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Titel
Parties at War. Political Organization in Second World War Britain


Autor(en)
Thorpe, Andrew
Erschienen
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 65,41
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietmar Süß, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Der spektakuläre Wahlerfolg der britischen Labour-Party im Mai 1945 unter Clement Attlee markierte Ende und Anfang zugleich: die Niederlage Winston Churchills und der Konservativen, und den Beginn eines wohlfahrtsstaatlichen Reformprogramms, dessen Planungen in die Kriegs- und Zwischenkriegszeit zurückreichen und zu dem der Ausbau der Gesundheitsversorgung ebenso gehörte wie die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien. Konservative Politiker fühlten sich durch das Wahlverhalten um ihren politischen und militärischen Erfolg betrogen: Während die Sozialisten und Gewerkschaften an der „Home Front“ und in den Betrieben ihre Machtbasis hätten ausbauen können, seien die Wähler der Konservativen beim Militär und auf den Schlachtfeldern gewesen – ein politischer Mythos, der von erheblicher Bedeutung für die Nachkriegskultur des britischen Parteiensystems werden sollte.

Die Gründe für den Wahlsieg von 1945 und die Debatten um die Grundsteinlegung des Wohlfahrtsstaates beschäftigen die britische Historiographie seit langem und es zählt zu den zentralen Annahmen, dass es tatsächlich der Stimmungsumschwung während des Krieges war, der den Wahlsieg der Labour Party vorbereitete. Gleichzeitig galt es als gesicherte Annahme, dass Krieg, Mobilmachung und Allparteien-Regierung insbesondere in den Jahren zwischen 1940 und 1942 das stabile Fundament der politischen Parteien untergraben und eine „movement away from party“ begünstigt habe; und in der Tat konnte man beobachten, wie bei Unterhausnachwahlen unabhängige sowie Kandidaten von Parteien außerhalb der Kriegskoalition siegreich waren.

Andrew Thorpe hat diese Beobachtung und die Suche nach langfristigen Gründen für den Wahlerfolg der Labour-Party zum Ausgangspunkt seiner beeindruckenden Studie über die Organisationsgeschichte der britischen Parteien im Krieg gemacht. Nicht, dass es an Studien zu zentralen politischen Köpfen, zur „großen Politik“, zu unterschiedlichen Ministerien oder der Kriegskoalition und ihren innenpolitischen Debatten fehlen würde; was Thorpes Studie aber von anderen unterscheidet, ist seine Perspektive. Er richtet seinen Blick systematisch und vergleichend auf die lokalen Parteiorganisationen von Labour, Konservativen und Liberalen. Er untersucht die Mitgliederstrukturen, die finanzielle Basis, die Organisation und den parteipolitische Alltag und zeichnet die Verbindungslinien zwischen lokaler und nationaler Parteiarbeit nach. Das ist – im besten Sinne – eine Sozialgeschichte der Parteien, die es in dieser Form bisher noch nicht gegeben hat. Quellengrundlage sind rund 30 regionale Archive und zahlreiche Bestände lokaler Parteiorganisationen.

Thorpe fragt zunächst in mehreren Schritten nach der Verbindung zwischen Zentrum und Peripherie, nach der Wahrnehmung der Kriegsfolgen für die Parteien durch Westminster-Abgeordnete und Funktionäre und ihre Wechselwirkungen mit den örtlichen Parteistrukturen. Viel ist dort von „Krise“ die Rede, von Problemen, die durch die Kriegsmobilisierung, durch die Arbeit in der Rüstungsindustrie, aber auch beispielsweise durch die Folgen der Luftangriffe entstanden. Während die kleineren Parteien wie die Kommunisten deutliche Mitgliederzugewinne verzeichnen konnten, beklagten die Parteien der Kriegskoalition (und insbesondere die Konservativen) einen deutlichen Mitgliederrückgang. Aber, und das ist Thorpes zentrales Argument: der Rückgang der Mitgliederzahlen und auch die Debatte um die „movement away from party“ seien nicht gleichzusetzen mit einer grundlegenden, dauerhaften Krise des britischen Parteiensystems, sondern allenfalls ein Hinweis auf eine kurzfristige Schwächeperiode – und auch die falle bei genauerem Hinsehen keineswegs so einschneidend aus wie lange Zeit vermutet. Zahlreiche lokale Parteiorganisationen übernahmen beispielsweise, wie Thorpe zeigen kann, nach ihrer Schließung soziale Aufgaben der Kriegsfolgenbewältigung und verlagerten ihre Aktivitäten. Und zum Selbstverständnis gerade konservativer Aktivisten gehörte es, dass Parteiarbeit in einer Zeit „nationaler Pflichterfüllung“ nicht der alleinige Maßstab sei. Deutlich macht Thorpe die regionalen Unterschiede und weist darauf hin, dass insbesondere seit 1942 die Debatten in allen Parteien um die Vitalisierung der Strukturen wieder einsetzten.

Insbesondere die Labour-Party vermochte es, trotz erheblicher Probleme ihre administrativen Strukturen (stärker als die Konservativen) aufrechtzuerhalten; ein zentrales Pfund, mit dem die Partei im Mai 1945 wuchern konnte und die mit einen Grund für den Wahlsieg darstellte. Ein Grund für die Zählebigkeit der administrativen Struktur sieht Thorpe in der Alltagskultur der Labour-Party selbst: anders als die Konservativen verfügte Labour über einen traditionellen Ritualkalender, der die Partei auf lokaler Ebene stärker aneinander band und die Mitglieder auch in schwierigen Phasen stärker mobilisierte. Dazu gehörte der traditionelle 1. Mai, die Ausstellung und Verlängerung des Mitgliedsausweises, die Wahl von Delegierten und die Verabschiedung von Resolutionen zu Parteitreffen. Mindestens zwei weitere Gründe kamen hinzu: die Konkurrenz der Labour-Party zur Kommunistischen Partei und das Wissen um die Niederlage des letzten Krieges, als schließlich dem „Great War“ eine langanhaltende Dominanz der Konservativen folgte. Thorpe bilanziert: „At the grassroots level, the overwhelming majority of constituency-level bodies that had entered the war did not go out of existence. This was due to pressure from headquarters and regional-level bodies, but also to the conscious commitment of thousands of voluntary party workers up and down Britain. Their continuing hard work with the minutiae of grassroots politics was at the core of the survival of the three parties.“ (S. 282) Labour hatte also bereits während des Krieges den Grundstein für den gewaltigen administrativen Ausbau gelegt, der die Partei (und nicht nur Labour) nach 1945 prägen sollte.

Thorpes Studie macht die Stärken einer Geschichte der „Home Front“ deutlich, die sich nicht alleine auf London konzentriert, sondern stattdessen tendenziell das ganze Land in den Blick zu nehmen versucht und die lokalen Fallbeispiele an die nationale Geschichte rückbindet. Er tut gut daran, seinen Ansatz nicht zu überfrachten, der unter anderem keine Antwort auf die Frage geben kann, worin die Attraktivität der Labour-Party für all diejenigen bestand, die nicht zu ihren Mitgliedern gehörte. Hier sind die Grenzen seiner Untersuchung, die stark auf das Binnenleben der Parteien konzentriert ist. Sein Ansatz ist in erfrischender Weise „old fashioned“; gleichwohl würde man sich wünschen, dass ihm Arbeiten folgten, die mit ähnlicher Gründlichkeit, argumentativer Stringenz und empirischer Dichte Themen der politischen Kulturgeschichte der britischen Parteien bearbeiteten – und diese Spur über das Jahr 1945 hinaus verfolgten. Andrew Thorpe hat dafür den Weg gewiesen.

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