S. Rode Breymann (Hrsg.): Orte der Musik

Rode-Breymann, Susanne (Hrsg.): Orte der Musik. Kulturelles Handeln von Frauen in der Stadt. Köln 2007 : Böhlau Verlag, ISBN 978-3-412-20008-4 290 S. € 34,90

Rode-Breymann, Susanne (Hrsg.): Musikort Kloster. Kulturelles Handeln von Frauen in der Frühen Neuzeit. Köln 2009 : Böhlau Verlag, ISBN 978-3-412-20330-6 274 S. € 39,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Linda Maria Koldau, Institut for Æstetiske Fag, Aarhus Universitet

In den USA begann die musikwissenschaftliche Genderforschung in den 1980er-Jahren zu boomen; nach zahlreichen anregenden Veröffentlichungen, teilweise scharfer Kritik und fruchtbarer Auseinandersetzung beruhigten sich im Laufe der 1990er-Jahre die Gemüter der Musikwissenschaft. Der heutige Konsens geht dahin, dass die Frage nach dem Geschlecht die Analyse um einen unverzichtbaren Aspekt bereichert, der (bisweilen noch immer erhobene) Anspruch, Gender sei die „zentrale“ Kategorie künftiger Wissenschaft, jedoch verfehlt ist. Eine exklusiv genderorientierte Forschung und Methodik gilt international mittlerweile als überholt.

In Deutschland ist der Prozess phasenverschoben zu beobachten, und zwar, wie in den USA, gleichermaßen im Bereich der Wissenschaft und der Hochschulpolitik. Seit den späten 1990er-Jahren ist die musikwissenschaftliche Genderforschung eine nicht zu übersehende und berechtigte Kategorie innerhalb der Musikwissenschaft; mittlerweile hat sich ein Netzwerk herausgebildet, das einen fest umrissenen Diskurs um die „Kategorie Gender“ entwickelt hat und diesen an Musikhochschulen, Universitäten und in der Öffentlichkeit vermittelt. Die Fragestellungen dieses Diskurses stimmen mit denen der amerikanischen Genderforschung der 1980er- und 1990er-Jahre überein; allerdings erweist sich die Quellengrundlage als teilweise recht dürftig.

Ein aufschlussreiches Bild von Forschungsgehalt und Methodik zeichnet die Lektüre der bislang zwei Bücher, die die genderbezogene Arbeit von Susanne Rode-Breymann präsentieren; die Leiterin des 2006 gegründeten „Forschungszentrums Musik und Gender“ an der Hochschule für Musik und Theater Hannover darf als eine der tonangebenden Stimmen im Konzert der deutschen musikwissenschaftlichen Genderforschung gelten. Die beiden Aufsatzbände vereinen die Beiträge zu zwei Tagungen, die das genannte Forschungszentrum 2006 und 2008 zum „Kulturellen Handeln von Frauen in der Frühen Neuzeit“ ausgerichtet hat; auf die Bereiche Stadt (2006) und Kloster (2008) soll 2010 der Adelshof folgen.

Die Vertreterinnen der musikwissenschaftlichen Genderforschung betonen, dass ihre Ansätze „neu“ seien1 (wegweisend wird hier der Begriff des „kulturellen Handelns von Frauen“ eingeführt) und dass sie der historischen Musikwissenschaft, die „so weit noch nicht“ sei, nunmehr aus ihrer „produktiven Phase des Sammelns“ heraushülfen (Band Musikort Kloster, S. 5). Für diese „Phase“ wird im Band „Musikort Kloster“ exemplarisch das 2005 von der Rezensentin publizierte Handbuch Frauen – Musik – Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit2 benannt. Gerade mit dem Hinweis auf dieses Handbuch stellt die Herausgeberin jedoch ihren Anspruch eines „neuen“ Ansatzes selbst in Frage – zeigt doch ein Vergleich, dass in ihrer Einleitung und ihrem Eigenbeitrag zum ersten Band (2007), mit denen sie die Notwendigkeit eines Perspektivwechsels in der musikwissenschaftlichen Frauen- und Genderforschung darlegt, ganze Absätze überraschende Ähnlichkeiten zu den maßgeblichen Thesen im Vorwort des genannten Handbuchs aufweisen. Ist in diesem von „anderen Perspektiven und Ansätzen“ die Rede, „die dem komplexen Ineinander verschiedener soziokultureller Kontexte – Stand, Religion, ökonomische Voraussetzungen, ethnische Zugehörigkeit u.a. – Rechnung tragen“ (S. 3f.), so spricht die Herausgeberin des Tagungsberichts „Orte der Musik“ von einer „Verlagerung auf ereignisästhetische, institutionengeschichtliche und kulturanthropologische Fragestellungen“ (S. 2). Die Notwendigkeit eines Perspektivwechsels wird im genannten Handbuch am Beispiel der Komponistinnen und ihrer Werke festgemacht, die bislang das Interesse der musikwissenschaftlichen Frauenforschung bannten (S. 4). Das musikalische Wirken von Frauen, so das Fazit, sei in der Frühen Neuzeit jedoch nur von einem breiten kulturgeschichtlichen Ansatz her zu erschließen – der Tagungsbericht bestätigt zwei Jahre später erneut, dass eine „Verlagerung des Blicks von einer ‚Werkgeschichte’ auf eine Geschichte kulturellen Handelns“ vonnöten sei (S. 2, vgl. auch S. 280f.). Weitere Ähnlichkeiten zwischen dem Handbuch von 2005 und der „neuen“ Methodendarlegung von 2007 ließen sich zitieren; erstaunlicherweise bleibt das Handbuch im Band von 2007 unerwähnt.

