Titel
Schüler ins Archiv!. Archivführungen für Schulklassen


Autor(en)
Sturm, Beate
Erschienen
Berlin 2008: BibSpider
Anzahl Seiten
134 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lars Barkhausen, Gymnasium Ernestinum, Rinteln Email: Lars.Barkhausen@web.de

Der im Herbst 2008 erschienene archiv-didaktische Forschungsbeitrag ,,Schüler ins Archiv!'' von Beate Sturm zeigt den Institutionen Schule und Archiv Möglichkeiten auf, Schülerinnen und Schülern aller Altersstufen und aller Schulformen kompetenz- und lernzielorientiert die Arbeit mit Quellen in Archiven zu ermöglichen. Die Arbeit richtet sich gleichermaßen an Lehrkräfte und Archivare/innen. Beiden Berufsgruppen weist sie Wege auf, wie, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher didaktischen Zielsetzung ein Archiv als außerschulischer Lernort schülergerecht genutzt werden kann. Die Arbeit basiert auf einer Prüfungsarbeit, die als Examensarbeit im Rahmen des Referendariats im Archivwesen in Baden-Württemberg eingereicht worden ist.

Als Ausgangsposition dient der Autorin zunächst eine im Jahr 2007 von ihr bundesweit durchgeführte Erhebung, die Rückschlüsse auf die praktischen Erfahrungen mit Schülergruppen aus der Perspektive von Archivarinnen und Archivaren zulässt. Diese ergab unter anderem, dass 60% von 167 befragten Archiven Schülergruppen empfangen haben und dass dementsprechend eine hohe Bereitschaft besteht, Jugendliche in die Räumlichkeiten und die Kernaufgaben der jeweiligen Archive einzuweisen. Das starke Interesse an jungen „Kunden“ erfahre lediglich durch die personelle oder räumliche Ausstattung der Archive Grenzen. Vor allem kleine Einrichtungen sehen sich häufig nicht in der Lage, Schüler zu empfangen, da sie kaum über Nutzerräume verfügten und das eigentliche Archivgut zusammen mit der behördlichen Altregistratur verwahrten. Hier müssten Führungen häufig aus rechtlichen Gründen abgelehnt werden. Gleichzeitig würden sich jedoch gerade diese Archive in „anderer Form auf Schulen“ zubewegen (S. 23). Aufgrund des hohen Anteils dieser Archive ist es bedauerlich, dass die Autorin nicht sagt, was unter diesen „Formen“ zu verstehen ist.

Jene Archive, die Schulklassen führten, wünschen laut Umfrage Gruppenstärken von höchstens 11 bis 15 Schülern, so dass die derzeit deutlich größeren Klassen in der Regel aufgeteilt und in kleineren Gruppen in selbstständiges Arbeiten und Forschen eingewiesen würden. Ursächlich hierfür sei das Bestreben vieler Archive, Lernende direkt an Archivalien arbeiten zu lassen und dabei zu beraten. Sturm schätzt die Führungen insgesamt als relativ personalintensiv ein: Die Untersuchung zeige, dass Archivarinnen und Archivare für die Vorbereitung und Durchführung eines Klassenbesuches im Schnitt etwa drei Stunden benötigen. Die Archive investierten diese Zeit jedoch gerne, weil sie feststellten, dass die Begegnung mit den Quellen die Schüler besonders in ihren Bann ziehen. Die Begrenzung der Gruppengrößen ist somit sowohl dem Schutz der Archivalien wie auch der fachlichen Unterstützung der Lernenden geschuldet.

Mit Blick auf die Schulform und den Unterrichtsbezug ergab die Studie zwei weitere relevante Befunde: Zum einen frequentieren Schüler aller allgemeinbildenden Schulformen die Archive. Dabei sei die Zahl der Grund-, Haupt- und Realschüler zusammen höher als die der Gymnasiasten. Zum anderen falle hinsichtlich der Altersstruktur besonders ins Auge, dass Drittklässler und die Jahrgänge 10 bis 12 überdurchschnittlich häufig in die Archive kämen, um hauptsächlich den Heimatkunde- und den Geschichtsunterricht zu ergänzen. Die Autorin fordert an dieser Stelle die Archive ausdrücklich auf, auch mit Hinweis auf ihre Potenziale für den fächerübergreifenden, musischen und naturwissenschaftlichen Unterricht für sich zu werben.

Das Ergebnis der Befragung ist daher auch als Einladung an Lehrkräfte und Lernende zu verstehen, in Archiven zu forschen. Vor allem jene Lehrer, die während ihres Studiums keine Gelegenheit zu selbstständiger Archivarbeit hatten, erhalten mit diesem praxisnahen Überblick Hinweise auf die Möglichkeiten, die der außerschulische Lernort „Archiv“ beinhaltet. Unbeachtet blieb in der Studie allerdings die Frage nach den auftretenden Kosten, die im Vorfeld eines Archivbesuches unbedingt geklärt werden sollte. Eltern und Schüler nehmen etwaige Gebühren für die Archivnutzung und Kosten für Fotokopien von Archivalien möglicherweise als zu hoch wahr. Hier wären konkrete Angaben nützlich gewesen.

