S. Buck-Morss: Hegel, Haiti, and Universal History

Titel
Hegel, Haiti, and Universal History.


Autor(en)
Buck-Morss, Susan
Erschienen
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
$ 45.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Dorestal, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Susan Buck-Morss Aufsatz über „Hegel und Haiti“ erschien im Jahre 2000 in der Zeitschrift Critical Inquiry und sorgte für solche Furore, dass er in Ausstellungskatalogen und Sammelbänden nachgedruckt wurde. Es ist deshalb außerordentlich begrüßenswert, dass die Autorin ihren Text, erweitert um eine Einleitung und einen zweiten Essay, der auf die Rezeption ihres Aufsatzes eingeht und darüber hinaus neuere Arbeiten über die Haitianische Revolution auswertet, nun in Buchform einem größeren Leser/innenkreis verfügbar macht. Die große Resonanz, die „Hegel und Haiti“ bisher erfahren hat, ist sicherlich aus der großen interpretatorischen Originalität erklärbar, die zudem interdisziplinär Philosophie und Geschichte vereint. Buck-Morss zeigt, wie die Haitianische Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts einen der bekanntesten deutschen Philosophen, G.W.F. Hegel, maßgeblich in seinem frühen Hauptwerk, der „Phänomenologie des Geistes“, geprägt und beeinflusst hat.

Es gibt wenige Textpassagen innerhalb der Philosophiegeschichte, die so minutiös kommentiert und interpretiert worden sind wie das Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft in Hegels „Phänomenologie des Geistes“. Er beschreibt dort, wie Herr und Knecht sich in einem dialektischen Verhältnis befinden und auf den jeweils anderen angewiesen sind.

Die Rezeptionslinie dieses Kapitels reicht von Marx’ Interpretation in den ökonomischen Manuskripten von 1844 über die berühmte Hegelvorlesung Alexandre Kojèves im Paris der 1930er-Jahre, die von vielen später berühmten französischen Intellektuellen wie Sartre oder Jacques Lacan besucht wurde 1, bis hin zum Buch „Kampf um Anerkennung“ des zeitgenössischen Frankfurter Philosophen Axel Honneth. Alle diese Denker beziehen wesentliche Impulse aus den Reflexionen zur Anerkennung, die Hegel in seinem frühen Hauptwerk und insbesondere im Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft anstellt.

Eine zentrale Frage in der Hegelforschung war schon immer, ob und, wenn ja, inwiefern die „Phänomenologie des Geistes“ im Allgemeinen und das Kapitel zu Herrschaft und Knechtschaft im Besonderen von damaligen politischen Ereignissen beeinflusst wurde. Das 1807 erschienene Werk hat nach Meinung vieler Forscher/innen politische Entwicklungen registriert und diese philosophisch verarbeitet. Spätestens seit Joachim Ritters Studie über „Hegel und die Französische Revolution“ 2 wird angenommen, dass diese soziale Umwälzung des Jahres 1789 auf die inhaltliche Gestaltung der „Phänomenologie des Geistes“ beträchtlich war, auch wenn es dort keine explizite Erwähnung der Französischen Revolution gibt. Susan Buck-Morss´ These ist nun, dass die Haitianische Revolution, die 1791 ihren Anfang nahm und schließlich 1804 damit endete, dass die frühere französische Kolonie durch einen Sklavenaufstand die Unabhängigkeit proklamierte und zur ersten freien schwarzen Republik wurde, für Hegel bei seiner Konzeption des Kapitels über Herrschaft und Knechtschaft zentral war. Buck-Morss argumentiert im Grunde auf zwei Ebenen: rezeptionslogisch und textimmanent. Bei einem sich für das politische Geschehen seiner Zeit so interessierenden Beobachter wie Hegel, der von der morgendlichen Zeitungslektüre als „Morgensegen“ sprach und darüber hinaus die Zeitschrift „Minerva“ abonniert hatte, in der über die Ereignisse auf Haiti regelmäßig berichtet wurde, sei es äußerst unwahrscheinlich, dass er über diesen Sklavenaufstand nicht in Kenntnis gewesen sei.