Mit anderen Vorbildern scheint Susanne Rode-Breymann in ähnlicher Weise zu verfahren – man vergleiche den Titel ihres Eigenbeitrags von 2007, Wer war Katharina Gerlach? Über den Nutzen der Perspektive kulturellen Handelns für die musikwissenschaftliche Frauenforschung (S. 269–284) mit dem Titel von Susan Jacksons grundlegendem Aufsatz über die bekannte Nürnberger Druckerin, Who is Katherine? The Women of the Berg & Neuber – Gerlach – Kaufmann Printing Dynasty (1995).3 Rode-Breymann, die sich in ihrem Beitrag im Hinblick auf neue Forschungsgebiete u.a. für eine Untersuchung des Wirkens von Musikdruckerinnen ausspricht, nennt weder Jacksons Aufsatz noch deren zweibändige amerikanische Dissertation zum Nürnberger Verlagshaus Berg & Neuber aus dem Jahr 1998.4 Stattdessen wird aus Lexikonartikeln und CD-Beiheften zitiert, unter anderem um die reiche Musikkultur in norditalienischen Frauenklöstern zu belegen: Dass es zu Letzteren zwei umfassend quellenfundierte Bücher von Robert L. Kendrick gibt (1996 und 2002), scheint der Autorin nicht bekannt oder aber nicht von Bedeutung gewesen zu sein5, ebenso wenig wie der Teil „Musik im Bürgertum“ des oben genannten Handbuchs. Denn sonst würde sie nicht Musikdruckerinnen, Lehrerinnen und das häusliche Lied als neue, viel versprechende Gebiete für die Erforschung des kulturellen Handelns von Frauen in der frühneuzeitlichen Stadt propagieren – im Handbuch sind diesen Bereichen mehrere hundert Seiten gewidmet.

In Susanne Rode-Breymanns Eigenbeitrag zum Klosterband, Musik in norditalienischen Frauenklöstern des 17. Jahrhunderts, wird der führende Experte auf diesem Gebiet, Robert L. Kendrick, immerhin erwähnt. Bei der deutschen Übersetzung eines italienischen Zitats über die benediktinische Komponistin Chiara Margarita Cozzolani (S. 123f.) strapaziert die Autorin ihr Prinzip der Nacherzählung freilich weiter: Sie folgt einer ungenannten deutschen Vorlage wortwörtlich und bis in die Rechtschreibung hinein.6

