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Titel
Historikerinnen. Eine biobibliographische Spurensuche im deutschen Sprachraum. Mit einem Geleitwort von Angelika Schaser


Herausgeber
Kümper, Hiram
Reihe
Schriften des Archivs der deutschen Frauenbewegung, Bd. 14
Anzahl Seiten
271 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne-Katrin Kunde, Institut für Geschichte des Mittelalters, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Ausgangspunkt dieser „biobliographischen Spurensuche“ nach Historikerinnen im deutschen Sprachraum war die sowohl vom Herausgeber Hiram Kümper als auch der Verfasserin des „Geleits“ Angelika Schaser festgestellte Tatsache, dass es historisch-biographischen Nachschlagewerken zur Wissenschaftsgeschichte an Einträgen zu Frauen mangelt. Dieser Mangel ergibt sich aus der weitgehenden Beschränkung solcher Lexika auf den universitären Wirkungsraum, den späten institutionellen Zugang von Frauen zu universitären Studiengängen und nicht zuletzt aus der damit verbundenen Frage, was eine Historikerin zu einer solchen mache. Hiram Kümpers und Angelika Schasers Anliegen ist es daher, dem Zurückbleiben dieser Kompendien hinter dem inzwischen beachtlichen Stand der Forschung zu Frauen in der Wissenschaftsgeschichte bzw. in der Geschichtswissenschaft entgegenzuwirken. Anfänglich als „biobibliographisches Handbuch mit zumindest tendenziellem Vollständigkeitsanspruch“ gedacht, erscheint der Band nunmehr als „erster dokumentarischer Aufriß“, der 63 Biographien von 44 Autorinnen und Autoren (S. 16-229) sowie weitere 100 Kurzbiographien bzw. „Kurzverzeichnungen aus dem Bereich der Archäologien und Ur- und Frühgeschichte“ (S. 232-253) präsentiert. Grundlage für letztere bildete der „Zettelkasten“ des Herausgebers sowie weitere Recherchen von Julia Koch, die auch als Autorin an dem Band mitgewirkt hat. Aufgenommen wurden Frauen, „die sich selbst als Historikerinnen verstanden“ und „die mit den Mitteln der Geschichtswissenschaft, das heißt vor allem durch die Arbeit mit historischem Quellenmaterial, Vergangenes in Worte gefasst haben“ (S. 7). Im Anschluss an ihre Biografien wird der Leserin/ dem Leser eine Auswahlbiografie und ein (nicht immer nachvollziehbarer bzw. korrekter) Namens- und Ortsindex sowie eine Abkürzungsverzeichnis geboten.

Die zwischen einer und sieben Seiten langen Artikel sind weitgehend nach analogem Muster aufgebaut: Auf eine knappe Kopfzeile, die den Namen, das Fachgebiet und die Lebensdaten der Biografierten bietet, folgt die ausführlichere Darstellung des jeweiligen Werdeganges und eine knappe Werkinterpretation, die durch Werkliste, entsprechende Literatur zur Person und fast durchgängig (bzw. wo vorhanden) durch Angaben zum Nachlass abgerundet werden. Gerade für diese letzten Informationen ist den Autoren zu danken, werden doch durch sie mögliche weitere Forschungen zu Historikerinnen allgemein oder zu einzelnen Wissenschaftlerinnen erleichtert.

Chronologisch eröffnet wird die Reihe der „Historikerinnen“ mit Hrotsvit von Gandersheim (935-973), gefolgt von Helene Kottnarin (besser Kottannerin) (1400-1470), um nach einem Sprung von mehr als 250 Jahren über Louise von Blumenthal (1742-1808) in das 18. und 19. Jahrhundert vorzustoßen. Als erste Frau mit universitärer Ausbildung wurde – soweit erkennbar – Ricarda Huch (1864-1947) aufgenommen. Die jüngste Forscherin in diesem Reigen ist die Neuzeithistorikerin Susanne Rouette (1956-2004). Somit fanden nur bereits verstorbene Frauen Aufnahme in diesem Handbuch, weitere Aufnahme- bzw. Ausschlusskriterien bleiben aber weitgehend offen. Warum etwa gerade Hrotsvit von Gandersheim und Helene Kottannerin an den Beginn dieser Spurensuche gestellt wurden, ist nur zu vermuten. Wahrscheinlich sollten damit die erste bekannte Dichterin und die Verfasserin der ältesten bekannten Frauenmemoiren des deutschen Sprachraumes auch in diesem Band gewürdigt werden. Ob sich beide aber als „Historikerinnen verstanden“ bleibt fraglich.