Aber auch ein genauer Blick auf das Kapitel über Herrschaft und Knechtschaft selbst zeigt laut Buck-Morss, wie die Haitianische Revolution in der Komposition dieses Abschnitts nachhallt. Während der Herr dort am Anfang als derjenige erscheint, der dem Knecht seinen Willen oktroyiert und diesen für sich arbeiten lässt, demonstriert Hegel, dass es sich hierbei um ein dialektisches Verhältnis handelt. Der den Gegenstand bearbeitende Knecht besitze die eigentlich machtvollere Position, weil der Herr von ihm abhängig sei, da er nicht selbstständig arbeiten könne. Zur Konzeption dieser dualen Beziehung sei Hegel, so Buck-Morss, von der Haitianischen Revolution inspiriert worden: „One has only to collectivize the figure of the master in order to see the descriptive pertinence of Hegel’s analysis: the slave-holding class is indeed totally dependent on the institution of slavery for the ‘overabundance’ that constitutes its wealth.” (S. 54).

Es gebe somit, so die Autorin weiter, eine gewisse Analogie zwischen Hegelscher philosophischer Konstruktion und der realen geschichtlichen Entwicklung. Die Modernität und Aktualität von Hegels Denken sei unter anderem darauf zurückzuführen, dass er die weltgeschichtliche Rolle, die Haiti am Ende des 18. Jahrhunderts spielte, erkannte. Er konnte so eine Perspektive einnehmen, die über die Französischen Revolution hinauswies, indem ihre Ziele konsequent zu Ende gedacht wurden. Denn die Französische Revolution proklamierte zwar die Allgemeinen Menschenrechte im Jahre 1791. Jedoch wiesen zeitgenössische Kritker/innen wie beispielsweise die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges schon damals darauf hin, dass die Forderungen nach Freiheit und Gleichberechtigung, die als universell postuliert worden waren, in Wirklichkeit sehr partikular waren und bestimmte Gruppen nicht in das Universalismusversprechen einbanden, wie etwa die Frauen, denen weiterhin politische Rechte vorenthalten wurden. Die Haitianische Revolution stellte in dieser Hinsicht eine Radikalisierung der Französischen Revolution dar, weil sie die Gleichheit und Gleichberechtigung auch für Schwarze einforderte und dadurch realisierte, dass die Sklaven sich aus ihrer Knechtschaft befreiten. Dieses weltgeschichtliche Ereignis wurde, folgt man der Interpretation von Buck-Morss, zur zentralen Referenz der frühen Hegelschen Philosophie. Hegel war somit einer der wenigen Zeitgenossen, die die Bedeutung des ersten erfolgreichen Aufstandes von Sklav/innen, an dessen Ende die Proklamation der Unabhängigkeit der Republik Haiti am 1. Januar 1804 stand, erkannt hatten.

Buck-Morss betont, dass die vom haitianischen General Toussaint Louverture 1801 bekannt gegebene haitianische Verfassung zu den progressivsten gehörte, welche es zum damaligen Zeitpunkt gab, da allen Bewohner/innen, unabhängig von “Rasse” die gleichen Freiheitsrechte eingeräumt wurden. Dies traf auch auf politische Flüchtlinge zu, die vor der Sklaverei in anderen Ländern Zuflucht suchten. Diese übten so Druck aus, dem die französischen Jakobiner (zumindest zeitweilig) nachgeben mussten, wollten sie nicht inkonsequent in der Realisierung der von ihnen verkündeten allgemeinen Freiheitsrechte erscheinen (S. 94).