So weit zu den Methoden. Nun zu den Inhalten: Beide Bände enthalten zusammen knapp dreißig Aufsätze, zum Teil von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen, zum Teil von jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen insbesondere aus dem Umfeld des Forschungszentrums Musik und Gender. Einige dieser Studien sind inhaltsreich und fundiert; bisweilen werden neue Quellen erschlossen (zu nennen wären hier beispielsweise Sabine Meine, Peter Louis Grijp, Kathrin Eggers, Inken Formann, Karin Schrader). Andere referieren lediglich aus dem Spektrum bereits publizierter Literatur und versuchen, neue Kategorien zu entwickeln und Perspektiven einzuführen, die die Masse an Wissen nach dem Prinzip des Gender Mainstreaming aufbereiten sollen – basierend auf dem wiederholten Motto, dass bislang ja nur gesammelt, nicht aber strukturiert worden sei (vgl. den Beitrag von Nina Noeske 2009, S. 31–45). Bezeichnend erscheinen in dieser Hinsicht die Zwischenüberschriften, die sich in manchen Aufsätzen häufen: „Innen und Außen“, „Wissen und Geschlecht“, „Urbanität“, „Restriktion und Kreativität“ – Wortpaare und Etiketten, die „neue“ Ansätze versinnbildlichen sollen, dabei aber nur selten über den Status des modischen Schlagworts hinausgelangen. Eine Fundierung durch Quellen, und zwar nicht nur durch eine einzelne, sondern durch ein breites Spektrum, das eine Strukturierung und erste theoretische Abstrahierung überhaupt erst ermöglichen würde, sucht man in derartigen Aufsätzen vergebens.

Der Mangel betrifft jedoch nicht nur einzelne Aufsätze. Das Fundament des gesamten Projektes steht auf schwachen Füßen. Die Ausführungen der Herausgeberin zum kulturellen Handeln und zur Kategorie Ort/Raum im ersten Band (2007) sollen den neuen Ansatz begründen, auf dem das übergreifende, von der Mariann Steegmann–Stiftung gesponserte Forschungsprojekt „Orte der Musik – Kulturelles Handeln von Frauen in der Frühen Neuzeit“ basiert. Für das kulturelle Handeln wird hier Peter Burkes Geschichte der Praxisformen herangezogen, die „Kategorie des Ortes“ wird auf das Fundament zweier Zitate von Karl Schlögel und Walter Benjamin gestellt. Überzeugend wirkt das nicht, sind diese Zitate doch aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen. Ebenso wenig wird klar, warum es eigentlich dieser „Kategorie“ bedarf – in der Betrachtung des breiten kulturellen Zusammenhangs verfolgt dieser Band eine kulturgeschichtliche Vorgehensweise, die längst selbstverständlich ist, auch in der Musikwissenschaft.

Die Einleitung zum Klosterband eröffnet demgegenüber den Blick auf ein anderes Erkenntnisinteresse: Das Symposium wollte den „Musikort“ Kloster „erfahrbar“ machen; eine „Brücke zwischen Geschichte und Gegenwart“ sollte „der erlebte Ort, der erlebte ‚Rhythmus‘ des Ortes“ sein (S. 3). Demnach versenkte man sich auf der Tagung unter anderem in den Mitvollzug des Stundengebets im Kloster Wülfinghausen – in der Musikwissenschaft ein ganz neues Konzept, wie die Einleitung von Susanne Rode-Breymann und Katharina Talkner glaubhaft macht; immerhin räumt Katharina Talkner später in ihrem Beitrag ein, dass der im Tagungskonzept verwendete Begriff der „Spiritualität“ im Hinblick auf Mittelalter und Frühe Neuzeit problematisch sei (S. 73). Freilich liegt er dennoch mehreren Aufsätzen des Bandes, so auch Talkners, zugrunde (Spiritualität in geistlichen Gesängen, S. 73–83). Die Liturgie dagegen, die – so der Konsens in Geschichtswissenschaft, Mediävistik, Kirchengeschichte und Ordensforschung – konstitutiv für klösterliche „Kultur“ ist, und zwar vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, wird im Band nur en passant erwähnt; Forschungsgegenstand ist sie in keinem der Aufsätze. Damit aber wird die eigentliche Grundlage des Lebens von Ordensfrauen in der Frühen Neuzeit (und somit ihres „kulturellen Handelns“) ausgeblendet.

