Titel
Bilder im Kopf. Ikonen der Zeitgeschichte


Herausgeber
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Erschienen
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für Clio-online und H-Soz-Kult von:
Henrick Stahr, Heinrich-von-Kleist-Gymnasium, Berlin

Es ist die Aufgabe von Museen, wissenschaftliche Forschungsergebnisse einem breiteren Publikum aufzubereiten und in anregender Form zu präsentieren, nicht aber, neue Forschungsergebnisse zu produzieren. Daran ist der (wissenschaftliche) Anspruch von Begleitpublikationen historischer Ausstellungen zu messen. Dies nur vorweg, um bei der Beurteilung des Ausstellungsbegleitbuchs „Bilder im Kopf. Ikonen der Zeitgeschichte“ des Bonner HDG nicht ungerecht zu werden.

In 14 Aufsätzen plus einem Vorwort des Ausstellungsdirektors Jürgen Reiche befassen sich in der Visual History-Forschung bekanntere und weniger bekannte Autoren mit vielfach untersuchten Bildikonen der deutschen Zeitgeschichte bzw. übergeordneten Aspekten der Mediengeschichte.1 Drei Aufsätze widmen sich übergreifenden Zusammenhängen statt einzelner Bildikonen: Hans-Ulrich Thamer erläutert „Macht und Wirkung nationalsozialistischer Bilder“, Rainer Eckert erklärt das „Bildprogramm der SED-Diktatur“ und Gerhard Paul analysiert die „Macht der Bilder in der Mediengesellschaft“.

Allen Aufsätzen gemeinsam ist der konzeptionelle Ansatz, neben Entstehungskontext und Bildtraditionen vor allem die Wirkungsgeschichte der „Schlüsselbilder“ (Christoph Hamann) zu rekonstruieren, die selbst zahlreiche weitere Abwandlungen, visuelle (Re)Interpretationen und (Re)Kontextualisierungen hervorbrachten und teilweise noch hervorbringen. So verfolgt Daniela Münkel die Wirkungsgeschichte des Brandt’schen Kniefalls in Warschau in der bildenden Kunst, Oper, Karikatur bis hin zur (dreisten) Eigenwerbung von „Bild“ mit dem knienden Kanzler.

Die Aufsätze sind von durchaus unterschiedlicher Qualität: Manfred Görtemaker gelingt eine stimmige Rekonstruktion der Aufstiegsgeschichte des „Händedrucks von Potsdam“ bis hin zur motivischen Übertragung in der DDR-Propaganda. Habbo Knoch widmet sich dem berühmten Foto des Jungen aus dem Warschauer Ghetto, liefert gegenüber bereits publizierten Aufsätzen zum selben Motiv wenig Neues und plädiert dafür, das Foto wieder stärker zu kontextualisieren statt in der Fokussierung auf den Jungen allein die „Empathieerwartungen an den Betrachter“ zu maximieren (S. 49). Jörn Glasenapp befasst sich mit der Sowjetflagge auf dem Reichstag, vergisst bei seiner Analyse des Fotos Jewgeni Chaldejs leider, die Ikonografie des Bildes selbst eingehender zu interpretieren, obschon die „Bildsprache“, die Ästhetik doch eine „Grundvoraussetzung“ ihres Aufstiegs zur Ikone sei (so Ausstellungsdirektor Jürgen Reiche, S. 13). Die Aufsätze von Thomas Ahbe und Monika Gibas zum symbolischen Handschlag zwischen Pieck und Grotewohl, von Silke Satjukow zum Aktivisten Adolf Hennecke und von Elena Demke zu „Mauerbildern“ widmen sich vorwiegend der Ikonographie der DDR-Propaganda und sind konzise Versionen bereits publizierter Arbeiten 2.

