J. Sonntag: Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften

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Titel
Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit


Autor(en)
Sonntag, Jörg
Reihe
Vita Regularis. Ordnungen und Deutungen religiösen Lebens im Mittelalter, Abhandlungen 35
Erschienen
Berlin 2008: LIT Verlag
Anzahl Seiten
768 S.
Preis
€ 69,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Hohlstein, Abteilung Geschichte, Universität Bielefeld

Nach einzelnen Symbolen und Zeichen im Kloster zu fragen, ist nicht neu. Jörg Sonntags Dissertation "Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit" ist dennoch innovativ. Sonntag versucht sich am Beispiel von cluniazensisch inspirierten Klöstern, lothringisch durchdrungener Konvente um Gorze, Trier, Fulda und zisterziensischen Klostergemeinschaften, die der hochmittelalterlichen monastischen Reformbewegung zugerechnet werden, an einer bisher nicht unternommenen umfassenden Analyse zeichenhaften Handelns im Kloster. Indem er es nach seiner ordnungsbildenden, institutionellen Funktion hin befragt, stellt Sonntag die Arbeit in den Kontext aktueller Forschungen zum Verhältnis von Ordnung und Symbol. Im Anschluss daran gilt dem Autor „das Institutionelle an einer Ordnung als die symbolische Darstellung ihrer Prinzipien und Geltungsansprüche“ (S. 12).

In den Prolegomena stellt Sonntag methodische Überlegungen zu seiner empirischen Basis und den Erkenntnis leitenden Begriffen 'Symbol' und 'Zeichen' an. Jörg Sonntag weiß um die Problematik seiner Quellen: Es bleibt unsicher, in welchem Maß die zahlreichen klösterlichen Gewohnheiten, Statuten und Konstitutionen den Alltag wiedergeben. Es gelingt Sonntag aber mittels einer gründlichen Aufarbeitung des Entstehungs- und Überlieferungskontextes jene Texte auszumachen, in denen eher eine soziale Praxis ihren Niederschlag findet als in anderen Textzeugen. Ferner arbeitet er die Grenzen der Anwendbarkeit moderner Semiotik mit ihrem referenztheoretischen Zeichenbegriff zur Erfassung vormoderner Zeichenhaftigkeit heraus. Stattdessen greift Sonntag in heuristischer Weise auf Augustinus und Hugo von St. Viktor zurück, die stilbildend die mittelalterliche Auffassung von Zeichen als Sache und Bezeichnetem zugleich formulierten.

In einem ersten Kapitel nähert sich der Verfasser dem "Kloster als Imaginaire", um mit den Vorstellungen mittelalterlicher Autoren über das Kloster für die folgende Analyse zeichenhaften Handelns im Kloster zu sensibilisieren. Das imaginierte Kloster im frühen und hohen Mittelalter war äußerst facettenreich. Zahlreiche biblische Rollenmodelle waren mit ihm verbunden. Der Metaphorik in der patristischen Literatur und monastischen Theologie nach war ein Kloster ein paradiesischer Ort, eine Werkstatt der Weltverachtung und der sichere Hafen des Heils; Mönche folgten apostelgleich Christus nach. Letztlich hebt sich die Grenze der Transzendenz zwischen Irdischem und Jenseitigem im Kloster zeichenhaft auf. Sichtbar wird dies unter anderem am Kleid des Mönches. Der Habit zeigte den Stand des Mönches an. Zugleich war es aber auch Präsenzsymbol des Heiligen. Die verschiedenen Zeichenhaftigkeiten beweisen, so Sonntag, „den polysemen Charakter mönchischer Bekleidung, die ihrer Repräsentationssymbolik als Standeskleid zum Sinnbild einer heiligen Gewandung erwachsen war“ (S. 99). Innerhalb der monastischen Reformbewegung und den Prozessen der Bildung von kollektiven Identitäten des hohen Mittelalters gab es ein Spektrum unterschiedlicher Mönchskleider. Was die einen als engelsgleichen Habit ansahen, lehnten andere ab. Die heftige Kontroverse um das rechtmäßige Kleid wird erst vor dem Hintergrund eines tradierten Imaginaire verständlich. Wer überzeugt war, ein heiliges Kleid zu tragen, dem wurde dessen Verteidigung zur „moralischen Pflicht“ (S. 115).

Der zweite Teil der Arbeit thematisiert "Symbolisches Handeln nach Innen". Eingerahmt wird er von zwei existentiellen Ereignissen: dem Eintritt ins Kloster und dem Tod des Mönches. Dazwischen spannt Jörg Sonntag den zeichenhaften Alltag auf: die Interaktion der Mönche im Spannungsfeld von Hierarchie und Gemeinschaft, den klösterlichen Tagesablauf, die monastische Mahlgemeinschaft, die brüderliche Fußwaschung bis hin zu Konflikten im Kloster, die Bußpraxis oder die Krankensorge. Am Anfang steht die Aufnahme in die klösterliche Gemeinschaft. Jörg Sonntag zeigt die Fülle und die intraklösterliche Varianz zeichenhaften Handelns im Zusammenhang mit dem Eintritt ins Noviziat und der Profess. Es symbolisiert die Abkehr von der Welt, das individuelle Opfer an Christus und zugleich die Anerkennung klösterlicher Hierarchie. Die einzelnen Klostergemeinschaften setzten unterschiedliche Schwerpunkte, etwa bei der Haarschur oder der Verhüllung des Hauptes mit der Kukulle des mönchischen Gewands. Das rituelle Handeln im Kontext der monachatio lässt sich als rites de passage interpretieren. Jörg Sonntag führt hier die bekannten älteren und neueren Theorieangebote an, ist aber sensibel genug, theoretisch begründete Phasen mit seinem empirischen Material abzugleichen, so dass keinem linearen Phasenmodell das Wort geredet wird. Vielmehr verschränkten sich unterschiedliche zeitliche Ebenen von Separation, Übergang und Integration.

