Aurich, Rolf; Jacobsen, Wolfgang (Hrsg.): Theodor Kotulla. Regisseur und Kritiker. München 2005 : Edition Text + Kritik im Richard Boorberg Verlag, ISBN 978-3-88377-794-8 252 S. € 16,50

Aurich, Rolf; Jacobsen, Wolfgang; Deutsche Kinemathek; Filmmuseum Berlin (Hrsg.): Ernst Jäger. Filmkritiker. München 2006 : Edition Text + Kritik im Richard Boorberg Verlag, ISBN 978-3-88377-805-1 256 S. € 16,50

Aurich, Rolf; Jacobsen, Wolfgang; Deutsche Kinemathek; Filmmuseum Berlin (Hrsg.): Erwin Goelz. Filmkritiker. München 2006 : Edition Text + Kritik im Richard Boorberg Verlag, ISBN 978-3-88377-823-5 288 S. € 19,50

Aurich, Rolf; Jacobsen, Wolfgang; Filmmuseum Berlin; Deutsche Kinemathek (Hrsg.): Karena Niehoff. Feuilletonistin und Kritikerin. München 2009 : Edition Text + Kritik im Richard Boorberg Verlag, ISBN 978-3-88377-839-6 220 S. € 19,80

Aurich, Rolf; Jacobsen, Wolfgang (Hrsg.): Mersus. Der Filmkritiker Wolfgang Duncker. München 2007 : Edition Text + Kritik im Richard Boorberg Verlag, ISBN 978-3-88377-860-0 155 S. € 17,00

Aurich, Rolf; Jacobsen, Wolfgang; Deutsche Kinemathek - Museum f. Film u. Fernsehen. (Hrsg.): Rudolf Kurtz. Essayist und Kritiker. München 2007 : Edition Text + Kritik im Richard Boorberg Verlag, ISBN 978-3-88377-890-7 270 S. € 17,00

Aurich, Rolf; Jacobsen, Wolfgang; Deutschen Kinemathek Museum f. Film u. Fernsehen. (Hrsg.): Libertas Schulze-Boysen. Filmpublizistin. München 2008 : Edition Text + Kritik im Richard Boorberg Verlag, ISBN 978-3-88377-925-6 170 S. € 16,00

Aurich, Rolf; Jacobsen, Wolfgang; Deutschen Kinemathek Museum f. Film u. Fernsehen. (Hrsg.): Kurt Pinthus. . München 2008 : Edition Text + Kritik im Richard Boorberg Verlag, ISBN 978-3-88377-945-4 393 S. € 25,00

Aurich, Rolf; Jacobsen, Wolfgang; Deutsche Kinemathek Museum f. Film u. Fernsehen (Hrsg.): Lucy von Jacobi. Journalistin. München 2009 : Edition Text + Kritik im Richard Boorberg Verlag, ISBN 978-3-86916-003-0 336 S. € 21,00

Aurich, Rolf; Jacobsen, Wolfgang; Deutsche Kinematik - Museum für Film und Fernsehen (Hrsg.): Pem. Der Kritiker und Feuilletonist Paul Marcus. München 2009 : Edition Text + Kritik im Richard Boorberg Verlag, ISBN 978-3-86916-028-3 344 S. €25,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Günter Agde, Berlin

Als Primärquellen der Filmgeschichtsschreibung gelten gemeinhin die Filme selbst. Zunehmend hat die Forschung in den letzten Jahren weitere Quellen erschlossen, vor allem Schriftgut, das heißt Produktionsdokumente, die die technische Entstehung der Filme in Dramaturgenbüros, Konzernsitzungen, Stabbesprechungen und Ateliers widerspiegeln und damit sachliche Kunde geben, weshalb und wie manche ästhetische oder dramaturgische Komponente der Filme zustande kam. Ein willkommener, nötiger und zeithistorisch sehr aufschlussreicher Schritt zu weiterer Kontextualisierung.

Seit einigen Jahren publizieren Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen vom Filmmuseum Berlin weitere Quellen zur deutschen Filmgeschichte: Texte deutscher Filmkritiker und Feuilletonisten überwiegend aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, die in Tageszeitungen und in der Fachpresse gedruckt wurden. Eine Sammlung von Filmkritiken Volker Baers, langjähriger Mitarbeiter des Berliner „Tagesspiegel“, aus den 1960er- und 1970er-Jahren, die unbedingt zu solchen Quelleneditionen gehört, erschien im Schüren-Verlag.1

Abgedruckt werden ungekürzte Volltexte. Bei der Fülle der damals publizierten Kritiken, Pamphlete und Stellungnahmen war eine konsequente Auswahl nötig. Man wird die Auswahl wohl selten wirklich überprüfen, kann sich jedoch getrost auf Geschmack und Sachkenntnis der Herausgeber verlassen. Einigen Ausgaben sind noblerweise DVDs bzw. Audio-CDs beigelegt: Von der resolut-exzentrischen Berliner Kritikerin Karena Niehoff ein Interview mit Alexander Kluge; die Kritiken von Erwin Goelz als Tondokumente per Audio-CD, so, wie sie Goelz beim SWR gesprochen hat; Wolfgang Dunckers Szenariumsentwürfe als Faksimiles. Angenehme, weil lebendige, moderne Beigaben zu den Textdrucken.