In der Sekundärliteratur sowohl zu Hegel als auch über die Haitianische Revolution wurde eine Verbindung zwischen beiden bisher kaum hergestellt. Lediglich Pierre-Franklin Tavarès hat in einem Aufsatz auf den Einfluss der Haitianischen Revolution auf Hegels Denken hingewiesen; er bezieht sich allerdings auf seine späten Schriften.3

In Hegels drittem Band der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“, in der er seine gesamte Philosophie als umfassendes System anordnet und die „Phänomenologie des Geistes“ nun unter dem Rubrum des „subjektiven Geistes“ fasst, ist die Haitianische Revolution in einer Fußnote explizit erwähnt. Buck-Morss´ Pointe besteht darin, zu konstatieren, dass die Herr-Knecht-Dialektik bereits zuvor in der „Phänomenologie des Geistes“ konzipiert worden war. Die Haitianische Revolution von 1791 und die im Revolutionsverlauf im Jahre 1794 schließlich offiziell abgeschaffte Sklaverei lieferten der Autorin zufolge wesentliche Impulse für Hegel, um die Dialektik in der Form zu verfassen, wie sie in der „Phänomenologie des Geistes“ dann auftaucht. Es war Hegel damit möglich, so Buck-Morss weiter, zumindest temporär eine globale Perspektive einzunehmen. „Hegel achieved glimpses of a global perspective, viewing the uprising of the slaves of Saint-Domingue as a manifestation of universal freedom, the realization of which he saw as the very structure and meaning of history.” (S. 115) Die Autorin betont allerdings, dass Hegel eine sehr ambivalente Position in Bezug auf Schwarze hatte. Könnte man annehmen, die These von dem großen Einfluss eines erfolgreichen schwarzen Sklavenaufstandes ginge mit einer generellen egalitären Vorstellung von Hegel über Schwarze einher, so stehen dem die infamen Bemerkungen über Afrika aus seinen Vorlesungen über Geschichtsphilosophie entgegen.4 Buck-Morss führt diese Passagen als Beispiel für die ambivalente Position Hegels an, der die welthistorische Rolle der schwarzen Sklaven auf Saint-Domingue teilweise erkannte, nichtsdestoweniger aber rassistischen Denkmustern verhaftet blieb.

Im Aufsatz über „Universal History“ schlägt Buck-Morss gegen den aus der Postkolonialen Theorie im Zuge von Homi Bhabha prominent gewordenen Begriff der Hybridität den Terminus der „Porosität“ vor. Dieses Konzept umschreibt sie wie folgt: „It insists, rather, that the lived experiences of the New World for the colonial dominators and the slaves (as well as indigenous populations), in every case challenged preexisting conceptual distinctions.” (S. 112) Obwohl die Autorin zugleich ergänzend hinzufügt, dass die Erfahrungen von Kolonialherren und Sklav/innen sich fundamental unterschieden, und es ein massives Ungleichgewicht in Bezug auf Leid und Ausbeutung gab, insistiert sie dennoch darauf, dass es diejenigen, die diese koloniale Erfahrung durchlebten, dazu bewog, ihr Weltbild zu verändern (S. 112). Die These der Autorin, dass dies notwendigerweise immer so gewesen ist, lässt sich jedoch bestreiten: Koloniale Begegnungen und auch historische Ereignisse wie die Haitianische Revolution führten nicht automatisch dazu, dass alle Zeitgenoss/innen ihre Weltbilder überdachten, vielmehr gab und gibt es intellektuelle und psychologische Abwehrstrategien, die einen Wechsel der Perspektive verhindern. Michel-Rolph Trouillot, den Buck-Morss im Übrigen in ihrem Buch mehrmals und zustimmend zitiert, hat nachgewiesen, wie die Haitianische Revolution zu einem „undenkbaren Ereignis“ wurde, weil sie eben nicht mit dem rassistischen Weltbild der Handlungsmacht schwarzer Menschen vereinbar war, die politische Forderungen nach Freiheit und Gleichheit in der Unabhängigkeit Haitis konsequent umsetzten.5 Es stellt sich deshalb die Frage, ob der Begriff der Porosität, den Buck-Morss vorschlägt, eine brauchbare Alternative für den zugegebenermaßen problematischen Begriff der Hybridität darstellt.6

