Titel
Kwanzaa. Black Power and the Making of the African-American Holiday Tradition


Autor(en)
Mayes, Keith A.
Erschienen
New York 2009: Routledge
Anzahl Seiten
290 S.
Preis
€ 24,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Dorestal, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Während die Sekundärliteratur über die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung inzwischen fast unüberschaubar geworden ist, setzte erst in den letzten Jahren eine intensive wissenschaftliche Beschäftigung mit der Black Power-Bewegung ein.1 Bisher hat sich die neuere Forschung über die Black Power-Bewegung allerdings hauptsächlich auf die „Black Panther Party for Self-Defense“ (BPP) konzentriert.2 Im Gegensatz zur BPP, die sich als ‚revolutionary nationalists’ verstand und neben der Abgrenzung zu moderateren Teilen der Bürgerrechtsbewegung und ihrem offensiven Eintreten für das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung auch die Zusammenarbeit mit anderen progressiven weißen linken Gruppen vorsah, gab es andere Organisationen, die sich als ‚cultural nationalists’ definierten. Mit einem erweiterten Verständnis des Begriffes „Kultur“ verwiesen diese auf den Umstand, dass Kultur ein wichtiges, wenn nicht das zentrale Feld sei, auf dem der Kampf um gesellschaftliche und politische Veränderungen ausgetragen werde. ‚Cultural Nationalists’ machten es sich so Mitte der 1960er-Jahre zur Aufgabe, sich afrikanische Geschichte und Kultur, die African Americans in den USA bis dahin kaum, und wenn ja, nur verzerrt vermittelt bekommen hatten, wieder anzueignen und dadurch persönliche und gesellschaftliche Transformationen voranzutreiben. Eine der nachhaltigsten Errungenschaften dieser Organisationen war die Erfindung des afroamerikanischen Festes Kwanzaa.

Keith Mayes rekonstruiert in seinem Buch detailliert die historischen Entstehungsbedingungen und die Entwicklung dieser Feiertagswoche, die inzwischen weltweit von mehreren Millionen Menschen zelebriert wird. Mayes beginnt mit einer Kontextualisierung von Kwanzaa innerhalb der US-amerikanischen Festtagstradition. Kwanzaa grenzt sich demnach explizit gegen andere US-amerikanische Feiertage ab und wurde als Alternative zu den „weißen“ Weihnachten konzipiert. Der Autor konzeptionalisiert zunächst Feiertage als Indikator gesellschaftlicher Veränderungen und als Orte, in denen sich Machtverhältnisse artikulieren. Auf Überlegungen des Ethnologen Victor Turner zurückgreifend, der Rituale als soziale Praxis begriff, interpretiert Mayes Kwanzaa und andere Feiertage als bestimmt durch performative Aspekte, nämlich als genau festgelegte Handlungsabläufe, die durch ihre Ritualisierung und Wiederholung Bedeutung generieren.

Anhand der Beispiele des Columbus Day und des St. Patrick’s Day zeigt der Autor, dass Feiertage mehr sind als nur eine Erinnerung an die Vergangenheit, sondern eine Möglichkeit für „weiße“ Gruppen, in die amerikanische Nation symbolisch einzutreten. Italiener/innen und Ir/innen konnten, indem sie Columbus Day bzw. St. Patrick’s Day als staatlich anerkannte Feiertage durchsetzten, eine Zugehörigkeit zur US-amerikanischen Nation demonstrieren und dies als Mittel gegen Diskriminierung nutzen. Die rassistische Diskriminierung von African Americans umfasste jedoch auch den Ausschluss jeglicher Repräsentation ihrer Geschichte und Identität im Feiertagskalender. Das Abhalten von Kwanzaa in den 1960er-Jahren war eine späte Reaktion auf diese Exklusion und ein Versuch, schwarze Identität selbstbestimmt zu zelebrieren.3