Die Autoren sind nach Handschrift, Temperament und Verständnis für Kino – und nach ihrer Biographie sowieso - verschieden wie nur denkbar. Erwin Goelz schrieb unter dem Namen Frank Maraun mancherlei Leitprosa der nationalsozialistischen Film-Propaganda und wirkte wohl auch in diesem Sinne. Nach 1945 fand er mühsam zu neuen Positionen. Seine späte Kritik von Joachim Fests Hitler-Film macht den tiefen Zwiespalt deutlich. Kurt Pinthus gilt vor allem als lautstarker Propagandist des deutschen Expressionismus (mit seiner berühmten Anthologie „Menschheitsdämmerung“), er war auch ein feinfühliger Beobachter und Beschreiber von Filmentwicklungen. Ernst Jäger, langjähriger Chefredakteur des Branchenblatts „Filmkurier“, rezensierte fortlaufend neue Filme, besonders deutsche, und ließ in seinen Reportagen mancherlei Insider-Wissen erkennen, was seinen Texten merklich zugute kam. Er emigrierte später nach Amerika und blieb auch dort – bei mancher Not – dem Film verbunden. Auch Paul Marcus, mit dem legendären Kürzel PEM, musste ins Exil, nach England, gehen. Seine Exil-Nachrichtenbriefe, hektographierte Schreibmaschinenblätter voller Informationen (manchmal auch mit etwas Klatsch) über Emigranten, bilden eine bedeutende Quelle für die Exilforschung, hier sind nun zahlreiche seiner Filmkritiken – auch aus der Zeit vor dem Exil – nachzulesen. Wiederentdeckungen sind auch die Texte von Rudolf Kurtz und Lucy von Jacobi.

Alle waren sie engagierte Streiter für ein Kino, das Unterhaltung und Kunstanspruch vereinen sollte. Sie wussten (in aller gebotenen Zeitungskürze) die Leistungen von Szenaristen, Regisseuren und Schauspielern zu orten, zu beschreiben, vor allem sie entschieden und subjektiv zu bewerten. Man muss – auch im Abstand der Jahre – nicht alle Urteile der Autoren teilen oder gutheißen, aber ihre Meinung bleibt in jedem Fall achtenswert und als zeitgenössisches Dokument wichtig. Und alle ihre Stimmen bezeugen Lebendigkeit und Formenvielfalt des deutschen Kinos vor 1933, in vielen ihrer Texte sind Vorahnungen und Vorwarnungen vor dem rigiden, diktatorischen Kunstverständnis des NS-Regimes erkennbar, Frühwarnsignale der besonderen Art, die man nicht ohne Beklemmung erkennt.

Die Vielstimmigkeit der Kritikermeinungen macht einen erheblichen Reiz der Reihe aus, zumal, wenn man die einzelnen Stimmen nebeneinander legt und sie in die nötigen Beziehungen zu den Filmen setzt, die sie besprechen. Auch über die Filme hinaus können ihre Meinungen und Pamphlete als kritisch-sachliche, kräftige Impulse des deutschen Feuilletons zu Niveau und Kultur jener Jahre gelesen werden, allemal mit Gewinn und auch mit Amüsement, weil sie – über zeitgebundene Anlässe und Polemiken hinaus – glanzvoller Stil, Forschheit des Angriffs und auch trickreich-anschmiegsame Volten gegenüber dem Zeitgeist charakterisiert. Ebenso machen Formulierungskraft und Freude an verbaler Souveränität einen erheblichen Lektüreanreiz aus. Und die oft verdeckten Querverbindungen der Schreiber untereinander, Kollegenschelte einbegriffen, bieten zusätzlichen Witz und Entdeckerlust. Insgesamt können diese Erinnerungen – denn das sind sie heutzutage der Sache nach – und die Streitkultur und Debattierlust aller Autoren unser kulturelles Gedächtnis stärken.

