G. Diewald-Kerkmann: Frauen, Terrorismus und Justiz

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Titel
Frauen, Terrorismus und Justiz. Prozesse gegen weibliche Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni


Autor(en)
Diewald-Kerkmann, Gisela
Reihe
Schriften des Bundesarchivs 71
Erschienen
Düsseldorf 2009: Droste Verlag
Anzahl Seiten
VII, 363 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Hikel, Historisches Institut, Universität der Bundeswehr München

Mit dem Titel „Frauen, Terrorismus und Justiz“ nennt Gisela Diewald-Kerkmann die drei großen Themenfelder ihrer Arbeit, die sie am Beispiel der Prozesse gegen Frauen aus der Roten Armee Fraktion (RAF) und der Bewegung 2. Juni in den Jahren 1971 bis 1984 untersucht. Ausgehend von der Feststellung, dass bislang vor allem „individuell-biographische und psychologische Erklärungsmodelle“ herangezogen worden seien, um das Phänomen des (weiblichen) Terrorismus zu erklären, strebt Diewald-Kerkmann an, „die individuellen Kategorien mit gesellschaftlichen und historischen Faktoren zu verknüpfen“ (S. 7f.). Methodisch bezieht sie sich in ihrer Bielefelder Habilitationsschrift auf die Arbeiten Donatella Della Portas sowie Ingrid Gilcher-Holteys, die politische Gewalt als ein mögliches Produkt sozialer und politischer Umwälzungen bzw. soziale Bewegungen als sichtbaren Ausdruck gesellschaftlicher Verwerfungen interpretieren. Davon verspricht sich die Autorin, das „Wechselverhältnis zwischen Politik, Justiz und RAF“ sowie die „Dynamik zwischen den Geschehensabläufen“ in den Blick zu bekommen (S. 8). Ihren geschlechtergeschichtlichen Ansatz begründet Diewald-Kerkmann mit dem auffallend hohen Frauenanteil in der RAF und der Bewegung 2. Juni.

Ziel des Buchs ist es, die Zuschreibungen zu bestimmen, die in Politik, Justiz und Medien das Bild von Terroristinnen und Terroristen prägten, um dann der Frage nachzugehen, welche Auswirkungen diese Zuschreibungen in den Strafverfahren hatten. Dafür wertete Diewald-Kerkmann bislang nicht zugängliche Ermittlungs- und Prozessakten aus. Diese Quellen ergänzt und kontrastiert sie mit Selbstzeugnissen, Presseartikeln und Zeitzeugeninterviews. Die Studie gliedert sich in vier weitgehend unverbundene Themenkomplexe, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Diskurse und die jeweiligen Akteure beleuchten. In einem ausführlichen Schlusskapitel werden die Ergebnisse der einzelnen Teile dann zusammengeführt.

Im ersten Kapitel wird der politisch-soziale Kontext in den Mittelpunkt gerückt. Diewald-Kerkmann untersucht hier zunächst die Studentenbewegung als Faktor und Ausdruck gesellschaftlichen Wandels. Das entspricht ihrer Prämisse, soziale Bewegungen als Entstehungskontexte terroristischer Gewalt einzuordnen. Allerdings ließe sich fragen, inwiefern über die Studentenbewegung hinaus nicht auch noch andere, politische und soziale Wandlungsprozesse hätten einbezogen werden können.

In einem Abschnitt über die Konzepte der RAF und die Selbstdeutungen ihrer Mitglieder setzt sich die Autorin dann ausführlicher mit geschlechtergeschichtlichen Fragen auseinander. Sie analysiert die Aussagen von männlichen und weiblichen Mitgliedern der RAF über ihre Motive, zu terroristischer Gewalt zu greifen. Dabei kann sie kaum Unterschiede ausmachen. Die Entscheidung für den Terrorismus sei von Männern und Frauen ähnlich begründet worden, nämlich vor allem als Politisierungsprozess im Kontext der Studentenbewegung und eine daraus resultierende Radikalisierung. Für die RAF-Frauen habe die Frage nach der Überwindung tradierter Geschlechtermodelle keine Rolle gespielt. Die Selbstidentifikation als „Revolutionäre“ und „Kämpfer“ sei „entscheidend“ gewesen (S. 45). Allerdings bleibt eine genauere Analyse der mit diesen Begriffen verbundenen Zuschreibungen aus.

Der zweite Teil ist der Auswertung der Prozessakten gewidmet und soll Aufschluss über darin eingeschriebene Geschlechterbilder bieten. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Begründungsversuchen der Justizbehörden und Gerichte, warum die Beschuldigten sich terroristischen Organisationen angeschlossen hätten. Diewald-Kerkmann untersucht dafür exemplarisch die Aussagen der Akten zu 41 „Täterpersönlichkeiten“, Männern wie Frauen. Darunter finden sich Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin oder Brigitte Mohnhaupt ebenso wie Andreas Baader, Horst Mahler oder Wolfgang Beer. Die Autorin arbeitet drei Erklärungsmuster heraus: zum einen die vermuteten Auswirkungen der Studentenbewegung, zum anderen den Einfluss von Freunden oder (Ehe-)Partnern und schließlich die so genannte „Emanzipationsthese“. Während der erste Zugangsweg gleichermaßen Männern wie Frauen zugeschrieben wurde, so argumentiert Diewald-Kerkmann, sei der zweite vor allem auf weibliche Lebenswege angewandt worden. Die Frauen seien darin als von Männern abhängige, unpolitische und entscheidungsunfähige Wesen dargestellt worden, die sich den männlichen Entscheidungen unterordneten. Zudem hätten die Behörden gemutmaßt, dass die Lebensweise der Frauen jenseits der Geschlechternormen ebenfalls eine Affinität zu terroristischer Gewalt hervorgebracht habe. Das dritte, vor allem in den Medien diskutierte Modell habe versucht, einen Konnex zwischen der Emanzipationsbewegung und weiblicher Gewaltausübung herzustellen.

Insgesamt räumt die Autorin geschlechtsspezifischen Erklärungen jedoch nur wenig Bedeutung für die Prozesse ein. So sei die Justiz im Allgemeinen von „gleichen Zugangswegen für Männer und Frauen“ zu terroristischen Organisationen ausgegangen (S. 139). Auch wenn durchaus Einflüsse der Geschlechterzuschreibungen auf die Prozessdynamik nachzuweisen seien, sei eine andere Kategorie wesentlich bedeutender gewesen: die vermutete „Gefährlichkeit“ des oder der Angeklagten. Hier wäre jedoch zu fragen, inwiefern die Einstufung von „Gefährlichkeit“ nicht auch von den Geschlechterzuschreibungen abhängig war. Wurden Frauen vielleicht deshalb als weniger gefährlich eingestuft, weil sie als „verführt“ und dem Mann unterlegen wahrgenommen wurden?

Die beiden letzten Kapitel nehmen juristische Fragen und Probleme der RAF-Prozesse in den Blick. Diewald-Kerkmann arbeitet hier überzeugend die Wechselwirkungen zwischen Politik, Justiz, Medien und RAF heraus, die den Umgang mit Terrorismus in den 1970er- und 1980er-Jahren bestimmten. Im dritten Kapitel stellt die Autorin zunächst zentrale Begriffsfelder auf den Prüfstand. Sie zeigt, wie die Debatten über „Innere Sicherheit“, eine militarisierte Sprache und die Wahrnehmung der TerroristInnen als „Staatsfeinde“ die politische und mediale (Selbst-)Inszenierung des Terrorismus bestimmten. Dagegen hält sie fest, dass die Justiz die RAF-Verbrechen zunächst als rein kriminelle Delikte zu ahnden versuchte, wobei sie den Terroristen jegliche politische Motivation absprach. Die Justiz sei jedoch zunehmend mit Ansprüchen von Politik und Medien konfrontiert worden, die Auswirkungen auf den Umgang mit den Beschuldigten hatten. Diewald-Kerkmann vollzieht nach, wie vor allem die Forderung, alle Mittel bis an die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit gegen die mutmaßlichen TerroristInnen anzuwenden, dazu beitrug, dass das Rechtssystem der Bundesrepublik eine tiefe Zäsur erlebte. Als Beispiele dienen die Einführung von § 129a StGB (terroristische Vereinigungen), die Infragestellung der Unschuldsannahme oder auch die Haftbedingungen. Hier bezieht die Autorin erneut die geschlechtergeschichtliche Perspektive ein und fragt nach Ungleichbehandlungen zwischen weiblichen und männlichen Untersuchungshäftlingen, die sie jedoch kaum feststellen kann.

Im vierten Teil beschäftigt sich Diewald-Kerkmann noch einmal genauer mit den Akteuren von Strafverfolgung und Justiz: Richter, Rechtsanwälte, Kronzeugen und das Bundeskriminalamt (BKA). Sie zeigt, wie vor allem das mittels der neu eingeführten „Kronzeugen“-Regelung gewonnene Wissen über Terrorismus die Prozesse bestimmte und durch Rückbezüge auf bereits gefällte Urteile und deren Argumentationen wirksam blieb. Ebenso macht die Autorin deutlich, dass im Kontext der Terrorismus-Bekämpfung ein grundsätzlicher Wandel bei den Sicherheitsbehörden eintrat: Das BKA unter Horst Herold erfuhr eine enorme Aufwertung, und es etablierte sich eine veränderte Sicht auf Verbrechensbekämpfung, die unter den Primat der Prävention gestellt wurde.

Gisela Diewald-Kerkmann knüpft mit ihrer Studie an eine Reihe neuerer Arbeiten zum bundesdeutschen Terrorismus der 1970er-Jahre an, die das Phänomen Terrorismus in einen größeren historischen Kontext stellen.1 Ihr Beitrag ist dabei letztlich weniger in den etwas blass bleibenden Ausführungen zum geschlechtergeschichtlichen Aspekt des Themas zu sehen als vielmehr in der Analyse der Wechselwirkungen zwischen Politik, Justiz, RAF und Medien. Hier gelingt es der Autorin sehr überzeugend, die Einbettung und Überlagerung verschiedener Diskursebenen herauszuarbeiten. Da ihre Überlegungen stellenweise auch zum Widerspruch und zum Weiterdenken herausfordern, wird die Studie sicher weitere Forschungen anregen.

Anmerkung:
1 Z.B. Klaus Weinhauer / Jörg Requate / Heinz-Gerhard Haupt (Hrsg.), Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, Frankfurt am Main 2006 (vgl. Sonja Glaab: Rezension zu: Weinhauer, Klaus; Requate, Jörg; Haupt, Heinz-Gerhard (Hrsg.): Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren. Frankfurt am Main 2006, in: H-Soz-u-Kult, 27.02.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-1-136>); Wolfgang Kraushaar (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, 2 Bde., Hamburg 2006 (vgl. Annette Vowinckel: Rezension zu: Kraushaar, Wolfgang (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus. 2 Bde. Hamburg 2006, in: H-Soz-u-Kult, 24.10.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-070>).

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