F. Brendle u.a. (Hrsg.): Geistliche im Krieg

Titel
Geistliche im Krieg.


Herausgeber
Brendle, Franz; Schindling, Anton
Erschienen
Münster 2009: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
445 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Hirschfeld, Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften, Abteilung Kulturgeschichte und vergleichende Landesforschung, Hochschule Vechta

Die Beschäftigung mit dem Krieg als Zäsur in der Geschichte besitzt in den letzten Jahren unter Historikern Konjunktur. Dabei geht es nicht mehr darum, die Siege und Niederlagen großer Feldherren zu analysieren, sondern die Wirkungskraft des Krieges auf verschiedene soziale Gruppen in den Blick zu nehmen. Kärrnerarbeit hat dabei der Tübinger Sonderforschungsbereich 437 „Kriegserfahrungen – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“ geleistet, aus dessen Werkstatt auch der hier zu besprechende Sammelband stammt. Er geht zurück auf eine 2008 vom SFB veranstaltete „internationale Tagung“ (Vorwort, S. 9) über Geistliche im Krieg, wobei auf den ersten Blick auffällig erscheint, dass die Verfasser der 19 Aufsätze bis auf zwei Ausnahmen - die in Koblenz und Erlangen lehren - sämtlich an der Universität Tübingen tätig sind. Beim weitaus überwiegenden Teil der Beiträger handelt es sich zudem um Tübinger Doktoranden. So begrüßenswert es auch erscheint, dem wissenschaftlichen Nachwuchs auf diesem Wege ein Forum zu bieten, so sei doch die Frage gestattet, ob die dargelegten Fallbeispiele - wie etwa die Öselsche Bischofsfehde oder die Kriegserfahrungen von Jesuitenmissionaren in Paraguay - selbst den wissenschaftlich gebildeten Leser nicht zunächst ein wenig abschrecken, zumal ihm doch der eingängige Buchtitel allgemeine Informationen über „Geistliche im Krieg“ offeriert. Wenn dann noch in Einzelfällen mehr als Dreiviertel einer Seite nur aus Fußnoten besteht (vgl. S. 348f.), könnte dies zudem den Eindruck erwecken, als hätten manche Beiträger primär die Verbreitung ihrer zweifelsohne immensen Spezialkenntnissen vor Augen, statt die großen Linien zu verfolgen.

Heterogenität ist bei einem Sammelband - gerade wenn er interdisziplinär angelegt ist, wie in diesem Fall, wo Historiker und Theologen unter den Autoren sind - an der Tagesordnung und auch bei klar nachvollziehbaren Fragestellungen der Herausgeber kaum zu vermeiden. Für letztgenannte macht Franz Brendle eingangs zudem deutlich, dass der Titel „ein weites Feld“ (S. 16) eröffne, welches „eine Vielzahl von Wechselwirkungen“ (S. 17) aufweise, wobei er eine Kontinuität der Deutungsmuster konstatiert. In der Tat standen Geistliche in dem breiten zeitlichen Rahmen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert – ein Schwerpunkt der Aufsätze auf der Frühen Neuzeit ist unverkennbar – im Spannungsfeld zwischen Aufruf zu gerechtem Kampf und Friedensappellen.

Wohin die Tendenzen im Klerus in erster Linie gingen, analysiert Andreas Holzem in einem Parforceritt durch die unterschiedlichen Epochen, der die Neuere Geschichte bedauerlicherweise etwas stiefmütterlich behandelt (vgl. S. 83). Holzem versteht es gut herauszuarbeiten, dass das ambivalente Verhältnis zwischen Klerus und Krieg erst im Christentum anzutreffen ist (vgl. S. 50). Den Reigen der Fallbeispiele eröffnet Susanne Häcker mit einem Vergleich der Haltung der Theologieprofessoren zum Krieg an den drei konfessionell unterschiedlichen Universitäten Freiburg im Breisgau (katholisch), Heidelberg (reformiert) und Tübingen (lutherisch), der vielschichtige Verbindungen zu Tage fördert. Einen internationalen Farbtupfer setzt Peter Damgaard, wenn er Kriegsdeutungen dänischer Geistlicher aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts präsentiert, in denen Krieg klar als Strafe Gottes bezeichnet wird. Ein solcher erfahrungsgeschichtlicher Ansatz zieht sich ebenso durch den Beitrag von Andreas Neuburger, der in die Perspektive der Äbte von drei württembergischen Klöstern schlüpft und auf diese Weise sehr authentisch deren Kriegs- bzw. Friedenswahrnehmung widerspiegelt. Angela Strauß analysiert das kollektive Selbstverständnis preußischer Feldprediger aus deren Ratgeberliteratur und kommt zu dem Schluss, dass dies „nur bedingt durch Patriotismus geprägt“ (S. 173) gewesen sei. Im Zentrum der Selbstdeutung habe eine Professionalisierung des Feldpredigeramtes gestanden. Auch Laure Ognois hat sprechende Selbstzeugnisse ausgewertet, und zwar das Selbstverständnis reformierter Pfarrer in der Schweiz. Im Sinne des audiatur et altera pars hätte man sich aber auch eine Einbeziehung von Außenwahrnehmungen dieser Geistlichengruppen in die beiden zweifelsohne quellengesättigten Aufsätze wünschen können, also gleichsam eine Rezeption der Gegenüberlieferung erhofft. Wolfgang Wüst mit seiner Analyse von Tagebüchern und Korrespondenzen aus süddeutschen Klöstern und Pfarreien sowie Ingrun Klaiber mit einer Untersuchung von Geistlichen geführter Chroniken in Ulm bleiben ebenso stark ihren Quellen verhaftet. Dennoch ist es sehr ertragreich, wenn Klaiber beispielsweise resümiert, dass geistliche Chronisten um 1800 nüchtern und emotionslos berichtet haben (vgl. S. 248).

