R. Murauer: Geistliche Gerichtsbarkeit im Eigenbistum Gurk

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Titel
Die Geistliche Gerichtsbarkeit im Salzburger Eigenbistum Gurk im 12. und 13. Jahrhundert.


Autor(en)
Murauer, Rainer
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 52
Erschienen
München 2009: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Schrör, Historisches Seminar, Universität Düsseldorf

Am Ende der 1060er-Jahre wandte sich der Salzburger Erzbischof Gebhard (1060–1088) mit einem ungewöhnlichen Ansinnen an Alexander II. (1061–1073): Aufgrund der räumlichen Größe seiner Erzdiözese bat er den Papst, einer Bistumsgründung zuzustimmen, dessen Bischof vor Ort als ständiger Stellvertreter des Metropoliten fungieren sollte. Der Papst kam dem Anliegen Gebhards nach, der das Recht erhielt, an einem beliebigen Ort seiner Diözese ein neues Bistum zu errichten, dessen Vorsteher der Metropolit frei wählen, ein- und auch absetzen konnte. Der nach dem Kirchenrecht für Bischofserhebungen übliche Zweischritt von Wahlrecht von Klerus und Volk bei späterer Bestätigung durch den zuständigen Metropoliten (iudicium metropolitani)1 sollte demnach einem Einsetzungsverfahren weichen, das ausschließlich in der Hand des Salzburger Erzbischofs lag. Gebhard wählte als neues Bistum das in Kärnten liegende Gurk aus, in dem sich das von der heiligen Hemma neu gegründete und reich ausgestattete Nonnenkloster befand, an dessen Stelle die Bischofskirche treten sollte. Mit dem Tag seiner Gründung fungierte Gurk also als Salzburger Eigenbistum.

Diesem rechtlichen Sonderstatus der Gurker Kirche wendet sich Rainer Murauer in seiner im Jahre 2000 an der Universität Wien approbierten Dissertation zu, die er für den Druck überarbeitet hat. Speziell setzt sich Murauer mit einem Untersuchungsfeld auseinander, das aufgrund der jurisdiktionellen Unterordnung Gurks unter den Metropolitansitz von Salzburg von besonderem Interesse ist, nämlich der geistlichen Gerichtsbarkeit im Salzburger Eigenbistum vom späten 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht dabei insbesondere das juristische Verfahren, der „Prozess“, der in den Quellen bis Ende des 13. Jahrhunderts zumeist als iudicium oder lis begegnet, sowie „die Identifizierung der kanonistischen und gegebenenfalls römisch-rechtlichen Grundlagen“ (S. 10). Vergleichbare Arbeiten für mittelalterliche Reichsbistümer sind rar: Lediglich die Studien Othmar Hageneders für Passau und Irmgard Christa Beckers für Konstanz widmeten sich bisher dem Themenkomplex der geistlichen Gerichtsbarkeit im von Murauer untersuchten Zeitraum.2

Im ersten Kapitel (S. 13–30) beschäftigt sich Murauer mit der Rechtsstellung des Eigenbistums im 11. und 12. Jahrhundert. Er gelangt zu dem Schluss, dass die besondere Situation Gurks gegenüber dem König und dem Salzburger Metropoliten zu einem Konvolut ge- bzw. verfälschter Urkunden geführt habe, welche die Rechtsstellung Gurks recht undurchschaubar werden ließen. Dies sei immer wieder Anlass für Streitigkeiten gewesen. Von den Päpsten wurden Gurker Bischöfe mehrfach als Suffragane tituliert, Friedrich Barbarossa rechnete sie gar zu den Reichsfürsten – weitere Indizien für die (vielfach offenbar unverstandene) Rechtsstellung des Bistums. Nicht umsonst ziert den Buchumschlag eine auf Alexander II. verfälschte Papstbulle Alexanders III., welche die Salzburger Partei am authentischen Privileg Alexanders II. von 1070 befestigt hatte, um Rechtsansprüche gegenüber Gurk geltend zu machen – was man dort Ende des 12. Jahrhunderts durchaus zu erkennen wusste.

Im zweiten Abschnitt wendet sich Murauer dem „Anteil Gurks am erzbischöflichen Gericht“ zu (S. 31–42). Hier führt er aus, dass Gurker Bischöfe im genannten Zeitraum an der Gerichtsbarkeit der Salzburger Metropoliten beteiligt waren, aber ohne dass sich aus den Urkunden ein bestimmtes Prinzip, wie etwa die Hinzuziehung bei lokalen Konflikten, herauslesen lasse. Seit der Amtszeit Erzbischof Konrads II. (1164–1168) nahm die Beteiligung Gurker Oberhirten an der Salzburger Gerichtsbarkeit jedoch spürbar ab.

Das dritte Kapitel hat die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit zum Gegenstand (S. 43–59). Hier kommt Murauer zu dem Ergebnis, dass die meisten Fälle, in denen die Gurker Kirche „Partei“ war, nicht durch einen Vergleich entschieden wurden, sondern aufgrund der dort tätigen Rechtsgelehrten zumeist zu ihren Gunsten. Lediglich am Metropolitansitz Salzburg habe es wohl ein noch größeres Reservoir an juristischer Gelehrsamkeit gegeben, die in Prozessen den Ausschlag geben konnte.

Gegen Ende des 12. Jahrhunderts kam es zu einigen Streitfällen in der Diözese, in denen der Salzburger Metropolit als synodale Gerichtsinstanz herangezogen wurde, während sich bis ins 13. Jahrhundert kein Fall erzbischöflicher delegierter Gerichtsbarkeit nachweisen lässt (Kapitel IV, S. 60–63).

Im fünften Hauptteil (S. 64–99) wendet sich Murauer den „Methoden der gütlichen Streitbeilegung – Vergleich und Schiedsgericht“ zu. Nach der Behandlung mehrerer Streitfälle konstatiert Murauer schließlich, dass vor allem das Ergebnis, also die Beendigung des Rechtsstreites, entscheidend gewesen sei. Der Weg dorthin sei hingegen eher sekundär, ja ohnehin nur von juristisch gebildeten Fachleuten zu verstehen gewesen. In den überwiegenden Fällen kam es zu einem Vergleich.

Es folgen zwei ausführliche Exkurse zu größeren Streitfällen: erstens um die Besetzung des Gurker Bischofsstuhls (1180–1232) und zweitens um die Kirche St. Lorenzen am Steinfeld (S. 100–152), ehe eine knappe Zusammenfassung die wesentlichen Ergebnisse referiert und das „Eindringen des neuen Rechts in der Diözese Gurk“ anhand der Verwendung einschlägiger termini technici wie advocati, iudices delegati, induciae, compositio, transactio belegt (S. 153–160).

Der Druck dreier Papsturkunden mit Bezug auf den langwierigen Streit um die Besetzung des Gurker Bistums (S. 163–172), ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein ebenso nützliches wie verlässliches Register beschließen die Arbeit.

Rainer Murauer hat eine quellennahe und kompakte Studie vorgelegt, die jeder Forscher, der sich mit der Geschichte der Gurker (und der Salzburger!) Kirche im Hochmittelalter beschäftigt, gewinnbringend heranziehen wird. Es wäre wünschenswert, wenn sich zukünftig weitere Untersuchungen der geistlichen Gerichtsbarkeit in anderen (Erz-)Bistümern des mittelalterlichen Reichs annähmen – und dies natürlich gerne in der Gründlichkeit, die Rainer Murauer an den Tag gelegt hat.

Anmerkungen:
1 Das Erhebungsverfahren wurde dergestalt unter anderem von Leo dem Großen skizziert (vgl. Leo I., Epistola 167, in: Migne PL 54, Sp. 1203 A) und im gesamten Früh- und Hochmittelalter häufig zitiert und praktiziert.
2 Othmar Hageneder, Die geistliche Gerichtsbarkeit in Ober- und Niederösterreich. Von den Anfängen bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts, Linz 1967; Irmgard Christa Becker, Geistliche Parteien und die Rechtsprechung im Bistum Konstanz (1111–1274), Köln 1998.

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