Die Interaktion der Mönche folgte den Grundsätzen der klösterlichen Hierarchie und dem Ideal brüderlicher Gemeinschaft. Zum Signum klösterlicher Hierarchie wurde der Abtsstab. Er repräsentierte die Rechtsgewalt des Abtes innerhalb der Gemeinschaft. Zugleich war er Präsenzsymbol für Christus. Die Abtsherrschaft zeigt sich auch im Kniekuss oder in Sitzordnungen. Während Gesten der Ehrerbietung in den cluniazensisch beeinflussten Klostergemeinschaften und den Konventen um Fruttuaria stärker gefordert waren, nehmen sie für zisterziensische Gemeinschaften geringeren Raum ein. Das Kloster als imaginierter transzendenter Ort wurde im Schuldkapitel semiotisch eingebunden. Zeichenhafte Bußhandlungen im Kontext schwerer Schuld lassen sich erneut als rites de passage interpretieren, wobei sie anders als in der monachatio mit einem Ausschluss des Sünders aus der Gemeinschaft beginnen. Der Ausschluss des Büßers bis hin zu seinem symbolischen Tod und die einzelnen Schritte seiner Reintegration in die klösterliche Gemeinschaft besaßen ein vielschichtiges Symbolpotenzial. Dauer und Abstufungen des zeichenhaften Handelns korrelieren mit der eingegangenen Schuld. Das Sterben des Mönches war ebenfalls eingebettet in eine differenzierte Semiotik. Am Übergang aus dem Leben in den Tod und damit ins Himmelreich macht Sonntag die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der rites de passage als Beschreibungs- und Erklärungsmodell erneut nachvollziehbar. Gerade mit Blick auf die Phase der Liminalität ist es fragwürdig, lassen sich doch keine exakt abgrenzbaren zeitlichen Phasen im klösterlichen Sterberitus festmachen. An dieser Stelle verbindet Sonntag die Darstellung symbolischen Denkens und zeichenhaften Handelns mit abstrahierenden Überlegungen. Überzeugend gelingt es ihm darzustellen, dass die zeichenhafte Rahmung des mönchischen Sterbens einer Logik des Imaginaires vom Kloster als heiligem, reinen Ort folgt. Das Sterben strukturiert sich weniger über zeitliche Phasen als über eine inhaltliche Ebene, indem die klassischen Sühnemittel den transitus begleiten.

Von deutlich geringerem Umfang ist das Kapitel "Symbolisches Handeln nach Außen". Eine Verbindung von Kloster und Welt ist im Kontext des monastischen Imaginaires unvereinbar. Dennoch finden sich Normen für den Umgang mit Gästen, der von zeichenhaften Handlungen begleitet wird. Die Bestimmungen zielten auf den Empfang von Königen, Bischöfen oder Äbten anderer Klöster. Empfang und Aufnahme waren ebenfalls mit zeichenhaften Handlungen versehen. Anders als im klösterlichen Alltag, für den das Imaginaire und das symbolische Handeln vergemeinschaftend wirken sollte, kommt es nicht zu einer völligen Integration von Gästen in die Gemeinschaft, wodurch letztlich dem Imaginaire Rechnung getragen wurde.

Jörg Sonntag hat ein eindrucksvolles Buch geschrieben. Gleichwohl seien einige Punkte kritisch angemerkt. Trotz der zweifellos sehr anschaulichen Sprache des Autors wäre aus heuristischer Sicht eine weniger metaphorische Begriffsbildung angebracht gewesen. Zum anderen hätte der Autor das Buch in einigen Passagen straffen können. Allerdings begegnet Sonntag der zuweilen übergroßen Detailfülle, indem er tabellarische Übersichten einfügt und sich regelmäßig bemüht, das empirische Material in abstrakteren Überlegungen zu synthetisieren. Im abschließenden Kapitel "Das Kloster als symbolische Ordnung" versucht Sonntag, die verschiedenen zeichenhaften Handlungen miteinander zu vernetzen und das Maß der symbolischen Ordnung zu erfassen. Es gelingt ihm deutlich zu machen, wie sehr sich monastische Ordnung über symbolisches Denken und zeichenhaftes Handeln strukturiert. Die Ursachen dieser Entwicklung werden aber nur unzureichend kenntlich gemacht. Zu fragen bleibt zudem, ob es im klösterlichen Alltag Bereiche jenseits des Zeichenhaften gibt. Eine umfassende soziale und frömmigkeitsgeschichtliche Kontextualisierung seines Gegenstandes, die die Varianzen zwischen Klöstern und Klostergemeinschaften erklären könnte, vernachlässigt Sonntag. Trotz der Kritik: Jörg Sonntag hat ein Buch vorgelegt, das erstmals das Kloster als symbolische Ordnung einer kohärenten Analyse unterzieht. Seine zahlreichen neuen Ergebnisse beeindrucken. Wer demnächst über Vorstellungen und Gebrauch von Symbolen im Kloster arbeiten möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

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