Im zweiten Kapitel skizziert Mayes die Entstehung von Kwanzaa im Kontext der Black Power-Bewegung in den 1960er-Jahren. Die Ausschreitungen im hauptsächlich von African Americans bewohnten Watts-Stadtteil in Los Angeles im August 1965 waren ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Unzufriedenheit der schwarzen US-Bevölkerung mit sozialer und räumlicher Segregation sowie rassistischer Diskriminierung zunahm und nicht mehr durch den Ansatz eher moderat ausgerichteter Bürgerrechtsorganisationen wie der „National Association for the Advancement of Colored People“ (NAACP) oder der „Southern Christian Leadership Conference“ (SCLC) kanalisiert werden konnte. Im Zuge der gewaltsamen Watts-Proteste gründeten sich zahlreiche Student/innenvereinigungen und Black-Power-Gruppen, die schwarzes Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung propagierten. Sie setzten durch, dass in den Curricula nun auch schwarze Geschichte und Kultur als der wissenschaftlichen Betrachtung wert erachtet und in Seminaren unterrichtet wurden. Eine der sich herausbildenden Organisationen war die Gruppe „Us“, die ihren Namen aus der Opposition zwischen „us“ (African Americans) und „them“ (den Weißen) herleitete. Mayes Rekonstruktion der Geschichte von Us schließt eine Forschungslücke, weil diese Gruppe bisher kaum untersucht worden ist.4

Innerhalb des ‚cultural nationalism’, als deren Teil Us sich verstand, wurde die Sprache Kiswahili zu einem wichtigen Ausdruck schwarzer Identität, weil sie in vielen Teilen Afrikas gesprochen wurde und wird und sie somit der panafrikanischen politischen Überzeugung der Us-Mitglieder Ausdruck verleihen sollte. Die Mitglieder von Us legten darüber hinaus ihre „westliche“ Kleidung ab, die sie mit Entfremdung und der Entfernung von ihren kulturellen und geschichtlichen afrikanischen Wurzeln verbanden. Stattdessen trugen sie sogenannte Dashikis, bunte afrikanische Hemden, die sie sofort auch für Außenstehende als ‚cultural nationalists’ erkennbar machten. Dieser Umstand verweist darauf, dass der ‚cultural nationalism’ im Wesentlichen über performative Momente wie Styling funktionierte.

Theoretisch orientierte sich die Us-Organisation an der von ihrem Gründer Maulana Karenga entwickelten Kawaida-Theorie, was auf Kiswahili „Tradition“ bedeutet. Er formulierte als deren zentrale Pfeiler die „seven Principles of Blackness“, die „Nguzo Saba“.5

Karenga bestimmte diese als „Umoja“ (Einheit), „Kujichagula“ (Selbstbestimmung), „Ujima“ (Kollektives Arbeiten und Verantwortung), „Ujamaa“ (kooperatives Wirtschaften), „Nia“ (Zielsetzung), „Kuumba“ (Kreativität) und „Imani“ (Glaube). An diesen sieben Prinzipien sollten sich African Americans orientieren, um ein sinnvolles Leben zu führen und ihr politisches Handeln auszurichten. Aber obwohl Us seine Mitglieder dazu bewegen konnte, diese Prinzipien zu respektieren und zu versuchen, ihnen gemäß zu handeln, waren African Americans in ihrem Alltagsleben doch noch in viele als „weiß“ apostrophierte Festtagstraditionen wie Weihnachten eingebunden und zelebrierten diese. Deshalb suchte Karenga nach einer Alternative, die der kulturellen und geschichtlichen Tradition der African Americans entsprach. Er entwickelte Kwanzaa, welches verschiedene Elemente aus afrikanischen Erntefesten aufgriff. Kwanzaa wurde in direkter Abgrenzung zu Weihnachten im Jahre 1966 vom 26. Dezember bis zum 1. Januar zum ersten Mal abgehalten. Den sieben Feiertagen sollten jeweils die sieben Prinzipien entsprechen; jeder Tag war einem Prinzip gewidmet, und die Besinnung darauf sollte den persönlichen Transformationsprozess hin zu einem bewussten Schwarzsein unterstützen.

Mayes referiert diese „sieben Prinzipien des Schwarzseins“, weist jedoch darauf hin, dass keines der Elemente für sich genommen „schwarz“ ist, sondern die Sinngebung von Kwanzaa im Allgemeinen und dieser Prinzipien im Besonderen als schwarzes Fest über „invented traditions“ (Hobsbawn) gelingt. Über verschiedene Praktiken des Redens, Grüßens, Kleidens und sich Bewegens wurden Schwarzsein und Afrika aufgeführt. Kwanzaa war ein wichtiges Element bei der Herstellung dieser Blackness.