Frank Bösch fügt den bereits existierenden Analysen der Luftbrückenbilder einige Beispiele ihrer Funktion im aktuellen Erinnerungsdiskurs zum 50. Jahrestag der Luftbrücke hinzu, ohne jedoch näher auf den Streit um den Volksentscheid einzugehen. Ingrid Gilcher-Holthey weist auf die Bildtradition der „Pietà“ für die Wirkung des Ohnesorg-Fotos von Jürgen Henschel hin, das offensichtlich an religiöse Ikonografien anschloss. Warum es sich dabei aber um einen „Opfermythos“ handeln soll, statt um ein tatsächliches Opfer, bleibt unerklärt. Daniela Münkel spekuliert in ihrer Analyse des Brandt’schen Kniefalls in Warschau allzu sehr darüber, inwieweit die Geste vielleicht nicht doch ein „mediengerecht in Szene“ gesetztes politisches Symbol gewesen sei, spricht gar von ihrer „Mystifizierung“ als spontane Geste, ohne dafür einen Beweis antreten zu können. Vielleicht ist, bei aller Medienskepsis, nicht alles medialer Zynismus 3. Petra Terhoeven wiederum interpretiert den in der Tat zynischen Umgang der RAF mit dem entführten Schleyer in den propagandistisch genutzten Schleyer-Fotos als „kommunikative Niederlage“. Diese habe mit dessen Bloßstellung und Erniedrigung, festgemacht an der „Schandtafel“, die an nationalsozialistische „Erniedrigungspraktiken“ erinnerte, zu tun gehabt. Die Täter erschienen damit in den Augen der großen Mehrheit unmenschlich und vollständig „delegitimiert“. Herfried Münklers Analyse der Ikonografie von „9/11“ mündet in die These, Bilder seien unter den „Bedingungen asymmetrischer Konfliktaustragung und Kriegführung“ selbst zu deren Instrumenten geworden (S. 158). War das je anders? Neu ist wohl, dass sie auf die Beeinflussung der Bevölkerung des Gegners zielen, um sie zu „erschrecken, beschämen oder [zu] demütigen“ (S. 158), nicht (wie in nationalstaatlichen Konflikten), vor allem auf die Stärkung der eigenen Moral. Man hätte sich noch einen Exkurs über die erstaunliche Vitalität der weiterhin kreisenden Verschwörungstheorien zum Fall der Twin Towers gewünscht, die mit der Medialität der Schreckensbilder zusammenhängt, die wie eine Realisierung zahlreicher fiktionaler Vorwegnahmen wirkten.

Ein Ausstellungskatalog ist, wie gesagt, keine wissenschaftliche Publikation mit extensivem Anmerkungsapparat. An einigen Stellen wird die Einhaltung von wissenschaftlichen Standards jedoch allzu lax gehandhabt. Beispielsweise bezieht sich Jürgen Reiche in seinem einleitenden Aufsatz wiederholt auf die Definition von „Schlüsselbildern“ bei Christoph Hamann4, ohne dass er diesen namentlich erwähnt.

Kritisiert werden muss ferner auch der Umgang mit den Fotografien selbst: Eine Ausstellung, die sich fotografiegeschichtlichen Themen widmet, sollte auch einen quellenkritisch korrekten Umgang mit den Abbildungen im Katalog pflegen, statt sie wie üblich als bloße Illustrationen in den Text zu platzieren. Insbesondere am Aufsatz von Hans-Ulrich Thamer über die NS-Bildpropaganda stört, dass zahlreiche Abbildungen (so S. 26, 28, 29) keine genaueren Bildbeschreibungen aufweisen, im Text wird nicht einmal auf sie eingegangen, dafür werden im Text Bilder erwähnt, die nicht abgebildet sind. Dies gilt (allerdings weniger) auch für den Überblicksaufsatz von Rainer Eckert über die DDR-Bilderwelt. Hier wird teilweise jener oberflächlich-illustrative Umgang mit Bildquellen gepflegt, den zu überwinden doch gerade die Ausstellung und der Katalog – Stichwort Medienkompetenz – angetreten sind.

Anmerkungen:
1 Jüngst zum Gegenstand erschienen: Gerhard Paul (Hrsg.), Das Jahrhundert der Bilder. Bd. I: 1900-1945, Göttingen 2009 und Ders., Das Jahrhundert der Bilder. Bd. II: 1949 bis heute, Göttingen 2008.
2 Siehe Literaturverzeichnis des Katalogs, S. 166-169.
3 Überzeugender ist hier die Interpretation von Christoph Schneider, Der Kniefall von Warschau. Spontane Geste-bewusste Inszenierung?, in: Gerhard Paul (Hrsg.), Das Jahrhundert der Bilder. Bd. II: 1949 bis heute, Göttingen 2008, S. 410-417.
4 Christoph Hamann, Visual History und Geschichtsdidaktik. Bildkompetenz in der historisch-politischen Bildung, Herbolzheim 2007, insbesondere S. 31.

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