Gegen Ende ihres Buches warnt die Autorin vor einer Idealisierung der Akteure der haitianischen Revolution. Kritisch merkt Buck-Morss an, dass die Haitianische Revolution nur in „unserer“ westeuropäisch geprägten Gedankenwelt ein Beispiel für universelle Freiheit gewesen sei. Die Wirklichkeit sei wesentlich komplexer gewesen und konnte dies angesichts bürgerkriegsähnlicher Zustände und der Besatzung durch fremde Kolonialmächte auch nur sein. Die Vorstellungen von universeller Freiheit und Gleichheit kamen in einem Staat, der vorgab „rassische“ und staatsbürgerliche Grenzen zu überschreiten, in Konflikt mit der Staatsdoktrin Haitis, die Schwarzsein als übergeordnete Identität proklamierte und somit die Diversität der Bürger/innen negierte. Die Autorin kommt deshalb zu dem Fazit, dass die Haitianische Revolution nicht in ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung zur Mystifikation bestimmter Gruppen missbraucht, sondern vielmehr bescheidener als ein Moment in der Geschichte betrachtet werden sollte, in dem universale Forderungen von Gleichheit aufblitzten, ohne dass eine Gruppe oder ein Ereignis einen Absolutheitsanspruch auf Durchsetzung von Emanzipation und Gleichheit beanspruchen könne. Auch wenn sicherlich kritisiert werden kann, dass Haiti nach der Revolution innerhalb des Kontextes der europäischen Zivilisation in seinem Staatsverständnis ein sehr maskulines Bekenntnis zu Schwarzsein, militärischer Stärke und pompösen Bauten an den Tag legte, scheint Buck-Morss Vorwurf, die Haitianer/innen hätten damit das Anliegen der „universal humanity“ aus dem Blick verloren, doch ein wenig überzogen, weil diese Kritik den Eindruck erweckt, den historischen Kontext hier auszublenden (S. 146-147).

Trotz dieses Umstandes bleibt Susan Buck-Morss Arbeit ein wichtiger Beitrag sowohl zur Philosophie als auch zu einer Historiografie, die sich der Kritik des Eurozentrismus verschrieben hat. “Hegel, Haiti, and Universal History” reiht sich somit ein in bahnbrechende interdisziplinäre Arbeiten wie Paul Gilroys „Black Atlantic“ 7 aus dem Jahre 1993 oder das kürzlich in der deutschen Übersetzung erschienene Buch von Peter Linebaugh und Marcus Redicker über „die vielköpfige Hydra“ 8, die den Blick auf transatlantische Dimensionen und Interdependenzen geschichtlicher Ereignisse richten. Es bleibt zu hoffen, dass die originelle Lesart von Buck-Morss, die verborgenen geschichtlichen Einflüsse auf philosophische Konzeptionen auszuloten, als Inspiration für weitere Arbeiten dient.

Anmerkungen:
1 Alexandre Kojève, Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens. Kommentar zur Phänomenologie des Geistes. Mit einem Anhang: Hegel, Marx und das Christentum, Frankfurt am Main 1975.
2 Joachim Ritter, Hegel und die französische Revolution, Frankfurt am Main 1972.
3 Pierre-Franklin Tavarès, Hegel et Haiti ou le silence de Hegel sur Saint-Domingue, in: Chemins Critiques 2,3 (1992), S.113-131.
4 Hegel schreibt dort: „Wir verlassen hiermit Afrika, um späterhin seiner keine Erwähnung mehr zu tun. Denn es ist kein geschichtlicher Weltteil, er hat keine Bewegung und Entwicklung aufzuweisen, und was etwa in ihm, das heißt, in seinem Norden geschehen ist, gehört der asiatischen und europäischen Welt zu.“ G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Suhrkamp Werkausgabe Bd. 12, Frankfurt am Main 2005, S. 163.
5 Michel-Rolph Trouillot, Silencing the Past. Power and the Production of History, Boston 1995.
6 Vgl. zur Kritik am Hybriditätskonzept Kien Nghi Ha, Hype um Hybridität: kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus, Bielefeld 2005.
7 Paul Gilroy, The Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness, London 1993.
8 Peter Linebaugh / Marcus Redicker, Die vielköpfige Hydra. Die verborgene Geschichte des revolutionären Atlantiks, Berlin 2008.

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