemäß an zeitgenössisch virulenter „Theory, methods and key themes in sports history“ orientieren. Dabei widmen sich die Artikel generell der Bedeutung und Anwendung von Theorien sowie dem Potenzial von und Umgang mit Quellenmaterialien; ein Hauptaugenmerk ruht auf wirkmächtigen Strukturkategorien wie „Rasse“, Geschlecht und Religion, zudem werden ausgewählte methodisch-theoretische Zugänge (etwa marxistische, körperhistorische und raumspezifische) vorgestellt, das von Prozessen der Konvergenz und Divergenz geprägte Verhältnis zwischen Sportsoziologie und -geschichte wird beleuchtet; ebenso finden verschieden konnotierte Themenfelder (unter anderem Imperialismus, Unternehmertum und Wissenschaft und Technik) als auch wichtige Teilforschungsfelder wie alternativer und antiker Sport Beachtung. Wie oben schon angeklungen verbindet die prinzipiell eigenständigen Beiträge ein auf ihre jeweiligen Untersuchungsgegenstände zugespitzter sporthistoriografischer Überblick, der Entwicklungen, Verschiebungen und Trends nachspürt; Forschungsannahmen, -fragen, -konzepte, -methoden und -lücken nachzeichnet und nicht zuletzt relevante Literatur und Zukunftsperspektiven nahe legt. Herauszuheben sind hierbei das unermüdliche Plädoyer Douglas Booths für einen kritisch-reflexiven Einsatz kulturwissenschaftlicher Theorie bzw. der interdisziplinäre Aufruf von Gary Osmond und Murray Phillips, „[fresh] sources in new and intellectually creative ways“ (S. 43) zu lesen und nutzbar zu machen.3 Zumal sie damit dem Diktum des Herausgeberduos, der anvisierten „neuen“ Positionierung der Disziplin, nachdrücklich entsprechen. Fernerhin tendiert der Beitrag von Nauright und David K. Wiggins zu „Race“ in diese Richtung. Darin sprechen sie sich für eine dekonstruktivistische Lesart der Funktionsweisen von „Rasse“ sowie für eine Ausweitung des Blicks aus, der über die statische Schwarz-Weiß-Dichotomie und den nationalen Bezugsrahmen hinausgeht. Bedauerlicherweise leisten sie dies in ihrer Darstellung kaum und bleiben weitgehend starren Mustern verhaftet, die wie leider auch einige andere Artikel der Relationalität von Strukturprinzipien nicht gerecht werden. Positiv in dieser Hinsicht sind dagegen die intersektional angelegten Abschnitte zu Nationalismus und Geschlecht zu bewerten.

Der zweite Hauptteil des Bandes ist wie bereits aufgeworfen eher traditionell organisiert und folgt einem national-regionalen Ansatz, der sich in 21 separaten, jeweils mindestens zehn Seiten umfassenden Forschungsberichten manifestiert. Ob diese Struktur dazu beitragen kann „Beyond Boundaries“ zu gehen, um auf James’ paradigmatischen Titel zurückzugreifen, erscheint allerdings hinterfragenswert. Denn wenngleich sie eine interessante globale Vielfalt an sporthistorischen Forschungen aufzuzeigen vermag, wird zuvorderst ein Nebeneinander veranschaulicht, das vor allem das Nationale reproduziert und bestenfalls zu einem verstehenden Miteinander anregen kann. Indes bietet jene weltumfassende Rundschau Einblicke in diverse historisch und gesellschaftlich verortete Ausformungen nationaler bzw. regionaler Sportgeschichtsschreibung. Im Zuge dessen werden in der Regel sowohl die Entwicklung des Feldes, der derzeitige Forschungsstand, Themen und methodisch-theoretische Ansätze überblickartig dargelegt, als auch Probleme, weiße Flecken und somit künftige Aufgaben benannt. Als ein mustergültiges Beispiel dieser Artikel, die eigens für Einsteiger/innen recht hilfreich den jeweiligen (bisweilen auch forschungspolitischen) Status quo eruieren und hilfreiche Literaturhinweise geben, darf Mark Dyresons Beitrag zu den USA gelten. Hingegen ist kritisch anzumerken, dass einzelne der angesichts des internationalen „Unlevel Playing Field“ wenig überraschend qualitativ wie quantitativ heterogenen Berichte nicht wirklich „Up to date“ sind. Beispielsweise subsumiert Arnd Krüger in seiner Präsentation deutscher Sporthistoriografie unter dem Rubrum von „Gender“ und Sport anscheinend vornehmlich Frauensport; zumal er an einer Stelle recht fragwürdig behauptet: „[G]ender did not matter“ (S. 438).

Ungeachtet der angeführten Kritikpunkte wird die besprochene Publikation ihrem Namen gerecht und offeriert in der Tat ein überzeugendes „Companion to Sports History“. Oder wie es Stearns im Vorwort zutreffend formuliert: „The result is […] a testimony to how much we have learned about sports and their social role, and a foundation as well for further teaching and research alike“ (S. X). Dies trifft auch deshalb zu, weil Forschungsdesiderate produktiv benannt werden - so pointieren Pope und Nauright: „Much remains to be done“ (S. 8).

Anmerkungen:
1 C. L. R. James, Beyond a Boundary, Durham 1993 [Kingston, Jamaica 1963]; siehe auch Douglas Hartmann, What Can We Learn from Sport if We Take Sport Seriously as a Racial Force? Lessons from C. L. R. James’s Beyond a Boundary, in: Ethnic and Racial Studies 26,3 (2003), S. 451-483.
2 Siehe beispielsweise Douglas Booth, Theory: Distorting or Enriching Sport History?, in: Sport History Review 34,1 (2003), S. 1-32; ders., Escaping the Past? The Cultural Turn and Language in Sport History, in: Rethinking History 8,1 (2004), S. 103-125; ders., The Field. Truth and Fiction in Sport History, London 2005; ders., Sport History and the Seeds of a Postmodern Discourse, in: Rethinking History 13,2 (2009), S. 153-174; Colin Howell, Assessing Sport History and the Cultural and Linguistic Turn, in: Journal of Sport History 34,3 (2007), S. 459-465; Murray G. Phillips, Deconstructing Sport History. The Postmodern Challenge, in: Journal of Sport History 28,3 (2001), S. 327-342; ders. (Hrsg.), Deconstructing Sport History. A Postmodern Analysis, Albany 2006.
3 Vgl. hierzu auch Gary Osmond, Reflecting Materiality. Reading Sport History through the Lens, in: Rethinking History 12,3 (2008), S. 339-360; Murray G. Phillips, An Athletic Clio. Sport History and Television History, in: Rethinking History 12,3 (2008), S. 399-416.

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