A. Barnert: Die Antifaschismus-Thematik der DEFA

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Titel
Die Antifaschismus-Thematik der DEFA. Eine kultur- und filmhistorische Analyse


Autor(en)
Barnert, Anne
Reihe
Marburger Schriften zur Medienforschung
Erschienen
Marburg 2008: Schüren Verlag
Anzahl Seiten
392 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Kannapin, Cinegraph Babelsberg e.V., Potsdam

Die 2008 erschienene Dissertation von Anne Barnert „Die Antifaschismus-Thematik der DEFA“ verfolgt als kultur- und filmhistorische Analyse das Ziel, dem Antifaschismus der DDR im Film auf die Spur zu kommen. Zu diesem Zweck wird als allgemeiner Rahmen die Verbindung von Antifaschismus als Begriff und seine bevorzugte Behandlung als Thema in den Spielfilmen der DDR gesetzt.

Die Vorgehensweise ist naheliegend und gut gewählt. In der Tat war der Antifaschismus für die DDR das entscheidende historische Feld ihrer Existenz und damit seine künstlerische Bearbeitung auch wesentlicher Auftrag. Das Forschungsmaterial ist reichlich, Zäsuren der DDR-Geschichte können anhand antifaschistischer Filmkunst nahezu minutiös aufgeschlüsselt werden, in Einzelanalysen erhellt sich Widersprüchliches, oder es bestätigt sich die extrapolierte Vorannahme. Kurzum: Der Forschungsgegenstand ist klar umrissen und für die Wissenschaft durchaus dankbar.

Barnerts Arbeit unterteilt sich in fünf Hauptkapitel: 1. Begriffsbestimmung und Kontextbemühung, 2. Buchenwald als Handlungsort, 3. Film als kulturelles Gedächtnis, 4. Konrad Wolfs Film „Professor Mamlock“ zwischen familiärer und staatlicher Erinnerung und 5. Film als Familiengedächtnis generell. Auffällig ist, dass die Autorin die systematische Auseinandersetzung einer chronologischen Abfolge vorzieht. Auffällig ist weiterhin ihr Bemühen, der offiziellen Lesart des Antifaschismus der DDR durch Partei und Staat ihre eigene bzw. eine denkmöglich subversive bzw. eine rezeptionshistorisch alternative Variante der Aneignung der von ihr vorgeführten Filme entgegenzustellen. Das ist insofern zu begrüßen, da Barnert in jeder ihrer Analysen aufzeigt, wie offiziell Wünschenswertes sich gegenüber offeneren Interpretationsrastern ausnimmt und dem Leser überlassen bleibt, welcher Richtung der Filminterpretation zugeneigt werden kann.

Begriffsbestimmung und Kontextbemühung veranschaulichen die Doktrin des Antifaschismusbegriffes und ihre relativ frühe Festschreibung in der DDR bereits in den 1950er-Jahren. Buchenwald als Handlungsort gilt den DEFA-Filmen sowohl als Sujet zur Authentifizierung wie auch als Mahn- und Erziehungsstätte für nachfolgende Generationen. In dem Abschnitt über den Film als kulturelles Gedächtnis werden so unterschiedliche Filmbeiträge wie „Stärker als die Nacht“ (1954), „Sonnensucher“ (1958/1972), „Jakob der Lügner“ (1974) oder „Dein unbekannter Bruder“ (1982) und andere mehr zusammengeführt, wobei hier nicht immer klar ist, welche Position die Filme im theoretischen Raster der Gedächtnisforschung spielen sollen – ein Befund, der auch im zusammenfassenden fünften Kapitel zum Familiengedächtnis anzutreffen ist, selbst wenn er dort um sozialpsychologische Komponenten erweitert wird. Die Verwendung der theoretisch und empirisch unfruchtbaren Untersuchung Eike Wenzels zum „Gedächtnisraum Film“ (S. 178-186) wäre allerdings entbehrlich gewesen, ohne das Gesamtkonstrukt der Arbeit selbst zu gefährden.1

Der zweifellos interessanteste und auch detailreichste Abschnitt ist der über die Entwicklung des Dramen- und Filmstoffes „Professor Mamlock“ von Friedrich Wolf, den dessen Sohn Konrad 1961 zu einer konzentrierten Kammerspielverfilmung verdichtete (S. 209-290). Barnert nutzt die jahrzehntelange Entwicklungsgeschichte (Drama 1933, Erstverfilmung in der UdSSR 1938, dauerhafte Theaterpräsenz) zu Reflexionen über die Rolle deutscher Emigranten im sowjetischen Exil und die komplizierte Situation der kommunistisch-jüdischen Doppelidentität der Familie Wolf. Sie erkennt hieran allein eine „Belastung“ für ihre Protagonisten in der DDR (S. 234), womit sie jedoch unterschlagen muss, dass die genannte Doppelidentität ihren künstlerischen Ausdruck eher in der DDR als in den beiden anderen Nachfolgestaaten des „Dritten Reiches“ finden konnte.

An Barnerts Arbeit ist, gemessen am heute gültigen Wissenschaftsstandard, nichts auszusetzen. Inhaltlich entspricht die Kombination der kanonisierten Erkenntnisse aus Historiographie, Politikwissenschaft und Filmphilologie dem Stand der Forschung. Quellentechnisch sind die wesentlichen Dinge gehoben und aufbereitet. Man hätte sich vielleicht eine ausführlichere Beschäftigung mit der internationalen DEFA-Forschung gewünscht, die zu einigen gewichtigen Teilen der Deutschen voraus ist.2 Aber das schmälert den Gesamteindruck nicht.

Vollständigkeit ist gegeben – fragwürdig indes ist die Deutung. Konsequent erscheint zwar das Resümee von Barnert: Sie hält einen „von den konkreten Umständen abgelösten Blick auf die NS-Vergangenheit“ für den „Kern der antifaschistischen Erinnerungspolitik in der DDR“ (S. 342). Dies steht in anderen Worten aber bereits implizit in der Einleitung, und man fragt sich verwundert, ob die Falsifikation dieser (einzigen) These das Ziel der ganzen Arbeit war. Sämtliche aufgeführten Einzelerkenntnisse widerlegen (gerade im Bereich Film) prinzipiell Barnerts Annahme, dass der Antifaschismus der DDR nur der Legitimation diente. Als Kulturbegriff und politisch-moralische Haltung kommt er überhaupt nicht in den Blick, so dass der Umfang des vorgezeigten Materials immer über den Kamm der Ideologie geschert wird. Beispielsweise wiederholt Barnert an einer Stelle die durch nichts bewiesene Behauptung, dass sowohl der Film „Sterne“ (1959) als auch „Jakob der Lügner“ dem Publikum den Holocaust überhaupt nicht nahe bringen könnten, weil der identische Schluss beider Filme, der rollende Güterwagen zeigt, darauf lediglich ahnungsvoll und unscharf Bezug nähme. Dass die Filme von Anfang bis Ende nur ein Thema haben, nämlich die Vernichtung der europäischen Juden durch Deutschland im Zweiten Weltkrieg, dass dieses zentrale Anliegen für jeden Zuschauer in jeder Sekunde greifbar ist und sie dadurch natürlich ein Verständnis über das Verbrechen an den Juden mitbekommen (müssen), wird damit regelrecht geleugnet. Ein solches Urteil haben die Filmautoren und ihre Förderer einfach nicht verdient. Und im Übrigen ist es auch durch die gut erforschte Rezeptionsgeschichte zu beiden Filmen widerlegt.3

Beim Antifaschismus der DDR kann von einer Ablösung des Blicks auf die konkreten Umstände der NS-Vergangenheit keine Rede sein. Zum Einen muss die Verwendung des Begriffs Antifaschismus einen Rückbezug auf seine historische Ursache, nämlich auf die NS-Geschichte in Theorie und Praxis, sehr prägnant aufweisen. Zum Anderen kann die Geschichte des Antifaschismus der DDR nicht losgelöst vom Kontext des Kalten Krieges und der deutschen Zweistaatlichkeit geschrieben werden. Gerade in der Filmkunst der DDR wurde mit künstlerischen Mitteln die Bandbreite der Diskussionsmöglichkeiten über Faschismus und Nationalsozialismus erheblich erweitert. Eine Berücksichtigung dieser Aspekte ist meines Erachtens zwingend. Solange aktuelle Forschungsergebnisse zum Antifaschismus der DDR nur darin bestehen, Missbrauch, Erstarrung und Hohlheit ohne Rücksicht auf alternative Forschungsansätze zu beklagen, solange wird sich eine so aufgefasste Wissenschaft den Verdacht der Irreführung und Vorverurteilung gefallen lassen müssen.

Anmerkungen:
1 Eike Wenzel, Gedächtnisraum Film. Die Arbeit an der deutschen Geschichte in Filmen seit den sechziger Jahren, Stuttgart 2000.
2 Schon ein kursorischer Abgleich der Forschungsarbeiten von Daniela Berghahn, Barton Byg und Sabine Hake etwa zu denen von Klaus Finke oder Dagmar Schittly würde dies verdeutlichen.
3 Vgl. z.B. Frank Stern, Ein Kino subversiver Widersprüche. Juden im Spielfilm der DDR, in: Apropos: Film. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung 3 (2002), S. 8-23.

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