Sehr erhellend erweist sich Annette Jantzens Untersuchung der Haltung elsässischer und lothringischer Priester im Ersten Weltkrieg insbesondere vor dem Hintergrund der durch die veränderte Waffentechnik begründeten neuen Dimensionen des Kriegs. Jantzen vermag schlüssig aufzuzeigen, dass diese Veränderungen den Klerus keineswegs erfassten, sondern dieser in althergebrachten Deutungsmustern verharrte. Unabhängig von nationalen Befindlichkeiten zwischen Deutschland und Frankreich ertrugen sie das Kriegsgeschehen in der Überzeugtheit von der Vorsehung Gottes. Pazifistisches Gedankengut besaß hier ebenso wenig eine Chance, ernst genommen zu werden, wie in der orthodoxen jüdischen Kriegswahrnehmung, die - wie Margit Schad in ihrem Aufsatz formuliert - „eine Allianz mit dem Zeitgeist der deutschen Kriegsideologie“ (S. 288) einging. Dass es auch andere Positionen gab, die zwar in einer Außenseiterrolle blieben, sich aber dennoch Gehör verschaffen konnten, belegt Bettina Reichmann am Beispiel der Haltung des ungarischen Bischofs Ottokár Prohászka. Nicht der Kampf für das Vaterland, sondern die Chance der christlichen Erneuerung durch den als Strafe Gottes gedeuteten Krieg stand im Mittelpunkt seines Handelns.

Der Zweite Weltkrieg bleibt auf einen gleichwohl aussagekräftigen Aufsatz aus der Feder von Jörg Seiler reduziert, der am Beispiel des Bamberger Regens Johann Schmitt die Haltung des Klerus zwischen 1939 und 1945 verfolgt. Weiterführend erscheint sein Resümee, dass nationales Pathos in der Sprache der Theologen auch angesichts der Gegnerschaft zur NS-Ideologie schon deshalb nicht verschwinden konnte, weil der Kirche eine Sprache der Abgrenzung fehlte (vgl. S. 342). Die eingangs bereits en passant erwähnten Studien zur Öselschen Bischofsfehde (Magnus von Hirschheydt) und zu den Jesuitenmissionaren in Paraguay (Fabian Fechner) bleiben ebenso wie Mathis Magers Aufsatz über die letzten Johanniter auf Rhodos farbige Miniaturen, die sicherlich nicht ohne Absicht von den Herausgebern an den Schluss des Sammelbandes gestellt und unter der - auch doppeldeutig zu verstehenden - Überschrift „Kriegserfahrungen am Rande der Christenheit“ zusammengefasst worden sind.

Wenn die Inhalte des umfänglichen Sammelbandes hier teilweise nur angerissen werden konnten, belegt dies den Facettenreichtum des erfreulicherweise sowohl mit einem Personen- als auch mit einem Ortsregister ausgestatteten Bandes. Der interessierte Leser bedarf allerdings der Muße, sich in die zum Teil doch entlegenen Fallbeispiele auch zu vertiefen. Vermag er dies, wird er mit Gewinn vor seinem geistigen Auge wertvolle Mosaiksteine zu einem ambivalenten Bild der Geistlichen im Krieg zusammensetzen, die - wie Franz Brendle zu Beginn schreibt – „die Rolle von den Kampfgeist aufstachelnden Kriegspredigern, aber auch die von Trost spendenden Helfern haben“ (S. 18) konnten.