Im Buch wird darüber hinaus die gängige lineare Geschichtsschreibung als simplifizierend zurückgewiesen, wonach die Black Power-Bewegung in den Jahren 1966 bis 1968 ihre Hochphase hatte, um danach immer mehr an Einfluss zu verlieren und schließlich in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Vielmehr lasse sich, so der Autor, eine Verschiebung der Aktivitäten beobachten. Die steigende Akzeptanz von Festen wie Kwanzaa in den 1970er- und 1980er-Jahren zeigt, dass die Black Power-Bewegung über den ‚cultural nationalism’ in bestimmten Ritualen und Feiertagen wie Kwanzaa in neuen Formen weiterlebte und sich entwickelte.

In den letzten beiden Kapiteln zeichnet Mayes dann die Entwicklung Kwanzaas von einem im Kontext der Black Power-Bewegung entstandenen und explizit der Selbstfindung und der Schaffung schwarzen Selbstbewusstseins dienenden Fest hin zu einem zwar zunehmend populäreren und von Millionen zelebrierten, aber nunmehr stark kommerzialisierten und kommodifizierten Feiertag nach. In den 1980er- und 1990er-Jahren erfuhr Kwanzaa eine Einbindung in multikulturelle Vermarktungsstrategien, die Respekt und Inklusion von verschiedenen Minoritäten wie African Americans und von People of Color propagierten. Die Entstehungsbedingungen von Kwanzaa innerhalb des politisch radikalen Kontextes der Black Power-Bewegung gerieten dabei jedoch in Vergessenheit. Kwanzaa ereilte damit dasselbe Schicksal wie etwa der „Martin Luther King Jr. Memorial Day“. Die Debatten um das Für und Wider von dessen Einführung wurden in den 1980er-Jahren kontrovers geführt. Auch hier waren die Unterstützer/innen meist linke Graswurzelbewegungen. Inzwischen ist dieser Tag zum Gedenken an Martin Luther King, Jr. zur festen Größe im Kalender der USA geworden, der in fast allen Bundesstaaten begangen und dessen Legitimität auch von konservativ eingestellten US-Amerikaner/innen kaum noch hinterfragt wird. Dies illustriert einmal mehr Keith Mayes zentrale These, dass Feiertage eine performative Praxis sind, die immer in einem gesellschaftlichen und historischen Kontext entstehen, dass diese politischen Entstehungsbedingungen jedoch später meist nicht mehr offenkundig sind.

Der Autor leistet insgesamt, so lässt sich resümieren, durch die Kontextualisierung von Kwanzaa und die Bestimmung seiner konstitutiven Rolle für den ‚cultural nationalism’ einen wichtigen Beitrag zur neueren Forschung über die Black Power Bewegung, der nicht zuletzt durch gründliche Quellenarbeit und einen innovativen theoretischen Zugang besticht.

Anmerkungen:
1 Vgl. Peniel Joseph, Introduction: Toward a Historiography of the Black Power Movement, in: ders. (Hrsg.), The Black Power Movement: Rethinking the Civil Rights-Black Power Era, New York 2006, S. 1-26; Nikil Palh Singh, Black is a Country. Race and the Unfinished Struggle for Democracy, Cambridge 2004, S.1-14.
2 Für einen Überblick über die neueste Literatur zur BPP vgl. David J. Garrow, Picking Up the Books: The New Historiography of the Black Panther Party, in, Reviews in American History 35,4 (2007), S. 650-670.
3 African Americans wurden Anfang des 19. Jahrhundert noch – teilweise gewaltsam – von den US-Unabhängigkeitsfeiern ausgeschlossen. Aus diesem Grunde wurde der Unabhängigkeitstag von Haiti am 1. Januar 1804 fortan für schwarze US-Amerikaner/innen zu einem – wenn auch inoffiziellen – Feiertag. Vgl. Michael O. West / William G. Martin, Haiti, I’m Sorry. The Haitian Revolution and the Forging of the Black International, in, dies. / Fanon Che Wilkins (Hrsg.), From Toussaint to Tupac. The Black International Since the Age of Revolution, Chapel Hill 2009, S. 72-104, hier S. 95.
4 Die bisher einzige Monographie über Us stammt von Scott Brown, Fighting for US. Maulana Karenga, the US Organization, and Black Cultural Nationalism, New York 2003. Einen knappen Überblick über die Geschichte dieser Organisation geben Floyd W. Hayes III / Judson L. Jeffries, Us Does Not Stand for United Slaves!, in: Judson L. Jeffries (Hrsg.), Black Power in the Belly of the Beast, Urbana 2006, S. 67-92.
5 Vgl. zur politischen Philosophie des Us-Gründers das gerade erschienene Buch von Molefi Kete Asante, Maulana Karenga. An Intellectual Portrait, Cambridge 2009.

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