Über die Archivbefragung hinaus nimmt die Autorin im weiteren Verlauf der Arbeit Bezug auf aktuelle Bildungspläne und geschichtsdidaktische Positionen, in denen durchgängig der Besuch von Archiven als außerschulischem Lernort gefordert bzw. ihre derzeitige Nutzung seitens der Schulen als zu gering erachten wird. Dass diese Forderung angesichts großer Klassen und knapp bemessener, wertvoller Unterrichtszeit in der Schulpraxis auf Vorbehalte stoßen könnte, wird zwar zugegeben (S.23), ,,Schüler ins Archiv!'' relativiert diese Vorbehalte jedoch zu Recht. Sturm verweist auf die didaktische und formale Legitimation der Archivnutzung und gibt damit den Lehrenden schwergewichtige und plausible Argumente an die Hand, um gegenüber Schulleitern und Eltern den Zeitaufwand für die Archivbesuche ihrer Schüler zu vertreten.

Im Anschluss entwickelt die Autorin 26 ,,Praxismodule'' (S. 52-85), die Archivarinnen und Archivaren sowie Lehrkräften als Werkzeuge dienen können, um Lerngruppen zeitökonomisch, erfolgreich und zielorientiert im Archiv arbeiten zu lassen. Die Module sind thematisch benannt und in sechs Gruppen zusammengefasst. Sie verweisen neben dem jeweiligen Thema auf die vorgesehene Zielgruppe, auf die notwendigen Räumlichkeiten, auf die seitens der Schüler zu erwerbenden bzw. zu vertiefenden Lernziele bzw. Kompetenzen, auf einen möglichen Einstieg und schließlich auf die in Frage kommende Methodik. Die Autorin zeigt damit, welche Möglichkeiten Archive besitzen, um Lernenden Wissen zu vermitteln und wie sie konkrete Kompetenzen erwerben, einüben bzw. ergänzen können. Die Module verstehen sich allerdings lediglich als Gerüst. Dass mit ihnen keine im Detail ausgearbeiteten Entwürfe vorliegen, orientiert sich an der Auffassung der Autorin, Archivbesuche unbedingt den jeweiligen Lerngruppen anpassen zu müssen (S. 43-48).

Für Lehrkräfte und Archive beginnt demnach bereits mit der Vorbereitung des Archivbesuchs die Arbeit, die die Autorin beiden Berufsgruppen grundsätzlich nicht abnimmt. Sturm verlangt, die Möglichkeiten des jeweiligen Archivs mit dem spezifischen Potenzial der betreffenden Lerngruppe sorgfältig auszuloten (S. 43-48), damit der Besuch nicht in Beliebigkeit bzw. Belanglosigkeit abdriftet. Die Module müssen dafür mit konkreten Inhalten und Themen des Geschichts- oder Heimatkundeunterrichtes ergänzt werden.

Die bereits angesprochene Gliederung der Module in sechs thematische Gruppen ermöglicht es Schülergruppen unter anderem, sich sukzessive in ihre Rolle als Nutzer einzufinden, um sich Inhalte konkret erarbeiten zu können. Die Module sind so angelegt, dass die Gruppen dabei umfassend sowohl die Dienstleistungsangebote als auch die Aufgaben des jeweiligen Archivs kennen lernen. Dabei trainieren sie unterschiedliche Kompetenzen im Umgang mit den verschiedenen Textsorten bzw. Archivalien, die das Archiv vorhält. Bei diesen Kompetenzen handelt es sich unter anderem um Lese-, Schreib-, Medien- und Reflexionskompetenz. Neben der altersgerechten ,,Ausbildung“ zu kritischen Geschichtsforschern erhalten die Lerngruppen auch Einblicke in die handwerklichen Aufgaben eines Archivs. Insbesondere größere Einrichtungen verfügen häufig über eine Foto- oder Restaurationswerkstatt, mit deren Hilfe die Schülerinnen und Schüler praktischen Tätigkeiten nachgehen können, um zum Beispiel die Herstellung von Siegeln, Wappen oder Urkunden kennen zu lernen. Exemplarisch stellt das Kapitel ,,Ich werde Forscher im Hauptstaatsarchiv Stuttgart" (S. 86-105) vor, wie die Praxismodule kombiniert werden können, um den Lerngruppen eine Nutzung zu ermöglichen.

Das Konzept der gesamten Publikation zeichnet sich positiv durch seine Schüler- und Praxisorientierung aus. Irreführend ist auf den ersten Blick lediglich der Begriff „Archivführungen" im Titel, der den Eindruck erweckt, es handle sich hier grundsätzlich um geführte Archiv-Besichtigungen. Die Autorin legt jedoch im Gegenteil Wert auf hohe Schüleraktivität und – je nach Alter und Kompetenz der Lerngruppen – auf selbstständiges Lernen (S. 48-52). Lehrkräften gibt das Werk Hinweise darauf, welche didaktischen und methodischen Möglichkeiten Archive – je nach Ausstattung – beinhalten, um Lernende dazu zu befähigen, Erkenntnisse über historische Sachverhalte zu erwerben und Kernkompetenzen einzuüben. Archivarinnen und Archivaren hingegen zeigt die Autorin, welche Erwartungen die Schulen im Rahmen ihrer unterrichtlichen Zielsetzungen an die Archivarbeit mit Schülern knüpfen.

Beiden Berufsgruppen gibt ,,Schüler ins Archiv'' damit Anregungen und Konzepte an die Hand, um Lernende erfolgreich mit Archivalien arbeiten, forschen und lernen zu lassen.

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