Die Reihe ist voller Entdeckungen, denn die Autoren sind weitgehend vergessen. Zwei sind besonders zu nennen: Libertas Schulze-Boysen, die jedermann als Protagonistin antifaschistischen Widerstands kennt, hat Anfang der 1930er-Jahre in der „National-Zeitung“ Filmkritiken geschrieben, die der nationalsozialistischen Ideologie eng verbunden waren. Man lernt sie nun als formulierungsgewandte Bekennerin zum Kino kennen. Nichts in ihren frühen Texten deutet darauf hin, dass sie später eine mutige Kämpferin gegen das NS-Regime werden würde. Und Wolfgang Duncker, ein junger Mann aus einer streng kommunistischen Familie, schrieb unter dem Pseudonym Mersus in der kommunistischen Tageszeitung „Berlin am Morgen“ streitbare Kurzkritiken, immer aus der Sicht der vor 1933 gängigen KPD-Ideologie. Später, im Exil, versuchte er sich auch als Szenarist. Da öffnete er sich über seine KPD-Ideologie-Strenge hinaus und zielte auf den Unterhaltungseffekt des Kinos. Er kam 1942 in einem sibirischen Gulag ums Leben.

Allen Ausgaben ist ein solides Werk- und Filmverzeichnis nebst Quellennachweis beigefügt, wie es sich für Publikationen solchen Anspruchs gehört. Wertvoll sind auch die genau gearbeiteten, detailreichen Studien einzelner Band-Editoren über die Biographien ihrer Protagonisten. Da erfährt man sehr viel Wissenswertes über Leben und Werk, vor allem über die zu Teilen schwierigen Umstände, Lebensbedingungen, Kompromisse und Brüche in ihrer Zeit, von Exil und Überleben. Die Quellentexte und die biographischen Auskünfte fügen sich zu einer mehr als lesenswerten Einheit. Auch das Preis-Leistungs-Verhältnis pro Ausgabe erscheint angemessen. Freilich: die selbstbewusste Verlagsanzeige, diese Reihe sei „die Geschichte der deutschen Filmkritik“, erscheint – sagen wir mal – hoch gegriffen. Eine noch so opulente Textsammlung stellt noch keine Geschichte dar, auch wenn sie entscheidende Bauteile zu ihrer Grundlage bereitstellt.

Achtbare Vorläufer solcher Quellensammlungen aus den Darstellenden Künsten gab es bereits, etwa die legendäre dreibändige Ausgabe der Theaterkritiken Herbert Iherings aus den 1920er-Jahren2 oder die opulente Kritikensammlung seines damaligen ideellen Widerparts Alfred Kerr, die Günther Rühle herausgegeben hat.3 Man wird sie alle nun zusammenfügen können und ergo weitere Erkenntnisse über Niveau und Impulsgebungen der kulturellen Landschaft jener Jahre gewinnen. Ein willkommener Ensemble-Zuwachs, zudem anregende Lektüre und eine Fundgrube für die Forschung.

Jedoch signalisiert der Überblick auch Defizite: Eine Sammlung der DEFA-Filmkritiken von Heinz Kersten („So viele Träume“) ist öffentlich kaum wahrgenommen worden.4 Und eine Ausgabe der Filmkritiken des Dramaturgen Klaus Wischnewski, die er unter dem Pseudonym Peter Ahrens von 1971 bis 1991 in der „Weltbühne“ veröffentlichte, liegt nur an einem peripheren Ort vor, als Lesematerial der Berliner DEFA-Stiftung. Hier wirken sich Zersplitterung und Konkurrenz von Verlagen und Herausgebern und die bekanntlich mehr als problematische Finanzierung solcher fachspezifischer Literatur unheilvoll aus.

Man wünscht sich sehr, dass die Reihe weitergeführt wird und dass sie dann auch Texte von Filmkritikern der Nachkriegszeit aufnimmt, ganz im Sinne ihres selbstgewählten aufklärerischen Anspruchs. Dabei wird sie dann auch auf Ausgewogenheit von ost- und westdeutscher Filmkritik achten können.

Anmerkungen:
1 Volker Baer, Worte – Widerworte. Texte zum Film 1959-2007, hrsg. von Ralf Schenk, (= Edition Film-Dienst, Bd. 7), Marburg 2007.
2 Herbert Ihering, Von Reinhardt bis Brecht. Vier Jahrzehnte Theater und Film, hrsg. von der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin unter Mitarb. von Edith Krull, 3 Bände, Berlin 1961.
3 Alfred Kerr, Werke in Einzelbänden, 8 Bände, hrsg. von Hermann Haarmann und Günther Rühle, Frankfurt am Main 1998ff.
4 Heinz Kersten, So viele Träume. DEFA-Film-Kritiken aus drei Jahrzehnten, hrsg. von Christel Drawer, Berlin 1996.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Weitere Informationen
Theodor Kotulla
Sprache der Publikation
Ernst Jäger
Sprache der Publikation
Erwin Goelz
Sprache der Publikation
Karena Niehoff
Sprache der Publikation
Mersus
Sprache der Publikation
Rudolf Kurtz
Sprache der Publikation
Libertas Schulze-Boysen
Sprache der Publikation
Kurt Pinthus
Sprache der Publikation
Lucy von Jacobi
Sprache der Publikation
Pem
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension