Cover
Titel
Merowinger und Karolinger.


Autor(en)
Becher, Matthias
Reihe
Geschichte kompakt - Mittelalter
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 160 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jennifer Dobschenzki, Institut für Geschichte, Universität Regensburg

Der Bonner Mediävist Matthias Becher schließt mit seinem Buch „Merowinger und Karolinger“ eine schon lange bestehende Lücke in der Reihe „Geschichte Kompakt“. So ist der Band eine sinnvolle und chronologisch notwendige Ergänzung zu „Ottonen und Salier“ von Ludger Körntgen. Dabei hat Becher die Aufgabe, die Geschichte der Merowinger und Karolinger auf nur 160 Seiten besprechen zu müssen, gut bewältigt.

In der Auswahl der behandelten Themen ist der Band in etwa mit den beiden Standardwerken „Die Merowinger und das Frankenreich“ von Eugen Ewig und „Die Karolinger“ von Rudolf Schieffer vergleichbar, weist aber auch Unterschiede auf.1 So ist Schieffers Darstellung streng chronologisch gegliedert und somit an der genealogischen Abfolge der einzelnen Generationen der Karolinger orientiert, während Becher auch Strukturen und Wandlungsprozesse in eigenen Kapiteln behandelt.

Auffällig ist die Gewichtung der zwei Dynastien: Während die Merowinger in drei Kapiteln abgehandelt werden (S. 1–69), stehen für die Karolinger fünf Kapitel (S. 70–147) zur Verfügung. Bei genauerem Hinsehen ist der Unterschied noch größer, da bereits ab S. 44 die Geschichte der Pippiniden/Arnulfinger (die später nach Karl Martell bezeichneten Karolinger) dominiert. Diese Diskrepanz lässt sich damit erklären, dass die Karolinger für die europäische Geschichte eine ganz andere Relevanz besitzen.

Der Band gliedert sich folgendermaßen: Im ersten Kapitel behandelt Matthias Becher die Entstehung des Frankenreiches unter den frühen Merowingern (S. 1–16). Er beginnt mit dem erstmaligen Auftreten der Franken in den Quellen und geht dann über zu Childerich, dem Vater Chlodwigs. Diesem wird aufgrund seiner militärischen Leistungen und seines Grabes bzw. der Grabbeigaben besondere Bedeutung zugemessen (S. 3). Relativ ausführlich wird der Aufstieg Chlodwigs zum primus rex Francorum und sein Übertritt zum katholischen Christentum geschildert. Dieser Vorgang wird von der Forschung immer noch rege diskutiert: So ist zwar die Frage der Datierung bisher nicht eindeutig geklärt, viel wichtiger ist nach der Meinung Bechers jedoch, ob Chlodwig aufgrund seines Sieges über die Alemannen zum Christentum übertrat (S. 5). Auch andere Faktoren hätten eine Rolle gespielt, wie etwa der künftige Nutzen der christlichen Religion und damit zusammenhängend machtpolitische Überlegungen (S. 6). Letztendlich sei es der militärische Erfolg gewesen, der die Konversion überhaupt erst möglich machte (S. 7). Nach Chlodwigs Bekehrung setzte eine Annäherung zwischen Romanen und Franken ein, „und schließlich verschmolzen beide Bevölkerungsgruppen zu einem einheitlichen Personenverband, dessen Selbstverständnis fränkisch bestimmt war, dessen Sprache aber teils romanisch, teils fränkisch war, was auf den inneren Zusammenhalt des Volkes gleichwohl keine schwerwiegenden Auswirkungen hatte“ (S. 7f.). Hier stellt sich die Frage, ob sich die Gallo-Romanen tatsächlich in erster Linie als Franken gesehen haben. Zumindest für den bedeutendsten Geschichtsschreiber des 6. Jahrhunderts, Gregor von Tours, muss dies auf jeden Fall verneint werden.2

Erfreulicherweise greift Becher auch auf Erkenntnisse aus anderen Disziplinen zurück, so etwa der Archäologie. Untersuchungen von Gräbern unterstützen eindeutig die auch in den schriftlichen Quellen belegte starke soziale Differenzierung, was klar für die Existenz eines Adels spricht (S. 13). Anschließend beschreibt er die Entwicklung des Frankenreiches nach Chlodwigs Tod, also die Reichsteilung und weitere Expansion unter seinen vier Söhnen (S. 13–16). Die Bürgerkriege werden ebenfalls relativ detailliert geschildert, vor allem weil sie wesentlich zur Ausbildung der drei Teilreiche Austrasien, Neustrien und Burgund beigetragen haben (S. 16–21).

Über die Strukturen des Frankenreiches handelt das zweite Kapitel (S. 22–37). Das lange Haar der Merowinger und die tierisch-göttliche Abstammung verweisen für Becher nicht auf ein Fortbestehen germanisch-heidnisch-sakraler Vorstellungen über die Christianisierung hinaus. Stattdessen müssen die christlich-römischen Grundlagen der Königsherrschaft betont werden (S. 22). Daran schließt sich eine Vorstellung der zentralen Hofämter (hier fällt schon der Hinweis auf die Pippiniden, unter denen das Amt des Hausmeiers erblich wurde) und der regionalen Verwaltungsämter an (S. 26–30). Die Kirche und ihre Bischöfe fungierten als die wichtigsten Bewahrer spätantiker Kontinuität. Auch das Mönchtum vor und nach der Ankunft des irischen Mönches Columban wird näher in den Blick genommen (S. 34ff.).

Im dritten Kapitel wird die Leserin bzw. der Leser „von den Merowingern zu den Karolingern“ geführt (S. 38–69). Diese stehen nach dem Tod Dagoberts I., dem (aus heutiger Perspektive) letzten wirklich mächtigen Merowinger, immer mehr im Zentrum. Bischof Arnulf von Metz und der austrasische Hausmeier Pippin der Ältere werden als die Ahnherren der Karolinger vorgestellt (S. 40f.). Pippins Sohn Grimoald bereitet der Forschung mit seinem sogenannten Staatsstreich immer noch Kopfzerbrechen. Und genau hierin unterscheidet sich Bechers Darstellung von anderen.3 Im Rückgriff auf eigene Forschungen4 will er zeigen, dass Grimoald „in eine ‚normale‘ Auseinandersetzung im Rahmen merowingischer Familienkämpfe verwickelt war“, die sich für die Familie als weniger folgenreich erwies und man deshalb auf keinen Fall von einem „Trauma des karolingischen Hauses“ sprechen könne (S. 45).5 Es folgen Beschreibungen vom Aufstieg Pippins des Mittleren und seines Sohnes Karl Martell (S. 46–57) bis hin zum angelsächsischen Missionar Winfrid-Bonifatius und dessen Reformbestrebungen (S. 57–62). Der Dynastiewechsel von 751, Pippins Königswerdung und seine Rolle als Beschützer des Papstes und Eroberer Aquitaniens beschließen dieses Kapitel (S. 62–69).

Karl der Große und sein Weg zum Kaisertum stehen ganz im Mittelpunkt des vierten Kapitels (S. 70–88). Dabei werden die wichtigsten Themen behandelt, wie zum Beispiel die Jahrzehnte andauernden Kriege gegen die Sachsen (S. 74–79). Die unterschiedlichen Quellenberichte zur Kaiserkrönung diskutiert Matthias Becher ausführlich und betont in bewusster Abgrenzung zur älteren These der „Aachener Kaiseridee“, dass am Streben Karls nach der (römischen) Kaiserwürde nicht zu zweifeln sei (S. 85).

Das fünfte Kapitel, das sich mit Herrschaft und Verwaltung unter den Karolingern befasst (S. 89–99), zeichnet sich besonders durch die vielen Rückgriffe auf die Zeit der Merowinger aus. Hier wird deutlich, dass gewisse Strukturen des Merowingerreiches erhalten blieben, wenn auch in veränderter Form. So bestanden wichtige Ämter, wie das des Seneschalls, Mundschenks, Marschalls oder Kämmerers fort, ebenso wie das des Grafen. Jedoch war das Zentrum der Grafschaften nun nicht mehr die Stadt (S. 91). Ein Novum ist die allgemeine Vereidigung der männlichen Reichsbevölkerung, und auch die Heerfolgepflicht der Freien wurde neu geregelt (S. 98).

Die Regierungszeit Kaiser Ludwigs des Frommen, die aufgrund seiner Nachfolgeregelung vor allem von den Kämpfen seiner Söhne gekennzeichnet war, wird im sechsten Kapitel behandelt (S. 100–116). Darauf folgt die Geschichte der fränkischen Teilreiche Lotharingien, West- und Ostfranken im siebten Kapitel (S. 117–139). Karl III., „dem Dicken“, gelang es noch einmal, die Teilreiche unter sich zu vereinen, doch zeichnete sich unter ihm schon das Ende des karolingischen Imperiums ab (S. 134–139). Eine Art „Nachspiel“ gab es noch im Ostfrankenreich, dessen Entwicklung nach 887 im achten Abschnitt geschildert wird (S. 140–147). Doch als der Konradiner Konrad I. 918 ohne Erben starb, konnte sein Nachfolger Heinrich I. den Grundstein für den Aufstieg der Dynastie der Ottonen legen.

Der große Vorteil einer Betrachtung zweier Dynastien in einem Band zeigt sich im letzten Kapitel, das eine aufschlussreiche Synthese (S. 148f.) bietet. So weist die Geschichte der Merowinger und Karolinger deutliche Parallelen auf: Jede Dynastie stellte eine überragende Herrscherpersönlichkeit (Chlodwig und Karl den Großen), Reichsteilungen bestimmten die politische Entwicklung und am Ende wurden beide Herrschergeschlechter zu Schachfiguren des Adels. Was bleibt, ist die Schaffung eines in der Nachfolge des weströmischen Imperiums stehenden Reiches.

Abgesehen von einer kleinen Verwechslung (Childerich III. anstatt Childebert III. auf S. 49) und einer leider unkommentierten Bibliographie bietet der Band „Merowinger und Karolinger“ eine gut lesbare Einführung in die Geschichte der fränkischen Königshäuser. Zusätzlich wird die Lektüre durch Quellenauszüge und Erklärungen wichtiger Begriffe erleichtert; drei Karten, zwei Stammtafeln und ein Personenregister tragen zur Orientierung bei. Das Buch ist daher als erster Einstieg gerade für Laien und Studierende auf jeden Fall zu empfehlen und auch Lehrende finden Anknüpfungspunkte für weitere Diskussionen.

Anmerkungen:
1 Eugen Ewig, Die Merowinger und das Frankenreich, 5. aktualisierte Aufl., Stuttgart 2006 (1. Aufl. 1988); Rudolf Schieffer, Die Karolinger, 4. überarb. u. erw. Aufl., Stuttgart 2006 (1. Aufl. 1992).
2 Darauf hat erst jüngst wieder Alheydis Plassmann hingewiesen. Für Gregors Identität waren letztendlich drei Faktoren entscheidend: die städtische Gemeinschaft von Tours, seine Abstammung vom gallo-römischen Senatorenadel und die christliche Religion. Eine Identifikation mit den Franken jedoch spielte für Gregor überhaupt keine Rolle. Vgl. Alheydis Plassmann, Origo gentis. Identitäts- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen, Berlin 2006, S. 120.
3 Vgl. dazu etwa Ewig, Die Merowinger, S. 142–146 und Schieffer, Die Karolinger, S. 20.
4 Vgl. Matthias Becher, Der sogenannte Staatsstreich Grimoalds. Versuch einer Neubewertung, in: Jörg Jarnut / Ulrich Nonn / Michael Richter (Hrsg.), Karl Martell in seiner Zeit, Sigmaringen 1994, S. 119–147.
5 Bechers auf dem St. Galler Königskatalog aufbauende Argumentation (Childebertus adoptivus als von Grimoald adoptierter Sohn Sigiberts III.) ist nicht unwidersprochen geblieben. Vgl. Reinhold Kaiser, Das Römische Erbe und das Merowingerreich, 3. überarb. u. erw. Aufl., München 2004 (1. Aufl. 1993), S. 97f.