Der zeitliche Schwerpunkt des Lexikons liegt im ausgehenden 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mithin in einer Zeit, in der Frauen der Zugang zu Universitäten regulär möglich wurde, auch wenn eine „entsprechende akademische Ausbildung oder gar eine akademische Karriere … mit Blick auf die noch junge Geschichte der Frauen an deutschen Universitäten kein Kriterium“ für die Aufnahme in diesem Band dargestellt hat (S. 7). Die Frauen gehörten den unterschiedlichsten Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft an, worunter auch Archäologie, Kunstgeschichte, Philologie oder Architekturgeschichte gefasst werden. Sie waren nahezu durchgängig promoviert, etliche zudem habilitiert. Allerdings lässt sich aus dieser Beobachtung kein weiterer Schluss ziehen, da der vorliegenden Auswahl kein repräsentativer Anspruch zugrunde liegt und zudem gerade die ersten im Fach Geschichte Habilitierten nicht aufgenommen wurden, obwohl der ins Leere laufende Querverweis auf Ermentruda (besser Ermentrude) von Ranke (1892-1931) (S. 220) - Enkeltochter Leopolds von Ranke, die sich über „Die Kölner Handelsbeziehungen im 16. und 17. Jahrhundert“ habilitierte - aufzeigt, dass daran ursprünglich gedacht worden war.

Hier offenbart sich zugleich eine Schwäche der vorliegenden Veröffentlichung: Das ursprünglich von Hiram Kümper beabsichtigte Vorhaben eines umfassend gedachten Handbuchs zu Historikerinnen im „deutschsprachigen Raum“ scheint aus welchen (ungenannten) Gründen auch immer nicht realisierbar gewesen zu sein. Es bleibt eher auf das Gebiet des Deutschen Reiches bzw. der BRD beschränkt und ist weit weniger auf das der Schweiz oder Österreichs ausgedehnt. Auch hätte man sich mehr als nur eine anderthalbseitige Einleitung gewünscht, die neben einer ersten Einordnung des gebotenen Materials auch notwendige Beschränkungen erklärt (über den Mangel an Beiträgern oder beschränkte Seitenzahlen hinaus, so S. 7 f.). Eine etwas gründlichere Redaktion hätte manche Artikel letztlich stärker vereinheitlichen oder kleinere Fehler beheben können (zum Beispiel S. 189: Eiffert zu Eifert).

Dennoch kann dieses als Spurensuche bezeichnete Lexikon dazu dienen, „einen Anstoß zur Diskussion über die Machtstrukturen im Fach und über die Kriterien geschichtswissenschaftlicher Arbeiten [zu] liefern“ (S. 12). Es trägt - trotz aller genannten Mängel und Lücken - in dankenswerter Weise dazu bei, zahlreiche in Vergessenheit geratene Historikerinnen und ihre Arbeiten wieder bekannt und damit zum möglichen Gegenstand weiterer Forschungen zu machen. Gerade die versammelten Kurzviten verdienen eine künftige Ergänzung von biografischen und werkbezogenen Details. In diesem Sinne sei auf einen zwischenzeitlich veröffentlichten Beitrag Karel Hruzas „Ein vergeblicher Hilferuf: Der Brief Käthe Spiegels an den Rektor der Deutschen Karls-Universität in Prag vom 11. Oktober 1941“1 aufmerksam gemacht, mit dem das Schicksal dieser, bei Hiram Kümper innerhalb der Kurzbiografien erwähnten Historikerin (S. 250), die aus Prag in ein (nicht bekanntes) Konzentrationslager deportiert und nach 1941 ermordet wurde, in seiner ganzen Tragik besser ermessen werden kann.

Anmerkung:
1 Karel Hruza, Ein vergeblicher Hilferuf: Der Brief Käthe Spiegels an den Rektor der Deutschen Karls-Universität in Prag vom 11. Oktober 1941, in: Bohemia 48 (2008), S. 203-210.

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