Der Anspruch des „Erlebens“ kommt besonders deutlich im Projekt „Die Musik der Lüneburger Klöster“ zum Tragen, das im Band „Musikort Kloster“ dokumentiert wird. Ulrike Volkhardt, Professorin für Blockflöte an der Folkwang Hochschule Essen, hat 2008 in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Musik und Gender sowie der Musikwissenschaftlerin Ulrike Hascher-Burger sechs CDs mit Einspielungen von musikalischen Quellen aus den sechs Lüneburger Klöstern herausgebracht.7 Das parallel von Hascher-Burger veröffentlichte Inventar der musikalischen Quellen aus den Lüneburger Klöstern bietet eine Art selektives Manual für die praktische Arbeit mit dieser Musik; der kulturhistorische Kontext ist dabei ausgeblendet.8 Im Band „Musikort Kloster“ wird die Genese des Projektes umrissen, das vom Erleben, „Nachspüren“ und „einfach mal Ausprobieren“ (so die mündliche Charakterisierung der Leiterin, Aussage vom 25. März 2009) geprägt ist und die musikalischen Quellen der Lüneburger Klöster entsprechend einer breiten Öffentlichkeit vermittelt. Eine wissenschaftliche Behandlung dieser Vermittlungsarbeit – Aufführungspraxis, Instrumentation, Aussprache des Mittelniederdeutschen, Aussagen zur Musikikonographie – ist nicht zu erkennen.

Der Genderaspekt bietet Anregung zu neuen Fragen an die Historie; er macht aufmerksam auf Kulturbereiche und Quellenbestände, die lange vernachlässigt worden sind. Zahlreiche Publikationen – darunter einige Aufsätze innerhalb der Bände „Orte der Musik“ und „Musikort Kloster“ – zeigen das innovative Potenzial dieser Fragestellungen. Die beiden Tagungsberichte des Forschungszentrums Musik und Gender lassen jedoch auch die Schattenseite einer Forschungsrichtung erkennen, der es primär um rasche Ergebnisse und den Anspruch der alleinigen Definitionsmacht geht. Dürftige Inhalte, mangelnde Quellenarbeit, vor allem aber fragwürdige Methoden diskreditieren eine Forschungsrichtung (und deren Vertreterinnen und Vertreter), die nach dem Postulat der Leiterin des Forschungszentrums künftig „als zentrales Forschungsgebiet der Musikwissenschaft“ zu gelten habe.9

Anmerkungen:
1 So nicht nur die Aussagen der Herausgeberin in den Einleitungen zu den beiden Bänden, sondern auch der Werbetext von Annette Kreutziger-Herr, der am 17. September 2007 über das E-Mail-Forum „MuWi-Gender“ versandt wurde.
2 Linda Maria Koldau, Frauen – Musik – Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit, Köln 2005.
3 Susan Jackson, Who is Katherine? The Women of the Berg & Neuber – Gerlach – Kaufmann Printing Dynasty, in: Yearbook of the Alamire Foundation 2 (1995), S. 451–463.
4 Susan Jackson, Berg and Neuber: Music Printers in Sixteenth-Century Nuremberg, 2 Bde., New York 1998.
5 Robert L. Kendrick, Celestial Sirens. Nuns and their Music in Early Modern Milan, Oxford 1996; ders., The Sounds of Milan, 1585–1650, Oxford 2002.
6 Linda Maria Koldau, „Chiara di nome, mà più di merito“: Chiara Margarita Cozzolani, benediktinische Komponistin des 17. Jahrhunderts, in: Clara Mayer (Hrsg.), Annäherung an sieben Komponistinnen, Kassel 2000, S. 133–161 (Übersetzung des italienischen Zitats auf S. 140); der Aufsatz wurde in erweiterter Fassung publiziert in: VivaVoce, Hefte Oktober und Dezember 2000, S. 2–7 und S. 2–13.
7 Schola und Ensemble devotio moderna, vertrieben vom Label cantate (2008).
8 Indem Hascher-Burger lediglich diejenigen Quellen aufgenommen hat, die musikalische Notation enthalten, werden zahlreiche Quellen – darunter das Wienhäuser Liederbuch und das Ebstorfer Liederbuch – fragmentarisiert und in ihrer Bedeutung unkenntlich gemacht. Vgl. Ulrike Hascher-Burger, Verborgene Klänge. Inventar der handschriftlich überlieferten Musik aus den Lüneburger Frauenklöstern bis ca. 1550, mit einer Darstellung der Musik-Ikonographie von Ulrike Volkhardt, Hildesheim 2008. Eine überzeugendere Einführung bietet die zusammenfassende Quellenbeschreibung von Hascher-Burger im Band „Musikort Kloster“, S. 139–158.
9 Nina Noeske / Susanne Rode-Breymann / Melanie Unseld, Art. „Gender Studies“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite, neubearbeitete Ausgabe, Supplement-Band, hrsg. von der Schriftleitung, Kassel 2008, Sp. 249.

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