Titel
Schubart. Der unbürgerliche Bürger


Autor(en)
Warneken, Bernd Jürgen
Reihe
Die Andere Bibliothek 294
Erschienen
Frankfurt am Main 2009: Eichborn Verlag
Anzahl Seiten
415 S.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Michaela Fenske, Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Universität Göttingen

Im Nachhinein wirkt ein Leben wie das des Dichters, Journalisten, Musikers und Lehrers Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) widersprüchlich. Stand doch der heute eher unbekannte Schubart für (scheinbar) Unvereinbares: „Freiheitskämpfer oder Untertan“, „Postgaul oder Flügelroß“ sind Überschriften einiger Annäherungen an Person und Werk, die auf diese Gegensätze zielen.1 Die (scheinbaren) Widersprüche ermöglichten späteren Generationen jedoch zugleich, den Schubart zu stilisieren, der der eigenen Sache am besten diente: ein revolutionärer, volkstümlicher Schubart, ein nationaler und völkischer Schubart, ein antifeudaler, demokratischer Schubart, ein antiautoritärer, widerspenstiger Schubart – von den Demokraten des Vormärz über die Völkischen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, den DDR-Ideologen bis hin zu den 1968ern fand jede/r bei Schubart Anknüpfungspunkte.

Der Tübinger Kulturwissenschaftler Bernd Jürgen Warneken präsentiert dagegen einen Schubart, der vor allem eines ist: ein Mensch in seiner Zeit. Am Anfang jenes turbulenten Zeitalters, das man später als „Moderne“ bezeichnete und in dem sich das Bürgertum als neue kulturelle Kraft formierte, markierte Schubarts Leben ebenso das Neue wie es selbstverständlich den traditionellen Regeln und Ordnungen der vormodernen ständischen Gesellschaft folgte. Gemessen an der geradezu idealtypischen „Biographie des Bürgers“ wie sie der Jenaer Historiker Michael Maurer aufgrund von Selbstzeugnissen der Zeitgenossen Schubarts skizziert hat2, erscheint Schubart als wenig prototypisch. Auch deshalb überzeugt Warnekens Vorschlag, Schubart als „unbürgerlichen Bürger“ zu begreifen. Mit dieser Lesart gelingt es Warneken vorzüglich, das scheinbar Widersprüchliche sowie die vielen verschiedenen Begabungen und Tätigkeiten von Schubart zusammen zu bringen. Es entsteht eine kenntnisreiche Biographie, die auf ein umfassendes Verständnis der Person zielt. Der hohe inhaltliche Anspruch setzt sich in der gewählten Form fort: Das Buch verbindet Biographie und Anthologie zu einer sehr gelungenen Komposition. Die Veröffentlichung innerhalb der bibliophilen Reihe „Die andere Bibliothek“ fordert eine Darstellungskunst, die der/dem Leser/in dank der Stilsicherheit des Autors eine „süffige“ Lektüre beschert.

Warneken unterteilt Schubarts Leben in fünf Etappen (plus Präludium und Nachwirkung). Im Präludium (Das Hellauf, S. 17-22) führt er den heiteren und augenblicksorientierten Charakter seines Protagonisten ein. Seine Studien der Theologie, Geschichte, Philosophie und schönen Wissenschaften in Erlangen musste Schubart nach amourösen Abenteuern und einem eher kurzweiligem Karzeraufenthalt abbrechen. Es folgte eine Zeit als Lehrer in Geislingen (S. 23-56). Hier gewann Schubart schnell die Liebe seiner Schüler. Zugleich zog er sich mit seinen derben Reimen jedoch den Zorn der kirchlichen Obrigkeit zu. Einem drohenden Disziplinarverfahren entging er 1769 durch die Berufung als Organist und Musikdirektor des württembergischen Herzogs in Ludwigsburg (Der Musiker, S. 59-110). Hier überzeugte Schubart durch gute Technik und „hinreißende Ausdrucksstärke“ (S. 74); auch seine musiktheoretischen Schriften fanden Aufmerksamkeit. Abermals mündete Schubarts Freude an Wein, Weib, Gesang, Spottgedichten und satirischen Liedern in Ehekrise, Haft, Exkommunikation, Entlassung aus den herrschaftlichen Diensten sowie Ausweisung.

Nach knapp zweijähriger Wanderzeit begann Schubarts Karriere als Journalist (S. 113-226). Dieser Tätigkeit in den Jahren von 1774 bis 1777 räumt Warneken neben der Haftzeit auf dem Hohenasperg (1777-1787, S. 229-328) in seiner Darstellung den meisten Raum ein. Schubarts Engagement als Journalist, der der Zensur mit diversen Tricks und Kniffen seinen Anspruch auf freie Meinungsäußerung und kritische Begleitung der Politik der Herrschenden entgegenhielt, ragt weit aus dem heraus, was in seiner Zeit üblich war. Dies sowie der anschauliche Schreibstil machten die Chronik zu dem am meist gelesenen und populärsten Journal seiner Zeit. Erstmals erhielt die Presse eine Art Kontrollfunktion, und breite Bevölkerungsschichten hatten Teil an dem, was sich in der Welt ereignete. Die Chronik hatte sich ferner einen aufklärerischen Patriotismus sowie den Kampf gegen katholische Orthodoxie und Aberglauben auf die Fahnen geschrieben. Was davon nun letztlich zur Verhaftung und zehnjährigen Gefangensetzung führte, bleibt offen. Schubart jedenfalls wartete vergeblich auf die Mitteilung eines Grundes für seine Verhaftung, auch ein ordentliches Gerichtsverfahren unterblieb. Schubart saß fest. Isolationshaft und geistliches Umerziehungsprogramm zeigten aus Sicht der Machthaber die gewünschten Resultate: Schubart erhielt Freigang, durfte später Besucher empfangen und kümmerte sich schließlich um die Truppenbetreuung und die Erziehung der Jugend auf dem Hohenasperg. Warneken unterstreicht allerdings auch hier die eigensinnige Aneignung feudaler Umerziehungsversuche, denn: Schubart „bereut, was er will“ (S. 269).

„Die letzten Jahre“ (1787-1791) nach seiner Freilassung begibt sich Schubart freiwillig nochmals in die Dienste des Herzogs. Die Chronik wird in der landesherrlicher Druckerei hergestellt, bleibt der Herrschaftsnähe ungeachtet aber ein kritisches Journal, in dem unter anderem die Französische Revolution gefeiert wird; die sicheren Einkünfte ermöglichen Schubart ein behagliches Leben.

Warneken zeichnet einen ambivalenten, facettenreichen Schubart. Der trat mutig Fürstenwillkür entgegen, prangerte politische und soziale Missstände an, setzte sich für Freiheit und Menschenrechte ein und drohte den Despoten unter den Fürsten sogar mit dem ewigen Höllenfeuer, sollten sie nicht die Rechte ihrer Untertanen respektieren („Die Fürstengruft“). Zugleich trat Schubart selbst nach erlittener Verhaftung noch in die Dienste des Herzogs. Sicher spielte dabei auch die Notwendigkeit, den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen, eine Rolle. Wesentlich aber war, dass Schubart sich letztlich kein anderes als das auf Reziprozität zwischen Herrschenden und Untertanen zielende politische System vorstellen konnte. Diesbezüglich verhielt sich der herausragende Intellektuelle nicht anders als die bäuerlichen Widerstandskämpfer seiner Zeit: Auch sie hielten das Bild des „guten Königs“ als Richtschnur feudalen Herrschens hoch, forderten bereits einige der Rechte, die später erst vom Bürgertum erstritten werden sollten (wie Gleichheit vor dem Recht) und konnten sich dennoch keine andere als die feudale Ständegesellschaft vorstellen.

Was Warneken als empirischen Kulturwissenschaftler an Schubart besonders fasziniert, ist Schubarts Hinwendung zum Plebejischen. Damit verbunden ist eine Absage an distinktive Bürgerlichkeit. Anders als viele seiner Zeitgenossen suchte Schubart den Austausch mit den Angehörigen bäuerlicher sowie klein- und unterbürgerlicher Schichten. Warneken zeigt, wie Schubart auf die Teilhabe dieser Bevölkerungsgruppen an dem politischen Aufbruch, an bürgerlichem Wissen und Künsten setzte und damit auf die Einbeziehung der Massen in das Projekt der Aufklärung. Zugleich nahm Schubart Motive und Elemente der Gasse, der Wirts- und Bauernhäuser in Sprache und Duktus auf, um diese wiederum in die bürgerliche Kultur einzuspeisen. Aus gassennnahen Texten wird hohe Kunst – wenn etwa eines seiner frühen Stücke aus den Schuldiktaten, die „Geschichte des menschlichen Herzens“, später Vorlage für Friedrich Schillers Stück „Die Räuber“ wird.

Indem Warneken seinen Protagonisten in seiner Zeit interpretiert, würdigt er dessen besondere Leistungen und erklärt den Leser/innen kenntnisreich und anschaulich das komplexe und turbulente 18. Jahrhundert. Scheinbar nebenher leistet der Autor so einen zentralen Beitrag zur Aufklärungs- und Bürgertumsforschung: Das Beispiel Schubarts zeigt nämlich unter anderem, wie Bürgerlichkeit als Idee und Leitbild entsteht, mit welchen unterschiedlichen Praktiken sie – wohl nicht nur im 18. Jahrhundert – gefüllt wird. Weit davon entfernt, die weniger angenehmen Seiten seines Protagonisten zu beschönigen, gelingt dem Autor doch eine ebenso formvollendete wie differenziert argumentierende Hommage an einen begabten, ungebärdigen und lebensfrohen Menschen. Ein einziges Mal scheint der aus dem Augenblick schöpfende Schubart seinem Biographen kurzzeitig zu entschlüpfen: Das ist, als Warneken das Fehlen eines größeren Romans aufgrund von Schubarts mangelnder Disziplin anmerkt.

Anmerkungen:
1 Erhart Meissner, Christian Friedrich Daniel Schubart – Freiheitskämpfer oder Untertan, in: Ellwanger Jahrbuch 27 (1977/78), S. 168-186; Hartmut Müller, Postgaul und Flügelross? Der Journalist Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) (Europäische Hochschulschriften 1, 846), Frankfurt am Main 1985.
2 Michael Maurer, Die Biographie des Bürgers. Lebensformen und Denkweisen in der formativen Phase des deutschen Bürgertums (1680 – 1815) (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 127), Göttingen 1996.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/